Rechtsextremismus

Der NSU-Terror – eine Chronologie

Die rechtsextreme Terrorgruppe „NSU“ ermordete zehn Menschen, verübte Sprengstoffanschläge und beging Raubüberfälle. Vor zehn Jahren wurde sie enttarnt. Eine Chronologie.

04
11
2021
0
Symbolbild: NSU-Terror
Symbolbild: NSU-Terror

Am 9. September 2000 wurde Enver Şimşek auf offener Straße angeschossen. Zwei Tage später stirbt er in einem Krankenhaus. Einen rechtsextremen Hintergrund erwägen die Beamten zunächst nicht. Mit dem Tod von Enver Şimşek beginnt die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Erst elf Jahre nach dem Mord, als Fotos des schwer verletzten Şimşek in dem von Beate Zschäpe veröffentlichten Bekennervideo des NSU auftauchen, wird sein Tod aufgeklärt. Bis dahin hatten die Beamten auch in den darauffolgenden NSU-Mordfällen einen rechtsextremen Hintergrund der Verbrechen ausgeschlossen und im Umfeld der Opfer nach den Tätern gesucht.

Was davor und danach geschah, finden Sie hier:

9. September 2000 

Zwei Täter überraschen am 9. September 2000 den türkeistämmigen Blumengroßhändler Enver Şimşek (38) vor einem Stand in Nürnberg. Şimşek wird von Schüssen aus zwei Pistolen getroffen. Zwei Tage später stirbt er im Krankenhaus. Şimşek war 1986 aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Er galt als erfolgreicher Geschäftsmann.

13. Juni 2001

Abdurrahim Özüdoğru (49) wird 2001 in einer Änderungsschneiderei in der Nürnberger Südstadt mit zwei Schüssen in den Kopf getötet. Es zeigt sich, dass die schon beim Mord an Şimşek benutzte Pistole des Typs Česká 83 auch in diesem Fall verwendet wurde. Özüdoğru war 1980 aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Er arbeitete zunächst als Maschinist, später eröffnete er eine Schneiderei.

27. Juni 2001

Der türkeistämmige Obst- und Gemüsehändler Süleyman Taşköprü (31) wird im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld im Laden seines Vaters mit drei Schüssen getötet. Die von den Tätern benutzten Pistolen können als die Wafffe identifiziert werden, die auch beim Mord an Enver Şimşek verwendet wurde. Taşköprü hatte im April 2001 das Lebensmittelgeschäft der Familie übernommen.

29. August 2001

Der Obst- und Gemüsehändler Habil Kılıç (38) wird im Münchner Stadtteil Ramersdorf im Geschäft seiner Frau mit drei Schüssen in den Kopf getötet. Hauptberuflich war Kılıç Staplerfahrer auf dem Münchner Großmarkt.

25. Februar 2004

Der aus der Türkei stammende Mehmet Turgut (25) wird an einem Dönerimbiss in Rostock mit drei Kopfschüssen ermordet. Er war aus seinem Wohnort Hamburg nach Rostock gereist, um für einen Freund als Aushilfe am Dönerstand einzuspringen.

9. Juni 2005

Ismail Yaşar (50), türkeistämmiger Besitzer eines Döner-Imbisses, wird in Nürnberg mit fünf Schüssen in Kopf und Herz getötet. Zeugen beobachten zwei sich auffällig verhaltende Männer mit Fahrrädern nahe dem Tatort. Ermittler fertigen Phantombilder an. Bei allen anderen Morden gibt es keine Zeugen.

15. Juni 2005

Der aus Griechenland stammende Theodoros Boulgarides (41), Mitinhaber eines Schlüsseldienstes, wird vor seinem Laden im Münchner Westend ermordet. Drei Schüsse treffen ihn in den Kopf. Boulgarides, der 1973 nach München kam, hatte das Geschäft erst zwei Wochen vor seiner Ermordung eröffnet.

4. April 2006

Der Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık (39) wird in seinem Geschäft in der Dortmunder Nordstadt getötet. Kubaşık war 1991 aus der Türkei nach Dortmund gekommen, wo er als kurdischer Asylbewerber anerkannt wurde. 2003 wurde er eingebürgert.

6. April 2006

Halit Yozgat (21), Betreiber eines Internetcafés, wird in seinem Geschäft in Kassel durch zwei Kopfschüsse getötet. Er ist türkischer Herkunft. Yozgat verblutet in den Armen seines Vaters, der seinen Sohn gerade im Geschäft ablösen wollte.

25. April 2007

Die Polizeivollzugsbeamtin Michèle Kiesewetter (22) wird in Heilbronn mit einem gezielten Kopfschuss getötet. Ein weiterer Polizeibeamter wird ebenfalls von einem Schuss im Kopf getroffen und lebensgefährlich verletzt.

19. Januar 2001

Die rechtsradikale Terrorgruppe „NSU“ war 2001 in Köln aktiv. Beim Sprengstoffanschlag auf ein Ladengeschäft wurde eine türkischstämmige 19-Jährige schwer verletzt

9. Juni 2004

Bei einem Anschlag in Köln detonierte am 9. Juni 2004 in der Köln-Mülheimer Keupstraße, die als Zentrum des türkischen Geschäftslebens bekannt ist, eine ferngezündete Nagelbombe. Dabei wurden 22 Menschen verletzt, vier davon schwer. Seit der Selbstenttarnung im November 2011 wird der Anschlag rechtsterroristischen NSU zugeordnet.

November 2011

Nach einem Banküberfall werden die Leichen der NSU-Mittäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in einem abgebrannten Wohnmobil aufgefunden. Mit der Identifizierung der Täter wird klar: Enver Şimşek wurde aus einer rassistischen, islamfeindlichen Motivation heraus getötet.

Juni 2012

Kurz nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie haben Mitarbeiter des Verfassungsschutzes mehrere NSU-Akten vernichtet. Im Zuge der Ermittlungen musste der damalige Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm zurücktreten.

November 2012

Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe.

Mai 2013

In München beginnt unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen und von weltweitem Medieninteresse begleitet der Prozess gegen Zschäpe und vier Mitangeklagte.

11. Juli 2018

Nach 438 Verhandlungstagen endet der NSU-Prozess. Beate Zschäpe wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

21. April 2020

Das Oberlandesgericht München hat das schriftliche Urteil mit 3.025 Seiten zur Verurteilung von Zschäpe vorgelegt.

19. Mai 2021

Die NSU-Akten in Hessen bleiben für weitere 30 Jahre geheim. Eine entsprechende Petition wurde am Mittwoch im Landtag mit schwarz-grüner Mehrheit abgewiesen.

19. August 2021

Im NSU-Prozess zu zehn rassistischen Morden hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Urteile von Beate Zschäpe und zwei ihrer Mitangeklagten rechtskräftig sind. Somit wurde ihre Revision abgelehnt.

20. September 2021

Die rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilte NSU-Terroristin Beate Zschäpe hat in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde eingereicht.

15. Dezember 2021

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe bestätigte die Strafe von zweieinhalb Jahren gegen NSU-Unterstützer André E. . Damit sei das gesamte Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) München aus dem Jahr 2018 rechtskräftig.

19. Mai 2022

Elf Jahre nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) beschäftigt sich im bayerischen Landtag ein zweiter Untersuchungsausschuss mit der rassistischen NSU-Mordserie und deren Hintergründen. Sämtliche Fraktionen stimmten am Donnerstag der Einsetzung des Gremiums zu. Die erste Sitzung soll am 11. Juli 2022 abgehalten werden.

14. September 2022

Die Bundesanwaltschaft hat einen Teil der Ermittlungen gegen weitere Verdächtige eingestellt. Das betrifft fünf der insgesamt neun Verfahren gegen mutmaßliche Unterstützer.

24. Oktober 2022

Die Verurteilung der NSU-Terroristin Beate Zschäpe zur Höchststrafe war rechtens. Eine Verfassungsbeschwerde der 47-Jährigen blieb erfolglos, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Montag mitteilte.