Islamforscher Bekim Agai:

„Auch Muslime sind soziale Wesen“

Der Frankfurter Wissenschaftler Bekim Agai warnt davor Muslime auf deren Religion zu reduzieren. Schwierigkeiten mit Muslimen sollten nicht immer „islamspezifisch“ gesehen werden, so könne man auch eher Lösungen für diese finden.

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2016
Symbolbild: Kopftuch, Kopftuchverbot © shutterstock
Symbolbild: Kopftuch, Kopftuchverbot © shutterstock

Der Frankfurter Islamexperte Bekim Agai hat davor gewarnt, soziale Probleme mit Muslimen auf deren Religion zu verkürzen. Dies könne bei der Suche nach Lösungen in die Irre führen, sagt der Leiter des Zentrums für islamische Studien an der Goethe-Universität der Deutschen Presse-Agentur.

Die Integration sei in der Realität oft viel weiter als gedacht. Die (muslimische) Verkäuferin oder der (muslimische) Polizist werde oft gar nicht wahrgenommen. „Wenn wir dann aber eine vollverschleierte Frau sehen, lesen wir dies als Zeichen für das Trennende und sehen es als repräsentativ für den Islam“, sagt Agai.

„Auch Muslime sind soziale Wesen und werden von ihrem Umfeld geprägt.“ Schwierigkeiten dürften daher nicht als „islamspezifisch“ betrachtet werden. Wenn etwa ein 12-jähriger muslimischer Schüler sich gegen die Autorität einer Lehrerin auflehne, könne das Problem fälschlicherweise im Frauenbild des Islam vermutet werden. Realistischer sei die Annahme, dass es sich um das flegelhafte Verhalten eines pubertierenden Jugendlichen handle. Im Gespräch mit den Eltern oder anderen Autoritäten – das könne auch der Fußballtrainer sein – könne dann eine Verhaltensänderung bewirkt werden.

Agai wies darauf hin, dass es sich bei den „Kulturkämpfen“ zwischen Islam und Christentum um historische Vereinfachungen handle. Schon bei den Kreuzzügen habe es Bündnisse über die Religionen hinweg gegeben. Beispielsweise hätten orientalische Christen die Muslime bei der Befreiung Jerusalems unterstützt.

Historisch gesehen sei der Islam plural und nicht einseitig dogmatisch angelegt, sagt Agai. Der Islam habe sich aber heute mit „modernen totalitären Konzepten“, die auf Nationalismus, Kommunismus oder Faschismus wurzelten, fatal vermischt. Zwischen dem repressiven System im Irak unter Saddam Hussein und der totalitären Ideologie des Islamischen Staats (IS) gebe es mehr Gemeinsamkeiten als es auf den ersten Blick scheine.

Das Frankfurter Zentrum – es gibt nur vier in ganz Deutschland – ist zusammen mit der Uni Gießen auch für die Ausbildung von Lehrern für den islamischen Religionsunterricht in Hessen zuständig. Der in Essen geborene Agai (40), Sohn einer Deutschen und eines Mazedoniers, leitet das Institut seit 2013. Agai ist sunnitischer Muslim. (dpa, iQ)

Leserkommentare

Manuel sagt:
Naja, wenn ein moslemische Vater, sein Tochter verbietet am Schwimmuntericht oder auf Klassenfahrten teilzunehmen, dann hat das schon auch etwas mit der Religion Islam und dem dortigen Frauenbild zu tun. Oder, wenn man kleinen Mädchen einredet, sie müssten später ein Kopftuch tragen, sonst wären sie keine ehrbaren Frauen, auch!
04.04.16
18:31
Marianne sagt:
Eigentlich reduzieren Muslime sich nicht selten selbst auf ihre Religion. Nämlich indem sie ihren Töchtern die Teilnahme an Schwimmunterricht und Klassenfahrten verbieten und sie zwingen, Kopftuch zu tragen. Auch Forderungen nach Gebetsräumen an Universitäten tragen nicht dazu bei, Muslime nicht auf ihre Religion zu reduzieren. Muslime selbst sind es, die ständig ihre Religion in den Vordergrund rücken.
05.04.16
16:08
Lutz Grubmüller sagt:
Jedem Menschen, gleich welche Nationalität, Kultur oder Religion sollte man zuerst immer als Mitmenschen mit Achtung und Respekt auf Augenhöhe begegnen. Das heisßt im Besonderen, dass man nicht Fremden in unserem Kulturkreis sofort europäisches Verhalten und Handeln, Denken abverlangen kann! Für die allmähliche Intergration sollten jedoch alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Auch sollten wir kulturell-religiöse Traditionen ausländischer Bürger achten, solange diese nicht grundlegende Menschenrechte verletzen. Herzliche Freundlichkeit in der Begegnung zwischen Menschen, egal woher, kommt immer an und fördert das Zusammenleben.
05.04.16
17:18
Manuel sagt:
@Lutz Grubmüller: Wenn ich in einem anderen Land lebe, dann habe ich mich auch der dortigen Kultur bis zu einen gewissen Grad anzupassen und kann nicht ständig verlangen, die anderen müssten sich mir anpassen und dazu gehört nun mal auch das Kopftuch, das islamische Frauenbild, die mittelalterliche Sexualmoral, die Scharia usw.., die im Westen zunehmend auf Kritik stoßen, weil sie mit unseren Werten nicht vereinbar sind.
06.04.16
11:52
Charley sagt:
"Historisch gesehen sei der Islam plural und nicht einseitig dogmatisch angelegt, sagt Agai. Der Islam habe sich aber heute mit „modernen totalitären Konzepten“, die auf Nationalismus, Kommunismus oder Faschismus wurzelten, fatal vermischt." Respekt für diesen Satz! Diese historische Entwicklung, die da aufgezeigt wird, möchte ich ergänzen: Der Islam war - auch durch seine Vermischung mit der antiken, griechischen Weisheit - am Ende des ersten (christlichen) Jahrtausend in einer Hochblüte und kulturell maßgebend. Europa verdankt dieser islamischen Kultur sehr viel, viel mehr als die meisten Europäer ahnen! Warum der Islam aber kulturell rückständig wurde, warum er aus dieser kulturellen Vorreiterrolle heraus fiel, ist ein großes Rätsel. Mit der "Unterdrückung durch den Westen ("Opferrollenmentalität") ist das nicht zu erklären. Der Rückgang fing schon vorher und unabhängig davon an. Er liegt begründet in der fehlenden Begründung des Individualismus im Islam. Scharf formuliert ist das Optimum der individuellen Entwicklung im Islam eine totale Unterwerfung unter den Willen Allahs (wie er buchstabenmäßig, exzdogmatisch im Koran festgelegt ist). Eine Summe äußerer Reglementierungen formen den Menschen, ohne ihn im Kern zu entwickeln. Denn dieser Kern, der die eigene Göttlichkeit gegenüber Gott und mit und aus Gott entwickeln kann, fehlt. Das Christentum hat mit dem Liebesgebot genau auf diese selbst zu entdeckende, selbstbestimmte Entwicklung dieses Individualitätskerns abgezielt. Diese Entwicklung hat inzwischen auch die sog. christlichen Kirchen hinter sich gelassen (und entwickelt sich unabhängig davon weiter, ist ja selbst erst am Anfang). Jeder Dogmatismus, sei er nun katholisch oder islamisch, isoliert sozial und begründet Sektenkultur, Insider, Gemeinde-Folklore. Genau diese Gemeinde-Folklore, die Riten und Prinzipien pflegt, ohne sie auf dem Hintergrund einer allgemeinmenschlichen Entwicklung (z.B. seelische Läuterung durch Kopftuchtragen wie z.B. in anderen Religionen Friedfertigkeitsentwicklung durch Vegetarismus) aufzeigen zu können. So wirkt für Europäer das krampfhafte Vertreten von Kopftüchern (auch Islamiq strotzt davon) oder Schweinefleischhysterie schrullig, lächerlich verkrampft und bemitleidenswert sektiererisch. Und dieser Sekteneindruck ist das, was zurück stößt. Wer Sekte darlebt, verhindert selbst, dass man ihn als Individualität wahrnimmt.
06.04.16
12:48
Marianne sagt:
@Lutz Grubmüller: Das haben Sie schön gesagt. Ich möchte aber nicht in einem Deutschland leben, in dem immer mehr Frauen aus religiösen Gründen ein Kopftuch oder sogar eine Burka tragen. In erster Linie erwarte ich Respekt von denjenigen, die in unser Land kommen. Wenn sie ihre kulturell-religiöse Tradition wahren wollen, können sie statt nach Deutschland zu kommen in ein muslimisches Land gehen.
06.04.16
15:18
Manuel sagt:
Wenn der Westen so schlecht ist, wieso wollen dann soviele Moslems zu uns, zu uns Ungläubigen. Es gibt ja genug reiche islamische Staaten am Persischen Golf oder?
07.04.16
10:39
Enail sagt:
Auch ich kann größtenteils den Worten von Herrn Grubmüller zustimmen. Für mich steht an erster Linie der Mensch. Ich kenne einige Muslime, Frauen und Männer, von denen ich erst später erfuhr, dass sie Muslime sind. Menschen wie du und ich. Wir haben in unserem Dorf , ja Dorf, 60 Nationen. Alle leben wir friedlich zusammen. Da Siemens in der Nähe meines Dorfes ist, hat sich das so ergeben. Wir haben inzwischen auch Flüchtlinge, die gut aufgenommen wurden. Familien mit Kindern und nicht eine Frau trägt Kopftuch. Die Christen, wenn sie nicht gerade einem Orden angehören, laufen doch auch nicht durch Kleidung gekennzeichnet herum. Was nur bezweckt man damit, dass man seine Religionszugehörigkeit unbedingt sichtbar machen will. Ohne dies, so erlebe ich es in meinem Dorf, funktioniert ein Zusammenleben vieler Nationen.
08.04.16
1:28
Manuel sagt:
Ich verstehe auch nicht, dieses ständige Pochen auf dieses Kleidungsstück, seine Religion sollte man eigentlich im Herzen tragen und nicht auf dem Kopf!
08.04.16
22:00
Wolf D. Ahmed Aries sagt:
Die Frage, warum Kutluren untergegangen sind bzw. untergehen, ist völlig ungeklärt. Keine Kultur hat eine Ewigkeitsgarantie . . .uch unsere nicht. Alle Hochkulturen nahmen in ihren dominanten Phasen an, daß die historische Entwiuklung auf sie zugelaufen sei. Von diesem Charme der Arroganz sind auch wir nicht ausgenommen. Im Königreich Bhutan leben die Menschen auch glücklich. Wie wäre es mit etwas mehr stoischer Haltung .. . gleich der Marc Aurels?
10.04.16
8:05