Moria

Aufnahme von Geflüchteten: Druck auf Bundesregierung wächst

Während auf Lesbos neue Zelte für Migranten errichtet werden, wächst in Deutschland die Debatte über eine Aufnahme weiterer Geflüchtete. Auch Religionsgemeinschaften äußern sich.

14
09
2020
Symbolbild: Geflüchteten, Moria
Symbolbild: Geflüchtete

Die griechische Regierung drängt die obdachlosen Geflüchteten auf der Insel Lesbos, ein neues Zeltlager zu beziehen. In der Bundesregierung liefen am Montag Gespräche über die Aufnahme von weiteren Schutzsuchenden aus dem durch Feuer zerstörten Flüchtlingslager Moria.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will eine Entscheidung bis zur Sitzung des Bundeskabinetts an diesem Mittwoch. Sie sei dazu in Abstimmungen mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), sagte Merkel nach Angaben von Teilnehmern in der CDU-Präsidiumssitzung in Berlin. Die Bundesregierung strebe weiterhin eine europäische Lösung an.

Merkel plant nach diesen Angaben auch ein Treffen mit Bürgermeistern aus Deutschland, die sich für die Aufnahme von Geflüchteten einsetzen. Mehrere Teilnehmer der CDU-Sitzung hätten erklärt, einige Städte und Landkreise wollten Migranten aufnehmen, dann fänden Bürgermeister aber keine Unterkünfte für Asylbewerber. Hier gebe es Widersprüche.

Deutschland werde einen „substanziellen Beitrag“ leisten, da die Menschen auf Lesbos „in einer verzweifelten Situation“ seien, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die griechische Regierung habe aber klar gemacht, dass sie die Verantwortung für die Menschen auf Lesbos in erster Linie selbst übernehmen wolle, fügte er hinzu.

Vorerst 150 Jugendliche aufnehmen

Seehofer hatte am vergangenen Freitag mitgeteilt, Deutschland werde von insgesamt 400 unbegleiteten Minderjährigen, die aus Griechenland in andere europäische Länder gebracht werden sollen, 100 bis 150 Jugendliche aufnehmen. Außerdem wolle man in einem zweiten Schritt mit Athen über die Aufnahme von Familien mit Kindern sprechen.

Die SPD fordert eine bundesweite Initiative für die Aufnahme von deutlich mehr Migranten aus dem abgebrannten Lager Moria als geplant. „Wir wollen, dass Deutschland durch ein Aufnahmeprogramm des Bundes einem maßgeblichen Anteil dieser geflüchteten Menschen schnell, organisiert und kontrolliert Aufnahme, Schutz und Perspektive bietet“, heißt es in einer am Montag in Berlin beschlossenen Resolution des SPD-Parteivorstands. „Allein 400 unbegleitete Kinder auf mehrere EU-Staaten zu verteilen und davon 150 nach Deutschland zu bringen, ist völlig ungenügend“, machte die SPD-Spitze deutlich.

„Europa kann doch viel mehr!“

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, hat den Umgang Europas mit den Menschen aus dem abgebrannten griechischen Flüchtlingslager Moria kritisiert. 400 Minderjährige aufzunehmen und auf zehn Staaten zu verteilen, sei viel zu wenig. „Es reicht bei Weitem nicht aus“, sagte Bedford-Strohm den Fernsehsendern RTL und ntv. Es sei eine Schande, dass die Aufnahme von 400 Menschen schon eine humanitäre Großtat sein solle. „Das kann doch nicht wahr sein! Europa kann doch viel mehr!“

Weiter sagte der bayerische Landesbischof: „Die Bereitschaft ist ja da, in Europa aufzunehmen. Sie darf nur nicht länger von den Regierungen der Staaten blockiert werden“. Einzelne Staaten dürften sich nicht aus der Verantwortung ziehen. „Wenn sie dann auch die christlichen Formulierungen vor sich hertragen, dann ist das umso unerträglicher.“ Man könne nicht auf alle Staaten warten. „Das haben wir jetzt jahrelang getan. Da geht die Geduld jetzt auch bei mir wirklich zu Ende!“

IGMG: Jetzt muss Politik hinten anstehen

Auch der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), Bekir Altaş, äußert sich zur Debatte. Das Bundesinnenministerium sei aufgefordert, seine Blockadehaltung aufzugeben und den Bundesländern grünes Licht für die Aufnahme von Geflüchteten zu geben. „Politische Verhandlungen dürfen sich in so einer humanitären Notsituation nicht über Jahre ergebnislos hinziehen. Jetzt müssen politische Interessen hinten anstehen, jetzt sind Menschlichkeit und Solidarität gefragt – notfalls eben auch im Alleingang“, so Altaş. Deutschland habe die Kapazitäten und Mittel.

„Wir sehen schon seit Jahren tatenlos zu, wie nahezu sämtliche Werte über Bord ins Mittelmeer geworfen werden, wo sie ertrinken. Jetzt ist das letzte Stück Menschlichkeit auch noch in Flammen aufgegangen. Das ist ein Trauerspiel“, so Altaş abschließend.

ZMD: Muslime werden ihren Beitrag leisten

Der Zentralrat der Muslime (ZMD) in Deutschland fordert ebenfalls die Aufnahme von Flüchtlingen. „Es gilt jetzt Humanität gegenüber den obdachlosen Menschen und der Solidarität mit unseren griechischen Geschwistern und ihrer Regierung praktisch einzulösen. Hier darf es weder um parteipolitisches Kalkül noch um Profilierung gehen, es geht schlicht um das Eintreten für die Menschenwürde“, erklärt ZMD-Vorsitzender Aiman Mazyek. 

Die stellvertretende Vorsitzende des ZMD, Nurhan Soykan, sagte ergänzend: „Wir sind froh und sehr dankbar, dass sich einige Bundesländer und mittlerweile zehn Oberbürgermeister/innen sowie weitere Städte bereit erklärt haben, diese obdachlosen Menschen aufzunehmen. Diese stehen allesamt für unsere Werte der Menschlichkeit und Barmherzigkeit.“ Die muslimische Zivilgesellschaft werde dabei sicher wieder ihren Beitrag, wie bereits seit 2015, leisten.

Leserkommentare

Vera Praunheim sagt:
Wann wächst auch endlich mal der Druck auf arabische und islamische Regierungen zur Aufnahme von Flüchtlingen und Schutzsuchenden - besonders von Glaubensbrüdern und Glaubensschwestern? Hat hierzu der Zentralrat der Muslime (ZMD) im Namen der Menschlichkeit und islamischen Barmherzigkeit nichts zu sagen? Die superreichen Golfstaaten sollten da mal richtig vorpreschen und Hilfe leisten. Die dortigen Herrscher-Clans schwimmen doch geradezu im Geld und Luxus-Prunk.
14.09.20
23:10
Johannes Disch sagt:
Deutschland wird niemanden aufnehmen müssen, denn die griechische Regierung hat bereits deutlich gemacht, dass sie die Flüchtlinge von Moria nicht aus Griecheland rauslassen wird. Man will einen Präzedenzfall und Nachahmer vermeiden, nach dem Motto: "Wir fackeln in Griechenland einfach mal unser Lager ab und kommen so in die Sonnenstaaten Europas" (Deutschland, Frankreich, etc.). Und das Verhalten der griechischen Regierung ist hier auch absolut richtig. man lässt sich nicht erpressen.
15.09.20
10:59
Johannes Disch sagt:
@Vera....(14.09.2020, 23:10) Das ist längst geklärt. Die reichen Golf-Emirate nehmen niemanden auf. Die haben schon vor Jahren erklärt, dass sie sich solche Probleme nicht ins Haus holen. Ist also nicht so weit her mit der innerislamischen Solidarität. Rühmliche Ausnhamen bilden der Libanon, Jordanien und die Türkei.
16.09.20
11:14
Ute Fabel sagt:
Es handelt sich nicht um Geflüchtete, sondern um Menschen, die sich von der türkischen Westküste, welche nun wirklich kein Kriegsgebiet ist, völlig widerrechtlich nach Lesbos begeben haben. Davor haben diese Leute widerrechtlich schon zahlreiche andere Länder durchquert, in welchen sie keinerlei Verfolgung ausgesetzt waren. Es geht also um illegale Migranten, nicht um Flüchtlinge. Diese Begriffe sollten nicht ständig vermengt werden. Es ist überhaupt auch nicht einzusehen, warum immer gerade jene Migrationswilligen bei ihren Einreisewünschen nach Mittel- und Nordeuropa bevorzugt behandelt werden sollen, die hemmungslos Schlepper bezahlen und auf das rücksichtlose Faustrecht setzen. Das Gerede der zitierten Religionsgemeinschaften über "Humanismus" mutet hierzu geradezu gefährlich naiv an.
16.09.20
11:34