Weltfrauentag

„Das Bild der ‚muslimischen Frau‘ dekonstruieren“

Der 08. März ist internationaler Weltfrauentag. IslamiQ hat diesen Tag zum Anlass genommen, um das Netzwerk muslimischer Aktivistinnen von Nafisa.de vorzustellen. Im Interview erklären sie welche Ziele sie verfolgen und warum der Begriff „Islamischer Feminismus“ eine tiefere inhaltliche Auseinandersetzung braucht.

08
03
2016
Das Nafisa.de Team. © nafisa.de

IslamiQ: Was will das Projekt Nafisa.de?

Nafisa.de: Nafisa.de ist ein Projekt, das aufklären, empowern und inspirieren will und in zwei Richtungen arbeitet: Wir dekonstruieren Bilder von „der muslimischen Frau“ in der Mehrheitsgesellschaft, aber auch in der muslimischem Community – denn auch hier gibt es stereotype Vorstellungen davon, was es heißt, eine muslimische Frau zu sein. Wir bleiben aber nicht bei der Dekonstruktion stehen, sondern arbeiten aktiv an der Rekonstruktion der vielfältigen Lebenswelten und Biografien muslimischer Frauen, indem wir historische wie zeitgenössische muslimische Frauen vorstellen, die in ihrem Leben verschiedene Rollen vereinen und aktiv in die Gesellschaft wirken. Dazu recherchieren wir, schreiben Texte, führen Interviews, halten Vorträge, machen Filme und kommentieren aktuelle Ereignisse und Entwicklungen.

IslamiQ: Wie kam es zu nafisa.de? Wer hat die Gründung initiiert?

Nafisa.de: Die Webseite www.nafisa.de wurde 2008 von Kathrin Klausing, Nina Mühe und Silvia Horsch begründet. Wir wollten damals in die medialen Diskussionen über muslimische Frauen eine eigene Stimme einbringen. Seit Ende 2009 war die Seite aber sehr inaktiv. 2015 haben wir das Projekt wiederbelebt, weil uns die Dringlichkeit unseres Ansatzes erneut bewusst geworden ist. Die Diskussionen über muslimische Frauen sind weder in der Mehrheitsgesellschaft, noch in der muslimischen Community weniger geworden – im Gegenteil. Daraufhin haben wir eine FB-Seite und einen YouTube-Kanal eingerichtet und unser Team erweitert: Melahat Kisi, Assia El-Mahmoud und Canan Bayram sind dazugekommen. Mittlerweile erhalten wir so viele Anfragen, dass das Team eigentlich wieder zu klein ist.

IslamiQ: Mit den Hashtagaktionen #muslimischeFrauenmachenSachen und #vergesseneHeldinnen wollen Sie das Engagement muslimischer Frauen hervorheben. Wie ist die Resonanz auf die Hashtagaktionen?

Nafisa.de: Bei #vergesseneHeldinnen geht es um die Geschichte muslimischer Frauen. Wir haben häufig ein bestimmtes Bild der Frau im Islam, das mit der Realität wenig zu tun hat. Es gibt z.B. immer noch die verbreitete Meinung, dass Frauen keine Führungspositionen übernehmen dürften – aber wer kennt Shifa und Samra, die vom Kalifen Umar als Marktaufseherinnen in Mekka und Medina eingesetzt wurden? Wer kennt die zahlreichen weiblichen Gelehrten und Herrscherinnen der islamischen Geschichte? Wenn wir heute nach starken Frauenfiguren der islamischen Geschichte suchen, denken wir „nur“ an Aischa und Khadidscha, Allah möge mit beiden zufrieden sein – aber selbst sie kennen wir nicht in ihrer ganzen Vielschichtigkeit. Wir wollen dieses vergessene Erbe wieder bekannt machen und damit zeigen, dass muslimische Frauen viele verschiedene Rollen ausfüllen können und nicht auf ihre Rolle als Mutter und Hausfrau beschränkt sind.

Bei #muslimischeFrauenmachenSachen geht es um die Gegenwart, denn tolle muslimische Frauen gibt es auch heute: Wir stellen Frauen vor, die sich in die Gesellschaft einbringen und die ihre von Allah gegebenen Talente entwickeln und sich engagieren. Auf diese Weise wollen wir positive Rollenvorbilder aufzeigen.

Die Resonanz ist eigentlich durchweg positiv, auf FB werden die Beiträge oft geteilt und wir erhalten auch viele persönliche Nachrichten, in denen Frauen, aber auch Männer sich für unsere Arbeit bedanken. Bei den historischen Frauenfiguren wird vereinzelt skeptisch nachgefragt, ob die Informationen wirklich gesichert sind, aber die Quellen können wir liefern – dafür sind wir auch Wissenschaftlerinnen.

Wir haben auch sensible Themen behandelt, wie z.B. in einem Film über den Raum für Frauen in der Moschee. Aber auch hier waren die Reaktionen überwiegend positiv, und viele waren dankbar, dass wir dieses Thema auf eine respektvolle und konstruktive Weise angesprochen haben. Negative Reaktionen kamen nur aus einer sehr frauenfeindlichen, wohl wahhabitisch geprägten Richtung. Diese Erfahrung hat uns gezeigt, dass wir durchaus in der muslimischen Community heikle Themen diskutieren können.

IslamiQ: Wie fallen die Reaktionen der nicht-muslimischen Community auf Ihr Engagement aus?

Nafisa.de: Es gibt ja nicht „die“ nicht-muslimische Community. Was wir allerdings bemerken, ist ein großes öffentliches Interesse an dem Themenkomplex Gender und Islam. Diese Verknüpfung hat historische Wurzeln, die sich in der europäischen Auseinandersetzung mit dem Islam als Religion und Gesellschaft begründen. Das für uns wohlimmer noch prägendste Zeitalter ist die Kolonialzeit, in der die Verknüpfung „Islam-Frau-Unterdrückung“ als wichtiges Herrschaftsinstrument gegenüber den kolonialisierten Gesellschaften diente.

Auf der anderen Seite steht die authentische, selbstkritische und konstruktive Beschäftigung von Muslimen und Musliminnen mit bestehenden Missständen im religiösen Diskurs und in der religiösen Praxis. Diese Sichtweise hat es bislang nicht in den Mainstream geschafft. Deswegen nehmen wir wahr, dass wir in den vergangenen zehn Jahren von Vertretern der Presse zu Interviews angefragt werden, dass wissenschaftliche und politische Konferenzen sich des Themas annehmen und dann auch uns ansprechen um eine „alternative“ Sichtweise in den Diskurs zu bringen – obwohl wir uns nicht als alternativ begreifen, sondern uns mit unseren Argumentationen auf eine religiöse Tradition berufen.

IslamiQ: Das Netzwerk aktiver muslimischer Frauen wächst stetig an, wie u.a. Bildaktion der Islamischen Hochschulvereinigung Kaiserslautern zeigt. Wie ist die bundesweite Kommunikation zwischen den verschiedenen Organisationen muslimischer Frauen?

Nafisa.de: Es gibt das Aktionsbündnis muslimischer Frauen (AmF) und die Frauenorganisationen der großen Dachverbände, wie der IGMG, VIKZ, IGD und der DITIB. Alle leisten wichtige Arbeit, die große Wertschätzung verdient! Jeder und jede, die behauptet, diese Frauen würden keine Rolle in ihren Gemeinschaften spielen oder gar nicht existieren, hat noch nie miterlebt, wie Frauen in den Moscheen als Religionsgelehrte anderen Frauen zu eigenständigem Wissen und einer positiven Spiritualität verhelfen, Seelsorge betreiben, interreligiösen Dialog voran bringen oder auch die Vertretung nach außen dieser Verbände äußerst kompetent übernehmen. Allerdings ist die Vernetzung unter diesen Organisationen (von lokalen Beispielen und Individuen einmal abgesehen) noch extrem ausbaufähig. Wir von Nafisa sind sehr daran interessiert, die bestehenden Ressourcen unter deutschsprachigen muslimischen Frauen zur effektiveren Nutzung bekannter zu machen und zu fördern. Einen Anfang haben wir z.B. mit einer Liste muslimischer Referentinnen gemacht, um der Ausrede muslimischer Organisatoren von Großveranstaltungen, es gäbe leider nicht genug kompetente Referentinnen, die Grundlage zu entziehen.

IslamiQ: Aktuell wird der Begriff „islamischer Feminismus“ diskutiert. Würden Sie sich als Feministinnen sehen?

Nafisa.de: Einige von uns tun das, andere nicht. Wir stecken selbst noch in der Begriffsdiskussion, die gerade erst angefangen hat. Der Begriff Islamischer Feminismus ist sehr vielschichtig. Entstanden ist er als eine Bezeichnung von nordamerikanischen, nicht-muslimischen Wissenschaftlerinnen für die religiösen Argumentationen iranischer Frauen in der Auseinandersetzung mit einem religiösen Establishment, das auf Grundlage einer modernen religiösen Ideologie Frauen ihrer Rechte beraubt, bspw. dem Recht, im öffentlichen Raum zu agieren. Muslimische Frauen, auch diejenigen, die sich explizit als Frauenrechtlerinnen begreifen, haben diesen Begriff lange Zeit abgelehnt.

Das liegt zum einen daran, dass er nicht selbst gewählt ist, zum anderen aber auch an dem sehr problematischen Verhältnis, dass die dominante Ausprägung des Feminismus zum Islam, muslimischen Männern und auch Frauen hat. Wir sprachen es oben schon an: (neo)-kolonialer Feminismus verwendet die Befreiungsrhetorik zur Beherrschung und Entrechtung muslimischer Frauen (und Männer!). Das hat Ausläufer bis in die heutige Zeit: An Verlautbarungen bestimmter gut vernetzter und einflussreicher feministischer Persönlichkeiten und Organisationen sehen wir deutlich, dass sie den muslimischen Frauen jegliche Fähigkeit zur Selbstbestimmung absprechen. In den letzten Jahren beobachten wir eine stärkere Akzeptanz für den Begriff Islamischer Feminismus unter Musliminnen, aber noch keine tiefere inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Begriff. Da wird schnell jede Art Aktivismus muslimischer Frauen mit „Islamischer Feminismus“ gelabelt. So wird aber oft der Aktivismus und das Engagement muslimischer Frauen für gesellschaftliche Anliegen exotisiert .

Dazu kommt dann noch, dass der Begriff „Feminismus“ bei vielen Muslimen (aber auch Nichtmuslimen) reflexhaft Abwehrreaktionen hervorruft, weil er als eine Art Männerfeindschaft verstanden wird. Wichtiger als der Begriff ist das, was wir wollen: Wir wollen eindimensionale Geschlechterrollenvorstellungen in Frage stellen, die verhindern, dass sich Frauen und Männer in der Gesellschaft, der Gemeinde und der Partnerschaft auf Augenhöhe begegnen. Wir wollen dazu beitragen, dass Missstände, die zuungunsten der Frauen in der Gesellschaft, unseren Gemeinschaften und den Familien bestehen, überwunden werden. Unser Leitmotiv ist ein Vers aus dem Koran: „Die gläubigen Männer und Frauen sind einer des anderen Beschützer.“ (9:71)

IslamiQ: Was raten Sie muslimischen Frauen, die selbst aktiv werden wollen?

Nafisa.de: Muslimische Frauen sollten ihre Talente entdecken und entwickeln. Allah hat jedem Menschen, ob Mann oder Frau, bestimmte Fähigkeiten und Talente gegeben. Sie müssen gefördert werden, damit sie auch zum Wohl der Gemeinschaft eingesetzt werden können. Muslimische Frauen sind heute – trotz der Hindernisse, die an vielen Stellen bestehen – in allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen aktiv, wie jetzt gerade auch schön die Fotoaktion der IHV Kaiserslautern zeigt. Aber wir haben zu wenig sichtbare weibliche religiöse Autoritäten. Es gibt viele Frauen, die in der Religion gut ausgebildet sind, aber sie bleiben – vor allem im deutschsprachigen Bereich – unsichtbar. Religiöse Bildung zu erhalten ist heute, auch aufgrund der vielen online-Angebote, leichter als früher. Möglichst viele Frauen sollten diese Möglichkeiten nutzen und ihre Fähigkeiten dann in der Gemeinschaft einsetzen. Dafür muss ihnen die Gemeinschaft aber auch Raum geben.

Leserkommentare

Manuel sagt:
Ein erster Schritt wäre endlich einmal dafür zu kämpfen, das Kopftuch und das Einwickeln nicht mehr als Muss hinzustellen, wenn man ein gute Moselma sein will.
09.03.16
11:38
Ute Fabel sagt:
Ich sehe ein starkes intellektuelles Spannungsverhältnis, mit dem ich nicht klarkomme, wenn Musliminnen einerseits behaupten sie seien Feministinnen und treten für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein, andererseits dann aber doch an Bekleidungsgebote glauben und diese verteidigen, die nur für Frauen und nicht für Männer gelten sollen.
10.03.16
8:40
Robert sagt:
Was soll immer diese Aufregung darüber, ob Musliminnen Kopftuch tragen sollen? Lasst sie das doch selbst entscheiden. Wenn eine Muslimin glaubt, das Kopftuch sei Pflicht, dann ist das ihr gutes Recht. Es steht niemandem zu, ihr das Kopftuch zu verbieten oder ihr zu sagen, dass sie unfrei sei, wenn sie ein Kopftuch trägt. Das ist eine persönliche Entscheidung. Natürlich weiß ich, dass Manuel gleich wieder kontern wird, dass den Musliminnen das mit dem Kopftuch von klein an eingetrichtert wird. Das mag auch so sein. Als Erwachsene können sie sich trotzdem entscheiden. Aber das können sie nur, wenn man ihnen nicht ständig das Kopftuch runterreißen will. In Deutschland gilt das Grundgesetz, und zwar für alle Menschen, die hier leben. Also auch für Musliminnen. Und dort steht, dass jeder seine Religion frei ausüben kann. Wir haben also nicht nur die Freiheit, unsere Religion frei zu wählen, sondern auch die Freiheit, unseren Glauben zu leben. Und wenn für eine Muslimin das Tragen des Kopftuches zu ihrer Glaubenspraxis gehört, dann steht es ihr zu, das Kopftuch zu tragen. Ohne wenn und aber. Mir ist ohnehin nicht klar, weswegen Nicht-Muslime Muslimminen sagen wollen, auf welche Art sie sich zu emanzipieren haben.
10.03.16
10:36
Düsselbarsch sagt:
@ Manuel, Ute Fabel Lesen Sie doch bitte einmal den Text, bevor Sie "kritisieren". In diesem geht es um die Entwicklung von Begriffsdiskussionen und nicht um einzelne Inhalte. Es wird auch gesagt, als Feministinnen bezeichnten sich nicht alle Macherinnen von Natisa.de. "Getretener Quark wird breit, nicht stark". (Goethe)
10.03.16
13:17
Hajar sagt:
Unglaublich! Hier setzten sich gut ausgebildete und engagierte muslimische Frauen sachlich und fundiert mit den vielfältigen Missständen innerhalb der muslimischen Community auseinander, und einigen fällt wieder nichts anderes ein, als die "Befreiung vom Kopftuch" zu fordern.
10.03.16
17:08
Manuel sagt:
@Hajar: Weil das islamische Kopftuch das Bild der Frau im Islam symbolisiert und diese Frauenbild mehr als vorsinnflutlich, dass scheinen Sie nicht zu verstehen.
10.03.16
19:57
Manuel sagt:
@Robert: Nur ist es schwer Dogmen, die man als Kind eingetrichert bekommen hat, zu hinterfragen. Das Kopftuch ist ein Symbol, dass ein bestimmtes Frauenbild zeigt, wieso darf ich so ein Frauenbild nicht kritisieren oder ablehnen?
10.03.16
19:59
Robert sagt:
@Manuel: Du kannst das Kopftuch durchaus kritisieren und ablehnen. Es zwingt dich ja keiner, eines zu tragen. Aber du hast kein Recht dazu, Frauen, die es tragen wollen, das zu verbieten. So einfach ist das.
11.03.16
16:20
Manuel sagt:
@Robert: Danke, ich bin trotzdem ein Anhänger des Laizismus, da Religion egal welche, im Staate nichts verloren hat. Unser Kinder sollen vor religiöser Indoktrination geschützt werden und zu kritisch denkenden Menschen erzogen werden. Und ich bin auch dagegen, dass es ok sein soll, wenn ein Arbeitgeber für eine bestimmte Stelle eine Frau mit Piercings im Gesicht ablehnen darf, lehnt er allerdings eine Frau mit Kopftuch ab, dann wird von Leuten wie Ihnen und diveren Islam-Verbänden wieder lauthals Diskrimierung gebrüllt.
12.03.16
14:16
Charley sagt:
Der Islam kennt keine geschlechtslose Existenzform des Menschen. Auch im Nachtodlichen bleibt die Mann/Frau-Existenzform ewig erhalten. Jeder bleibt an seine Geschlechtsidentität gebunden. (Man verzeihen Mohammed seine esoterische Blindheit!) Welche Basis soll da eine Emanzipation der Frau haben?
12.03.16
17:09
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