REZENSION

Die Sache mit dem Islam

„Gottes falsche Anwälte“. So heißt das neue Buch des Theologen Mouhanad Khorchide. Es geht um den „Verrat am Islam“ und eine „Kultur der Unterwerfung“. Ali Mete hat es gelesen.

05
09
2020
Mouhanad Khorchide - Gottes falsche Anwälte
Mouhanad Khorchide - Gottes falsche Anwälte

Wenn man das Buch „Gottes falsche Anwälte“ des Münsteraner Theologen Mouhanad Khorchide in wenigen Worten zusammenfassen müsste, könnte man sagen: Ethisierung und Enttraditionalisierung des Islams. Ethisierung deshalb, weil der Autor viele Gebote entweder für heute ungültig bzw. irrelevant erklärt und sich stattdessen auf die ethische Dimension des Islams beschränkt. Enttraditionalisierung deshalb, weil er die Tradition teils ausblendet, teils für verfälscht hält und sich nur in dem selbst festgesetzten Rahmen auf den Koran bezieht.

Die Hauptthese des Buches ist eine umfassende Tahrîf-Theorie: Demnach sei der Islam nach dem Ableben des Propheten Muhammad (s) mehr oder weniger bewusst verfälscht worden. Infolgedessen seien in Lehre und Praxis „Unterwerfungsstrukturen“ entstanden. Diese bestünden bis heute fort und seien schuld an der heutigen Misere der Muslime und der islamischen Länder. Das Buch erweckt den Eindruck, als sei in der islamischen Geschichte und Lehre der Muslime so ziemlich alles falsch gelaufen. Nur ein aufgeklärter Islam könne Abhilfe schaffen.

Ich möchte in diesem Beitrag exemplarisch auf einige theologische und historische Aspekte eingehen, die mir überbetont bzw. verzerrt dargestellt erscheinen. Zudem möchte ich auf auffallende sprachliche Merkmale aufmerksam machen. Beginnen wir mit dem Letzteren.

In Gegensätzen denken

Wie schon in seinen vorherigen Büchern, verwendet Khorchide bewusst eine populäre Sprache, um mehr Leser zu erreichen. Das ist nachvollziehbar. Doch darüber hinaus ist die Sprache bestimmt von Dichotomien, unterstützt von tendenziösen Schlagwörtern.

Ein Merkmal des Denkens und der Sprache des Autors sind Gegensätze. In diesem Buch sind es z. B.: Gehorsam vs. Freiheit, barmherzig vs. restriktiv, Gebot vs. Ethik, konservativ vs. aufgeklärt, Argument vs. Zwang, Liebesbeziehung vs. Unterwerfungsbeziehung. Für das Ausloten von Positionen und Gedanken sind Dichotomien geeignet. Problematisch ist es, wenn es dabei bleibt. Denn das erschwert es, eine dritte oder vierte Position miteinzubeziehen. Im Buch entsteht der Eindruck als könne es nur einen aufgeklärten oder einen restriktiven Islam geben, Gott könne nur autoritär oder barmherzig sein, und ein gläubiger Mensch könne entweder Gebote befolgen oder ethisch handeln. Alles, was dazwischen ist, bleibt ausgeblendet. Dabei ist doch gerade dieses Dazwischen das Reale, Menschliche.

Ein Beispiel hierfür ist das von Khorchide entwickelte Gottesverständnis. Zum einen ist hier eine Dichotomie zu erkennen: Entweder glaubt man an einen restriktiven oder an einen barmherzigen Gott. Beides wird quasi absolut gesetzt. Zum anderen wird der Schöpfer und sein Geschöpf fast auf eine Stufe gestellt, was in Richtung „Vermenschlichung“ Gottes geht. Natürlich ist Allah, der Barmherzige, Gnädige, Vergebende usw., der dem Menschen näher ist als seine Halsschlagader, wie es im Koran heißt. Das bedeutet aber nicht, dass er in eine „Gemeinschaft“ mit seinen Geschöpfen tritt oder sogar treten muss.

Gewalt, Manipulation und Macht

Vielmehr ist das Verhältnis des Muslims zu Gott als eines zwischen „Hawf“ und „Radscha“, also zwischen Furcht und Hoffnung. So wird in der Sure Isrâ von denen gesprochen, die „auf Gottes Barmherzigkeit hoffen und seine Bestrafung fürchten.“ Dies ist dem Gelehrten Ibn Arabi so wichtig, dass er in seinem „Futuhât“ den Gläubigen als jenen bezeichnet, dessen Hoffnung und Furcht ausgeglichen sind. Dieses ausgewogene Verhältnis ist ebenso für Gazâli zentral. Im „Ihyâ“ beantwortet er die Frage, was wichtiger ist, Hoffnung oder Furcht, mit einer Gegenfrage: „Was ist wichtiger, Brot oder Wasser?“.

Die dichotome Sprache des Buches wird unterstützt durch tendenziöse Schlagwörter, die den ganzen Text durchziehen. So ist die Rede von „Herrschern“ und „Machthabern“ – nicht etwa von „Regierenden“ oder „Staatsführern –, die fast immer „autoritär“ oder „restriktiv“ sind, während ihr Gegenpart durchweg „kritisch“, „aufgeklärt“ oder „liberal“. Worum es in dem Buch geht, verdeutlicht nicht zuletzt auch die Häufigkeit bestimmter Wörter: In verschiedenen Variationen kommt „Gewalt“ 46 mal, „Manipulation“ 70 mal und „Macht“ 140 mal vor. Alles in allem findet man also eine sehr deutliche, aber deshalb auch sehr drastische und tendenziöse Sprache vor.

Geschichte des Islams – Macht, Macht, Macht!?

Im ersten Kapitel geht es um politisch-religiöse Macht. Es wird beschrieben, wie nach dem Ableben des Propheten innerarabische Stammesrivalitäten, aber auch die Adaptation sassanidischer, der islamischen Lehre widersprechender Herrschaftsvorstellungen, nach und nach zur Errichtung einer Erbmonarchie geführt haben. Hierhin spielt der Prophetengefährte Muâwiya eine unheilvolle Rolle. Dies sind, aus meiner Sicht, schmerzliche Erfahrungen, die Teil des kollektiven Gedächtnisses der Muslime sind. Heute gilt es selbstkritisch zu fragen, ob und was Muslime aus diesen Erfahrungen gelernt haben.

Der Autor geht aber weiter. Ihm zufolge haben die nachprophetischen Entwicklungen eine Gesellschaft und Theologie, ja eine „Kultur der Unterwerfung“, entstehen lassen, die über die Jahrhunderte bis heute bestehe. Muslime seien darin gefangen und reproduzierten sie sogar, oft ohne zu wissen, dass sie nicht frei sind.

Richtig hieran ist, dass die Politik – Khorchide bevorzugt die Bezeichnung „autoritäre Machthaber“ –, oft versucht, Einfluss auf Religionsgemeinschaften und deren religiöse Lehren zu nehmen. Früher wie heute. Die abbasidischen und umayyadischen Herrscher nutzten lediglich andere Mittel als heutige Regierungen. Eine religiöse Sprache und theologische Argumente waren und sind hierbei besonders beliebt. Übrigens gilt das nicht nur für Länder der islamischen Welt, sondern auch für säkulare Staaten, die direkt oder über Umwege eine bestimmte Lesart des Islams fördern. Nüchtern betrachtet, ist die dramatische und Jahrhunderte islamischer Geschichte ausblendende Darstellung des „Verrats am Islam“ relativ zu sehen, wenn nicht selbst als Verzerrung zurückzuweisen.

Zurecht wird auch festgestellt, dass die Bezeichnung des Gemeinwesens in Medina als „Staat“ irreführend und eine unzulässige Rückprojizierung eines modernen Konzepts sei. Allerdings ist es nunmal so, dass der Prophet vor allem in Medina viele Positionen in sich vereinte. Vermutlich war die Nachfolge auch deshalb so strittig, übernimmt der Kalif doch alle Ämter außer der Prophetenschaft.

Jedoch war es in der damaligen Zeit unmöglich und auch unnötig, „Staat“ und Religion zu trennen, wie es heute in säkularen Staaten, mit verschiedenen Staat-Religion-Beziehungsmodellen, der Fall ist. Der Prophet kann, um einen aktuellen Begriff zu benutzen, nicht nachträglich „entpolitisiert“ werden. Es ist historisch unrealistisch und theologisch nicht haltbar, dass der Gesandte Gottes, wie Khorchide meint, bloß Verkünder der Botschaft gewesen sei, und ansonsten keinen Einfluss auf die Gemeinde gehabt habe. Dabei war er doch die zentrale Figur, vor allem nach dem Abkommen von Medina. Was mit dieser zentralen Sonderstellung des Propheten in späteren Zeiten legitimiert wurde, ist eine andere Frage.

Seltsam klingt in diesem Zusammenhang zudem, wenn der Autor anscheinend demokratische Wahlen im siebten Jahrhundert erwartet. So etwa, wenn er feststellt, dass nur einige wenige in die Wahl Abû Bakrs einbezogen und „alle anderen Muslime“ nicht gefragt wurden, oder bei Muâwiya eine fehlende „Legitimation durch das Volk“ vermisst.

Das Unerwähnte

Was in diesem Kontext deutlich zu kurz kommt, sind die Gegenstimmen und -bewegungen, vor allem aus theologischer Sicht. Zum Beispiel weigerte sich Abû Hanîfa, auf den die heute weit verbreitete hanafitische Rechtsschule zurückgeführt wird, zeitlebens, in den Staatsdienst einzutreten. Er wurde festgenommen und gefoltert. Ahmad ibn Hanbal, „Begründer“ der hanbalitischen Rechtsschule und zentrale Referenz der Salafiyya, wurde wegen seines öffentlichen Widerspruchs gegen die vorherrschende Meinung der Mutazila über den Koran eingekerkert. Und auch die beiden anderen Imame der vier bekannten Rechtsschulen, Imam Schafiî und Imam Mâlik, standen im Konflikt mit den Regierenden.

Ebenso bleibt unerwähnt, dass die nachprophetischen Jahrhunderte die Zeit waren, in der Kunst, Kultur und Wissenschaft gefördert wurden und einen immensen Aufschwung erlebten. Diese beiden Aspekte entkräften die Fixierung auf das vom Autor eingebrachte, unterworfene Objektsein der muslimischen Untertanen. Ohne diese Aspekte bekommt der Leser den Eindruck als würde die muslimische Bevölkerung – damals wie heute –, weil sie ja nicht eigenständig denkende und handelnde Subjekte seien, alles über sich ergehen lassen.

Zwischenfazit: Die theologisch-politischen Diskussionen nach dem Ableben des Propheten Muhammad (s) haben sicherlich Spuren hinterlassen und teilweise Weichen gelegt. Aber eine direkte Linie von der nachprophetischen Zeit bis in die Gegenwart zu ziehen und zu folgern, dass „ein Großteil dessen, was wir Muslime heute als islamisch bezeichnen, lediglich Produkt eines politischen Missbrauchs“ sei, ist nicht haltbar. Deshalb hat sich bisher auch kein Wissenschaftler von Rang gemeldet, der diese These mitträgt. Übrigens kritisiert der Autor an anderer Stelle genau diese epochenüberspringende Sichtweise, wenn er schreibt: „Der postsalafistische Islamist versucht einen roten Faden zu ziehen vom einstigen Kolonialismus zu der heutigen Lage der Muslime in der Welt.“

Mehr als ein historischer Klacks: Kolonialismus

Manchmal ist das Verschwiegene wichtiger als das Gesagte. Vor allem, wenn es zu einer verzerrten Sichtweise des Sachverhaltes führt. So sieht der Autor in der „Rhetorik des Kolonialismus“ bzw. Postkolonialismus eine Ausrede, die von Muslimen oder dem „politischen Islam“ vorgebracht werde, um die Schuld bei anderen zu suchen und nicht bei sich selbst. Doch Kolonialismus als Mittel der Schuldzuweisung zu betrachten, ohne die breit belegten und wissenschaftlich erforschten, immensen Folgen für die kolonisierten Länder auch nur zu erwähnen, ist irreführend. Andere haben die Folgen von Kolonialismus und Dekolonisation zutreffend erkannt, weshalb z. B. langsam eine sehr selbstkritische Beschäftigung mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands begonnen hat, und zwar aus der Mitte der Gesellschaft und Forschung.

Ein anderes Beispiel für das Auslassen relevanter Informationen betrifft die Selbstverortung des Korans. Dieser versteht sich als Fortsetzung der göttlichen Offenbarung, also als Bestätigung von Thora und Evangelium. Wenn man das so versteht, sind Sätze wie „Mohammed sah seine Verkündigung in einer Linie mit dem Judentum und dem Christentum“ folgerichtig. Der Koran ist allerdings nicht nur Bestätigung, sondern auch Korrektur der vorherigen Offenbarungen. Er bestätigt nicht „das Christentum“ und „das Judentum“, sondern nur jene Teile davon, die im Laufe der Zeit nicht verändert wurden.

Klassische Gelehrte als Referenz

Obwohl der Autor die islamische Geschichte als eine Art strukturellen Machtmissbrauch zu sehen scheint, versucht er an verschiedenen Stellen, seine Positionen durch Zitate und Verweise auf anerkannte, klassische Gelehrte zu untermauern. Dass dies aber nicht gründlich gemacht wurde, zeigt ein Beispiel von Tragweite, geht es doch immerhin um Himmel und Hölle. Khorchide meint, dass Gazâli, einer der zentralen klassischen Gelehrten, die „koranischen Bilder von Paradies und Hölle nur metaphorisch und nicht wortwörtlich“ verstanden habe.

Hier scheint eine Verwechslung vorzuliegen. Gazâli war der Meinung, dass die Höllenstrafen nicht figurativ oder metaphorisch zu verstehen sind, sondern körperlich. Himmel und Hölle metaphorisch zu deuten, bezeichnet Gazâli am Ende seines bekannten Werkes „Tahâfut al-Falâsifa“ sogar als Unglauben. Gazâli behauptet also das Gegenteil dessen, was ihm der Autor zuschreibt. Der Grund der Verwechselung ist vermutlich, dass, wie man an den Fußnoten dieses Passus erkennt, nicht die arabischen Originalquellen genutzt wurden, sondern deutsche Übersetzungen.

Weitere problematische Positionen

Auch in der Frage, ob Frauen „Imaminnen“ sein können, beruft sich Khorchide, nachdem er Muslimen vorgeworfen hat, ihr eigenes Erbe nicht zu kennen, auf Gelehrte, darunter Ibn Tamiyya. Dieser sehe „kein Problem darin, dass eine Frau als Imamin vor Männern betet.“ Tatsächlich ist Ibn Taymiyya dieser Meinung. Allerdings beschränkt er dies nur auf Notfälle, wenn kein geeigneter Mann vorhanden ist. Eine unerwähnte, aber wichtige Einschränkung, die ein ganz anderes Licht auf die Frage wirft.

Neben der umstrittenen Frage, ob Frauen einer gemischtgeschlechtlichen Gemeinschaft als „Imaminnen“ vorstehen können, gibt es noch eine Reihe anderer theologischer Positionen, die problematisch sind, in diesem Beitrag aber nicht behandelt werden können. Dazu zählen die Relativierung des Fastens, des Kopftuchgebotes sowie anderer religiöser Praktiken und Normen, die Ablehnung der Gültigkeit einzelner Koranverse, die recht freie, lebensberatermäßige „Exegese“ der Sure Fâtiha, die Stellung von Juden und Christen im Jenseits und die Bezeichnung der Offenbarung als unabgeschlossene Kommunikation.

Leserkommentare

Ethiker sagt:
Stichwort Kolonialismus: Leider gibt es hier im Forum ein Durcheinander von Begriffen, da wird ein Imperium mit Kolonialismus gleichgesetzt, ein Vernichtungskrieg mit einen Expansionskrieg, ein Sklavensystem im islamischen gepräften Raum mit dem Sklavensystem der sogenannten westlichen Staaten. Das Osmanische Reich hatte keine Vernichtung und Vertreibung als Staatsräson die Bevölkerung in im Osmanischen Reichen wurden nicht vernichtet, das macht sie eben gerade nicht zu Kolonialisten. Wer ein Beispiel für Koloinalismus mit Vernichtung als Staatsräson betrachten will der findet dies auf den ganzen! sogenannten Amerikanischen Kontinent, dem heutigen Australien oder den Bestrebungen Japans in China und Korea. Um es deutlicher zu sagen Österreich-Ungarn oder das Osmanische Reich waren ein Imperien, die in ihrem Reich keine Kolonialbestrebungen führten, das deutsche Kaiserreich das British Empire, Frankreich und nicht zuletzt die Vereinigten Staaten waren Kolonalisten, sie verfolgten als Ziel die Vernichtung der indigenen Bevölkerung und dessen System. Eindrücklich zu sehen sind die Vernichtungsabsichten in Namibia, den heute leider vernichteten Kulturen Nord- und Südamerikas, der Kultur der Aborigines in Australien, den Massakern Frankreichs in Algerien oder die Vernichtung Koreanischer Menschen durch Japanische Kolonialtruppen. Der Kolonialismus existiert bis heute nur mit anderen Methoden.
11.09.20
16:21
Ute Fabel sagt:
@Dilaver Celik „Es kommt darauf an, ob (Khorchide) in der muslimischen Community sowie in den Moscheegemeinden tragbar ist“ Ihnen scheint entgangen zu sein, dass Herr Khorchide kein Iman in einer DITIB-Moschee ist, sondern einen Lehrstuhl an einer staatlichen Universität innehat. Ein Philosophie-Professor, der sich wissenschaftlich mit dem Marxismus beschäftigt, braucht auch nicht das Wohlwollen diverser marxistischer Organisationen genießen.
12.09.20
13:25
Walter Bornholdt sagt:
Ich habe fast 10 Jahre gebraucht, um alle relevanten 'heiligen' Schriften neben dem Koran zu lesen und zu verarbeiten. In der gleichen Zeit erlebte ich eine 'lebendige' islamische Gemeinde in Deutschland und immer wieder (bis 2010) Gemeinden und Menschen in 2 arabischen Ländern. Die Widersprüche zwischen Wort und Tat können nicht größer sein. Aber einen Trost ihr wirklich Wahren Gläubigen: Jede (monotheistische) Religion benutzte politische Macht um Regierungen zu manipulieren. Vom Volk will ich gar nicht erst reden. Nur hat der Islam für jeden sichtbar, der sehen will, Spuren in der Geschichte hinterlassen, die BIS HEUTE eine Warnung an alle frei denkenden Menschen sein müssen. Das Prof. Khorchide ihnen zu 'gewöhnlich' und populistisch schreibt ist mir klar. Aber er liefert mir und anderen Islamkennern akademisch-kluge Argumente. "Von den Verbrechen des Christentum lese ich in den Geschichtsbüchern. Von den Verbrechen des Islam lese ich jeden Tag in den Zeitungen!"
13.09.20
10:15
Johannes Disch sagt:
@Ethiker (11.09.2020, 16:21) So so, das Osmanische Reich hatte nicht Vertreibung und Vernichtung als Staatsräson? Die Armenier sehen das sicher anders. Was das Osmanische Reich zwischen 1908 und 1908 mit den Armeniern veranstaltet hat, war ein Genozid. Das deckt sich auch mit der Sicht der Völkermordkonvention der Vereinten Nationen. Imperialismus, Kolonialismus, Sklaverei und Genozid-- das alles findet sich in der Realgeschichte des Islam. Khorchide bringt es prima auf den Punkt, wenn er sagt, von den Verbrechen des Christentums liest er in historischen Büchern. Von den Verbrechen des Islam täglich in der Zeitung. Denn genau das ist die Sache mit dem Islam: Das er heute die größte Bedrohung für den Weltfrieden darstellt.
13.09.20
20:44
Johannes Disch sagt:
@Sklaverei im Islam Der Islam fand die Sklaverei im Gebiet seiner Entstehung vor und behielt sie bei. Über Jahrhunderte waren Sklavenhandel und Sklavenarbeit wichtige Wirtschaftsfaktoren in der islamischen Welt. Und abgesegnet wurde die Sklaverei auch durch die Basischrift dieser Religion, durch den Koran (Sure 4:3, Sure 23:6, Sure 70:30). Einen guten historischen Überblick bietet das Buch von Tidiane N`Diaye: "Der verschleierte Völkermord. Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels in Afrika." (20010). Während im Westen die Sklaverei längst abgeschafft ist-- der Westen zeichnet sich dadurch aus, dass er in der Lage ist, seine Fehler zu erkennen und zu korrigieren-- besteht Sklaverei in der islamischen Welt noch immer und wird auch von höchster theologischer Instanz abgesegnet. Die Zustände in Katar-- wo "ungläubige" Kulis Stadien für die WM 2022 bauen-- sind nicht anders als sklavenartig zu bezeichnen, sowohl was die Arbeitsbedingungen als auch die karge Entlohnung betrifft (falls es überhaupt eine gibt). In Dubai hält sich der Emir mehr als 1000 leichtgewichtige Kamel-Jockeys; Kinderjockeys für seine edlen Rennpferde, wie UNICEF nachwies. Man geht davon aus, dass zur Zeit etwa 10 000 Kinder aus Bangladesch, Äthiopien, Indien und dem Sudan in den Golf-Staaten als Kamel-Jockeys eingesetzt werden. Der schon erwähnte Scheich aus Dubai-- Raschid Al Maktum-- soll in den letzten ca. 30 Jahren organisierten Sklavenhandel mit ca. 30 000 Kindern betrieben haben. Und was die theologische Absegnung der Sklaverei von höchster Stelle betrifft: Der saudische Scheich Ibn Fawzan erläutert auf Tonband: - "Sklaverei ist Teil des Islam. Sklaverei ist Teil des Dschihad. Und der Dschihad wird solange bleiben, wie es den Islam gibt." (Tonbandprotokoll 30. April 2009). Ibn Fawzan ist nicht irgendwer. Er ist Mitglied im Höchsten Rat der Rechtsgelehrten, dem höchsten religiösen Gremium Saudi-Arabiens und er ist hauptsächlicher Verfasser der Lehrpläne für ca. 5 Millionen saudischer Schüler und Studenten (die Lehrpläne gelten für saudische Schulen weltweit, also auch für die Schulen in Europa). Möchte angesichts dieser Tatsachen noch irgend jemand ernsthaft bestreiten, dass der Islam Reformbedarf hat??? Khorchide verwendet keine "tendenziösen negative Begriffe." Er füllt diese mit Inhalt. Statt auf Reformer wie Khorchide loszugehen, wäre es sinnvoller, mit ihm zusammen zu arbeiten und ein Reformkonzept für den Islam zu erstellen. So wären Muslime und ihre Verbände in Deutschland und Europa auch glaubwürdiger. Aber nein, man geht auf Reformer wie Khorchide los und will uns das Trugbild eines friedlichen Bilderbuch-Islam verkaufen.
14.09.20
11:25
grege sagt:
Südkorea ist im Zuge der japanischen Besetzung sowie des anschließenden Koreakrieges quasi dem Erdboden gleichgemacht worden, so dass dieses Land Mitte der 50er Jahre nach Vereinbarung des Waffenstillstandes damals zu einem der ärmsten Ländern der Welt gehörte. Obwohl dieses Land neben diesen widrigen Umständen über keinerlei Bodenschätzte verfügte, hat es eine rasante wirtschatliche und politische Entwicklung realisiert. Mit dem Einsatz von Hochtechnologien zählt dieses Land zu den führenden Herstellern von Fahrzeugen, Schiffen sowie Erzeugnissen der Unterhaltungselektronik und ist ein gefürchteter Wettbewerber europäischer und amerikanischer Unternehmen. So eine Entwicklung kann allerdings nur gelingen, wenn die Möglichkeiten und Chancen der Zukunft genutzt werden und weniger die Vergangenheit aus der Opferperspektive betrachtet wird. Viele Länder, selbst Deutschland können bei entsprechender Sicht auf die eigene Geschichte in Selbstmitleid ersticken........
14.09.20
20:19
charley sagt:
@Ethiker:11.09.20 16:21 Was zu Ihrem selbstgefälligen Statement zu sagen ist, hat eigentlich Johannes Disch schon getan. Vielleicht noch zur Ergänzung und Erfahrung von "Religion". Versuchen Sie doch mal - so wie es Moslems in den "imperialistischen" Verhältnissen Deutschlands erlaubt ist, Moscheegemeinschaften zu gründen, für den Islam zu werben.... versuchen Sie doch mal genauso in islamischen Ländern für das Christentum zu werben. Dann werden Sie die dort geltende Toleranz deutlich erleben! Am besten in Saudi-Arabien oder im Iran. Dort werden Sie die von Ihnen bekehrten Menschen in Lebensgefahr bringen, wie die ach-so-tolerante Regierung in ihrer ideologischen Enge Apostaten mit dem Tode bedroht. Träumen Sie weiter von Ihrem toleranten Islam! Den gibt es nicht. Wenn möglich, sollten Sie mal die von den Osmanen besetzen Völker nach der Freilassenheit osmaischer Herrschaft befragen. Die wäre vermutlich ähnlich, wie wenn Sie die Völker fragen, denen die USA doch auch nur "die Freiheit gebracht" haben. Für die USA sieht das natürlich ganz anders aus. Und Sie haben die Perspektive der Osmanen.
15.09.20
18:04
charley sagt:
@Ethiker 11.09.20 16:21 Wenn Sie den Islam so wenig "befleckt" vom Sklavenhaltertum, vor allem heute noch von der damit verbundenen Mentalität sehen, dann geben Sie mal in google ein rassismus-im-islam-warum-vorurteile-gegen-schwarze-weit-verbreitet-sind [links darf man hier nicht posten] Dann kommen Sie auf einen Artikel auf "bento", in dem ein schwarzer Muslim seine Erfahrungen schildert. Schämen Sie sich für ihren Hochmut!
15.09.20
18:10
Tarik sagt:
Es ist bemerkenswert und vielsagend, dass die Mär - "der Islam kenne keine Trennung zwischen Religion und Staat" - sich zumindest auf dem Niveau der üblichen Verdächtigen, d.h. polemisierenden Autoren und Kommentatoren weiter hält, obgleich in der Fachwelt dies eingehend und gründlich ins Reich anderer alt-orientalistischen Mythen und Legenden (a la "Ghazali hat der Philosophie im Islam den Todesstoß versetzt" etc.pp.) befördert worden ist. Ganz im Gegenteil: Die faktische Trennung bsp. im Ayyubidenreich zwischen a) herrschendem Sultan b) Kalifen als Symbolfigur und c) Rechtsgelehrten war für niemand geringeres als Friedrich II. - als er den Sultan besuchte - Anlass genug, jene Universität in Neapel zu gründen, in denen eine Anwaltskaste ausgebildet werden sollte. Die Wiege des europäischen Königtums, das sich vom unfehlbaren Papst emanzipiert, hat ihre Vorläufer Im Nahen Osten. Natürlich vollzog sich keine radikale Säkularisierung wie in Europa, denn dazu gab es schlicht keinen Anlass. Das Aukaf-System (Suppenküchen, Krankenhäuser - noch eine der Gaben des Orients an den Westen -, etc.), d.h. öffentliches Gut sorgte für eine weit geringere Schere bzw. verhinderte ein derart radikales Klassensystem wie in Frankreich bsp. des 18. Jahrhunderts. Den Aspekt der Wirtschaft zu unterschätzen ist ein Fehler. Da der Vordere Orient durch den Aufstieg Europas an Bedeutung verlor, verlagerte sich, wie Meddeb schreibt, "die Weltkapitale von Kairo nach Amsterdamm über London nach New York - also immer weiter weg von der Islamischen Welt". Und wo kein Geld ist (die Entente-Mächte waren im 19. Jahrhundert der größte Schuldner des Osmanischen Reichs), kann man auch nicht in Forschung und Bildung investieren. Die bedeutendsten Unis stehen heute nicht deshalb in den USA, weil der Durchschnittsamerikaner besonders gebildet ist (okay, vielleicht in Sportergebnissen), sondern weil eine Menge Geld investiert wird, wovon man - der Leitwährung sei Dank - soviel drucken kann, wie man möchte. Und wenn dann mal im postkolonialen Vorderen Orient sich jemand dazu erhob, Öl zu verstaatlichen, nun, Uncle Sam wusste, was zu tun ist. Ich frage micht, wie naiv man sein muss, zu glauben, dass der nominelle und formale Abzug von Briten und Franzosen für eine tatsächliche Unabhängigkeit gesorgt habe. Khorchide schreibt aus einer bestimmten ideologischen Position her, was sein gutes Recht ist. Seine ihm eigenen theologischen Auslegungen sind keine Neuerungen, man könnte sie als neo-mu'tazelitisch betrachten. Im Grunde ist Khorchide eine Kuschelversion von Ourghi, dem es zwar an theologisch-fundiertem Grundwissen mangelt, aber das macht jener weg durch eine Rhetorik, die nachvollziehbarerweise hierzulande mit offenen Armen umfangen wird. Nett zu lesen, mehr aber auch nicht. Aber unabhängig von Positionen von wem auch immer - die Reaktionen von beiden Seiten, egal ob von Modernisten, die darauf bestehen, dass metaphorisch ausgelegt werden muss oder von Fundamentalisten, die den Gebrauch des gesunden Menschenverstands per se ablehnen, zeigen, dass die innermuslimische Diskussionskultur erst noch (wieder)-entstehen muss. Daneben gibt es als zweiten wichtigen Aspekt den Sufismus, der von einem einst wichtigen spirituellen Kern angegriffen worden ist, sowohl von Salafisten wie auch von Rationalisten. Dabei wissen wir, was Islam ohne Sufismus bedeutet (Saudi Arabien). Die Diskussion - im Grunde von vorgestern - "was denn nun der Islam sei" ist jedoch genauso unnütz wie am Problem vorbei. Es geht längst nicht mehr darum, sondern es geht darum, inwiefern der Traditionelle Islam, wie er bsp. in Cambridge und Granada heute gelehrt wird (wo sich niemand von staatlicher Seite einmischt und sagt "so hat bitte "der Islam" auszusehen") eine moralisch und intellektuell schlüssigere Antwort geben kann auf die menschliche Situation heute im Allgemeinen. Ich sehe säkulare Fundamentalisten, die mit populär klingenden Stichworten als Forderungen formuliert "harte Kante" zeigen wollen weder in moralisch noch in ethischer Position, irgendwelche Forderungen zu stellen, die, alleine wenn man die "Kerndoktrin" (Haus des Glaubens, Unglaubens) betrachtet, schon längst keine Rolle mehr in der islamischen Jurisprudenz spielen. Der Islam IST schon lange in Europa, und wenn wir uns muslimische Gemeinschaften (also keine Migranten in dritter Generation) anschauen, sehen wir, dass sämtliche "Forderungen" absolut nichtssagend sind, weil sich diese Fragen gar nicht erst stellen. Übrigens, wenn wir beim Thema Liberalismus sind. Der Liberalismus beruft sich ja z.T. auf John Lockes politischer Theorie, namentlich seiner zweiten Abhandlung. Denn, wie es hier selbstgefällig formuliert wurde, "der Westen" sei in der Lag gewesen selbstkritisch die Sklaverei aufgeben zu haben. Vergessen wir nicht, dass die allerersten Gründe der britischen Denker nicht die Unmenschlichkeit der Sklaverei, sondern die ökonomische Sinnlosigkeit war. Und vergessen wir ebenfalls nicht, dass die Abschaffung von "Sklaven" nicht hieß, dass es keine "Zwangsarbeiter" gab. Oder verlegte sich die Britischen Schienen von Kairo nach Kaptstadt etwa von selbst? Und wieviel Gliedmaßen wurden im Kongo unter König Leopold noch mal abgehackt für ineffizientes Arbeiten? Der Kolonialismus ist überbewertet? Edward Said widerlegt? Mir scheint, da ist der Wunsch der Vater des Gedankens, die Unis quellen über vor lauter neuen "postkolonial studies". Und im Zuge der "Black Live Matters" Bewegung wurde soeben ein Immanuel Kant als "Rassist" vom Sockel gestoßen und der ein oder andere glaubt, sich in überheblicher Selbstgefälligkeit mit ein wenig Gönnerhaftem ("ist ja nicht alles schlecht am Islam" zurücklehnen zu können? Wir sind nicht mehr in den 90ern , Bassam Tibi und Konsorten werden zurecht in der akademischen Welt nicht ernst genommen. Dauert halt noch eine Zeit, bis sich das im Mainstream herumspricht. Da ließt man lieber erbauliches, was einem die Meinung bestätigt a la Koopmans. Wozu in die Tiefe gehen (Wael Hallaq, Robert Wisnovsky, Dimitri Gutas, Tim Winter, Slavoj Zizek, John Gray etc. etc. etc.).
15.09.20
19:00
Tarik sagt:
"Möchte angesichts dieser Tatsachen noch irgend jemand ernsthaft bestreiten, dass der Islam Reformbedarf hat???" Was sie - unbeabsichtigterweise - aufgezeigt haben, ist, dass der Islam genau das erhalten hat. Eine Reform. Leider. In Form einer islamischen Version des radikalen Calvinismus, der ebefnalls eine radikale Neuerung war, der sich als "Rückkehr zum wahren Christentum" bezeichnete. Leider waren die ersten englischen Siedler in den den USA genau jene Radikalen - siehe die Hexenverfolgungen in Salem, Massachussets. Die Reformation war ja kein Fortschritt in Europa, sondernzuerst ein Rückschritt, ein Sammelsurium an unterschiedlichen protestantischen Sekten, eine radikaler als die Andere, was in den 30jährigen Krieg gipfelte. Kein Wunder, wie die Dinge sich danach entwickelten. Das Buch "Eine Welt ohne Luther" ist hier zu empfehlen. Reform heißt Veränderung und ist nicht gleichzusetzen mit Fortschritt. Eine Veränderung einer "Kultur der Ambituität" führte eben gerade ins Gegenteil. Hin zur Eindeutigkeit. Zur Protestantisierung des Islams. Und genau davon gilt es den Islam wieder zu reinigen. "Der Westen" kann hier dahingehend helfen, dass er sich nicht länger einmischt. Denn nicht-muslimische Soziologen, Thinkthanker oder Parteipolitiker haben eben keinen Zugriffe auf muslimische Kernanliegen. @ Katar, Dubai, Saudi Arabien Sämtliche Beispiele, die sie aufgeführt haben, stammen aus wahhabitisch-regierten Staaten. Das ist kein Zufall. Der radikale Wahhabismus wurde im 19. Jahrhundert noch in der gesamten Islamischen Gelehrsamkeit als "nichtislamische Erneuerungssekte" bezeichnet. Es ist kein Zufall, dass kein einziger namhafter islamischer Gelehrter in über 1.000 Jahren aus dem arabischen Nedschd - der Wiege der Familie Sauds - kam. Allerdings haben die Wahhabiten heute Einfluss. Dank des Öls. Dank der unheiligen Allianz mit dem Westen. Insofern ist jegliche europäischer oder westliche Kritik an Zuständen auf der Arabischen Halbinsel als Heuchelei - wo es sich nicht um Unwissenheit handelt - zu betrachten. Aber gut, die Deutschen tragen ja keine Schuld. Das Deutsche Reich erlegte noch mit der MG den ein oder anderen Neger in "Deutsch-Südwest-Afrika", es waren die Briten, die den Saudis zum Aufstieg verhalten. Insofern braucht sich der Deutsche an sich nicht mit Schuldgefühlen plagen. Grundsätzlich zur Sklaverei - wie ein roter Faden zieht es sich sowohl durch den Koran als auch durch die Hadithe, dass die Befreiung eines Sklaven als gute Tat bezeichnet wird. Der Islam schaffte die Sklaverei nicht ab, aber die Intention ist in der Religion an sich impliziert. Was natürlich herrschende Sultane nicht interessierte: Denn Sklaven waren das Schmiermittel für das Kalifat, Bagdad erbaute sich nicht von selbst. Alles hat seine zwei Seiten. Die Abbasiden importierten am liebsten Slawen, die Europäer exportierten diese. Die Nordafrikanischen Barbareskenstaaten betrieben im westlichen Mittelmeer ganze Menschenraubzüge, und auch der Sklavenhandel mit den muslimischen Reichen in Westafrika florierte. Tatsächlich gab es sogar Zeiten, indenen Sultane versuchten, die Konversion in den Islam aufzuhalten: Weil es verboten ist, einen Muslimen zu versklaven. Mit anderen Worten: Eine selbstkritische Sichtweise ist absolut angebracht und diese gibt es auch, nur bekommt man dies an der polemisch-diskutierenden Front kaum mit.
15.09.20
19:26
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