Islam in Deutschland

Islampolitik, Migration und Rassismus – Was hat die neue Regierung vor?

Nach 16 Jahren christdemokratischer Regierung wird Deutschland nun von einer Ampel-Koalition aus regiert. Im Koalitionsvertrag gibt es wichtige neue Ansätze in Bezug auf Muslime und Migranten. Aber auch Fragezeichen. Eine Analyse.

08
01
2022
Islampolitik
Symbolbild: Bundesregierung

Die neue Regierung unter der Kanzlerschaft des Sozialdemokraten Olaf Scholz (SPD) wurde im Dezember vereidigt. Damit hat eine sozial-grün-liberale Koalition das Steuer übernommen und entscheidet für die nächsten vier Jahre über die Geschicke des Landes. Die Frage ist, ob die neue Regierung auch wirklich etwas Neues mit sich bringt, waren die Sozialdemokraten doch schon unter der Kanzlerschaft Angela Merkels Koalitionspartner.

Antworten darauf finden sich in dem 177 Seiten langen Koalitionsvertrag. Dort hat die Regierung ihre Ziele in den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Außen- und Innenpolitik, Bildung, Kultur und Umwelt zusammengefasst. In den folgenden Zeilen werfen wir einen kurzen Blick auf die Abschnitte über Migration, Islampolitik und Rassismus.

Rückblick

Zu Beginn ist es sinnvoll, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Denn die Migrations- und Islampolitik sowie die Rassismusbekämpfung sind im Schatten der 16 Jahre andauernden konservativen Politik unter der Führung von Angel Merkel geformt worden. Wobei diese Politik sich vor allem mit der Tatsache schwergetan hat, dass Deutschland in Wirklichkeit ein Einwanderungsland ist.

Auch wenn es in diesen 16 Jahren sowohl bei Merkel selbst als bei den Christdemokraten insgesamt zu einem ernsthaften Wandel gekommen sein mag, ist bei den Themen Migration, Muslime und Rassismus im Grunde eine Distanz zu innovativen Diskursen bestehen geblieben. Beispielsweise im Bereich der Islampolitik dominierte die Sicherheitspolitik. Die „Integration“ der Muslime, der Kampf gegen religiösen Extremismus oder die Imamausbildung standen auf der Agenda der Christdemokraten vorrangig unter dem Vorzeichen der Radikalismusbekämpfung.

Bringt nun die Regierungsbeteiligung von Grünen und Sozialdemokraten, die bei Themen wie Migration, Islam und Rassismus offener sind als Christdemokraten, etwas Neues? Beinhaltet das Regierungsprogramm Ziele, die mit den Realitäten eines neuen Deutschlands kompatibel sind und die einen Beitrag dazu leisten können, die anstehenden Probleme zu überwinden? Wenn man sich vor Augen führt, dass fast ein Viertel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat, mehr als fünf Millionen Muslime in Deutschland leben und es ein offensichtliches Rassismusproblem gibt, wird klar, dass es konstruktiver und beständiger politischer Ziele bedarf. Sieht man sich die betreffenden Punkte im Regierungsprogramm an, kann man ernsthafte Unterschiede erkennen. Diese können als Vorboten einer neuen Ära gewertet werden.

Migration und Teilhabe 

Bei den Themen Migration und Teilhabe dominieren im Regierungsprogramm linkspolitische Ansätze. Prof. Dr. Jochen Oltmer schreibt auf der Plattform Mediendienst Integration (MDI): „Auffällig ist, dass sich die Art und Weise verändert hat, wie über Migration und Integration gesprochen wird. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren wird Migration nicht mehr vorrangig als Sicherheitsgefahr dargestellt, auf die man mit Abwehrmaßnahmen reagieren müsse. Eingewanderte werden weniger als spezifische Problemgruppe, sondern vielmehr als Teil der Gesellschaft begriffen.“ Dass dieser Ansatz vorherrscht und sich die Migrations- und Integrationspolitik normalisiert, ist eine positive Entwicklung.

Die Islampolitik der neuen Regierung

Im Koalitionsvertrag finden auch Muslime Erwähnung. Dabei fällt auf, dass spezifische, konkrete Angelegenheiten im Zusammenhang mit Muslimen angeführt werden. Vergleicht man den aktuellen Koalitionsvertrag mit dem Regierungsprogramm von 2018, erkennt man ernsthafte Verbesserungen. Das Thema Islam wird nunmehr innenpolitisch nicht nur unter dem Blickwinkel einer Sicherheitsgefährdung behandelt oder problematisiert.

Unter dem Titel „Muslimisches Leben“ findet man Folgendes: „Wir wollen der Vielfalt des muslimischen Lebens Rechnung tragen und u. a. Jugendvereine unterstützen. Der zunehmenden Bedrohung von Musliminnen und Muslimen und ihren Einrichtungen begegnen wir durch umfassenden Schutz, Prävention und bessere Unterstützung der Betroffenen. Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften und Orte der Begegnung fördern wir“. Aber dem nicht genug, finden sich auch noch Artikel zur Verbesserung der „Beteiligung und Repräsentanz der Religionsgemeinschaften, insbesondere muslimischer Gemeinden“, den „Ausbau der… Ausbildungsprogramme für Imaminnen und Imame an deutschen Universitäten in Zusammenarbeit mit den Ländern“ oder die Förderung der „Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften und Orte der Begegnung“. Dies alles zeigt, welche Haltung die Regierung gegenüber den Angelegenheiten der Muslimen hat.

Wie und ob diese Ziele erreicht werden, wird sich zeigen. Jedes einzelne Ziel könnte es erforderlich machen, mit jeweils anderen Gruppierungen zu sprechen. Einige mögen positiv, andere negativ bewertet werden. Aber sie zeigen, dass die Existenz von Muslimen von der Regierung anerkannt wird und sie deren Belange nicht nur einseitig im Zusammenhang mit Radikalisierung und Extremismus behandeln möchte.

Der Kampf gegen Rassismus

Was für ein grassierendes Problem Rassismus in Deutschland ist, haben die NSU-Morde, die Ermordung von Walter Lübcke, der Terroranschlag von Hanau und der Anschlag auf eine Synagoge in Halle mehr als deutlich gezeigt. Die Regierung hat diese Kette von Ereignissen berücksichtigt und in dem Koalitionsvertrag das wichtige Ziel aufgenommen, „…die Arbeit zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus fort(zu)setzen, inhaltlich weiter(zu)entwickeln und sie nachhaltig finanziell ab(zu)sichern.“ Dass im Anschluss daran auch die „Bekämpfung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (wie) Antisemitismus…, Rassismus…, Islamfeindlichkeit…“ angeführt wird, ist die Haltung, die man von dieser Regierung erwartet.

Auch will die Koalition die Arbeit gegen Hass im Netz und Verschwörungstheorien vorgehen, ein Gesetz zur Förderung der Demokratie beschließen und das Gemeinnützigkeitsrecht im Zusammenhang mit Vereinen modernisieren. Durch solche Schritte will die Regierung den Kampf gegen den Rassismus stärken. Inwiefern diese Maßnahmen ausreichen werden, ist fraglich. Die auf die Bekämpfung von Rassismus spezialisierte Amadeu Antonio Stiftung vertritt die Auffassung, dass den Forderungen der Zivilgesellschaft grundsätzlich Rechnung getragen wird. Sie kritisiert aber, dass insbesondere in Institutionen wie der Polizei der Kampf gegen Rassismus keinen Eingang gefunden hat. Berücksichtigt man, dass hier in den letzten Jahren immer mehr Fälle von Rassismus aufgetreten sind, irritiert die Blindheit der sozial-grün-liberalen Regierung.

Wir hatten zu Beginn die Frage gestellt, ob zusammen mit den Grünen, die Regierungsteilnahme der Sozialdemokraten, etwas Neues bringen wird. Die 177 Seiten des Koalitionsvertrags dokumentieren etwas Neues, sowohl was die Perspektive anbelangt als auch die Inhalte selbst. Wird sich diese Neuerung in der Praxis zeigen, und falls ja, wie? Das werden die kommenden vier Jahre zeigen.

Leserkommentare

Vera sagt:
Welche Rolle genau will denn der Islam in Deutschland überhaupt spielen? Welche selbsternannte Islamvertreter und Islamanhänger wollen hierbei als Anführer tonangebend - mit welchem konkreten Islamverständnis - die öffentliche Debatte beherrschen? Auf welche religiöse Glaubenssätze soll sich das Ganze letztlich gründen - speziell im Hinblick auf eine sog. Islampolitik? Die Antworten sollten dezidiert und klar ausformuliert werden - ohne jede Wortakrobatik und ohne beschönigende Wortfloskeln. Ganz so, als hätte man klares, unverfälschtes Wasser vor sich. Hier ist von Islampolitik die Rede. In der 'Neuen Zürcher Zeitung' schreibt die Soziologin Necla Kelek: "Der Islam ist keine Kirche. Es ist an der Zeit, sich gegen die interventionistische Islampolitik der Türkei zur Wehr zu setzen. Die Türkei mischt sich über den Moscheenverband Ditib in einem Mass ein, das schädlich für das Zusammenleben ist. Die Ditib, das ist längst nicht mehr der Verein zur Betreuung der religiösen Bedürfnisse von Gastarbeitern, wie er 1984 gegründet wurde, sondern inzwischen die fünfte Kolonne des politischen Islam von Erdogan." Necla Kelek schreibt: "< nennen meine türkischen Landsleute hinter vorgehaltener Hand die <>, denen sie so leicht einen Bären aufbinden können." Die Autorin zitiert Herrscher Erdogan mit seiner Doktrin "Unsere Religion ist ohne Fehler" und den obersten religiösen Würdenträger der Türkei Ali Erbas mit seiner Kampf-Predigt "Der Islam zählt Unzucht zu einer der grössten Sünden, er verdammt die Homosexualität." Die Meinung vieler Menschen ist, daß der Machtapparat Islam in der Politik Deutschlands und Europas nichts verloren hat. Islam-Politik, Mormonen-Politik, Scientology-Politik, Hinduismus-Politik, Buddhismus-Politik sind nicht vonnöten. Individuelle Spiritualität und Frömmigkeit haben mit fanatisiertem Polit-Aktionismus und gesellschaftlichen Bevormundungsstrategien nichts am Hut. Zur Erinnerung und Mahnung: "Wir integrieren keine Religionen, keine Nationen, wir integrieren Menschen"...sagt der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung. Und nicht nur er.
09.01.22
11:55
Vera sagt:
Necla Kelek schrieb in der NZZ: "'Saf Almanlar' nennen meine türkischen Landsleute hinter vorgehaltener Hand die 'naiven Deutschen', denen sie so leicht einen Bären aufbinden können." Das ist doch sehr erhellend.
09.01.22
12:12
Johannes Disch sagt:
Was (negativ) auffällt: Unter dem Punkt "Der Kampf gegen Rassismus" werden hier in dem Artikel islamistische Terroranschläge -- von denen der schlimmste der Amoklauf von Anis Amri 2015 auf den Berliner Weihnachtsmarkt darstellt-- nicht erwähnt. Die typische und inzwischen schon gewohnte Einseitigkeit auf "islmiq".
09.01.22
18:55
grege sagt:
Wer nur den Extremismus anderer thematisiert, hat selber ein Toleranzdefizit. Islamiq.de fügt sich dieser Rolle perfekt.
15.01.22
15:26
IslamFrei sagt:
Was hat die neue Regierung vor? damit beschäftigt I-q. Seiten lang. Das weiss ich auch nicht aber hoffentlich hat sie nicht vor, sich ständig um Islam zu drehen und sich nur mit mit Muslims zu beschäftigen. Da gibt's wesentlich wichtigere, interessantere und dringlichere Temen. IslamFrei
16.01.22
1:26