Interview

„Halal-Produkte sind qualitativ hochwertiger“

Thomas Stürznickel ist Bäcker- und Konditormeister und lehrt an einem Berufskolleg. Seine Schüler unterrichtet er, wie Essen bewusst Halal produziert wird. Vor allem die Tatsache, dass er gläubiger Christ ist, führte ihn zu seiner einmaligen Lehrmethode.

25
07
2015

IslamiQ: Herr Stürznickel könnten Sie sich bitte kurz vorstellen?

Thomas Stürznickel: Natürlich! Ich bin 51 Jahre alt, verheiratet und habe zwei Kinder. Ich bin Bäcker und Konditormeister und arbeite seit 15 Jahren an dem Adolph Kolping Berufskolleg in Münster, wo ich Schülerinnen und Schülern mein Handwerk nahe bringe.

IslamiQ: Als Lehrer haben Sie einen Bildungsauftrag. Welche Inhalte sind Ihnen hierbei besonders wichtig?

Stürznickel: Wir haben eine Berufsgrundschule für angehende SchülerInnen, die kein Arbeitsverhältnis haben und orientierungslos sind. Für sie bieten wir einen Kurs an, unter dem Motto: „Kochen und Backen ist gar nicht so schwer“. Hier gilt die Maßgabe, dass alle Produkte gemäß den Halal-Richtlinien hergestellt werden.

IslamiQ: Inwiefern bringen Sie ihren Schülern islamkonformes Backen und Kochen bei? Wie können wir uns das in der Praxis vorstellen?

Stürznickel: Das kann ich am besten anhand der Ergebnisse eines Versuchs, der zunächst einmalig bleiben sollte, darstellen. In den Backkursen damals nahmen 2-3 Muslime teil. Die restlichen Teilnehmer waren christliche und atheistische Jugendliche. Auch in diesem Kurs war die Maßgabe alles was sie dort herstellten, halal zu produzieren. Das hieß in der Praxis, alles umzustellen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie überhaupt halal produziert wird.

Da hatte sich innerhalb kürzester Zeit eine Dynamik in der Klasse entwickelt, sodass ich es irgendwann nicht mal mehr erwähnen musste. Die Teilnehmer haben von sich aus darauf geachtet. Ich habe gemerkt, dass die christlichen Schüler das sehr interessant fanden und dabei auch festgestellt haben, dass der Anspruch hinsichtlich der Qualität an Lebensmitteln im islamischen Glauben viel stärker ausgeprägt ist, als im christlichen Glauben und das haben die Schüler gerne übernommen.

Natürlich gab es auch skurrile Situationen, zum Beispiel als wir mit Pinseln das Backwerk abgestrichen haben, und plötzlich eine hitzige Diskussion darüber geführt wurde, dass die Pinsel aus Schweineborsten hergestellt wurden. Danach sind wir auf Kunststoffpinsel umgestiegen. Die muslimischen Schüler sagten zu mir, dass nicht mal Muslime auf solche Feinheiten achten würden.

IslamiQ: Bedeutet es, dass das Essen, das nach Halal-Richtlinien hergestellt wird, automatisch qualitativ hochwertiger ist?

Stürznickel: Ich glaube Ja! Das Thema Fleisch lasse ich erst mal außen vor, denn der Unterschied liegt ja vor allem im Schächten. Ansonsten haben wir in unserer Schule ein ganz intensives Nachhaltigkeitskonzept: wir versuchen ganzheitlich zu unterrichten. Ich bin selbst Mitglied bei Euro Tok, einer Organisation von Köchen für die bestimmte Zutaten und Mischungen in Speisen nicht in Frage kommen. Dazu gehören beispielsweise alle Produkte, die ein unglaublich langes E-Nummern Verzeichnis haben. Und wenn man das überprüft, erkennt man, dass ganz viele E-Nummern für die Produktion im Halal-Bereich vollkommen ungeeignet sind. Deshalb sind Helal-Produkte auch gleichzeitig qualitativ hochwertiger. Da ich also schon seit vielen Jahren auf die Reinheit der Produkte achte, war der Wechsel zur Halal-Produktion, für mich ein passendes Konzept

IslamiQ: Also war es anfangs eine pragmatische Entscheidung?

Stürznickel: Nicht ganz, denn ich kann von Glück reden, dass ich aufgrund enger Bekanntschaften zu muslimischen Freunden, die mir den Geist dafür geöffnet haben, was der Islam tatsächlich impliziert, eine sehr positive Haltung gegenüber dem Islam habe. Das widerspricht häufig dem, was hier im Westen über Muslime und ihren Glauben verbreitet wird.

Ich selbst bin praktizierender Christ und gehöre dem erweiterten Kirchenvorstand unserer Gemeinde an. Für mich ist ganz klar: ich kann meinen Glauben nur dann vollständig ausleben, wenn andere Glaubensrichtungen mich akzeptieren und tolerieren. Deshalb habe ich auch die christliche Verpflichtung, anderen Glaubensgemeinschaften mit derselben Achtung zu begegnen.

IslamiQ: Ihr christlicher Glaube ist also das entscheidende Motiv für ihre Achtsamkeit was Halal-Essen anbelangt?

Stürznickel: Ja, ganz klar. Ein muslimischer Freund hat mir mal etwas gesagt, was für mich bis heute prägend ist. Er sagte, er könne Jesus nie ablehnen, weil er auch im Islam ein Prophet sei. „Lehne ich ihn ab, lehne ich den Islam ab“, das waren seine genauen Worte. Das wusste ich alles vorher nicht. Und auch das gehört zu den Leitgedanken unseres Unterrichts. In Deutschland gilt die Religionsfreiheit, d.h. konkret bei uns dürfen die Kinder ab 16 Jahren den Religionsunterricht auch abwählen.

IslamiQ: Der NRW-Landtag hat dieses Jahr im Ramadan zu einem gemeinsamen Fastenbrechen eingeladen. Es nahmen viele Muslime und Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften teil. Die meisten Gäste konnten jedoch das Fleisch nicht essen, weil es nicht den islamischen Halal-Richtlinien entsprach. Wie würden Sie diesen Fauxpas des Landtags bewerten?

Stürznickel: Das ist einfach nur Unkenntnis. Auch in unserer Schule ereignete sich eine ähnliche Situation. Das türkische Konsulat befindet sich ganz in der Nähe des Berufskollegs. Einmal luden wir den Konsul in unserer Schule ein und unser Schulleiter schenkte ihm zur Begrüßung eine teure Flasche Rotwein. Da rief ich ihn zur Seite und erklärte ihm, das Geschenk sei nicht angebracht. Er schaute mich ganz verdutzt an und sagte, dass es doch ein guter Wein wäre (lacht). Er hatte eine gute Absicht, doch leider kein Wissen über das Alkoholverbot im Islam. Ich denke solche Beispiele spiegeln die Unkenntnis der Gesellschaft wieder.

IslamiQ: Wie könnte man dieser Unkenntnis entgegenwirken? Schließlich sind Sie ein gutes Beispiele dafür, dass es möglich ist.

Stürznickel: Genau mit dem Konzept, das wir bei uns im Haus realisieren. Wir sind das erste Berufskolleg in Deutschland, das islamkonformes Essen herstellt. Das sollte als Lerneinheit Bestandteil in jeder Koch- und Backausbildung werden. Alles andere würde der multikulturellen und multireligiösen Realität in Deutschland widersprechen.

IslamiQ: Abschließend würden wir noch gerne wissen, wie denn die allgemeine Resonanz auf ihre Achtsamkeit, hinsichtlich der Halal-Produktion, ist?

Stürznickel: Also als wir anfangs festlegten, dass wir bewusst Halal produzieren wollen, haben viele Schüler Angst bekommen. Sie stellten jedoch schnell fest, dass Muslime uns, hinsichtlich der Anforderungen an Gemüse und Anbaubedingungen etc. voraus sind. Insgesamt hat das auch die Klassengemeinschaft gestärkt. Denn der gegenseitige Respekt, der sich in unserem Lehrplan widerspiegelt, wirkt sich auch auf alltägliche Situationen aus. Wenn ich einen muslimischen Schüler sehe, begrüße ich ihn mit „Selamunaleykum“ und er antwortet mir ganz verdutzt „Aleykumselam“. Es war für ihn ungewohnt, dabei fand ich es eigentlich selbstverständlich.

Leserkommentare

Ute Diri-Dost sagt:
Sehr aufschlussreich! Fehlt nur noch ein Artikel über das Schächten!Diese Art von Schlachten ist so,wie sie seit eh und je von den Juden und den ( Ur-) Christen angewandt worden ist,dann von den Muslimen,also konform derselben Regel.Warum regt man sich jetzt erst darüber auf?Das Schächten wird schon seit Jahrhunderten praktiziert,wissenschaftlich erwiesen ist,das durch das Durchschneiden der Halsschlagader des Tieres die Betäubung ersetzt wird und es keinen Schmerz verspürt,es werden auch keine Angsthormone verschüttet und das Fleisch durch das völlige Ausbluten bekömmlicher und werniger verderblich,das sind erwiesene Tatsachen,die man sich doch zu Bewusstsein bringen sollte.
25.07.15
19:20
canan belen sagt:
Ich finde auch das Schähcten ein viel größeres Problem ist. Schließlich dürfen juden das auch machen. Warum wir Muslime nicht. ? Wir kaufen. Unser Fleisch nur bei einer Schlachterei, der die Tiere nur nach islamischen Regeln schlächtet.
29.07.15
15:39
Reinhard sagt:
Ist denn das Schächten Muslimen in Deutschland noch immer verboten? Ich dachte, das hätte sich inzwischen geändert, zumal es Juden meines Wissens erlaubt ist. Allerdings könnten Muslime im Fall des Verbots auch auf koscheres Fleisch zurückgreifen. Oder nicht?
31.07.15
13:43
NoReligion sagt:
"das durch das Durchschneiden der Halsschlagader des Tieres die Betäubung ersetzt wird und es keinen Schmerz verspürt-" was das denn für ein Unfug. Schächten ist wider unsere Tierschutzgesetzgebung und muß verboten bleiben.
17.08.15
18:30
Ute Diri-Dost sagt:
Wenn manches in der Gesetzgebung Unfug ist und den wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht,so muss man das anprangern.(Jahrhundertelang ist diese Methode in Europa angewendet worden).Zweitens sollten sich die besorgten Tierschützer mal lieber auf den Schlachthöfen und in der Massentierhaltung umsehen,überzüchtigte Toere-keine Artgerechte Haltung-Auschüttung von Stress -und Angsthormonen bei der Schlachtung führt zu Krankheiten,Allergien wie Lactoseintoleranz,Fettleibigkeit ,Arthrose und Diabetis durch Medikamentenverabreichung bei der Tierhaltung,Immunschwäche.Das alles ist gewollt und für gewisse Leite von Vorteil. Bitte dringendes sich erstmal eingehend über diese Materie zu informieren und sich dann ein Urteil bilden!
17.08.15
21:27
NoReligion sagt:
Schächten bezieht sich doch auf die Tötung, nicht auf die Haltung. Und Tieren professionell die Hasschlagader zügig durchtrennen, OK das ist schonend. Aber beim massenhaften Schächten herrschen grausame Bedingungen, grausamer als bei der haram Tötungsmethode der Ungläubigen. "Auschüttung von Stress -und Angsthormonen bei der Schlachtung führt zu Krankheiten,Allergien wie Lactoseintoleranz,Fettleibigkeit ,Arthrose und Diabetis durch Medikamentenverabreichung bei der Tierhaltung,Immunschwäche." das gilt doch gerade für die langsam elendig verbluteneden und Blut aspirierenden Tiere (die ihre Artgenossen minutenlang im Streben schreien hören). Ich kann in der Schächtung von Tieren und Menschen absolut keinen Vorteil für die Opfer sehen. Eventuell für die Ausführenden. In Einem sind wir uns vielleicht einig: je weniger Fleisch wir verzehren, desto besser.
26.08.15
21:57
Hamburger Jung sagt:
Wenn man in eine Schlachterei geht und die beide Arten der Schlachtung anschaut, wird man feststellen, dass die Tiere bis zur Betäubung genauso leiden, wie bis zum Einsatz des Messers ohne Betäubung. Dann liegt es nahe, die Betäubung zu sparen (nicht im wirtschaftlichem Sinne). Aber die Betonung des Artikels liegt vielmehr darin, dass die Beachtung der Halal-Regeln zu einem stärkeren Bewusstsein im Konsumverhalten verhelfen.
27.08.15
17:56