Hinz und Kunst

„Der Islam hat seinen Ursprung in den Herzen der Menschen“

„Die Kunst ist frei“. Frei von Grenzen und Debatten. Künstler mit muslimischem Migrationshintergrund nutzen die Freiheit und zeigen deutlich: Wir gehören zu Deutschland. Heute mit Architekt Kamil Ertürk.

26
11
2016
Kamil Ertürk © Emi Koç

IslamiQ: Kannst Du Dich vorstellen?

Kamil Ertürk: Ich heiße Kamil Ertürk, lebe und arbeite in Köln und Bielefeld. Architektur und Innenarchitektur sind meine Profession und gleichzeitig meine größte Passion. Mein Arbeitsfeld weitet sich zwischen Kommunikation -und Produktdesign aus und unter dem Namen “Kalem” beschäftige ich mich mit Kalligrafie, Lettering, Hat und Typografie.

IslamiQ: Was möchtest Du mit deiner Arbeit bewirken?

Ertürk: Nachhaltigkeit. In erster Linie ist der Grund meines Schaffens, die der Kommunikation. Ich empfinde das was ich tue als eine Art Dialog, die ich durch meine Arbeit und den Menschen die Sie begleiten, eingehe. Es ist ein Weg des Austausches. 

IslamiQ: Ist Dir Dein kultureller und/oder religiöser Background wichtig?

Ertürk: Spontan würde ich sagen Ja. Wobei ich Kultur und Religion nicht gleichsetze. Beides sind sehr weite Begriffe, die für jeden anders aufgefasst werden können. Für mich sind diese sehr stark mit Erlebtem und Erinnerungen aus meiner Kindheit verbunden. Wie die Zeit bei meinen Großeltern in der Türkei. Diese persönlichen Erinnerungen bilden einen großen Teil von mir und formen mein Leben.

IslamiQ: Wie stark beeinflusst Dein Background Dein künstlerisches Schaffen?

Ertürk: Ich glaube viel wichtiger als ein Einfluss im Schaffen ist die bewusste Auseinandersetzung mit der Geschichte. Erst durch diesen Einblick in die Materie erreicht man die nötige Verbundenheit und Tiefe, die einen dazu veranlasst mehr in Erfahrung zu bringen als ein reinen künstlerischen Akt zu reproduzieren. Erst dadurch wird einem klar, das Wissen die Bereicherung ist die man anstreben sollte und nicht das erlernte Handwerk.

IslamiQ: Studien attestieren eine steigende anti-islamische Stimmung in Europa. Bist Du persönlich Diskriminierungen dieser Art ausgesetzt?

Ertürk: Eine Steigerung würde ich es nicht nennen. Meines Erachtens ist die mediale Präsenz zu diesem Thema ein Grund dafür, dass es wieder an Aktualität gewonnen hat. In der jetzigen Debatte muss ich mit Bedauern feststellen, dass kein Versuch nach Lösungen, sondern vielmehr der Status Quo aufrecht erhalten wird. Entweder sieht man die Emotionen von Betroffen, oder die Angst und das Unverständnis der Menschen vor dem Fremden.

Meine Erfahrung mit Diskriminierung hat mir eine Sache gezeigt: Wenn Menschen sich in einem Dialog auf Augenhöhe begegnen, kommen meist die Ursachen, die zu ihrer negativen Haltung geführt haben, schnell zum Vorschein. Und man merkt selbst, ob man diesen Menschen erreichen kann oder aber auch nicht.

IslamiQ: Denkst Du, dass der Islam zu Deutschland gehört? Wieso?

Ertürk: Ich finde, die Frage ist irrelevant. Meiner Meinung nach hat der Islam keine geografische Zugehörigkeit, sondern vielmehr ihren Ursprung in den Herzen der Menschen, wo man sich begegnen sollte, wo Barrieren wie Sprache oder Herkunft keine große Rolle spielen und man Menschen willkommen heißt.

Leserkommentare

charley sagt:
Herr Ertürk erscheint wirklich als Individualität, auch weil er scheinbar ein Bewusstsein seines Herzenswesen hat. Allerdings lässt sich leicht, fast schon als Tautologie feststellen, dass aus dem Herzen die Menschlichkeit kommt. Dass aus dem Herzen der Islam kommt, wäre nachzuweisen. Was hat denn das WESEN des Islam mit dem menschlichen Herzen zu tun? Was hat ein Allah, der Unterwerfung und Gehorsam fordert, mit dem menschlichen Herzen zu tun. Dass der Islam auch menschlich - wie auch unmenschlich - erscheinen kann, hat sicherlich etwas mit den Menschen zu tun, in denen er sich nun mal zeigt, aber nicht unbedingt mit dem Islam! Da wäre doch eine erhebliche Differenzierung von Nöten und nicht solche Floskeln. Klasse ist der Satz: "Ich glaube viel wichtiger als ein Einfluss im Schaffen ist die bewusste Auseinandersetzung mit der Geschichte." Das spricht von Individualität, die dann auch vermutlich souverän und nicht fanatisch mit dem islam umzugehen weiß!
27.11.16
21:29
Ute Fabel sagt:
Koran und Bibel dienen heute nur noch für wenige als Quellen für ethisches Verhalten. Für viele sind sie nur mehr reine Projektionsflächen. Menschen, die zufällig ein eine christliche Familie geboren wurden, legen ihre eigene Wertvorstellungen in die Bibel, weil Ihnen in ihrer Kindheit gesagt wurde, die Bibel sei das heilige Buch. Menschen, die in eine islamische Familie geboren wurden, machen dasselbe mit dem Koran und erklären dann das, was sie in den Koran selbst hineinprojezieren, zum wahren Islam. Die einen picken sich die süßen Früchte heraus, die andern mit weniger nettem Charakter suchen nach den sauren Früchten. Die Sinnhaftigkeit dieses Zugangs halte ich für fragwürdig. Besser wäre es, wenn sich Christen und Moslems endlich eingestehen würden, dass Bibel und Koran von Menschen geschriebene Bücher auf der Zivilisationsstufe ihrer Zeit sind, wie die altgriechischen Epen von Homer.
29.11.16
12:31
Charley sagt:
@Ute Fabel: lies einfach mal Matthäus 22,36ff: "Meister, welches ist das vornehmste Gebot im Gesetz? 37 Jesus aber sprach zu ihm: "Du sollst lieben Gott, deinen HERRN, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte." 38 Dies ist das vornehmste und größte Gebot. 39 Das andere aber ist ihm gleich: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." 40 In diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten." Alles erfüllt sich im Liebesgebot, welches man nicht gebieten kann, sondern welches aus sich, die Welt und alles tragend und erneuernde Kraft jeder für sich entdecken muss, in immer neuen Formen, darum ist es zeitlos! - Insofern das Christentum sich auf diesen Inhalt gründet und äußere Formen nicht anerkennt (das Neue Testament steckt voll von Beispielen, wo Jesus das erstarrte Regelwerk des Judentums ad absurdum führt), kann es sich immer neue Formen erschaffen, sogar sämtliche Tradition und Kirchenformen hinter sich lassen. - Zugleich erneuert sich hier meine Frage an den Islam, was denn sein (Re-)Generationsquell ist, der ggf. sogar überkommene Traditionen, äußere Formen des Islam überwinden könnte? Daran krankt doch ganz viel, dass tradierte Formen der islamischen Lebensweise inkompatibel in der europäischen Kultur stranden! Wie zwingend sind denn die Formen, wenn Formen sowieso immer nur Ausdruck von Leben sind! Was ist aber das noch-nicht-geformte islamische (Er-)Leben, welches nicht sterben würde, wenn es auch in ganz anderen Verhältnissen leben müsste? Warum kann, wer diese innere Erfahrung hat, nicht auch äußere Formen loslassen oder erneuern? - Diese ganze Fragestellung knüpft natürlich direkt an den Ausspruch Kamil Ertürks an: "Meiner Meinung nach hat der Islam keine geografische Zugehörigkeit, sondern vielmehr ihren Ursprung in den Herzen der Menschen, wo man sich begegnen sollte, wo Barrieren wie Sprache oder Herkunft keine große Rolle spielen und man Menschen willkommen heißt."
29.11.16
15:54
Ute Fabel sagt:
@Charley: In anderen Textstellen des Matthäusevangeliums trifft man auf einen weniger liebevollen Jesus, der den Menschen Höllenqualen androht: Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du (gottloser) Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.(Mattäus 5,22) Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird.(Matthäus 5,29)
01.12.16
8:17
Charley sagt:
@Ute: Das sind wohl kosmische Konsequenzen der Lieblosigkeit die doch auch im kleinen Alltag beobachtbar sind: Wo immer das Nicht-Anerkennen, wo Ablehnung gelebt wird, entsteht Lieblosigkeit..... Bis hin zur Selbstablehnung. Wer sich selbst nicht liebt, kann auch nicht andere lieben. Das ist psychologische Binsenweißheit. Und wenn sich das bis zum Selbsthass entwickelt, dann bereitet man sich hier schon die Hölle. Die Liebe umschließt alle Menschen. Und wie die Liebe wachsen wird in Zukunft bei denen, die sich für sie entschließen, so wird auch der Hass noch Dimensionen erreichen, die wir noch gar nicht ahnen.
02.12.16
13:50