Muslimische Frauen

„Wird es besser, wenn ich das Kopftuch ablege?“

2017 markiert den Beginn der separaten Erfassung islamfeindlicher Straftaten. Doch wie sieht Islamfeindlichkeit im Alltag aus? Journalist Fabian Köhler traf die 17-Jährige Muslimin Elena, die den Hass hautnah zu spüren bekam.

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Symbolbild: Junge Mädchen werden immer öfter Opfer von islamfeindlichen Straftaten. © flickr, CC 2.0, Andreas Kollmorgen

Der Moment, in dem Elena den Glauben verlor, begann mit einem Schrei: „Schlampe, nimm den Lappen runter!“ Und er endete mit einem Schlag ins Gesicht. „Ich wusste, dass es solche Leute gibt. Aber ich hatte nicht geglaubt, dass mir das mal passiert“, erzählt Elena über den Tag, als sie im Sommer letzten Jahres eigentlich auf dem Weg zu einer Freundin war und sie sich plötzlich auf dem Bordstein wieder fand.

Elena ist 17, Schülerin, wohnt im Berliner Stadtteil Wedding. In vielerlei Hinsicht ein ganz normales Mädchen: Ein wenig zu spät, zu viel Puder im Gesicht. Redet viel, kichert noch mehr. Beigefarbener Mantel. Mintgrünes Kopftuch. Warum sie die die wildfremde Frau an jenem Juli-Tag niederschlug, hat Elena nie erfahren. „Ein anderes Mädchen hat mir aufgeholfen und wollte die Polizei rufen, aber da war die Frau schon verschwunden. Ich glaube sie war verrückt also krank oder so.“

Sicher ist hingegen: Elena ist nicht die einzige, der so etwas wiederfährt. Immer häufiger werden in Deutschland kopftuchtragende Frauen und Mädchen zu Opfern, berichten Betroffene, Opferinitiativen und Islamverbände. Die Angriffe reichen von verbalen Beschimpfungen bis zu körperlichen Angriffen. Mindestens einmal pro Woche taucht in irgendeiner Lokalzeitung eine Meldung über einen Fall wie den von Elena auf: Ende März schlugen und traten an einer Bushaltestelle in NRW Unbekannte auf ein 14-jähriges Mädchen ein. Anfang April traf es eine kopftuchtragende Frau in Bayern. Wenige Tage später wurde in Berlin eine 17-jährige mit Kopftuch von zwei Männern und einer Frau angriffen und verletzt.

„Ich soll zurückkehren. Aber was soll ich in Pakow?“

„An meiner Schule ist es normal, Kopftuch zu tragen. Dort habe ich keine Angst“, erzählt Elena, die in Wahrheit anders heißt, aber nicht will, dass ihre Mitschüler ihren Namen in der Zeitung lesen. Ihre Schule liegt nur wenige Gehminuten entfernt und ist der eigentliche Grund unseres Treffens. Denn eigentlich wollte Elena von der Flüchtlingsarbeit ihrer Schule berichten. Aber relativ schnell kommt das Gespräch auf jene Erfahrungen, die laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Gallups rund jede Dritte muslimische Migrantin in den vergangenen zwölf Monaten in der EU gemacht hat: „In der U-Bahn oder auf der Straße bekommst du schon mal Sprüche: ‚Terroristin‘ oder ‚Taliban-Braut‘. Die Aufforderung, dorthin zurückzukehren, wo sie herkommt, höre sie mindestens ein pro Monat. „Aber was soll ich in Pankow?“, fragt Elena und freut sich sichtlich über ihre Pointe.

Aufgewachsen ist Elena im Berliner Stadtteil am nördlichen Rand von Berlin. Das Gegenteil von einem migrantischen Problemviertel. Zwei Geschwister. Besonders religiös sei keines drei Kinder erzogen worden, erzählt Elena. „Meine Eltern wollten, das alles schön Deutsch ist. Wir sind alle bestens integriert. Mein Bruder geht sogar auf eine Waldorf-Schule“, erzählt Elena und freut sich jetzt noch mehr. Anfang der 90er und damit lange vor Elenas Geburt kamen ihre Eltern aus Ägypten zum Studieren nach Berlin. Der Vater Medizin, die Mutter Architektur. Daran nach Ägypten zurückzukehren, hätten ihre Eltern allerdings tatsächlich schon einmal gedacht. Elena. „Damals als die Sache mit der Apothekerin war.“

Die „Apothekerin“ ist Marwa El-Sherbini. Die Ägyptern war 2008 auf einem Spielplatz in Dresden von einem Deutschen islamfeindlich beleidigt worden und zeigte ihn an. Als ihn am 1. Juli 2009 ein Gericht zu einer Geldstrafe verurteilte, stieß er El-Sherbini noch im Gerichtssaal zu Boden und tötete die junge Frau mit 18 Messerstichen. Internationale Aufmerksamkeit erregte der Fall auch, weil sich deutsche Politiker lange weigerten die Tat öffentlich zu verurteilen und als islamfeindlich einzustufen.

Seit 2017 werden islamfeindliche Straftaten gesondert erfasst

Die Ermordung El-Sherbinis ist nicht der einzige Fall, an dem sich die Ignoranz gegenüber dem Thema Islamfeindlichkeit in Deutschland zeige. Lange hat es gedauert bis sich Politiker und Behörden bereit erklärten, islamfeindliche Straftaten überhaupt polizeilich gesondert zu erfassen. Wie viele Übergriffe es auf kopftuchtragende Musliminnen gibt, ist nicht nur schwierig zu sagen, weil wie sich wie Elena die meisten Opfer scheuen, den Angriff zur Anzeige zu bringen.

Erst seit Januar 2017 führt die Polizeistatistik des BKA eine eigene Unterrubrik für islamfeindlich motivierte Straftaten. Angesichts zunehmender Islamfeindlichkeit hatten Opferverbände, Anti-Rassismusinitiativen und muslimische Organisationen bereits seit Jahren auf die Erfassung gedrängt, die bei antisemitisch motivierten Straftaten längst üblich ist. Politiker hingegen verwiesen lange Zeit, dass dies entweder nicht nötig oder nicht möglich sei.

Frauen mit Kopftuch müssen vier bis fünfmal so viele Bewerbungen schreiben

Ohnehin sind offene Angriffe nicht die einzige Form der Diskriminierung, denen sich kopftuchtragende Musliminnen in Deutschland ausgesetzt sehen. Im vergangene Jahre zeigte eine Studie der Uni Linz, wie schwer es ist, als Muslimin einen Job zu finden. Rund 1.500 Bewerbungen verschickten die Wissenschaftler – mal mit deutsch klingendem Namen, mal mit türkischem, mal zusätzlich mit Kopftuch. Das Ergebnis: Als kopftuchtragende Türkin mussten sie vier bis fünfmal so viele Bewerbungen schreiben, um eine Antwort zu erhalten wie ihr gleich qualifiziertes deutsches Alter Ego.

Die Ausgrenzung von Musliminnen auf dem Arbeitsmarkt könnte sich in Zukunft noch deutlich verschärfen: Anfang März hatte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Klage einer belgischen Rezeptionistin abgewiesen, der aufgrund ihres Kopftuchs gekündigt worden war. Die EuGH-Richter argumentierten, dass Arbeitgeber das Tragen von Kopftüchern verbieten können, wenn dies für alle religösen Symbole gleichermaßen gelte. Betroffen sind demnach theoretisch auch Träger von indischen Dastars, spanischen Mantillas und jüdischen Kippas betroffen. Doch in der Praxis dürfte das Urteil vor allem kopftuchtragende Musliminnen treffen, kritisieren neben islamischen Organisationen auch Vertreter der Opposition im Bundestag.

Jeder zweite Deutsche will generelles Kopftuchverbot an Schule

„Früher haben die Leute nur hinter vorgehaltener getuschelt: ‚Guck mal, was ist das für eine‘ oder so. Heute spucken sie dich, beschimpfen dich, oder fragen dich, ob mich mein Mann dazu gewungen habe.“ Die Entscheidung, das Kopftuch zu tragen, habe sie vor drei Jahren getroffen, erzählt Elena. „Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, ob ich es machen soll. Irgendwann hat es einfach richtig angefühlt. Für mich ist meine Kleidung Ausdruck meiner Persönlichkeit. Dazu gehört eben auch Gott und das zeige ich mit dem Kopftuch.“ Auf sie eingewirkt, dass Kopftuch zu tragen, habe niemand, versichert sie. Im Gegenteil: „Meine Mutter sagt, es ist meine Entscheidung. Mein Vater will, dass ich es abnehme. Er hat Angst davor, was passiert, wenn die Stimmung noch schlechter wird.“

Wie schlecht die Stimmung gegenüber den fünf Millionen Muslimen in Deutschland jetzt schon ist, haben mehrere Studien ermittelt. Eine repräsentativen Umfrage der Universität Leipzig ergab im vergangenen Jahr, dass rund 41 Prozent der Bundesbürger fordern, Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland zu untersagen. 2009 waren es nur halb so viele. Sogar Zweidrittel der Deutschen äußerten die Meinung, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprach sich jeder zweite Befragte außerdem für ein generelles Kopftuchverbot an Schulen aus. Der Soziologe Florian Kreutzer hat außerdem Musliminnen zu Diskriminierungserfahrungen interviewt. Das Fazit seiner Studie „Stigma Kopftuch“ : Kopftuchtragende Frauen hätten oft nur die Wahl zwischen Assimilation und Ausgrenzung.

Ernsthaft darüber nachgedacht, ihr Kopftuch abzulegen habe Elena nicht. Zumindest nicht nach dem Angriff vom letzten Sommer. „Vor zwei Monaten habe ich das erste Mal darüber nachgedacht“. Jemand habe damals ihrer Schwester versucht, das Kopftuch herunterzureißen. Aus Angst vor weiteren Übergriffen habe ihre Schwester schließlich das Kopftuch abgelegt. Ob das für sie auch infrage käme? Elena überlegt eine Weile, bevor sie dann doch den mintgrünen Kopf schüttelt: „Am schönsten wäre, wenn es irgendwann einfach keine Rolle mehr spielt.“

Leserkommentare

Kritika sagt:
An Elena von Kritika Sie haben verwerflicherweise eine schlechte Erfahrung gemacht, (so erzählt es uns zumindest Islamiq) und das ist nun schon ein Jahr her. Kritika gibt zu bedenken: ►nur 25% aller MuslimFrauen tragen Kopftuch, also - so die logische Schlussforgerung - sind diese 25% fanatische Muslims; diejenigen, die immer wieder für Ärger sorgen, folglich werden die gemieden. ►Wenn Sie sicher gehen wollen, nicht noch einmal von einem IslamKritiker belästigt zu werden, dann verzichten Sie auf's Kopftuch. ►Wenn einmal Sie einen PraktikantenPlatz, oder einen Arbeitsplatz suchen, haben Sie mit Kopftuch sehr schlechte Chancen. ►Ohne Kopftuch wirken Sie viel sympatischer als mit. ►Als Kopftuchträgerin bekennen Sie sich öffentlich zu den abscheulichen Morden, die Angehörige Ihrer Religion in vielen Ländern, auch Berlin, ständig begehen. ►Nirgends im Koran wird das Kopftuch vorgeschrieben, keine muss es tragen. Also, kommen Sie ohne Kopftuch in Deutschland viel besser zurecht, können es trozdem in der Moschee tragen und dennoch eine brave Muslemin sein. Gruss, Kritika
03.06.17
23:36
Ute Fabel sagt:
Kommunisten, die ihre Gesinnung nicht immer und überall sichtbar machen, werden bei der Jobsuche auch wesentlich erfolgreicher sein als ihre Gesinnungsgenossen, die nur mit einem roten Hammer-und-Sichel-Shirt zu den Vorstellungsgesprächen erscheinen wollen. Warum soll es dann so skandalös sein, dass Musliminnen ohne Koftuch bessere Karrierechancen als jene mit Kopftuch? Glaube oder Unglaube ist ebenso wie die politische Überzeugung etwas, das man nicht immer vor sich hertragen sollte. Wer es trotzdem macht, sollte nicht jammern sondern sich die Konsequenzen selbst zuschreiben.
04.06.17
13:32
Manuel sagt:
Ja ist wird besser, wenn man dieses Symbol der Frauen-Unterdrückung und Geschlechter-Apartheid endlich ablegt.
04.06.17
17:03
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Menschen dürfen in Deutschland ihre religiöse Gesinnung zeigen, auch in der Öffentlichkeit. Unsere säkulare Rechtsordnung garantiert das. Sie garantiert es als verfassungsgemäß verbrieftes Grundrecht nach Art. 4 GG. Erneut wird hier von Ihnen eine Straftat und ein verächtliches denunzierendes respektloses Verhalten gegenüber Muslimen relativiert mit dem hirnrissigen Vergleich zu Kommunisten, etc.
05.06.17
11:59
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: Und Kommunisten sollen nicht das Recht haben ihre Gesinnung am Arbeitsplatz offen zu zeigen? In Österreichs zweitgrößten Stadt Graz hat die Kommunistische Partei KPÖ Anfang des Jahres zum zweiten Mal in Folge bei den Wahlen stolze 20% erreicht. Sollen die politischen Freiheitsrechte von Kommunisten der islamischen Religionsfreiheit untergeordnet sein? Schon wieder zeigt sich ihre diskriminierende Haltung von Anhängern nichtreligiöser Weltanschauungen, die für Sie Menschen zweiter Klasse zu sein scheinen.
05.06.17
18:03
grege sagt:
@ Herr Disch können Sie es mal wieder nicht sein lassen, auf kritische Einwände mit persönlichen Anfeidungen gegenüber Fr. Faubel zu agieren Druch die Übertragung auf andere Lebensbereiche versteht es Frau Fabel sehr deutlich zum Ausdruck zu bringen, welch priviligierten Status Muslime bisher im Berufsleben besaßen. Was hier Muslime in den Artikel erfahren, ist bei anderen Menschen mit deratigem Erscheinungsbild ebenso wenig ausgeschlossen.
06.06.17
14:35
Johannes Disch sagt:
@grege Und Sie versuchen mal wieder, eine eindeutige Straftat zu relativieren. Was der Muslimin passiert ist, das war eine Straftat. Und es war zutiefst respektlos. Dass aber hier immer noch darüber fabuliert wird, ober eine Muslimin, die ein Kopftuch trägt, daran nicht irgendwo doch selbst schuld ist oder mit schuldig, an dem was ihr passiert ist, zeigt, wie das Ressentiment und der Rassismus gegen Muslime bereits in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen sind. Das ist das wirklich besorgniserregende. Frau Fabel schreibt völlig am Thema des Artikels vorbei. Es geht in dem Artikel nicht um ein Kopftuch am Arbeitsplatz. Was der Muslimin passierte, das passierte ihr privat auf dem Weg zu einer Freundin. Wird es besser, wenn ich das Kopftuch ablege?, frägt die betroffenen Dame, und sie stellt damit genau die richtige Frage. Nein, es würde wohl nicht besser. Islamfeinde würden sicher schnell irgend etwas anderes finden, das Ihnen nicht passt. Von vielen werden Muslime inzwischen nur noch akzeptiert, wenn sie nicht mehr als Muslim erkennbar sind. Wie gesagt, das Ressentiment und der Rassismus gegen Muslime haben in Europa und auch in Deutschland längst die Mitte der Gesellschaft erreicht. Man versucht mit allerlei Spitzfindigkeiten Muslimen ihre Rechte streitig zu machen. Deutsche Kleingeister, die alle sooo angst haben vor "Dem Islam", und inzwischen bereit sind sie, Grundrechte über Bord zu werfen. "German Angst"-- ein Begriff, der längst auch Einzug is Englische gehalten hat.... Die Deutschen tun mal wieder das, was sie am liebsten tun-- sich fürchten.... Diesmal halt vor "Dem Islam."
08.06.17
20:19
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Tut uns Leid, es gibt nun mal Menschen, die dass Mittelalter nicht noch einmal in Europa erleben wollen.
11.06.17
15:43
Johannes Disch sagt:
Der bedenkliche Punkt ist: Hier wird eine Muslimin, die privat unterwegs ist, wegen ihres Kopftuchs angegriffen. Statt ein Sturm der Entrüstung losbricht-- wie es einer freiheitlichen Gesellschaft geziemen würde-- gibt es Relativierungen. Pluralismus bedeutet, dass wir unterschiedliche Lebensstile zulassen. Eine Muslimin mit Kopftuch gehört zu dieser pluralistischen Normalität.
12.06.17
3:16
Andreas sagt:
Leider wird mal wieder kaum auf die Straftat gegen die Muslimin geschaut, dafür umso mehr auf das Kopftuch, das sie trägt. Da wird dann gesagt, die Frau trage ein Symbol der Unterdrückung der Frau und gefolgert, dass sie eigentlich selbst schuld sei, wenn sie angefeindet wird. Dabei trägt sie lediglich ein Kleidungsstück, von dem sie glaubt, dass Gott es ihr vorschreibt. Wer will, kann das für Unsinn halten. Und sogar sagen, dass er es für Unsinn hält. Dafür haben wir die Meinungsäußerungsfreiheit. Nicht gedeckt ist allerdings das Beleidigen von Muslimas mit Kopftuch oder gar das Schlagen dieser Frauen. Im übrigen teile ich die Auffassung von Johannes Disch, dass es den Islamgegnern nicht genügen wird, wenn Muslimas ihre Kopftücher ablegen. Da der Hass gegen den Islam (wie gegen das Fremde überhaupt) sehr tief zu sitzen scheint und aus einer diffusen Angst resultiert, finden die Islamgegner schon andere Themen, auf die sie sich stürzen können. Denn machen wir uns nichts vor, es geht nicht um das Kopftuch. Es geht wahrscheinlich nicht einmal um den Islam. Mein Eindruck ist, dass es um eine Angst vor dem Fremden überhaupt geht und vielleicht sogar im so einen Unsinn, wie die Reinhaltung der deutschen Rasse (was immer das überhaupt sein soll).
12.06.17
12:01
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