Kopftuch im Gerichtssaal

Kopftuchstreit – Wenn das Grundgesetz missverstanden wird

Erneut diskutiert Deutschland über das Kopftuch – dieses Mal im Gerichtssaal. Burak Altaş beschwert sich über inhaltsleere Argumente und ein fragwürdiges Grundgesetzverständnis.

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08
2016
Gesichtsschleierverbote- ein strittiges Thema. © (metropolico.org/CC 2.0/flickr)

Der Kampf um die Gleichberechtigung und gegen die Diskriminierung von kopftuchtragenden Frauen scheint ein nicht enden wollender Weg zu sein. Bei einem derart politisierten Thema werden gelegentlich auch Urteile des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ignoriert, um dem Kopftuch ja keine unerwünschten Freiräume zu schaffen – so wie in Berlin hinsichtlich der Frage nach dem Kopftuch von Lehrerinnen. Bei der neuesten Debatte geht es nicht um das Kopftuch in den Klassen- und Lehrerzimmern, sondern auf der Richterbank. Wo Recht gesprochen wird, fallen auch kluge Argumente – will man meinen. In Wirklichkeit ist die Diskussion von erbitterter Einseitigkeit und Einfältigkeit geprägt.

Dem grünschnabeligen Rechtsschüler an der juristischen Fakultät wird zuerst Folgendes beigebracht: „Du sollst das Ergebnis nicht vorgeben und im Anschluss daran erklären, sondern das Ergebnis offenstellen und auf dem Weg dorthin erarbeiten.“ Dieser sogenannte Gutachtenstil hat den Vorteil, dass der Leser mit tatkräftigen Argumenten überzeugt werden muss, bevor ihm die Lösung mitgeteilt wird. Diese ist dann nur noch eine logische Konsequenz des zuvor mühsam Erarbeiteten. Nun kann man eine öffentliche Debatte nicht im Gutachtenstil und dem seltsam anmutenden Konjunktiv führen, ohne Gelächter zu ernten. Der Austausch von Argumenten sollte aber eine gewisse qualitative Schwelle nicht unterschreiten. Ein weiterer Grundsatz in der Rechtswissenschaft lautet nämlich, dass bloße Behauptungen keinen Wert haben, solange sie nicht argumentativ unterfüttert werden. Genau das vergessen aber die Befürworter eines Kopftuchverbots.

Den Fall einer Rechtsreferendarin in Bayern, der das Tragen des Kopftuchs im Gerichtssaal oder bei der Zeugenvernehmung verboten wurde, entschied das Verwaltungsgericht Augsburg zugunsten der 25-Jährigen Frau. Eine derart tiefgehende Rechtsbeschneidung könne nicht ohne eine entsprechende gesetzliche Grundlage erfolgen, so die Richter. Denn, auch das weiß der Grünschnabel von der juristischen Fakultät seit seinem ersten Semester: In wesentlichen Angelegenheiten – dazu zählt die Verletzung von Grundrechten, hier der Religionsfreiheit der Referendarin – gibt es einen Parlamentsvorbehalt. Die Exekutive ist nicht befugt, ohne eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage in die Grundrechte einzugreifen.

Richterverbände fordern Verbotsgesetz

Dieser Einwand animierte mehrere Richterverbände, für die Schaffung eines entsprechenden Verbotsgesetzes zu plädieren. Das Kopftuch könne die „Unparteilichkeit der Justiz erschüttern“, weil die einheitliche Kleidung der Richterschaft den Parteien eines Rechtsstreits signalisiere, „dass es auch in ihrem Fall nicht darauf ankommt, welche Person entscheidet, sondern nur auf das, was im Gesetz steht“, so Robert Seegmüller vom Bund Deutscher Verwaltungsrichter. Darin schwebt die Sorge, dass sich Richter bereits durch ihre Kleidung äußerlich sichtbar positionieren könnten und daraus eine Voreingenommenheit abgeleitet werde. Diese Erwägung zu Ende gedacht, müsste aber auch ein Kopftuchverbot abgelehnt werden, da jedes Verbot eine Positionierung gegen das Verbotene bedeutet. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bedarf es dafür einer Rechtfertigung, zum Beispiel die Verfassungsfeindlichkeit dieses Symbols. Beim Kopftuch – Fehlanzeige.

Des Weiteren ist bereits die Legitimität des Neutralitätsarguments in diesem Zusammenhang fraglich. In der Forderung, dass „jeder äußere Anschein mangelnder Objektivität vermieden werden“ solle, da „im Gerichtssaal ein besonders striktes Gebot staatlicher Neutralität“ bestehe (Mecklenburg-Vorpommerns Justizministerin Uta-Maria Kuder, CDU), wird zum einen auf die Sichtweise eines undifferenziert Denkenden Dritten abgestellt, der, im Gerichtssaal mit dem Kopftuch konfrontiert, dieses augenblicklich mit negativen Konnotationen verbindet und die Richterin für parteiisch erachtet. Wird derartigen Vorurteilen ein entscheidungserheblicher Wert beigezollt, kann von einer Kapitulation vor islamfeindlichen Ressentiments gesprochen werden.

Zum anderen dürfen Rechtseingriffe nicht auf unbegründetem Verdacht, vagen Vermutungen oder persönlichen Vorurteilen fußen. Dass eine Richterin mit Kopftuch ihren persönlichen Glauben und ihren Richterspruch nicht auseinanderhalten kann, ist nicht nur eine Spekulation, sondern auch eine unerhörte Zumutung. Der Pendelblick zur analogen Diskussion um das Kopftuch einer Lehrerin zeigt gerade auf, dass das BVerfG im Kopftuch selbst keine Gefährdung der Neutralität sieht, sondern allenfalls in Verhaltensweisen und Überzeugungen der kopftuchtragenden Person, die aber konkret nachgewiesen werden müssen.[1]

Richterinnen haben auch Persönlichkeiten

Das in diesem Zusammenhang oft bemühte Neutralitätsprinzip verkommt immer weiter zu einer Allzweckwaffe gegen die Religionsfreiheit. Wo auch immer ein religiöses Symbol aus der Öffentlichkeit verdrängt werden soll, werden Befürchtungen um die Neutralität des Staates formuliert. Dabei ist eines vor Augen zu führen, nämlich dass Deutschland im Laufe der Geschichte im Verhältnis des Staates zur Religion und zu den Religionsgemeinschaften eine ausgezeichnete verfassungsrechtliche Balance geschaffen hat. Bereits 1975 hat das BVerfG den „ethischen Standard“ des Grundgesetzes in der „Offenheit gegenüber dem Pluralismus weltanschaulich-religiöser Anschauungen angesichts eines Menschenbildes [gesehen], das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt ist.“[2] Den Vertretern eines strikten Neutralitätsbegriffs, wonach die Religion möglichst im öffentlichen Raum unsichtbar sein müsse, erteilen die Verfassungsrichter eine Absage, indem sie das Neutralitätsprinzip „nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche (…), sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung“ definierten.

Die oftmals vertretene Auffassung, wonach im sogenannten „Kernbereich staatlicher Aufgaben“, eben z. B. im Justizwesen, ein strengerer Neutralitätsbegriff gelten soll, findet in der einschlägigen Rechtsprechung keinen Anhalt. Sie ist auch in sich nicht konsequent, da zuerst die Frage beantwortet werden muss, weshalb das Kopftuch die (ggf. streng verstandene) Neutralität gefährden soll. Das im Neutralitätsprinzip innewohnende Identifikationsverbot des Staates mit einer bestimmten Religion ist nur dann verletzt, wenn ein argumentatives Konstrukt geschaffen wird, wonach das Kopftuch der einzelnen Richterin dem Staat als Gesamtgebilde zugerechnet werden kann.

Ein solches Konstrukt ordnet die Richterin aber dem Bereich der „staatlichen Selbstdarstellung“ unter, sodass sie etwa mit der Ausstattung eines Verhandlungsraumes mit Kruzifixen gleichgesetzt wird. Ein fataler Fehler, denn während dort die Inszenierung unmittelbar durch den Staat erfolgt, wurzelt die Motivation zum Tragen eines Kopftuchs in der gesellschaftlich-privaten Sphäre der Richterin. Die Richterin erschöpft sich nicht in ihrer amtlichen Funktion. Eine Missachtung dieser Differenzierung bedeutet die „Quasi-Verdinglichung“ der Richterin und wird deshalb dem Facettenreichtum der menschlichen Prägung nicht gerecht.

Optische Neutralität

Das öffentliche Vertrauen in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richterin wird äußerlich maßgeblich durch das Tragen der Robe hergestellt. Diese symbolisiert dann aber auch hinreichend deutlich, dass sich die Richterin in der konkreten Entscheidungssituation in den staatlichen Bereich begeben hat. In dem Bewusstsein, dass Richter_innen neben ihrer amtlichen Sphäre auch eine persönliche Sphäre innehaben, erschüttert das Tragen eines Kopftuches dann diese äußerlich hergestellte Neutralität nicht mehr. Eine deutlichere Symbolik als das Tragen einer Robe ist nicht erforderlich.

Der renommierte Berliner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Klaus Finkelnburg weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ein christlich geprägter Richter, der „das Kreuz vor dem Gerichtssaal ablegt, trotzdem ein kämpferischer Katholik bleibt.“[3] Er sehe in der Debatte über das Kopftuch eine Scheindiskussion: „Ich meine, wir sollten die Freiheit des Individuums so weit wie möglich zulassen.“

Im Geiste des Grundgesetzes

Die wahre Stärke des freiheitlich-demokratischen Staates erwächst daraus, keine Angst vor mehr Pluralität in der staatlichen Sphäre zu haben, sondern diese zu gewährleisten und zu fördern. Liest es sich nicht wie ein Eingeständnis, wenn Herr Seegmüller vom Bund Deutscher Verwaltungsrichter zur Einführung eines Kopftuchverbots „möglicherweise sogar eine Änderung des Grundgesetzes“ für erforderlich hält? Eine Änderung, die freiheitliche Garantien entziehen wird und deswegen dem Geist des Grundgesetzes widerspricht. Eine reaktionäre Entwicklung, gegen die sich alle an Freiheitlichkeit und Pluralität interessierten Fraktionen im Lande wehren sollten.

Das Recht hat eine befriedende Funktion. Dazu gehört das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz, aber auch, dass nicht neue Wunden geschaffen werden. Eine falsch verstandene Neutralität schafft unzählige Opfer, verletzt die Religionsfreiheit und stellt deswegen einen Bruch mit dem Grundgesetz dar.

Unparteilichkeit durch Parteiergreifung contra Kopftuch? Ein Paradox, das sich rational nicht auflösen lässt.

[1] BVerfG, Beschl. v. 27.01.2015 – 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10.

[2] BVerfG, Beschl. v. 17.12.1975 – 1 BvR 63/68.

[3] Berliner Zeitung, Verfassungsrechtler Klaus Finkelnburg im Interview, 22.06.2015, in: http://www.berliner-zeitung.de/berlin/verfassungsrechtler-klaus-finkelnburg-im-interview–eine-richterin-mit-kopftuch-geht-heute-noch-nicht-,10809148,31016204.html?dmcid=sm_tw (zuletzt abgerufen am: 26.06.2015)

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Kritika -- "Charley hat gezeigt, dass Islam und Scharia zusammengehören" ("Kritika") Nein, das hat er nicht gezeigt. Die Scharia ist nur in ganz wenigen islamischen Staaten Gesetz. Am extremsten in Saudi-Arabien. Und da wird sie genutzt, um einen politischen Herrschaftsanspruch zu sichern. In den meisten Staaten mit islamischer Bevölkerungsmehrheit gelten säkulare Verfassungen (Ägypten, Indonesien, etc.) Die Scharia ist postkoranisch und kein essentieller unverzichtbarer Bestandteil des Islam. Zudem kann man nicht einfach von "Der Scharia" sprechen. Man muss schon wissen, was damit gemeint ist. lg Johannes Disch
04.09.16
20:32
Charley sagt:
@Johannes Disch: Die Scharia ist eben nicht "Gesetz", dann wäre sie eben auch ein "Gesetzbuch". Sie ist doch vielmehr die Grundlage, die mehr oder weniger konkrete Richtlinienschnur, um das äußere Leben des einzelnen wie der Gemeinschaft der/des Muslim zu formen. Insofern können aus ihr Gesetze konkretisiert werden, sie kann sich aber auch z.B. als Richtlinie der innerfamiliären Hierachie auswirken, ohne "Gesetz" zu sein. In vielen islamischen Ländern wirkt sie z.B. im Erbrecht, Scheidungsrecht uam. auch wenn diese Länder ansonsten nicht "der Scharia" folgen. Ich empfehle dazu die Darstellungen der Islamwissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Schirrmacher zu lesen (lässt sich im Netz googlen). Auch wenn die Scharia nicht (oder kaum) aus dem Koran zu entwickeln ist (allerdings bald danach und in der Überzeugung, dass man in Übereinstimmung mit Mohammed die Lebensverhältnisse gestaltete), so ist sie durchaus aus der Sunna entwickelt, die für die meisten Sunniten genauso zum Islam gehört wie der Koran.
05.09.16
0:28
Enail sagt:
Das Ehe- und Familienrecht gilt als Kern des islamischen Gesetzes, der Scharia. Mit wenigen Ausnahmen ist die Scharia heute in allen islamischen Ländern, aber auch in Teilen von Afrika und Südostasien, eine wesentliche oder sogar die einzige Grundlage des Personenstandsrechts und damit der Rechtsprechung in Zivilprozessen. Eine säkulare, von religiösen Normen abgekoppelte Rechtsprechung in Ehe- und Familienangelegenheiten existiert also in der islamischen Welt weithin nicht. Einzig die Türkei schaffte die Scharia im Zuge der Gründung der Türkischen Republik als Gesetzesgrundlage ab und richtete die Ehe- und Familiengesetzgebung 1926 am Schweizerischen Zivilgesetzbuch aus. Die Scharia steht für das Gesetz Gottes, so wie es im Koran und der islamischen Überlieferung niedergelegt und von maßgeblichen Theologen interpretiert wird. Die Scharia regelt gleichermaßen die "vertikalen" wie "horizontalen" Beziehungen jedes Menschen: sie gibt Anweisungen für das Verhalten in Familie und Gesellschaft (dazu gehört das Ehe- wie das Strafrecht), aber sie reglementiert auch die Gottesverehrung (vor allem die Praktizierung der "Fünf Säulen" Bekenntnis, Gebet, Fasten, Almosen und Wallfahrt). Der Ablauf des täglichen rituellen Gebets ist also ebensowenig in das Belieben des Einzelnen gestellt wie die Klauseln eines Ehevertrags. Aufgrund der Durchdringung aller Lebensbereiche mit den Geboten der Scharia gibt es aus muslimischer Sicht keinen "säkularen", von der Religion abgetrennten Bereich, sondern nur eine Vielzahl detaillierter Empfehlungen und Vorschriften zum Leben im Diesseits zur Vorbereitung auf das Paradies im Jenseits. Trotz dieses Generalanspruchs der Scharia, alle Lebensbereiche eines Menschen regeln zu wollen, handelt es sich dabei nicht um ein kodifiziertes Gesetzbuch, das etwa mit dem "Bürgerlichen Gesetzbuch" vergleichbar wäre. Die Scharia ist gleichermaßen konkret wie interpretierbar, ebenso erstarrt wie flexibel. Konkret in dem Sinne, dass insbesondere gesetzliche Regelungen zum Ehe- und Familienrecht schon im Koran und der Überlieferung recht eindeutig definiert und von maßgeblichen Theologen und Juristen der Frühzeit des Islam wegweisend ausgelegt wurden. Interpretierbar bleibt die Scharia jedoch gleichzeitig dadurch, dass sie nur durch Auslegung und Anwendung konkret umzusetzen ist und daher Spielraum für eine gewisse Bandbreite an Auffassungen bietet, solange diese mit der Scharia selbst begründet werden. Die Scharia ist zu keiner Zeit und an keinem Ort je vollständig zur Anwendung gekommen. Sie ist also immer ein idealtypisches Gesetz geblieben, ja, es stellt sich die Frage, ob sie in einer Gesellschaft - und umso mehr gilt dies für das 21. Jahrhundert - überhaupt in ihrer Gesamtheit umsetzbar wäre. Das wird schon anhand der offensichtlichen Schwierigkeiten deutlich, die Scharia zu kodifizieren. In den übrigen Teilen der islamischen Welt wird die ungebrochene Gültigkeit der Schariagebote insbesondere in der Ehe- und Familiengesetzgebung weder von maßgeblichen theologischen Autoritäten noch von der Bevölkerung grundsätzlich in Frage gestellt. Aufgrund der Tatsache, dass in den islamischen Kernländern keine Aufklärung im europäischen Sinn stattgefunden hat und keine von religiösen oder staatlichen Lehrinstitutionen formulierte Religionskritik existiert, werden im Hinblick auf die Scharia im wesentlichen Auslegungsfragen diskutiert, aber nicht die Gültigkeit dieses nach muslimischer Auffassung ewigen, göttlichen Gesetzes an sich hinterfragt. Im Gegenteil, in der Gegenwart, in der in vielen Ländern eine voranschreitende Islamisierung zu beobachten ist, werden bestehende Gesetze wieder vermehrt an der Scharia ausgerichtet. Ich habe verschiedene Artikel über die Scharia gelesen, um mich zu informieren was das eigentlich ist. Jedenfalls bin ich zu dem Entschluss gekommen, diese abzulehnen. Wenn ich das richtig verstanden habe, reglementiert sie das ganze Leben und so etwas ist mir zutiefst zuwider. Gerne bestimme ich selbst über mein Leben. Die islamische Theologie betrachtet die Scharia als vollkommene Ordnung göttlicher Autorität, die jeder Gesellschaft Frieden bringt, von Gott selbst geschaffen und deshalb nicht veränderbar. Kritik der Scharia bedeutet, menschliche Erwägungen über Gottes Gesetz zu stellen, das doch - als Endziel der islamischen Da'wah (der Einladung zum Islam) - über alle Menschen der Erde aufgerichtet werden soll. Mir wird Angst und Bange, wenn das, was ich in der islamischen Welt sehe, die vollkommene Ordnung und der Frieden für die Gesellschaft sein soll, und dies dann auch noch über alle Menschen der Erde aufgerichtet werden soll. Hoffentlich muss ich das nicht mehr erleben. Bei der Vielzahl der Unterstützer für diese Lebensweise wäre das in Zukunft nicht ganz abwegig.
05.09.16
2:13
Johannes Disch sagt:
@Charley Sie vertreten ein ziemlich essentialistische Bild des Islam und der Scharia. Als würde es einen "Wesenskern" des Islam und der Scharia geben. Das ist aber nicht so. Jede Religion-- auch der Islam-- ist "Work in Progress" und findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern wird von den politischen und sozio-ökonomischen Bedingungen beeinflusst. Die Muslime des Jahres 2016 sind nicht mehr die des Jahres 632. Und der Muslim in der Diaspora hat mitunter ein anderes Verständnis seiner Religion als der Muslim in einem Staat des Nahen Ostens. Wir schreiben heute vieles "Dem Islam" zu, was eigentlich der Politik geschuldet ist. Wir haben es im Nahen Osten mit despotischen Machthabern zu tun, die Religion nur dazu benutzen, ihre Macht abzusichern. Bis Mitte / Ende der 60iger Jahre des 20. Jahrhunderts war der arabische Nationalismus die herrschende Ideologie in der Region. Erst die verheerende Niederlage der arabischen Staaten im "6-Tage-Krieg" gegen Israel 1967 hat den arabischen Nationalismus diskreditiert und zum Aufstieg des Islamismus geführt. Die Welt ist in Nationalstaaten organisiert, die eigene Verfassungen haben. Einen "Religionsstaat" mit der Scharia als Gesetz finden sie da kaum, wenn man von Saudi-Arabien absieht. Im Iran liegt der Fall schon wieder anders. Die Scharia im schiitischen Verständnis unterscheidet sich sehr vom sunnitischen. Es wird aber gerne alles über einen Kamm geschert. Das sieht man ja hier an Aussagen wie: Islam und Scharia gehören zusammen. Und wenn wir dann noch innerhalb der "Schia" zwischen "Siebenerschia" und "Zwölferschia" differenzieren, ergibt sich hinsichtlich der Scharia wieder ein völlig anderes Bild. Der Staat mit der größten muslimischen Population liegt nicht im arabischen Raum, sondern in Asien. Es ist Indonesien. Indonesien ist eine Präsidialdemokratie mit einem relativ liberalen Umgang in religiösen Fragen. Hier wird aber immer wieder gerne Saudi-Arabien angeführt und als exemplarisch für "Den Islam" ins Feld geführt. Saudi-Arabien vertritt die reaktionärste Interpretation des Islam, nämlich den Wahabismus, der sich ideologisch kaum vom Islamverständnis des IS unterscheidet. Aber den Wahabismus als repräsentativ für "Den Islam" und Muslime zu verstehen, tut dieser Religion und seinen Gläubigen unrecht. Dass Islam und Demokratie vereinbar sind, muss nicht bewiesen werden. Das ist evident. Seit Jahrzehnten leben gläubige Muslime in den Demokratien dieser Welt, und sie tun es friedlich und in Übereinkunft mit unseren Normen und Werten. Der Koran kennt keine politische Theorie. Der Koran schreibt keine politische Ordnung vor, und folglich ist der Islam mit jeder Staatsform vereinbar, auch mit einer Demokratie. Die Ordnungsvorstellungen des Islamismus ("Haykimath Allah" = "Gottesherrschaft" oder "Nizam Islami" = "Islamisches System") sind neuzeitlicher Natur und finden im Koran keine Entsprechung. Das islamische Recht ist zudem umfassender als nur die Scharia. Der Begriff Scharia beschreit das islamische Recht nur unzureichend. Ohne jetzt einen langen theologischen Ausflug in die Grundlagen des islamischen Rechts und seiner historischen Entwicklung zu unternehmen: Man schaue sich den "Arabischen Frühling" an: Die Menschen dort wollen dasselbe, wie wir im Westen: Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Religiöse Schriften bedürfen immer der Interpretation. Das gilt für den Koran. Und das gilt auch für die Sunna. Es gilt, Koran und Sunna mit den heutigen Augen zu lesen. Das ist möglich. Nur Fundamentalisten bestreiten das. Und wenn wir diesen Fundamentalisten auf den Leim gehen-- und das gehen wir, indem wir uns zu pauschalen Aussagen wie: Islam und Scharia gehören zusammen---, dann nehmen wir Muslimen die Möglichkeit, sich unsere Gesellschaft zu integrieren. Dass die Scharia durchaus mit der Demokratie vereinbar ist, das zeigt die Professorin für Islamwissenschaften, Gudrun Krämer, in einem langen Aufsatz für "DIE ZEIT": "Die islamische Demokratie." (24. Februar 2011). Ist im Netz abrufbar. lg Johannes Disch
05.09.16
13:41
Johannes Disch sagt:
@TV-Tipp -- Heute Abend 22 Uhr 45, ARD: "Der Islamreport." (45 Min.) Normalerweise ist der Erkenntnisgewinn solcher Sendungen gering. Aber es gibt Ausnahmen. Vielleicht ist das eine? Schau mer mal.... lg Johannes Disch
05.09.16
21:11
Kritika sagt:
@Johannes Disch L.S. Scharia: Atjeh* ist eine Provinz auf Sumatra eine Indonesische Insel. Viele 10.000sende Menschen kamen bei dem Sunami von 2004 um. Die leicht gebauten Häuser der Küstenregion wurden schwer verwüstet, nur die solide gebauten Moscheen blieben stehen. Die MoslemGeistlichen verkündigten, dass Allah die Moscheen verschont habe um der Bevölkerung weiterhin Gelegenheit zu geben ihm zu loben und zu preisen. Als Dank für soviel Gnade solle man die Scharia einführen. So geschah es. In diesem Sommer gingen die Bilder um die Welt von einer jungen Frau in Atjeh, die Peitschenschläge erhielt für einer Sünde, die hierzulande eine Straf freie Lapalie ist. Soweit das Indonesia unter dem Islam und teilweise unter der Scharia * Atjeh ist die Niederländische von einigen Schreibweisen; sie ist fonetisch am Nächsten. Wenn Scharia nicht zum Islam gehören sollte, zu was sollte sie dann? Kritika ist nach wie vor der Meinung, dass Islam und Scharia zusammen gehören. Noch dominiert der Islam nicht in Deutschland - möge Allah und eine kluge Regierung dafür sorgen, dass es es nie dazu kommt. Hoffnungsstrahl: In den Städten sehen wir Mütter im strassenfegendem Gewand - mit Kopftuch natürlich - an deren Seite die modern gekleidete Tochter mit offenem Haar. Dieser Anblick nährt die Hoffnung, dass es dem Islam ähnlich gehen möge wie die Christliche Religionen heute: der Widerspruch zwischen einen allwissenden, allmächtigen und noch dazu barmherzigen Allah resp. Gott und das Elend dieser Welt lassen bei der informierten und kritisch denkenden, Generation den Gedanken aufkommen, Religionen könnten ähnlich seriös fundiert sein wie Erdstrahlen, Astrologie, Homöopathie etc. Aus genau der selben Erkenntnis, der die Kirchen leer lässt laufen, werden die Moscheen mit Zeitverzögerung folgen. Ohne Islam wäre die Welt dann unendlich friedlicher und freier, auch frei von Scharia.
06.09.16
2:36
Charley sagt:
@ Johannes Disch: War ganz nett der Film! Ach ja, der "Glaube" hängt am Tuch, mit oder ohne! Dann der "sanfte, bekehrte Salafist", lustig der weintrinkende, moslemische Sommelier,... eine bunte Welt, erinnerte mich ein bisschen an das Publikum in einer Kirche zu Weihnachten, auch "alles Christen"! :-) Verblüffend war, sie sehr doch Einzelheiten zum conditio-sine-qua-non hochstilisiert werden. Denn "die 5 Säulen" kamen gar nicht vor. Es würde mich interessieren, was Sie zu den dort aufgetretenen "Fachleuten" sagen. (Nein, über Dr. Abdel-Hakem Ourghi brauchen Sie nicht zu lästern!) Aber die anderen, wie mundeten diese Ihnen? Beste Grüße, Charley
06.09.16
11:55
Johannes Disch sagt:
@Charley Na ja, dieser Abdel-Kassoum....-- der angeblich bekehrte und friedlich gewordene Salafist. Können Sie sich an den erinnern?? Das war der "Quassel-Imam", der vor 2 Jahren bei Günther Jauch einen denkwürdigen Auftritt hatte. Der hat die Sendung fast alleine gemacht und alle an die Wand gequasselt. Die Sendung ist schon jetzt Legende. Ich glaube, im Internet findet man sie noch Die anderen Experten? Na ja, der Ourghi: Wenn er mal was richtiges sagt, dann ist es banal. Von wegen, der Islam müsste sich dem Gewaltpotential stellen... Das tut er doch längst. Den Auftritt von Abdel-Samad fand ich nicht übel, was nix daran ändert, dass ich seine Bücher für wenig gelungen halte. Ein Hammer ist aber, dass Frankreich sein jüngstes Buch nicht veröffentlicht. Da hat Abdel-Samad Recht, wenn er von einem Kotau vor den Extremisten spricht. Wir sollten aber auch die Dimensionen betrachten, über die wir reden. Das kam in der Sendung auch ganz gut raus. Wir haben ca. 8000 Salafisten-- bei 5 Millionen Muslimen. Von denen gelten ca. 600 als gewaltbereit. Dazu kommen noch etwa ca. 400 "Unterstützer." Das liegt noch nicht einmal im Prozentbereich, sondern im Promillebereich. Die Integrationsproblematik ist umgekehrt proportional zum medialen Hype. Die meisten Muslime sind prima integriert. Über die berichtet halt aber keiner. Warum sollte man auch? Ein gut integrierter Migrant fällt nicht auf. Der ist einfach da, und Teil der Gesellschaft. lg Johannes Disch
06.09.16
19:39
Johannes Disch sagt:
@Kritika -- Betrifft: Indonesien. Sie haben Recht bezüglich Indonesiens. Leider dreht sich auch da in verschiedenen Regionen die Stimmung hin zu einem eher orthodox-fundamentalistischen Islam. Das liegt an dem Einfluss Saudi-Arabiens, die mit ihren Petro-Dollars ihren reaktionären Wahabismus in alle Winkel der Welt verbreiten. Übrigens leider auch nach Deutschland. Dieses Land erlaubt es, dass Saudi-Arabien hier Akademien ("König-Fahd-Akademie" in Bonn, etc.) einrichtet. Und Saudi-Arabien gilt als Verbündeter im Kampf gegen den IS. Das ist in etwas so sinnvoll, als würde man das mexikanische "Sinaloa-Kartell" mit der Drogenbekämpfung beauftragen. lg Johannes Disch
06.09.16
19:46
grege sagt:
@ Herr Disch, der Anteil von Skinheads liegt ebenfalls im Promillebereich bezogen auf die Gesamtbevölkerung. Und stellt der Rechtsextremimus jetzt eine Gefahr dar?
08.09.16
18:35
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