Ein Jahr nach Hanau

Armin Kurtović: Ich werde den Anblick meines Sohnes nie vergessen

Hamza Kurtović wurde am 19. Februar 2020 in Hanau von einem Rassisten ermordet. Wir sprechen mit seinem Vater Armin Kurtović über den Verlust, die laufenden Ermittlungen und seine Forderungen.

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02
2021
Armin Kurtović
Interview mit Armin Kurtović über den Verlust seines Sohnes bei dem Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 © IslamiQ.

Von seinem Balkon und seinem Schlafzimmer aus kann Armin Kurtović direkt auf die Arena-Bar schauen. Nur 200 Meter Luftlinie liegen zwischen der Wohnung der Familie und dem Ort, an dem ihr Sohn Hamza am 19. Februar 2020 von einem Rechtsterroristen erschossen wurde. Ja, ans Umziehen hätten sie gedacht, sagt Armin Kurtović. Derzeit warten sie auf eine städtische Wohnung. Es sei eben schwierig, wegen Corona.

IslamiQ: Können Sie uns ihre Gefühle ein Jahr nach dem Anschlag beschreiben?

Armin Kurtović: „Für uns fühlt es sich an, als sei es erst letzte Woche passiert. Es hat sich nichts geändert. Nachdem wir erfahren hatten, dass Hamza tot ist, haben wir erst einmal zwei, drei Monate gebraucht, um überhaupt zu realisieren, dass er nicht mehr nach Hause kommt. Sowas wünscht man wirklich niemandem. Ich habe früher sehr viel gelacht, gerne Witze gemacht. Heute bin ich ganz anders. Das ist, als würde einem das Herz herausgerissen.

IslamiQ: Können Sie uns etwas über Ihren Sohn erzählen?

Hamza war der Sonnenschein der Familie. Er wollte noch leben, hatte noch so viel vor. Und dann passiert sowas.

Als Armin Kurtović das sagt, kommen ihm die Tränen. Ansonsten berichtet er ruhig und gefasst von dem, was ihm und seiner Familie widerfahren ist. „Einer muss ja einen klaren Kopf behalten“, wird er später im Gespräch sagen.

Weitere Interviews mit den Opferfamilien:
Filip Goman: „Es ist schwer, sein eigenes Kind zu Grabe zu tragen
Piter Bilal Minnemann: „Es gibt nicht mehr Vieles, was mir Angst machen kann
Çetin Gültekin: „Ich hatte keine Zeit um meinem Bruder zu trauern

 

IslamiQ: Wie haben Sie von dem Angriff erfahren? Und wie verlief der Prozess nach dem Anschlag?

In der Tatnacht schreibt ihm seine Tochter Ajla eine SMS: „Schießerei in der Stadt“. Seine beiden Söhne, Karim und Aziz, kann der Vater erreichen. Hamza meldet sich nicht.

Kurtović: Ich habe sofort meine Jacke angezogen und bin raus. Die Polizei war schon da. Als ich sie gefragt habe, wo Hamza ist, sagten sie mir, wer vorne im Kiosk liegt. Von der Arena-Bar haben sie nichts gesagt. Ich bin dann um das Haus herumgegangen, dort war noch nichts abgesperrt. Ich habe versucht, in die Arena-Bar hineinzuschauen, konnte aber nichts sehen. Dann habe ich Juma angerufen, aber sein Akku war leer. In diesem Moment stand ein Polizist vor mir. Hamza war sehr auffällig angezogen an diesem Abend. Ich habe ihn beschrieben. „So einer liegt da nicht drin“, hat der Polizist geantwortet. Plötzlich stand Juma neben mir. „Wo ist Hamza?“, habe ich ihn gefragt. „Er ist da drin.“

Kurz darauf rief mich Aziz an und sagte, Hamza sei leicht verletzt im Krankenhaus. Ich habe meine Frau abgeholt und wir sind dann gemeinsam mit Aziz, Juma und Karim von Krankenhaus zu Krankenhaus gefahren. Nirgendwo war Hamza. Schließlich hat man uns zum Polizeipräsidium geschickt, dort standen Mannschaftswagen und Polizisten mit Maschinenpistolen. Wir wurden abgewiesen und sind zurück zum Tatort gefahren. Auch dort hat man uns nichts gesagt. Stattdessen wurden wir zusammen mit anderen Angehörigen in eine Halle gefahren, mussten uns ausweisen und wieder warten, bis kurz nach sechs. Dann kam ein Polizist und hat die Namen vorgelesen. Eiskalt. Meine Frau und meine Tochter sind zusammengebrochen. Ich habe die Polizisten gebeten, einen Krankenwagen zu rufen, aber das wollten sie nicht.

„Acht Tage lang wussten wir nicht, wo unser Sohn ist.“

Zu Hause habe ich dann unsere Hausärztin angerufen, die meiner Frau und den Kindern eine Spritze gegeben hat. Ich selbst habe um acht Uhr die Nummer der Hotline angerufen, die man uns gegeben hatte. Um halb elf am Vormittag kam der Rückruf. Hamzas Leiche sei beschlagnahmt worden. Für mich hat sich das so angehört, als habe ihn jemand in einen Kofferraum gesteckt und sei weggefahren. Er war einfach verschwunden.

Acht Tage lang wussten wir nicht, wo unser Sohn ist. In der Zwischenzeit haben sie uns ausgefragt. Wer hat was gesagt, zu wem, in welchem Wortlaut? Angeblich für einen Bericht. Dann wurde Hamza zur Beerdigung freigegeben. Als sie mich anriefen, sagten sie mir, nur der Bestatter dürfe die Leiche abholen. Am Mittwoch bin ich zur Friedhofsverwaltung gegangen und habe gesagt, ich will meinen Sohn sehen, um zu entscheiden, ob die Familie ihn sehen kann. Außerdem wollte ich wissen, woran er gestorben ist. Das hatte uns niemand gesagt. Und dann kam ich in die Leichenhalle. Diesen Anblick werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen.

Armin Kurtović macht eine kurze Pause. Die Emotionen sind ihm anzusehen, er spricht mit einer Mischung aus Trauer und Wut.

Kurtović: Die haben ihn so zugerichtet! Ich weiß nicht, wie viel Hass ein Mensch in sich haben kann, um einer Leiche so etwas anzutun. Hat es denen nicht gereicht, dass er tot ist? Nach drei Wochen kam der Obduktionsbericht. Und wissen Sie, was da drin stand? „Südländisch-orientalisch, Augenbrauen gezupft“. Das ist eine Lüge! Um 1:15 Uhr hat die Polizei schon gewusst, dass Hamza tot ist. Die Obduktion wurde einfach angeordnet, ohne uns etwas zu sagen. Den Gerichtsbeschluss haben sie sich später geholt. Und dann steht in dem Bericht, sie hätten mit uns gesprochen. Da sind alles Lügen! Können Sie sich vorstellen, wie es ist, acht Tage nicht zu wissen, wo das eigene Kind ist? Er hatte doch einen Ausweis dabei. Und jeder Mensch hat doch Eltern, einen Partner. Das ist doch ein Mensch, kein Tier!

IslamiQ: Die Internetseite und Videos des Täters zeigen, dass er ein Rassist und Verschwörungstheoretiker war. Doch wird behauptet, dass er jemand mit psychischen Problemen ist.

Für Armin Kurtović gibt es keinen Zweifel daran, dass der Täter psychisch krank war. Doch die Behörden will er nicht aus der Verantwortung entlassen.

Ein Mensch, der so etwas anrichtet, der kann nicht normal sein. Aber warum durfte er dann Waffen haben und damit trainieren? Irgendjemand hat da seinen Job nicht gemacht. Jetzt zu sagen, er sei unauffällig gewesen, das reicht nicht. Hätte er noch eine SMS schreiben sollen, „Ich komme jetzt“, oder was?

IslamiQ: Welche Forderungen haben Sie nach dem Anschlag?

Kurtović: Diese Tat muss aufgearbeitet werden, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Der Rassismus in der Gesellschaft, in den Behörden muss auch bekämpft werden. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, habe die deutsche Staatsbürgerschaft, wieso schickt man mir den Ausländerbeirat? Die haben mir sogar einen Dolmetscher gestellt. Wieso machen die das? Im Gesetz steht, ich bin Deutscher. Aber in den Augen der Behörden bin ich keiner.

Dass der Vater des Terroristen in Briefen an die Behörden Verschwörungstheorien und Drohungen äußert, empört Armin Kurtović.

Als er zurückkam, wurden wir Angehörigen angerufen und aufgefordert, ruhig zu bleiben und keine Straftaten zu begehen. Da war sogar von „Blutrache“ die Rede. Auch mit mir wurde eine Gefährderansprache geführt. Niemand hat uns vor ihm gewarnt. Dabei ist er es, der droht. Aber wir zahlen den Preis. Es ist immer dasselbe: Wer ist hier Täter, wer Opfer? Ich werde jedenfalls alle Möglichkeiten nutzen, die das Gesetz mir bietet, Dienstaufsichtsbeschwerden, Klagen. Vor dem Gesetz sind wir alle gleich? Dann sollen sie uns auch so behandeln!

IslamiQ: Wie hat sich Ihr Leben und das Ihrer Familie nach dem Anschlag verändert?

Seit dem Mord an Hamza ist Armin Kurtović krankgeschrieben, genau wie seine Frau. Seine Tochter und sein Sohn Aziz arbeiten wieder. Karim, Hamzas jüngerer Bruder, ist letztes Jahr durchs Abitur gefallen, er muss es wiederholen. Jeden Tag haben sie den Ort vor Augen, an dem ihr Sohn sterben musste. Sie kommen nicht zu Ruhe. Dazu kommen finanzielle Schwierigkeiten. Aber das interessiert keinen, sagt er. Es klingt resigniert. Ob er langfristig in Deutschland bleiben will?

Kurtović: Ich weiß es nicht. Manchmal packt mich die Wut, dann will ich die deutsche Staatsbürgerschaft abgeben und das Land verlassen. Ich will meinen Sohn ausgraben und mitnehmen. Aber ich muss dafür kämpfen, dass hier Gerechtigkeit rauskommt. Manche sagen: „Egal was Sie machen, es bringt Ihren Sohn nicht zurück“. Das weiß ich auch, dafür brauche ich die nicht. Aber ich tue es für ihn.

Das Gespräch führten Elif Zehra Kandemir und Kübra Layık.

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Ich bin erschüttert, was dieser und den anderen Familien widerfahren ist. Dem weltlichen Gericht hat sich der Täter entzogen. Dem Gericht Gottes wird er sich jedoch nicht entziehen können. Und das zu wissen spendet Trost.
15.02.21
18:28
Johannes Disch sagt:
Man könntge solche persönlichen Interviews auch mit den Hinterbliebenen der Opfer vom Berliner Breitscheid-Platz führen. Oder mit den Hinterbliebenen der Opfer von "9/11". Oder mit den Hinterblibenen des kürzlich in Paris von einem Islamisten abgeschlachteten Lehrers Samuel Paty. Oder den Hinterbliebenen der Opfer des Anschlags auf das "Bataclan." Oder oder oder...-- was Islamisten in den letzten Jahrzehnten sonst noch so alles angerichtet haben.
18.02.21
9:29
Sonja Reimer sagt:
Sehr geehrte Angehörige und Freunde der Opfer des widerwärtigen Attentats von Hanau: Ich trauere mit Ihnen, und es tut mir so unendlich leid! Ich distanziere mich ausdrücklich von Fremdenfeindlichkeit und Hass, ich wünschte, ich könnte irgendetwas für Sie tun, um diesen schlimmen Schmerz zu ertragen. Ich denke an Sie und wünsche Ihnen viel Kraft. Ich bin Ihnen in Ihrer Trauer tief verbunden! Sonja Reimer
19.02.21
21:55
Tarik sagt:
Was diesen und andere Anschläge ("NSU-Morde") angeht, so verstört viele Betroffene die zahlreichen Ungereimtheiten und das daraus folgende allgemeine Gefühl, dass von behördlicher Seite aus verschleiert und vertuscht wird. Dies sollte man als "Biodeutscher", der es allmählich leid ist, "ständig" an Hanau und Co. erinnert zu werden, berücksichtigen - bevor man zum üblichen "was ist denn aber mit den Islamistischen Anschlägen" ansetzt. Wenn wir bsp. vom Anschlag auf den Breitscheidplatz sprechen, so war das für hier lebende Menschen mit einem wie auch immer gearteten "muslimischen BAckground" genauso schockierend wie für alle anderen auch - was sich auch in diversen Veranstaltungen wie den "Marsch der Muslime gegen den Terrorismus" zeigte. Das Problem ist hier mangelndes gegenseitiges Vertrauen. Auf der einen Seite die Unterstellung, dass solche muslimischen Anti-Terror-Bekundungen nicht ernst gemeint sondern Augenwäscherei seien - auf der anderen Seite das schwindende Vertrauen in den Staat, der Hinterbliebene allein lässt. Dass sich Hinterbliebene allein gelassen fühlen, ist ja nicht nur im Falle der Bluttat von Hanau der Fall, sondern auch bsp. beim Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz. Nicht nur was die äußerst zweifelhafte Rolle von damals Verantwortlichen, die wie jüngst erst sich weigern, vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss Aussagen zu tätigen und der Eindruck entsteht, dass ein derart gut beobachtender Mann wie Anis Amri womöglich ein V-Mann gewesen ist und wir bis heute nicht wirklich wissen, was in jener Dezembernacht 2016 (!) tatsächlich passiert ist - sondern selbst in recht einfachen Fällen, wie bsp. der Fall von Mohammed W., einem Ersthelfer, der durch seinen beherzten Einsatz, durhc den er gelähmt blieb, eine höhere Zahl von Opfern verhindert hatte, er diverse Auszeichungen erhielt, jedoch keinen passenden Rollstuhl, auf den er immer noch wartet. Mit anderen Worten: Es ist ein allgemeines Problem hierzulande (wie auch anderswo), dass Opfer sich häufig alleingelassen fühlen, unabhängig davon, um welche Art von Anschlag oder Amoklauf es sich handelt. Leider.
02.03.21
14:16
Tarik sagt:
Zum obigen Kommentar noch eine Quellenangabe: Terroranschlag vom Breitscheidplatz - "Gedemütigt, entwürdigt, verletzt" vom 19.12.2020 auf der Internetseite von rbb 24.
02.03.21
14:19
IslamFrei sagt:
Johannes Disch sagt: - - Man könnte solche persönlichen Interviews auch mit den Hinterbliebenen der Opfer vom Berliner Breitscheid-Platz führen. Oder mit den Hinterbliebenen der Opfer von "9/11". Oder mit den Hinterblibenen des kürzlich in Paris von einem Islamisten abgeschlachteten Lehrers Samuel Paty. Oder- - - den Hinterbliebenen der Opfer des Anschlags - - Hier hat wohl ei Muslim Ursache und Wirkung verwechselt. -------------- Hier tut ein Muslim als wäre er Opfer und war doch -- mit vielen anderen Muslims - - Bewunderer des des Hetz-und Hatz Buch Koran. Nun er (und VasWa & co ) auch einmal wie den IslamFreien getroffen werden sollten wie der Koran es befiehlt, dass die Islamfreien getroffen werden sollten -- -- da bekommen die Muslims Mitleid mit sich selbst. IslamFrei
04.03.21
1:07
Johannes Disch sagt:
Es geht hier nicht um Aufrechnung, sondern um Schwerpunkte. Und der Schwerpunkt ist bei "islamiq" sehr einseitig. Und von wegen ungeklärte Fragen zu Hanau: Das ist sehr subtil. Da schwingt immer mit, die deutsche Polizei wolle das Verbrechen gar nicht wirklich aufklären. Die wichtigsten Fragen sind geklärt. Warum war der Notruf nicht besetzt? Na, weil der deutsche Staat an vielen wichtigen Stellen leider seit Jahren spart. Beim Pflegepersonal beispielsweise. Und leider auch bei der Polizei.
05.03.21
19:40
Rechtsextremismus | Jahrestag des Anschlags von Hanau: Unermüdlicher Kampf der Hinterbliebenen - 24ds.org sagt:
[…] wie die Gefährder, statt wie die Gefährdeten?“ Armin Kurtović, Hamzas Vater, erzählte 2021 in einem Interview, dass die Polizei den betroffenen Familien unmittelbar nach dem Anschlag eine Gefährderansprache […]
20.02.23
16:55