Religionen

Schriftsteller beklagt „Verschwinden von Religion“ in der Gesellschaft

Der Kölner Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani beklagt ein zunehmendes Verschwinden von Religion in der Gesellschaft.

09
10
2022
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Navid Kermani
Navid Kermani

Der Kölner Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani sieht ein zunehmendes Verschwinden von Religion in der Gesellschaft. Dies bringe „gewaltige Verluste und Gefahren“ mit sich, sagte der deutsch-iranische Autor in einem Interview der Zeitschrift „Publik-Forum“ (Freitag). Kulturelles Wissen gehe damit verloren. „Unsere Kulturen sind zutiefst geprägt und durchdrungen von religiösen Motiven und Haltungen“, betonte er. „Zum Selbstbewusstsein gehört es, einen Zugang zu diesen Ursprüngen zu haben.“

Auch die religiösen Institutionen seien in einer Krise. Die katholische Kirche werde sich nicht so bald von den Folgen des Missbrauchsskandals erholen. „Von außen stellt sich tatsächlich die Frage, ob nicht alle Kardinäle und Bischöfe abtreten müssten, unabhängig von ihrer persönlichen Verantwortung, damit die Kirche als Ganzes wieder Boden unter den Füßen bekommt“, sagte Kermani. Die aktuell handelnden Personen hätten womöglich keine Chance, „selbst wo sie individuell keine Schuld treffen sollte und sie ehrlich um Aufklärung bemüht sind“.

Die deutsche Kultur sieht Kermani in Bezug auf einen Verlust kulturellen Wissens besonders gefährdet, „weil sie noch sehr viel stärker von metaphysischen Fragen und biblischen Motiven geprägt ist als beispielsweise die Literatur im angelsächsischen oder französischen Raum“. Wenn der Zugang zu Religion verloren gehe, gehe auch „der Zugang zu Hölderlin, Goethe, Schubert, Beethoven, Gryphius und zur Bibel“ verloren, sagte Kermani, der 2015 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt wurde.

Großartige Moscheen werden für Touristen gepflegt – die Kaaba wird von riesiger Shopping Mall überragt

Er habe oft beobachtet, dass jene Gesellschaften am ehesten zu Fundamentalismus, Nationalismus und Rassismus neigten, „die sich ihrer selbst nicht bewusst sind“. Dabei meine er Selbstbewusstsein in einem doppelten Sinne: „das Stehen zu sich selbst und die Kenntnis der eigenen Wurzeln“.

Das gelte auch für die arabische Welt. Im Nahen Osten sei die „kulturelle Amnesie“ noch größer als in Europa. Dort seien kaum noch Altstädte oder Museen zu finden. Selbst großartige Moscheen würden oft nur dort gepflegt, wo es Touristen gebe. „Alles Alte wird plattgemacht, selbst die Kaaba wird von einer riesigen Shopping Mall überragt“, so Kermani. (KNA, iQ)