Berlin-Brandenburg

Klage von kopftuchtragender Lehrerin erfolgreich

Wegen ihres Kopftuches wurde eine Lehrerin an einer Berliner Grundschule abgelehnt. Nun hat ihr das Landesarbeitsgericht in einem Berufungsverfahren Recht gegeben.

09
02
2017
Justizsenator will Kopftuch erlauben
Symbolbild: Lehrerin mit Kopftuch © Shutterstock, bearbeitet by iQ.

Den Rechtsstreit um das Kopftuchverbot für Berliner Grundschullehrerinnen hat eine muslimische Lehrerin vorerst gewonnen. Am Donnerstag gab das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ihrer Entschädigungsklage gegen das Land Berlin Recht, das sie wegen ihres religiös motivierten Kopftuchs nicht eingestellt hatte.

Die Richter erklärten, das Land habe die Klägerin dadurch benachteiligt. Sie erkannten der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern (8.680 Euro) zu. In dem Berufungsverfahren hob das Landesarbeitsgericht ein anders lautendes Urteil der Vorinstanz auf. Gegen sein Urteil ließ das Gericht die Revision beim Bundesarbeitsgericht zu.

„Verweis auf  Neutralitätsgesetz sei nicht angemessen“

In ihrer Urteilsbegründung erklärte die Vorsitzende Richterin Renate Schaude, in dem Bewerbungsverfahren habe die Schulbehörde die Klägerin „unmittelbar benachteiligt“, weil sie das Kopftuch auch im Unterricht an einer Grundschule tragen will. Der Verweis auf das Berliner Neutralitätsgesetz sei in diesem Fall nicht angemessen gewesen. Es verbietet bestimmten staatlichen Bediensteten wie Lehrkräften an Grundschulen das Tragen auffallender religiöser Kleidung und Symbole bei der Arbeit.

Das Gesetz sei jedoch so auszulegen, dass es nur bei einer konkreten Gefährdung des Schulfriedens angewendet werde, betonte die Richterin. Sie berief sich dabei auf ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 2015. Die Karlsruher Richter hatten entschieden, dass ein pauschales Kopftuchverbot nicht mit der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit vereinbar sei (1 BvR 471/10, 1 BvR 11881/10). Eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens durch das Kopftuch der Klägerin sei jedoch nicht zu befürchten gewesen, so Schaude. Dies sehe auch das Land Berlin so.

Urteil der Vorinstanz aufgehoben

Das Landesarbeitsgericht hob mit seiner Entscheidung ein Urteil der Vorinstanz teilweise auf. Das Arbeitsgericht Berlin hatte im April 2016 die Entschädigungsklage zurückgewiesen (58 Ca 1337/15). Nach dessen Auffassung verstieß die Ablehnung der Klägerin durch die Schulbehörde nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dessen Entscheidung vom Januar 2015 sei auf Nordrhein-Westfalens Schulgesetz abgestellt gewesen. Im Unterschied dazu sehe die Berliner Regelung jedoch „keine gleichheitswidrige Privilegierung zugunsten christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen“ vor.

Vor dem Landesarbeitsgericht bekräftigte ein Vertreter der Schulverwaltung deren Angebot, mit der Klägerin den üblichen Arbeitsvertrag für Lehrkräfte des Landes Berlin abzuschließen. Der Vertrag sieht keinen Einsatz in bestimmten Schularten vor. Zugleich bestätigte der Senatsvertreter, dass eine Lehrtätigkeit mit Kopftuch in Grundschulen ausgeschlossen bleibe. Die Klägerin könne jedoch an beruflichen Schulen und Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges unterrichten. Dies lehnte die Klägerin über ihre Rechtsvertreter ab.

In erster Instanz war die junge Frau im April 2016 mit ihrer Entschädigungsklage gescheitert. Nach dem Berliner Neutralitätsgesetz dürfen Lehrer, Polizisten und Justizbedienstete im Dienst keine religiös geprägten Kleidungsstücke tragen. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuletzt im Januar 2015 ein pauschales Kopftuchverbot an nordrhein-westfälischen Schulen gekippt. (KNA, dpa, iQ)

 

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
Wegweisende Urteile sollten verallgemeinerbar sein. Die klare Vorhersagbarkeit von denkbaren Eventualitäten unterscheidet das Rechtsstaatsprinzip von der Einzelfallwillkür. Eine Generalisierung ist bei dem Urteil aus 2015 in keiner Hinsicht möglich. Weder ist klar, ob eine pauschales Verbot auch für andere religiöse, weltanschauliche und politische sichtbare Zeichen verboten sein soll. Noch wird konkretisiert, wann ein konkretes Kopftuchverbot oder ein konkretes Verbot anderer religiöser, weltanschaulicher oder politischer sichtbarer Zeichen zulässig ist. Wann ist der Schulfrieden gefährdet? Mehr offene Fragen wurden geschaffen als Antworten geboten.
06.03.17
10:44
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Die Antwort des Bundesverfassungsgerichts von 2015 ist eindeutig: Ein pauschales Kopftuchverbot ist verfassungswidrig. Es ging bei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht um irgendwelche anderen religiösen und weltanschaulichen Symbole. Es ging konkret um das Kopftuch. Statt juristische Rabulistik zu betreiben und absurde Beispiele und hinkende Vergleiche zu konstruieren akzeptieren Sie doch einfach die aktuelle Rechtslage und die aktuelle Rechtsprechung. Würde einer Juristin gut zu Gesicht stehen.
07.03.17
11:15
Ute Fabel sagt:
Univ.-Prof. Dr. Robert Rebhahn von der juridischen Fakultät der Universität Wien hat vor kurzem in einer Fachpubikation darauf hingewiesen, dass der Ansatz, wonach ein pauschales Kopftuchverbot unzulässig sei, dazu führen muss, dass auch ein pauschales Verbot eines Hammer-Und-Sichel-Abzeichens von Firmen nicht angeordnet werden könne. Es ist gerade die Aufgabe von Juristen, denen das Rechtsstaatprinzip am Herzen liegt, genau abzuklopfen, ob sich ein Urteilsspruch vertretbarerweise wirklich verallgemeinern lasse. Ist das nicht der Fall, war ein Judikat eben nicht gerade der große Wurf gewesen. In Graz, Österreichs zweitgrößter Stadt, hat vor einem Monat die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) zum zweiten Mal in Folge 20 % der Wählerstimmen erreicht. Es gibt in Graz also derzeit deutlich mehr Kommunisten als Moslems. Die Annahme, dass sich der eine oder andere Kommunist sich auch auf seine politischen Freiheitsrechte beruft und seine Gesinnung als Beamter, Lehrer, Richter, Polizist oder Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft sichtbar machen will, ist alles andere als weit hergeholt. Gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle!
09.03.17
7:52
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