









Es war das größte Kriegsverbrechen auf europäischem Boden seit 1945. Der Genozid von Srebrenica an mehr als 8.000 bosnischen Muslimen belastet bis heute die politische Kultur auf dem Balkan. Doch das Gedenken lebt.
Der Kriegsverbrecher gibt sich väterlich an diesem heißen Julitag 1995, im vierten Jahr des Bosnienkriegs: „Habt keine Angst, niemand wird euch etwas antun“, beschwichtigt der bosnisch-serbische General Ratko Mladić eine Gruppe muslimischer Bosniaken, Frauen, Männer und Kinder. Ihre Gesichter spiegeln Angst, Hoffnung, Ungewissheit. Busse seien unterwegs, um die Menschen aus der Gegend von Srebrenica auf bosnisches Gebiet zu bringen, verspricht Mladić vor laufender Kamera.
In Wahrheit gibt er beim Einmarsch in Srebrenica vor seinen Soldaten eine andere Parole aus, wie ein zweites Filmdokument beweist. Der tief in der Geschichte wurzelnde Hass des orthodoxen Serben auf bosnische Muslime entlädt sich in einem Satz: „Die Zeit ist gekommen, an den Türken dieser Region Rache zu nehmen“.
Beide Auftritte Mladić laufen in Endlosschleife auf einem Videomonitor in der Galerija 11/07/95 in Sarajevo. Sie ist Museum und Gedenkstätte zugleich für das schlimmste Massenverbrechen in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Unter den Augen niederländischer UNO-Soldaten zogen Mladićs Truppen am 11. Juli 1995 bei Srebrenica Tausende aus dem Flüchtlingsstrom heraus, vor allem Männer. Sie trieben sie zusammen und erschossen sie in den nächsten Tagen systematisch an Orten rund um die kleine Stadt in Ostbosnien. Anschließend verscharrten sie die Ermordeten. Die Zahl der bestätigten Todesopfer liegt heute bei 8.372. Viele wurden immer noch nicht gefunden.
Mit 100.000 Toten war der Bosniengenozid 1992 bis 1996 der blutigste unter den jugoslawischen Zerfallskriegen. Während das Teilgebiet der Republika Srpska unter Präsident Radovan Karadžić den Anschluss an das serbische Mutterland anstrebte, wurden die Bosniaken von serbischen Nationalisten systematisch verfolgt und ermordet. Beide Volksgruppen bildeten jeweils mehr als 30 Prozent der Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas. In Titos Jugoslawien hatte man oft Haus an Haus zusammengelebt, nun wütete der serbische Nationalismus.
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag bezeichnete das Grauen von Srebrenica 2007 als Völkermord. Die Haupttäter Mladić und Karadžić erhielten vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal lebenslange Haftstrafen, etliche weitere wurden von verschiedenen Gerichten verurteilt. Auch in Serbien, das den Vorwurf des Genozids aber nicht anerkennt.
Das gilt erst recht für den heutigen Präsidenten der Republika Srpska, seit dem fragilen Abkommen von Dayton eine der beiden Entitäten Bosnien-Herzegowinas. Der Nationalist Milorad Dodik spricht von einem „Lügen-Mythos“ und droht derzeit wieder mit der Abspaltung aus dem Staatsverband. „Wir leben immer noch in der letzten Phase eines Völkermords: seiner Leugnung“, sagt Samarah.
Das katholische Osteuropahilfswerk Renovabis hat zum 30. Jahrestag des Genozids von Srebrenica vor einer Umdeutung der Geschichte gewarnt. Die Tötung von 8.300 bosniakischen Männern und Jungen sei ein Völkermord gewesen, bekräftigte Renovabis-Chef Thomas Schwartz in Freising. „Die Leugnung des Genozids ist eine Beleidigung der Opfer. Sie verhindert jede Versöhnung und jedes friedliche Miteinander.“
Zudem müssen laut Schwartz zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützt werden, um Erinnerung und Aufarbeitung zu fördern. Viele von ihnen stünden aber wegen gestrichener US-Hilfen vor dem Aus. Es gelte, in Bildungsprogrammen die historische Wahrheit zu vermitteln und Versöhnung zu ermöglichen.
Als wichtiges Signal würdigte der Renovabis-Chef die Entscheidung der Vereinten Nationen, den 11. Juli zum internationalen Gedenktag an den Völkermord von Srebrenica zu erklären. „Srebrencia darf nie wider geschehen – und nie vergessen werden.“ Nur wer erinnere, verhindere Wiederholung. Nur wer Wunden anerkenne, könne sie heilen. Nur gemeinsames Handeln verwandele Schmerz in Versöhnung und Erinnerung in Frieden. (KNA/iQ)