Interview mit Annett Abdel-Rahman

Mit Kopftuch unterrichten: „Es gibt noch viel zu tun“

Welche Repressalien und Herausforderungen auf Musliminnen warten, die als Lehrerin mit Kopftuch unterrichten wollen, wird in den öffentlichen Debatten kaum sichtbar. Wir sprachen mit Annett Abdel-Rahman über Kopftuchverbote und ihre Erfahrungen mit dem Thema.

27
07
2014

Annett Abdel-Rahman ist Religionspädagogin, sitzt im Beirat für islamischen Religionsunterricht des Landes Niedersachsen und arbeitet als Lehrbeauftragte am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück (IIT). Wir sprachen mit Abdel-Rahman über Kopftuchverbote für muslimische Lehrerinnen an deutschen Schulen und über die Probleme, die muslimischen Frauen, die selbstbestimmt arbeiten und leben möchten, in den Weg gestellt werden.

 

IslamiQ: Frau Abdel-Rahman, wie sieht die aktuelle rechtliche Situation für muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch in Deutschland aus? Gibt es für muslimische Lehrerinnen mit einem Kopftuch die Möglichkeit zu unterrichten?

Annett Abdel-Rahman:Das ist sehr unterschiedlich, wie die Bundesländer das handhaben. Kopftuchverbote gibt es in 8 Bundesländern, einige haben ein Verbot erwogen, aber nicht beschlossen. In NRW, Niedersachsen und Baden-Württemberg gibt es z.B. momentan ein Verbot, das Tuch an öffentlichen Schulen zu tragen.

Ausnahmeregelungen gibt es in allen Bundesländern für Referendarinnen. Der Staat hat ein Ausbildungsmonopol für Lehrer/innen und muss gleichzeitig das grundgesetzlich gewährte Recht eines jeden, Zugang zu jedem Beruf zu haben, einhalten. Da das Referendariat unverzichtbarer Teil der Ausbildung ist, wurde diese Ausnahmeregelung geschaffen. Allerdings muss in einigen Bundesländern ein Ausnahmeantrag gestellt werden und der wird nicht immer wohlwollend behandelt. Es kommt auch vor, dass man es Referendarinnen dann schwerer macht, indem man sie selbst eine Schule suchen lässt und sie dann keine Schule finden, obwohl man ihnen ja auch eine Schule zuweisen könnte. Das ist alles sehr zermürbend und tatsächlich studieren dann immer weniger Frauen mit Kopftuch auf Lehramt, weil nicht nur die Berufsaussichten schlecht sind, sondern auch der Weg dahin recht steinig.

 

IslamiQ: Können Sie Ihren eigenen Werdegang als Lehrerin mit Kopftuch beschreiben? Vor welchen Herausforderungen standen und stehen Sie im Hinblick auf die Ausübung Ihres erlernten Berufes? Was können Sie aus Ihrer persönlichen Erfahrung berichten?

Annett Abdel-Rahman:Ich habe mein Referendariat im November 2001 begonnen, 6 Wochen nach dem 11. September. An der Schule, an der ich zugelassen wurde, gab es als „Begrüßung“ eine Unterschriftensammlung seitens der Lehrer, um mich zu zwingen, das Tuch abzulegen. Als ich zum ersten Mal das Lehrerzimmer betrat, sind einige Lehrerinnen aufgestanden und haben demonstrativ den Raum verlassen. Dann gab es viele Diskussionen, in denen mir auf den Kopf zugesagt wurde, dass ich nach draußen auf den Markt gehen soll, zu den Gemüsefrauen, denn da würde ich hingehören, nicht aber zu den Lehrern. Das war sehr verletzend, man hätte ja auch sachlich mit mir reden können, das haben aber viele über die gesamte Zeit des Referendariats nicht geschafft. Es gab sogar einen Lehrer, der meinen Unterricht mutwillig gestört hat, aber da haben die Schüler – Gott sei Dank! – nicht mitgemacht und mich unterstützt. Ich hatte aber ein sehr gutes Studienseminar und motivierende Mentoren. Genauso haben mich mein Mann und enge Freunde immer wieder ermutigt, durchzuhalten. Es gibt einen wunderbaren Vers im Koran, der mich in dieser Zeit sehr begleitet hat: „Und wahrlich, mit dem Schweren kommt die Erleichterung. Wahrlich, mit dem Schweren kommt die Erleichterung. Und wenn du etwas zu Ende geführt hast, dann bemühe dich eifrig weiter, …“ (94:5-7)

Eine Herausforderung war es tatsächlich, trotz des Verbots immer in der Praxis zu bleiben. Ich wollte ja unterrichten und mit Kindern arbeiten, das war schon immer mein Traum. Daher bin ich dann für 2 Jahre an eine Schule nach Kairo gegangen. Das war eine wunderbare Sache, weil ich dort als Lehrerin gearbeitet habe und meine Arbeit nicht mehr vom Tuch geprägt war. Es hat mir sehr geholfen, mich als Pädagogin zu profilieren.

Zurück in Deutschland habe ich versucht, Nischen zu finden. Ich habe Integrationskurse gegeben, Deutschkurse für Frauen und ich habe z.B. einige Zeit als Förderlehrerin im Jugendmigrationsdienst gearbeitet. Mein damaliger Arbeitgeber, die AWO, hatte kein Problem mit dem Tuch und somit habe ich in einer Schule Deutsch-Förderkurse gegeben, mit Tuch.

Die Einrichtung des Studienganges für islamische Religionspädagogik war genau das Richtige für mich, deshalb hatte ich sofort das Studium aufgenommen und abgeschlossen. Parallel dazu habe ich mich ehrenamtlich in der Schura von Anfang an dafür eingesetzt, dass wir Islamunterricht an öffentlichen Schulen einführen. Das hat also gut gepasst.

Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich berichten, dass es wichtig ist, sich fachlich immer weiter zu qualifizieren. Wenn man sich auf das Abstellgleis schieben lässt, wird es immer schwieriger, bei dem Beruf zu bleiben. Das ist nicht leicht, aber es gibt kleine Nischen, die man entdecken kann. So denke ich, wird auch in Zukunft die Frage nach einer veränderten, professionalisierten Moscheepädagogik immer gewichtiger. Dort könnte man sich einbringen.

Ich habe jetzt die wunderbare Situation, an der Drei-Religionen-Schule in Osnabrück arbeiten zu können und auch an der Uni Osnabrück in die Lehrerausbildung eingebunden zu sein. Meine Identität muss ich also nicht verbiegen, um meinen Beruf ausüben zu können. Beides wäre nicht möglich ohne Menschen, die mich dabei unterstützt haben. Das wünsche ich von Herzen auch den anderen Frauen, die noch auf dem Weg sind, denn trotzdem ist dies eine Ausnahmesituation und es gibt noch viel zu tun, um es Normalität werden zu lassen, das Frauen mit Kopftuch unterrichten können.

 

IslamiQ: Welche Ihnen bekannten Maßnahmen werden von Seiten der Muslime ergriffen um das Kopftuchverbot abzuschaffen? Und wie schätzen sie die Erfolgschancen ein? Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung dieser Debatte in Deutschland ein?

Annett Abdel-Rahman:Das ist gar nicht so leicht zu sagen, da ich die Erfahrung gemacht habe, wie in vielen anderen Dingen, dass es auch oft auf die Menschen persönlich ankommt, die Entscheidungsträger sind, Gesetze hin oder her. Es gab zweimal in der ZEIT einen Artikel über mich im Bezug auf das Kopftuch. Beim zweiten Mal waren die Reaktionen wesentlich positiver und zustimmender, als beim ersten Mal, auch seitens vieler nichtmuslimischer Gesprächspartner. Das hat mich sehr überrascht, aber meine Wahrnehmung bestätigt, dass die Fronten nicht mehr ganz so verhärtet sind. Immer mehr Menschen, auch Entscheidungsträger auf politischer oder gesellschaftlicher Ebene, signalisieren in persönlichen Gesprächen, dass man diese Barrieren abschaffen muss. Es ist aber etwas anderes, sich dafür dann öffentlich politisch auch auszusprechen. Wir haben ja mit Wulff gesehen, wie die Reaktion dann sein kann. Das Aktionsbündnis muslimischer Frauen (AmF) versucht z.B. auf seiner Webseite kompetent zu informieren, junge Lehrerinnen zu unterstützen und auch juristisch zu begleiten. Es nimmt an Gesprächen mit Politikerinnen teil, um darauf aufmerksam zu machen. Dann hat sich kürzlich des Netzwerk NeLe gegründet, in dem sich kopftuchtragende Lehrerinnen zusammentun, um sich zu beraten, zu unterstützen und auch diesen Frauen eine Stimme zu geben. Und es gibt ja das sehr erfolgreiche Begegnungs-und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen (BFmF) in Köln. Muslimische Frauen sind also immer präsenter, auch in ihrer Kompetenz. Auch wir in der Schura-Niedersachsen thematisieren das Kopftuch in den Staatsvertragsgesprächen mit dem Land. Ohne eine Perspektive diesbezüglich wird es den Staatsvertrag nicht geben. Das sind schon andere Bemühungen, als noch vor Jahren.

Es gibt aber noch einen Aspekt, der mir auch wichtig erscheint und das ist unsere muslimische Gemeinschaft generell, damit meine ich nicht nur die Verbände. Hier würde ich mir viel mehr Unterstützung wünschen. Wenn immer nur wir betroffenen Frauen darüber reden, geraten wir schnell in die Opferrolle und haben die Position der Betroffenen inne, das schwächt aber die Debatte. Es sollte doch Anliegen aller in der muslimischen Gemeinschaft sein, Frauen in ihrem Recht auf Selbstbestimmung zu unterstützen, oder? In der letzten Zeit hat sich z.B. auch mal der eine oder andere Professor unserer Lehrstühle für Theologie dazu geäußert und deutlich auf die Diskriminierung von Lehrerinnen mit Kopftuch verwiesen, das verleiht nicht nur unserer Forderung Gewicht, sondern es unterstützt auch seelisch mental.

 

IslamiQ: Was würden Sie jungen Abiturientinnen mit Kopftuch, die ein Lehramtsstudium beginnen möchten, empfehlen?

Annett Abdel-Rahman:Wenn jemand wirklich unterrichten und mit Kindern arbeiten möchte, dann sollte sie auch wirklich alles daran setzen, dies zu verwirklichen – und dabei auch auf Gott vertrauen, dass er Türen öffnet. Um nicht in einer Sackgasse zu enden, wäre es sicherlich geschickt, das Studium so aufzunehmen, dass man am Ende eine breitere Palette an Möglichkeiten im Berufsleben hat. Wir brauchen dringend Religionslehrer, vielleicht könnte das ja ein interessantes Profil sein und vielleicht gelingt auch darüber der Einstieg in die Schule, oder man kann auch sozialpädagogische Profile dazu nehmen. Egal wie schwierig es ist, sein Studium sollte man auf jeden Fall beenden! Auch in ehrenamtlichen oder nebenberuflichen Bereichen kann man viele Erfahrungen sammeln, die die eigene Qualifikation stärken und schärfen.

Ansonsten würde ich versuchen, mich gut zu vernetzen, z.B. mit dem AmF und NeLe , um juristisch und auch seelisch Beistand zu haben, wenn es in Studiensituationen schwieriger wird.  Wenn man Ansprechpartner hat, fällt es leichter, wieder Mut für neue Schritte zu sammeln. Ich möchte jede Frau ermutigen, den Beruf auszuwählen, der ihren Kompetenzen und Fähigkeiten entspricht und ich stehe gern zur Verfügung, wenn ich jemanden dabei unterstützen kann! (ms)

Leserkommentare

Anni sagt:
Hoffentlich NICHT, sonst kommt noch jemand auf dei Idee, dass der Islam zu Deutschland gehört.
12.08.14
12:21
Christa sagt:
Hoffentlich DOCH, denn der Islam ist längst ein Teil Deutschlands geworden. Das sollte in allen Bereichen des Lebens auch sichtbar werden und sein.
14.08.14
23:40