









Antisemitismus ist ein Problem und betrifft alle – auch Muslime. Die Bekämpfung dieses Problems wird jedoch durch ihre „Islamisierung“ nur weiter in die Ferne gerückt. Ein kritischer Umgang mit Zionismus muss dennoch gelernt werden. Ein Beitrag von Esra Ayari.
Antisemitismus ist ein Problem. Kein muslimisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass auch Menschen muslimischen Glaubens antisemitisch sein können. Aktuell erkennbar an den bundesweiten propalästinensischen Demonstrationen: Flaggen werden verbrannt und antisemitische Parolen gerufen.
Doch wie kam es dazu? Für Rechtspopulisten ist die Antwort klar: Antisemitismus ist im Islam verankert. Dies widerspricht aber dem historischen Blick in die Entwicklung der Judenfeindlichkeit in muslimischen Gesellschaften.
Der Islamwissenschaftler und Buchautor Reinhard Schulze schrieb vor rund einem Jahr in einem ZEIT-Beitrag: „Tatsächlich spielt der Hass auf die Juden in der alten islamischen Tradition kaum eine Rolle. Anders als in der Geschichte des Christentums finden sich keine verschwörungstheoretischen Stereotype, die Juden diffamiert hätten.“
Auch wenn es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Juden gab, so entstand der systematische Antisemitismus in der Region erst in Folge der Einwirkung der europäischen Kolonialmächte. Also nicht die Muslime haben den Antisemitismus nach Europa importiert, sondern europäische Kolonialherrscher haben den Hass im Zuge der „Zivilisierung“ in die mehrheitlich muslimisch bevölkerten Länder verfrachtet.
Trotzdem wird dieser Hass vor allem Muslimen in die Schuhe geschoben. Warum? „Das Schlechte wird auf eine Minderheit delegiert, die Mehrheit ist dann auf der guten, der richtigen Seite und das ist für ihr Selbstverständnis, für ihre Identität sehr wichtig“, so der renommierte Historiker und Vorurteilsforscher Wolfgang Benz in einem IslamiQ- Interview. Eine Geisteshaltung, die in vielen Debatten um Muslime zu Tage kommt, ob es die über sexualisierte Gewalt nach der Kölner Silvesternacht war, die stetig abgesprochene Gleichberechtigung oder wie aktuell: die Debatte über den Antisemitismus. Die Verlegung der eigenen soziopolitischen Probleme ist identitätsstiftend. Nur so können die einseitigen und diskriminierenden Titel: „Hat der Islam etwas gegen Juden?“ oder „Der islamische Judenhass“ erklärt werden.
Und trotzdem – Antisemitismus ist real. Also wie damit umgehen? Es ist der Mangel an Empathie, der uns allen immer wieder in die Quere kommt. Aktuell am Fall der Juden, aber auch beispielsweise immer wieder bei Schwarzen, wie zur Zeit in Libyen, erkennbar. Vor ein paar Wochen gingen schummrige Handyaufnahmen um die Welt, auf denen zu erkennen war, wie Lybier, Migranten aus dem subsaharischen Afrika für Geld „kauften“. Dort sind es teilweise sogar „Glaubensbrüder“, die in menschenunwürdigster Art und Weise versklavt werden, und das nur aufgrund ihrer Hautfarbe. Dazu gab es ebenfalls europaweite Demonstrationen – allein in Paris versammelten sich Tausende. Auch in Deutschland haben Menschen jeder Couleur sich gegen die Versklavung der Schwarzen ausgesprochen. Dabei wurden keine Libyen-Flaggen verbrannt oder antimuslimische Parolen geschrien. Hier ist klar, dass die abscheuliche Situation in Libyen nicht auf den Islam fußt. Gesellschaftlichen Probleme dürfen nicht theologisiert werden, denn so wird nur von dem eigentlichen Problem abgelenkt: Macht.
Jede Gesellschaft mit einer asymmetrischen Machtverteilung hat ein Rassismusproblem. Die Rohingya in Myanmar und die Palästinenser verfügen über weniger bis keine Macht und sind erschreckender Gewalt ausgesetzt. Die Unterdrückung der Palästinenser folgt nicht aus dem jüdischen Glauben der Unterdrücker, so wie die Unterdrückung der Rohingya nicht mit dem buddhistischen Glauben der Unterdrücker begründet werden kann. Genauso wie das terroristische Handeln von Muslimen nicht auf den Islam zurückgeführt werden sollte. Auch wenn diese Gleichnisse simpel scheinen, so tun sich leider noch immer viele schwer, diese Systematik zu verstehen. Auch muss kein mentaler Exkurs ins Ausland vorgenommen werden, um die Problematik darzulegen.
In unsere Gesellschaft, in der Muslime und Juden religiöse Minderheiten sind, gibt es ebenfalls ein ernstzunehmendes Rassismusproblem. Im ersten Halbjahr 2017 beispielsweise gab es insgesamt 681 antisemitische Delikte und damit 27 Taten mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Nach den Angaben des Bundesinnenministeriums wurden 632 der 681 Straftaten von Rechtsextremisten begangen. Lediglich bei 23 Fällen wird ein ausländisch motivierter Hintergrund angenommen, ausgelöst von dem Nahost-Konflikt.
Im gleichen Zeitraum gab es insgesamt rund 482 islamfeindliche Delikte, da erst dieses Jahr mit der separaten Erfassung islamfeindlicher Straftaten begonnen wurde, sind keine Vergleichszahlen zum Vorjahr bekannt. In fast allen Fällen seien die Täter nach bisherigen Erkenntnissen Rechtsextreme gewesen. Die Angaben gehen aus der Antwort der Bundesregierung auf Kleine Anfragen hervor.
Diese rechte Feindlichkeit, die – Achtung – selbstverständlich auch nicht auf das „Deutschsein“ fußt, führt immer wieder zur berechtigten Forderung der scharfen Verurteilung und Bekämpfung von Islamfeindlichkeit und Antisemitismus im Lande. Es ist also einfach, aus der Sicht des Betroffenen sich für mehr Toleranz und Akzeptanz auszusprechen. Die Verurteilung von Gewalt und Rassismus sollte folglich nicht an die religiöse oder nationale Zugehörigkeit der Opfer oder der Vollstrecker gebunden sein. Das gilt für uns alle.
Selbstverständlich ist eine Demonstration gegen die Besetzung Palästinas legitim, und aufgrund der historischen und religiösen Bedeutung Jerusalems für Muslime ist auch eine emotionale Auseinandersetzung keineswegs zu verurteilen. Dennoch, oder besser gesagt, vor allem deswegen muss der kritische Umgang mit Zionismus gelernt werden. Dies kann dann geschehen, wenn Selbstreflexion an die Stelle von blinder Wut tritt und ehrliche Selbstkritik betrieben wird. Nur so kann man den Unterschied zwischen Antizionismus und Antisemitismus erkennen. Wolfgang Benz sagte im Interview dazu, dass antizionistische Kritik, aufgrund der öffentlichen Ächtung des Antisemitismus in Deutschland oft als Lückenfüller für den Hass gegen Juden dient. „Wenn scheinheilig davon die Rede ist, man habe nichts gegen die Juden, bekämpfe aber den Zionismus und wenn das mit angeblichen „jüdischen Eigenschaften“ „bewiesen“ werden soll, dann sind die Grenzen zwischen Israelkritik und Judenfeindschaft überschritten. Dann sind Antisemiten am Werk.“
Kritik ist also rechtmäßig. Doch vor allem Angehörige einer Minderheit sollten über die Sensibilisierung verfügen, die akuten Probleme ohne antisemitische Tendenzen anzusprechen.
Die legitime Emotionalität muss sich nicht zwangsläufig in unsachlichen Äußerungen und Taten widerspiegeln, sondern sollte dafür genutzt werden, wahrhafte Solidarität mit den Palästinensern zu zeigen.