Das Islambild in Deutschland ist häufig von Klischees geprägt. Julius Matuschik und Dr. Raida Chbib wollen mit „Moin und Selam“ die Vielfalt muslimischen Lebens in zeigen. Ein Interview.
IslamiQ: Wie ist das Projekt „Moin und Salam“ entstanden?
Julius Matuschik: Ursprünglich stand bei mir die Frage im Raum: Warum sind die Fotos, die wir tagtäglich zu sehen bekommen, so einseitig und oft stereotyp? Es ging mir dann hauptsächlich darum, herauszufinden, welche Mechanismen dahinterstecken, wie können sie durchbrochen werden und wie sehen eigentlich differenziertere Fotos aus? Bei den Recherchen, wie die Bilder zum Thema Islam in Deutschland früher ausgesehen haben, sind wir dann auf sehr spannende Fotos von den ersten Gemeinden gestoßen.
Ich bin sehr dankbar, mit Dr. Raida Chbib dann eine Autorin gewonnen zu haben, deren wissenschaftliche Kommentierung die Fotografien in einen Kontext setzen. Über mehrere Kapitel widmen wir uns bei dem Projekt verschiedenen Zeitepochen, außerdem gibt es Schwerpunkte zu unterschiedlichsten Themen, wie antimuslimischer Rassismus, jüdisch-muslimischer Dialog oder muslimische Wohlfahrt. Nachdem der Blog auf positive Resonanz gestoßen ist, haben wir beschlossen, Teile daraus in einen Bildband zu gießen, was dank der Förderung durch die Stiftung Mercator geklappt hat.
Raida Chbib: Julius Matuschik hat aus dieser Idee ein Projekt entwickelt, sich mittels Recherche nach historischen Fotografien dem Themengebiet Islam und muslimisches Leben in Deutschland zu nähern und eigene, authentische Fotos zu erstellen. Dieses Vorhaben mündete in einer Bewerbung für ein Praxisfellowship an der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft der Goethe-Universität in Frankfurt. Ich selbst habe mich sodann als wissenschaftliche Begleiterin des Projekts auf eine spannende Zeitreise begeben. Dabei habe ich die Bildhintergründe literaturbasiert erforscht, um anschließend zu den Fotografien die Hintergrundtexte zu verfassen.
IslamiQ: Was hat Sie inspiriert, das muslimische Leben in Deutschland sichtbarer zu machen?
Matuschik: Für mich als Fotojournalist ist die Frage, welche Verantwortung ich als Medienschaffender habe, essenziell. Leider kennen viele Menschen in Deutschland den Islam nur aus den Medien. Es ist bekannt, dass die mediale Berichterstattung zu oft einseitig und zu oft negativ ausgerichtet ist. Es braucht dringend konstruktivere Zugänge auf das Thema. „Moin und Salam“ ist der Versuch, mit Text und Bild multimedial neue Perspektiven zuzulassen.
IslamiQ: Gab es Herausforderungen, die Vielfalt des muslimischen Lebens in Deutschland in Bild und Wort einzufangen? Wenn ja, welche?
Matuschik: Für das Fotografieren war die Corona-Pandemie eine große Herausforderung. Das Gemeine-Leben ist teilweise vollständig heruntergefahren gewesen. Aber auch das komplette gesellschaftliche Leben. Nicht nur die religiöse Praxis, sondern auch Alltag zeigen zu wollen, war wirklich sehr schwierig. Gleichzeitig ergab sich aber auch die Chance, etwas bisher Einmaliges zu dokumentieren. Wie haben sich muslimische Gemeinden mit einer weltweiten Pandemie arrangiert? Wie schaffte man es trotzdem, Seelsorge, Wohlfahrt oder Theologie zu leben?
Chbib: In dieser einschränkenden Zeit haben wir uns zu den Themen der Fotografien außerdem überlegt, welche Expert*innen Julius Matuschik interviewen kann; teilweise habe ich ihm Kollegen und Kolleginnen vermittelt; teils konnte er sie selbst recherchieren und ansprechen. Dazu gehörten Werner Schiffauer, Thomas Lemmen, Riem Spielhaus und einige andere, die uns neben den rahmenden Texten und dem eindrucksvollen Bildmaterial fachliche Einblicke und Erläuterungen über Audios oder Videos geboten haben. Auch Praxisakteure, die über weniger bekannte Bereiche oder über den Aufbau des muslimischen Gemeindelebens u. a. über historisches Wissen verfügen, haben wir gewinnen können, wie zu den damaligen deutschsprachigen islamischen Gemeinschaften.
IslamiQ: Gab es besondere Momente während der Fotoserien, die Sie gerne mit uns teilen möchten?
Matuschik: Es gab sehr viele besondere Momente und wirklich tolle Begegnungen. Es ist nicht nur so, dass ich als Fotograf und Nichtmuslim viel über den Islam gelernt habe. Muslimisches Leben zu zeigen bedeutete auch, den Bäcker, die Imkerin, die Tänzerin oder den Wanderführer fotografisch zu begleiten. Ich durfte so viele interessante Berufe, Menschen oder Leidenschaften kennenlernen, ebenso wie sie den Glauben in ihrem täglichen Leben leben. Das war wirklich eine spannende Zeit.
Chbib: Ich habe Julius nicht direkt begleitet, das hat mir meine Zeit leider nicht erlaubt. Ich habe mich aber gerne neben meiner eigenen Arbeit über seine Erfahrungen und Fragen mit ihm unterhalten. Ich empfand es für mich als sehr interessant, mich aus seiner fotojournalistischen Brille heraus mit dem Themenfeld muslimischer Communitys in Deutschland befassen zu können und meine wissenschaftliche Arbeit mit seinen Visualisierungen verbinden und abgleichen zu können.
IslamiQ: Wie würden Sie das aktuelle Islambild in den deutschen Medien beschreiben?
Matuschik: Ich kann zum Thema Fotografien etwas sagen: Die meisten sind entindividualisierend, also zeigen Muslime und Musliminnen nur in Gruppen und meist von hinten, also ohne Zugang zu Gestik und Mimik. Oder die Fotos sind exotisierend, also sie zeigen Muslime oder den Islam als etwas Fremdes, vorwiegend ohne einen Kontext als Teil der deutschen Gesellschaft. Das ist vor allem dann problematisch, wenn die dazugehörigen Schlagzeilen negativ gerahmt sind. Es bilden sich Assoziationsketten und die Fotos brennen sich in diesem Kontext förmlich ein. Immer dann, wenn man etwa Gebetskleidung oder das Kopftuch sieht, sind automatisch die negativen Schlagzeilen im Unterbewusstsein.
Chbib: Ich antworte hier drauf mit meiner alltäglichen, also nicht fachlichen, Beobachtung heraus: Ich meine, dass sich nach einer recht einseitigen Berichterstattung und der dazugehörigen Bebildung Ende der 1990er und in den 2000er-Jahren sich die Präsentation von Themen und Bildern zu Muslim/innen in Deutschland doch ausdifferenziert hat und weniger einseitig geworden ist.
Hochproblematische stigmatisierende Umschlagbilder, wie wir sie in politischen Magazinen zeitweilig hatten, etwa von einer schwarz verschleierten Frau mit Augenbrauen in Schwertform, findet man heute eher nicht. Dennoch ist die Bildauswahl und -präsentation zu Islam und Muslimen zumeist mit tagespolitischen Themen und außenpolitischen Gemengelagen verbunden. Diese sind häufig aufgeladen und problematisch, wie die kritische Berichterstattung zu frauenfeindlichen Entwicklungen im Iran oder aktuell zu den Demonstrationen mit u. a. Rufen nach einem Kalifat in Hamburg, die von einer Gruppe namens „Muslim-Interaktiv“ initiiert werden. Damit werden überproportional häufig konflikthaltige Bilder in den größeren Print- und TV-Medien reproduziert, demgegenüber kommen Fotografien zum überwiegend vorherrschenden „normalen“ Leben weitaus weniger in den größeren Medien vor.
Bei der Erörterung der Frage nach einem „Islambild“ ist zu berücksichtigen, dass weitere Medien hinzugekommen sind, über die Angehörige von Minderheitengruppen selbst Fotos und Videos bereitstellen, die jedoch wenig in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Will man sich also mit dem Islambild in deutschen Medien befassen, muss man sich von der Vorstellung einer einförmigen Medienlandschaft lösen und die Gesamtheit der medial kursierenden Bilder auf verschiedenen Plattformen betrachten.
IslamiQ: In der Berichterstattung über den Islam greifen viele Medienorganisationen häufig auf Stockfotos und Archivbilder zurück. Auf Ihrer Plattform „Moin und Salam“ stellen Sie eine Vielfalt von Fotos über das muslimische Leben in Deutschland zur Verfügung, auch für Redaktionen. Inwiefern trägt die Auswahl dieser Bilder dazu bei, Stereotypen und Vorurteile gegenüber dem Islam und den muslimischen Gemeinschaften in den Medien zu beeinflussen?
Matuschik: Neben dem Blog und dem Buch ist auch ein Fotoarchiv entstanden. Auf www.islamimbild.de sind wir aktuell 9 Fotograf*innen, die ihre Fotos sichtbar machen, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, sowohl verschiedene künstlerische Stile, als auch von Muslim*innen und Nichtmuslim*innen. Ich denke, es ist wichtig, solche Angebote zu schaffen und dazu zu sensibilisieren, wie problematisch die gängige Bebilderung sein kann. Gemeinsam mit meiner Kollegin, der Fotografin Shirin Abedi bieten wir außerdem Workshops an, um Redaktionen, Verlage oder auch Fotograf*innen zu schulen, für einen diversitätssensibleren Umgang mit Fotografie.
IslamiQ: Wie hoffen Sie, dass Ihr Projekt „Moin und Salam“ dazu beiträgt, die öffentliche Wahrnehmung und das Verständnis für das Islambild in Deutschland zu verändern?
Matuschik: Vor dem Projekt dachte ich, dass der Islam erst mit den Gastarbeitenden in Deutschland ansässig wurde. Dass es aber schon so weitreichende historische Verbindungen gibt, hat mich sehr beeindruckt. Ich glaube, allein dafür mehr Sichtbarkeit zu schaffen und zu wissen, dass es eine lange gemeinsame Geschichte gibt, hilft den Islam als Teil der Gesellschaft zu verstehen. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich mit dem Projekt mir ein eigenes Bild zum Islam in Deutschland machen durfte. Zu sehen, wie sehr meine erlebte Realität von dem Bild im medialen Diskurs abweicht, hat mich äußerst traurig gemacht. Ich hoffe, dass das Buch und die Website zumindest anregen, neue Perspektiven zuzulassen.
Chbib: Wir stellen über den Blog und den Bildband eine Bandbreite an Fotografien und kleinen Texthäppchen aus Geschichte und Gegenwart zu verschiedenen Themen bereit, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Wir verbinden damit kein bestimmtes Ziel, sondern unterbreiten schlicht ein Angebot an Bildern und werfen Schlaglichter auf Szenarien, die zumeist unterhalb des Radars der öffentlichen Berichterstattung und des dazu veröffentlichen Bildmaterials sozusagen das unaufgeregte normale Alltagsleben sichtbar machen. Da wir den Gegenstand über Religion bestimmen, uns also Menschen anschauen, die sich als muslimisch verstehen, bilden viele dieser Fotos das religiöse Leben, oft innerhalb der Glaubensstätten verschiedener muslimischer Gruppen, wider.
Wir zeigen daneben aber auch das „normale“ soziale, kulturelle oder berufliche Leben einzelner Menschen auf, die mit ihrem Selbstverständnis des Muslim-seins Verantwortung tragen und sich als Teil ihrer Kommunen und Deutschlands verstehen. Was die Betrachter/innen daraus machen, vor allem aus den Informationen und Eindrücken, die eher unbekannt sind, überlassen wir ihnen. Wir sind gespannt auf die Eindrücke verschiedener Menschen, auch von Muslimen selbst, und darauf, wie es auf sie wirkt.
Das Interview führte Kübra Layık und Muhammed Suiçmez.