Schweizer Islambericht

Probleme mit Muslimen werden überbewertet

Geht von Muslimen eine Gefahr für die schweizerische Gesellschaft aus? Nach dem Minarettverbot aus dem Jahr 2009 beschäftigte diese Frage immer wieder Politik und Bevölkerung. Jetzt stellt ein Bericht des Schweizer Bundesrats klar, dass man Muslime grundsätzlich nicht fürchten muss. Dafür werden Medien kritisiert, weil sie seit Jahren einen „Islamisierung“ der Islamdebatte vorantreiben sollen.

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05
2013
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Nach dem Volksentscheid im Jahr 2009, mit der in der Schweiz der Bau von neuen Minaretten untersagt wurde, gab es internationale Kritik. Gerade einmal drei Minarette im Land waren vorhanden und dennoch entschieden sich die Eidgenossen für das Verbot.

Als Grund wurde in Analysen damals immer wieder angeführt, dass die Schweizer vor Muslimen Angst haben. Es wurde behauptet, die Muslime würden die Schweiz gefährden (Islamisierung) und seien nicht bereit sich zu integrieren. Vor allem der Überfremdungsgedanke war einer der Gründe für die Zustimmung zum Minarettverbot.

Einige Politiker wollten es aber genau wissen. Im Anschluss an den Volksentscheid reichten drei Abgeordnete unterschiedliche Postulate (Anträge) beim Bundesrat ein. Die Intentionen der Abgeordneten waren unterschiedlich, aber alle waren sich darin einig endlich zu erfahren, was die Muslime eigentlich denken und wie es um ihren Zustand bestellt ist.

Keine Probleme mit Islam und Muslimen in der Schweiz

Der Bundesrat versprach eine Studie anzufertigen und nun liegen die Ergebnisse vor – und sie überraschen.

Auf mehr als 100 Seiten kommt der Bericht zu dem Ergebnis, dass es mit dem Islam und den Muslimen in der Schweiz keine Probleme gibt. Dafür gibt es ein Problem mit der „Islamisierung“ der öffentlichen Debatte um den Islam.

Der Bericht hebt gleich zu Anfang hervor, dass die muslimischen Gemeinschaften in der Schweiz äußerst heterogen sind.

Kaum vernetzt, kaum organisiert

Es leben nach bisher vorliegenden Studien zwischen 350.000 – 400.000 Muslime in der Schweiz. Die meisten von ihnen stammen aus dem Balkan oder der Türkei. Sie sind untereinander kaum vernetzt und kaum organisiert. Rund ein Drittel aller Muslime sind eingebürgert.

Viele leben in der zweiten und dritten Generation in der Schweiz. Nur zwölf bis fünfzehn Prozent praktizieren ihren Glauben, indem sie beispielsweise regelmäßig eine Moschee besuchen. Insgesamt pflegen die in der Schweiz lebenden Muslime kein innigeres Verhältnis zur Religion als Nichtmuslime, heißt es im Bericht.

Es gibt nach internen Hochrechnungen ca. 50.000 Muslime, die ihren Glauben tatsächlich praktizieren. Von diesen Muslimen gehört wiederum nur die Hälfte einer muslimischen Organisation an. Die andere Hälfte praktiziert ihre Religion ausschließlich im privaten Rahmen.

Muslime sind integriert

Die überwiegende Mehrheit der Muslime ist laut Bericht vorbehaltlos integriert. Der politische Islam oder gewaltbereite Muslime sind Randphänomene geblieben.

Weit und breit gibt es laut Bericht keine Parallelgesellschaften und keine Tendenzen, die auf eine Islamisierung der Gesellschaft hinweisen. Wenn, dann gibt es nur einzelne sektiererische „salafistische“ Gruppierungen, auf die man diese Themen beschränken kann.

Der Bericht zeigt auf, dass gravierende Probleme oder Differenzen religiöser Natur nur in Ausnahmefällen vorkommen und meist an eine Person gekoppelt sind. Gleichwohl fühlen sich gemäß dem Bericht Menschen islamischer Religionszugehörigkeit oft in doppelter Weise als „Ausländer“ und „Muslim“ diskriminiert.

Muslime sind jung

Wichtig ist, dass die Muslime in der Schweiz relativ jung sind – 72 % der Muslime sind unter 45 Jahre alt. Wesentlich für den Bundesrat ist, dass diese Menschen in der Schweiz verwurzelt sind und sie in aller Regel in der Schweiz aufgewachsen und schweizerische Schulen besucht haben.

Es gibt in der Schweiz keine genauen Zahlen über die islamischen Gebets- und Kulturhäuser. Man geht durch interne Hochrechnungen von rund 350 lokalen islamischen Gebetshäusern, Kulturhäusern und Treffpunkten aus.

„Generell tragen Pragmatismus und Dialog zu einer allseits gütlichen Lösung bei“, hält der Bundesrat fest. Verbote und starre Richtlinien würden als wenig konstruktiv erachtet. Die Erfahrung zeige zudem, dass Interessenskonflikte häufig nur bedingt oder gar nicht mit der religiösen Zugehörigkeit in Verbindung stünden, sondern mit dem kulturellen Hintergrund. Deshalb wird ein generelles Verhüllungsverbot abgelehnt. Auch beim seit dem letzten Jahrhundert bestehenden Schächtverbot wird eine Ausnahme für die Muslime gemacht, ebenso wie für Juden. Geschächtetes Fleisch wird vor allem aus Frankreich importiert, um den religiösen Bedarf der Muslime zu decken.

Islam wird als Projektionsfläche für Ängste genutzt

Die Autoren halten zudem fest, der Islam diene im öffentlichen Diskurs „als Projektionsfläche für Ängste um den Verlust der nationalen, kulturellen oder auch religiösen Identität, die in Zeiten der Globalisierung und einer zunehmenden Pluralisierung der westlichen Gesellschaften als bedroht wahrgenommen wird.“

Kritik gibt es auch an den Medien und der Politik. Diese würden oft ein anderes Bild von Muslimen präsentieren, das zu den Ergebnissen des Berichts im Widerspruch steht.

Es gibt laut Bundesrat eine undifferenzierte und oft verletzende negative Haltung gegenüber dem Islam. Vor allem die Medien berichteten seit den Anschlägen vom 11. September negativ konnotiert.

Religiöse Themen werden mit kriminellen Themen verknüpft

Neuere Studien zeigen, dass es eine unzulässige Verknüpfung von religiösen Themen mit kriminellen Themen gibt. Es findet eine Islamisierung der öffentlichen Debatte statt – vor allem auf integrations- und migrationspolitischer Ebene. Die Religionszugehörigkeit wird bei Ausländern übermäßig stark in den Vordergrund gerückt. Dadurch kann es laut Bundesrat auch zu einer Marginalisierung der Muslime in der Schweiz kommen. Der unzulässige Generalverdacht gegenüber allen Muslimen werde so genährt und habe auch desintegrative Wirkungen.

Der Bundesrat nennt als Beispiele solche Themen wie Genitalverstümmelung und Zwangsheirat, die primär nichts mit dem Islam zu tun haben, aber immer wieder in den Kontext des religiösen gerückt werden.

Auch ein angebliches Gewaltpotenzial des Islam wird vom Bundesrat infrage gestellt. Der Bundesrat stellt zwar fest, dass es im Strafvollzug viele Ausländer und Personen mit Migrationshintergrund gibt, die meisten dieser Personen sind jedoch keine Muslime, sondern Christen. Allein deshalb ist die Verknüpfung von Religion und Straftaten mehr als fragwürdig.

Muslime werden doppelt diskriminiert

Gleichwohl fühlten sich gemäß dem Bericht Menschen islamischer Religionszugehörigkeit oft in doppelter Weise als „Ausländer“ und „Muslim“ diskriminiert.

Der Schweizer Bundesrat hält es jedoch nicht für nötig, die Integration von Muslimen mit speziellen Maßnahmen zu fördern. Die bestehenden Angebote würden ausreichen. Es sei eher wichtig die bestehenden Gesetze zum Schutz der muslimischen Minderheiten besser anzuwenden und voll auszureizen, um auf die kleineren Probleme eingehen zu können.

Der Bundesrat stellt fest: „Die meisten Muslime sind Teil der Schweizer Gesellschaft. Ihre Religionszugehörigkeit stellt im Alltag kein Problem dar und führt nur selten zu Konflikten.“