Kommentar

Wann ist ein Angriff auf eine Moschee ein Moscheeangriff?

Seit 2017 werden islamfeindliche Straftaten gesondert erfasst. Das ist sinnvoll. Jedoch variieren die Zahlen von Bund und islamischen Organisationen. Woran liegt das? Ein Kommentar von Muhammed Suiçmez.

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Moscheeangriff
Symbolbild: Moscheeangriff (Berlin)

Ende Februar veröffentlichte die Bundesregierung die Zahlen der islamfeindlichen Straftaten für das Jahr 2021. Diese werden seit dem 1. Januar 2017 gesondert erfasst. Zum ersten Mal wurden im Jahr 2017 mehr als 950 islamfeindliche Straftaten erfasst. 2018 sank sie auf 824, stieg jedoch im Jahre 2019 auf 884 und im Jahr 2020 auf 1129.

Im Jahr 2021 hat es in Deutschland laut dem Bund 662 Angriffe auf Muslime und ihre Einrichtungen gegeben. Das sind knapp zwei Angriffe pro Tag. Zu den erfassten Straftaten zählten etwa Hetze im Internet, Drohbriefe und persönliche Angriffe, aber auch Sachbeschädigung und Schmierereien. 17 Menschen wurden „leicht oder schwer“ verletzt.

Vergleicht man die Zahlen mit denen von islamischen Organisationen, erkennt man auffällige Differenzen. Die Bundesregierung registrierte für das Jahr 2021 in 45 Fällen Anschläge, Schmierereien und Schändungen auf das Religionsziel „Religionsstätte/Moscheen“. Die Dunkelziffer dürfte jedoch höher liegen. Deshalb haben islamische Religionsgemeinschaften eigene Meldestellen für Moscheeangriffe gegründet, um das Ausmaß dieser Angriffe darzustellen. Allen voran die Initiative #brandeilig und die DITIB Antidiskriminierungsstelle (ADS). Vergleicht man die erfassten Daten mit den Zahlen der Bundesregierung fällt auf, dass sich nur 10 von 45 Angriffen überschneiden. Laut den Angaben von #brandeilig und ADS fanden im Jahr 2021 nicht 45, sondern mehr als 80 Übergriffe auf Moscheen statt. Also fast doppelt so viel!

Was ist eine Moschee?

Kann es wirklich sein, dass die großen islamischen Religionsgemeinschaften von den 35 Moscheeangriffen nichts mitbekommen haben? Umgekehrt stellt sich die Frage, warum die von muslimischen Organisationen registrierten Angriffe, nicht auch von der Bundesregierung erfasst wurden. Kurz: Wie kann die große Differenz erklärt werden?

Der Grund liegt in der Moscheedefinition. Die Bundesregierung hat eine klare Definition für das Angriffsziel „Moschee“: „Das Angriffsziel ‚Religionsstätte/Moscheen‘ gilt dabei nur für Moscheen selbst, die Stätten der Religionsausübung; Moscheevereine oder sonstige islamische Einrichtungen sind davon nicht umfasst“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung. Das ist irreführend. Wenn ein Angreifer sich Zugang in den Gebetsraum verschafft und diesen schändet, gilt das als Moscheeangriff. Wenn er aber die Müll- oder Altkleidercontainer vor einer Moschee in Brand setzt, zählt das nicht als Angriff auf die Moschee. Die Nähe zur Moschee wird hier ausgeblendet. Es wird so getan, als wäre das Angriffsziel zufällig ausgewählt worden und hätte nichts mit der Moschee zu tun. Auch wenn die fehlenden Übergriffe auf Moscheen in der Statistik nicht als „Moscheeangriff“ deklariert werden, müssten sie doch zumindest in der Jahresbilanz vorkommen, da die Bilanz alle islamfeindlichen Angriffe auf Muslime und ihre Einrichtungen darstellen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Bundesregierung die versuchte Brandstiftung auf die Kölner DITIB Zentralmoschee am 19.11.2021 nicht als Moscheeangriff aufgelistet hat. Wie die Polizei mitteilte, soll ein unbekannter Radfahrer am frühen Morgen auf einem Gehweg an der DITIB-Moschee in Ehrenfeld Benzin oder Diesel ausgeschüttet haben. Als Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes den Mann ansprachen, floh er. Am Tatort habe er einen halb vollen Kanister und mehrere Feuerzeuge zurückgelassen. Was hätte passieren müssen, damit ein solcher Übergriff in den Statistiken erfasst wird?

Länder ignorieren Bombendrohungen

Die Sicherheitsbehörden sind aufgefordert, jeden Angriff auf eine Moschee und deren Umfeld konsequent zu verfolgen und die Täter zu ermitteln. Denn jede erfolglose Ermittlung bzw. jeder nicht aufgeklärte Moscheeangriff stärkt potenzielle Angreifer, sodass Moscheen immer mehr zur Zielscheibe von Personen werden, die das gesellschaftliche Zusammenleben stören möchten.

Wir erinnern uns: Seit Juli 2019 haben Moscheen bundesweit vermehrt Bombendrohungen erhalten. Diese Drohungen bildeten eine neue Dimension von Angriffen auf Moscheen. Wie aus Recherchen von IslamiQ hervorgeht, wurden nach den Bombendrohungen weder die Sicherheitsmaßnahmen der Moscheen in den Bundesländern erhöht, noch konnten die Verfasser der Drohungen ermittelt werden. Für viele Länder waren die Drohungen kein Grund, die Schutzmaßnahmen zu erhöhen. Auch im Jahr 2021 hat sich die Lage nicht geändert. Im selben Jahr haben knapp 20 Moscheen einen Drohbrief bzw. einen Brief mit rassistischen oder islamfeindlichen Inhalten erhalten. Doch nur ein Vorfall wurde von der Bundesregierung berücksichtigt.

„Ihr seid nicht allein!“

Was muss sich ändern? Bei der Erfassung von islamfeindlichen Straftaten auf Muslime und Moscheen ist eine Kooperation zwischen der Bundesregierung und den islamischen Religionsgemeinschaften unabdingbar. Vor allem dann, wenn islamfeindliche Straftaten konsequent und glaubwürdig erfasst werden sollen. Damit die Bundesregierung einen Moscheeangriff auch als solchen erfasst, muss er erstens von der jeweiligen Gemeinde zur Anzeige gebracht werden, und zweitens muss deutlich gemacht werden, dass es sich um eine Moschee handelt.

Es ist Realität, dass nicht jeder Angriff von den Gemeinden zur Anzeige gebracht wird. Oft werden Schmierereien oder Sachbeschädigungen mit eigenen Mitteln beseitigt, da die Versicherung für solche Schäden nicht aufkommt, Verträge gekündigt werden oder die Moscheegemeinden mit den Formalitäten überfordert sind. Eine stärkere Kooperation würde das Selbstbewusstsein der Betroffenen stärken und ihnen das Gefühl geben: „Ihr seid nicht allein, wir nehmen eure Sorgen ernst!“