Islamisierung oder Islamophobie?

Wie „böse“ sind „die Medien“?

Praktisch alle gesellschaftlichen Minderheiten – beispielsweise Muslime, Juden und Politiker – fühlen sich von „den Medien“ überwiegend schlecht dargestellt. Wird Deutschland denn nun „islamisiert“, leidet es unter „Islamophobie“ oder stabilisieren solche Debatten nur „das System“? Und was bedeutet der wachsende Einfluss des Internets? Diese Fragen der Wissenssoziologie erkundet der Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume.

08
01
2015

Ganze Reihen von islamkritischen Titeln wie „Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung“ (13/2007) haben den SPIEGEL nicht davor bewahrt, im Netz und auf den Straßen als „Lügenpresse“ geschmäht zu werden, die als Teil der „Mainstreammedien“ doch nur das islamfreundliche „System“ vertrete. Auch die BILD-Zeitung, die gezielt Falschmeldungen beispielsweise über ein – real nicht existierendes – Weihnachtsmarktverbot streute, macht inzwischen den Eindruck, sie werde die Geister nicht mehr los, die sie selbst gerufen habe. Nahezu alle etablierten Zeitungen und Zeitschriften verzeichnen zurückgehende Verkaufszahlen und Anzeigenerlöse.

Tatsächlich erleben Journalistinnen und Journalisten derzeit weltweit eine beispiellose Vertrauenskrise. In einigen Staaten wie Russland oder der Türkei werden sie schikaniert und ausgeschaltet, wenn sie sich nicht dem gerade herrschenden Bündnis unterordnen. Aber auch dort, wo ihnen keine staatlichen Repressionen drohen, schlägt ihnen Verachtung und Abscheu entgegen. Was ist nur los mit „den Medien“?

Die Funktionen von Medien

Es gehört zu den romantischen Irrtümern im Gefolge der Aufklärung, „die Medien“ könnten allgemein, unparteilich und fair informieren. Das können sie nicht – und das wollen wir auch nicht. Ja, als Nutzende erwarten wir von Medien, dass sie uns informieren – und zwar, indem sie eine Vorauswahl über jene Themen treffen, die uns ohnehin interessieren. Und, nein, wir wollen nicht „unparteilich und fair“ unterrichtet werden – sondern wir wollen in dem, was wir ohnehin glauben, fürchten und hoffen weiter bestätigt werden. Über Medien, die unseren Erwartungen nicht entsprechen oder sogar widersprechen ärgern wir uns – und ersetzen sie schließlich durch andere.

Der säkulare SPIEGEL-Leser, der pünktlich zu Weihnachten seine Abrechnung mit dem Christentum erwartet, steht hier neben der Leserin von islamiq.de, die eine pro-islamische Haltung erwartet. Die außenpolitische Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird sie möglicherweise als „einseitig pro-israelisch“ erfahren, wogegen ihr jüdischer Bekannter ebenso aufrichtig meint, sie sei „pro-palästinensisch“. Kein menschliches Medium war oder ist in der Lage, ein Abbild der Welt zu erschaffen – sie können lediglich versuchen, bereits bestehende Weltbilder zu bedienen und auszubauen. Deswegen werden wir „unsere“ Medien für kompetenter, glaubwürdiger und sachlicher halten als die „der anderen“, die uns eher inkompetent, unglaubwürdig und unsachlich erscheinen.

Eskalation durch das Internet

Von der Schrift und dem Buchdruck angefangen über Radio und Fernsehen bis zum heutigen Internet haben sich Medien und Medienproduzenten vervielfacht. Inzwischen kann jeder von uns in sozialen Netzen nicht nur Nachrichten empfangen, sondern auch weitergeben – und zunehmend erstellen. Einerseits schwillt der Nachrichtenstrom zu einem ständigen, reißenden Fluss an, der uns zu ersticken droht – andererseits entscheiden wir, was und wen wir überhaupt noch sehen und hören wollen. Wenn Sie ohnehin „Angst vor dem Islam“ empfinden, stehen ausreichend Anbieter bereit, Ihnen gerne auch kostenfrei immer neue Gräuelmeldungen über Muslime frei Haus zu liefern.

Aber auch wenn Sie ein Muslim sind, der nach Bestätigung für sein Gefühl sucht, ohnehin verachtet zu werden, können Sie sich mit entsprechenden Nachrichten entsprechend wohlig einrichten. Das Gleiche können auch Umweltschützerinnen, Impfgegner und immer weitere Neigungsgruppen tun – sie alle errichten ihre sich immer dichter abschottenden Wirklichkeitsblasen. Und in all diesen Fällen werden die Betreffenden ganz von alleine zu der – nicht wirklich überraschenden – Auffassung gelangen, dass „die Medien“ ihre Erfahrungen und die ihres sozialen Umfeldes gar nicht abdecken, sondern irgendwie „böse“ und manipulativ gegen „die Wahrheit“ wirken.

Ein sehr drastisches Beispiel für diese Eskalation findet derzeit täglich statt: Nicht nur der so genannte „Islamische Staat“ vermag junge Leute aus westlichen Gesellschaften anzulocken und für die Kämpfe in Syrien und im Nordirak zu rekrutieren; sondern ebenso kurdische und yezidische Einheiten. Oft erfahren die Eltern erst, wie schnell die Weltsicht ihrer Kinder bis zur Kriegsbereitschaft radikalisiert ist, wenn diese bereits ausgereist sind. Über die neuen Medien haben gewalttätige Konflikte anderer Weltgegenden nun Standleitungen in unsere Herzen – und die unserer Kinder. Denn das, was wir ohnehin empfinden, verstärken sie nun mit enormen Echo immer weiter. Es ist durchaus möglich, dass die Menschheit sich in den letzten Jahren mehr Medienmöglichkeiten geschaffen hat, als wir psychologisch noch ertragen können. Wir empfinden gleichzeitig Überforderung, Misstrauen und Angst und können doch den Blick von den immer neuen Meldungen kaum abwenden.

Wertschätzung des echten Lebens – und von Dialog!

Betrachten wir diese Auswirkungen der neuen Medien, so wird uns weder der Fremdenhass der Pegida-Demonstranten noch die wachsende Ausbreitung anderer Verschwörungstheorien und Hasslehren überraschen. Und doch zeigt sich inmitten des Chaos auch schon wieder Hoffnung: Denn es ist den Pegida-Machern nicht gelungen, den Protest aus Dresden bundesweit zu kopieren. Im Gegenteil: In allen Städten und Regionen, in denen tatsächlich seit Jahrzehnten Muslime leben und interreligiöse Begegnungen zum Alltag gehören, überwiegen klar die #nopegida-Stimmen und Gegendemonstranten, die für ein friedliches und freiheitliches Miteinander einstehen.

Dies erinnert daran, dass es noch immer ein Gegengewicht gegen die Eskalation der Medien gibt: Die zwischenmenschliche Wirklichkeit. Eine einzige muslimische Freundin, ein jüdischer Freund können Berichte über die vermeintliche „islamistische“ oder „zionistische Weltverschwörung“ als absurd entlarven. Positive Alltagserfahrungen wirken Ängsten und Hass entgegen. Sie verankern uns in einer Wirklichkeit, aus der uns der Strom der selbstgefilterten Nachrichten heraussaugt.

Eine neue Aufgabe der Kirchen und Religionsgemeinschaften?

Es ist eine Binsenweisheit, dass Kirchen und Religionsgemeinschaften viele gesellschaftliche Aufgaben ganz oder teilweise verloren haben – beispielsweise die Armenvorsorge an den Sozialstaat oder die Bildung an das Schulsystem. Doch möglicherweise wächst ihnen gerade eine alte Aufgabe in neuer Form zu: Den Menschen durch echte Gemeinschaft und kluge Begegnungen zu helfen, mit den Untiefen ihrer eigenen Gefühle umzugehen, sie vor dem Sog der neuen Medien, vor eskalierendem Hass, vor Feindschaft und Verschwörungstheorien zu schützen. Zu wissen und zu verstehen, dass jeder Mensch in einer bewussten und unbewussten Glaubenswelt lebt, könnte der Beginn von Weisheit im 21. Jahrhundert sein.

Leserkommentare

Gabriele Fatou Faye sagt:
Danke für den gelungenen Beitrag !
14.01.15
11:12