Thomas Schmidinger

Die Islamfeindlichkeit der „liberalen Elite“

Antimuslimischer Rassismus kommt aus der rechten Ecke. Nicht unbedingt. Auch Liberale hegen zunehmend islamfeindliche Ansichten. Dadurch wird Islamfeindlichkeit salonfähig. Zu den Hintergründen diese Phänomens und was dagegen getan werden kann, erörtert der Politologe Thomas Schmidinger.

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01
2015

IslamiQ: Islamfeindlichkeit hat es bis in die Mitte der Gesellschaft geschafft. Das Spiel mit der Angst vor einer vermeintlichen Islamisierung Europas beherrschen inzwischen nicht nur rechte, sondern auch bürgerliche Parteien und Medien. Was sind die Gründe dafür?

Schmidinger: Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Einige haben mit dem Islam oder den muslimischen Communities gar nichts zu tun, sondern mit einer viel breiteren allgemeinen Verunsicherung, die ökonomische und soziale Ursachen hat und auf die Muslime projiziert wird. Der drohende soziale Abstieg der Mittelschichten durch die seit Jahren andauernde Weltwirtschaftskrise und die Deterritorialisierung von unterschiedlichsten Konflikten durch die Globalisierung, machen vielen Menschen zu Recht Angst. Das Problem ist, dass rechte, ethnisierende und konfessionalisierende Deutungsmuster dieser Ängste mittlerweile in vielen Staaten Europas hegemonial sind.

Das Problem ist, dass es viele Nichtmuslime gibt, die so wenig über muslimische Gesellschaften wissen und die v. a. keinen engen persönlichen Kontakt zu unterschiedlichen Muslimen haben…

Es gibt aber auch einen Zusammenhang mit der Entwicklung in einem Teil der islamisch dominierten Gesellschaften und der islamischen Communities hier. Dass Menschen mit Angst reagieren, wenn es relevante politische und militärische Bewegungen gibt, die im Namen des Islams schwerste Kriegsverbrechen begehen und etwa im Irak genozidale Massaker an Ezidi oder Schiiten verüben, braucht uns nicht zu wundern. Das Problem ist, dass es viele Nichtmuslime gibt, die so wenig über muslimische Gesellschaften wissen und die v. a. keinen engen persönlichen Kontakt zu unterschiedlichen Muslimen haben und deshalb nicht in der Lage sind, zwischen solchen „dschihadistischen“ Gewaltverbrechern und der überwiegenden Mehrheit der anderen Muslime zu unterscheiden.

Angst ist ein irrationales Gefühl, dem mit rationalen Argumenten ab einem bestimmten Punkt nicht mehr zu begegnen ist und deshalb verschmelzen dann der türkische Kebabbudenbesitzer ums Eck, die Moschee drei Straßen weiter, die Menschenrechtsverletzungen Saudi-Arabiens und die Massaker des selbsternannten „Islamischen Staates“ zu einer gemeinsamen islamischen Verschwörung gegen den Säkularismus oder das „christlich-jüdische Abendland“.

Manche Medien leisten hier durchaus auch ihren Teil zu einer mangelden Differenzierung, allerdings auch manche muslimische Vertreter selbst, indem sie versuchen Differenzen unter Muslimen herunterzuspielen und „den Islam“ als monlythischen Block darzustellen. Es ist aber nicht so einfach den IS oder al-Kaida dann einfach als „unislamisch“ zu erklären und zu glauben, dass das genügen würde, dass die Nichtmuslime damit beruhigt wären.

 

IslamiQ: Sie behaupten, auch die „liberalen Eliten“ hegen islamfeindliche Ansichten. Können Sie das näher erläutern?

Schmidinger: Das ist ein relativ neues Phänomen, das mich aber mehr beängstigt als die traditionellen Islamhasser, die ja ohnehin identisch waren mit den klassischen Rassisten. Wirklich auffällig wurde dieses Phänomen nach den Anschlägen in Paris. Die Terroristen haben sich wohl auch bewusst ein Anschlagsziel ausgesucht, das eben nicht ein Büro der Front National oder sonst eine Einrichtung notorischer Rechter war, sondern eines, das einer unter linksliberalen Eliten beliebten Satirezeitung.

Wenn ich mir Deutsche und österreichische Medien seither ansehe, ist es unübersehbar, dass das gerade unter säkularen liberalen JournalistInnen zu einer massiven Verunsicherung und vielfach auch zu islamfeindlichen Positionen geführt hat.

Wenn ich mir Deutsche und österreichische Medien seither ansehe, ist es unübersehbar, dass das gerade unter säkularen liberalen JournalistInnen zu einer massiven Verunsicherung und vielfach auch zu islamfeindlichen Positionen geführt hat. In Österreich hat zum Beispiel das Wochenmagazin „Profil“, das in Österreich vielleicht den Platz des „Spiegel“ einnimmt, allerdings qualitätativ weit hinterherhinkt, in der Woche danach einen Titelseite gebracht, in der der Mord an dem muslimischen Polizisten zu sehen ist und dazu getitelt: „Was den Islam gefährlich macht“. Da war nicht einmal mehr ein Fragezeichen zu finden. Und das Profil wird nicht von christlich-konservativen und auch nicht von rechtsextremen LeserInnen gelesen, sondern von Liberalen: Bürgerlich-demokratische ÖVP-WählerInnen, Grüne, Liberale. Die meisten JournalistInnen dort wählen wahrscheinlich die Grünen.

Gerade Liberale fühlen sich auch im Alltagsleben durch die sichtbare Religiösität vieler Muslime stärker bedroht als etwa Christlich-Soziale. Wer noch einen Kontakt zu einer christlichen Kirche hat, weiß, dass es zum Beispiel auch innerhalb der katholischen Kirche ein sehr breites Spektrum von unterschiedlich gelebter Religion gibt, die von extrem konservativen Gruppen wie dem Opus Dei oder dem Engelwerk bis zur Befreiungstheologie oder feministischen und homosexuellen TheologInnen reicht, mit einem recht breiten Mainstream dazwischen. Wer diese Unterschiede kennt, kann auch Unterschiede bei anderen Religionen eher wahrnehmen, als jemand, der Religionen pauschal ablehnt und aufgrund der historischen unseligen Allianz zwischen Kirche und Staat in Europa hinter öffentlich gelebter Religion immer gleich einen Herrschaftsanspruch und damit ein Unterdrückungsszenario vermutet.

Gerade Liberale fühlen sich auch im Alltagsleben durch die sichtbare Religiosität vieler Muslime stärker bedroht als etwa Christlich-Soziale.

Viele Liberale sind aufgrund ihrer eigenen religiösen Erziehung noch immer traumatisiert und haben sich hier nie weiterentwickelt. Ich kann das aufgrund meiner eigenen Geschichte auch durchaus nachvollziehen. Aber es gehört wohl auch zum Erwachsenwerden dazu, irgendwann solche persönliche Traumatisierungen auch hintanzustellen und gerade auch als Atheist darüber zu reflektieren, ob nicht auch manche Formen des Atheismus dazu neigen, fundamentalistisch zu werden.

Genau das geschieht derzeit in Teilen des liberalen Atheismus und Säkularismus. Das hat sich schon bei der unsäglichen Beschneidungsdebatte im Sommer 2012 abgezeichnet, wo die christlichen Kirchen großes Verständnis für Juden und Muslime zeigten, die Sprecher atheistischer Verbände aber allesamt gegen die vermeintliche „Verstümmelung“ von muslimischen und jüdischen Kindern zu Felde gezogen sind.

Nicht nur medial, sondern auch in persönlichen Gesprächen bemerke ich hier einen wirklichen Umschwung, der sich schon vor Paris abgezeichnet hat, der jetzt aber umso deutlicher wird. Wenn ich vor einigen Jahren noch Kritik am Antisemitismus oder an der Frauenfeindlichkeit oder Homophobie bestimmter islamischer Organisationen formuliert habe, musste ich mir aus diesen Kreisen noch Kritik anhören, dass ich damit die antimuslimische Hetze der FPÖ bedienen würde. Damals hatten genau diese Kreise die Muslime pauschal gegen die antiislamischen Ressentiments von Rechts verteidigt. Heute muss ich mir von denselben Personen anhören, dass ich ein Islamverteidiger wäre, der die Gefahr herunterspielen würde. Aus manch pauschalem Islamfreund ist in den letzten Jahren ein ebenso pauschaler Islamfeind geworden. Was sich nicht geändert hat, ist der pauschalisierende Blick auf „die Muslime“ als eine homogene Community, die man früher verteidigt und heute verdächtigt.

 

IslamiQ: Ob Muslime oder nicht: Migranten sind ein Problem für viele europäische Länder. Dabei ist Zuwanderung z. B. für Deutschland vorteilhaft, etwa aus wirtschaftlicher Sicht bzw. zur Aufrechterhaltung der sozialen Systeme. Wieso tut sich Deutschland trotzdem so schwer damit?

Schmidinger: Ich weiss nicht, ob sich Deutschland damit schwerer tut als andere Länder. Aus österreichischer Perspektive schaue ich manchmal sogar durchaus neidvoll nach Deutschland, wenn es darum geht, klare Signale der Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft auszusenden. Wo sich Deutschland schwer tut, ist im Bereich der Städteplanung in einigen Großstädten wie Berlin, wo es wirklich stark segregierte und sozial sehr problematische Wohnviertel gibt und bei der Sozial- und Wirtschaftspolitik ganz generell.

Die soziale Scheere in Deutschland ist in den letzten Jahren sehr stark aufgegangen und das hat Auswirkungen auf die Konflikte zwischen Unter-, Mittel- und Oberschichten, und wenn diese Schichten dann auch noch mit religiösen und ethnischen Unterschieden einhergehen, dann birgt so eine Entwicklung ziemlich viel sozialen Sprengstoff.

Vergleichen Sie Deutschland einmal mit den USA: Dort sind die Muslime großteils Teil der Oberschichten. Im Schnitt verdienen die Muslime mehr als die Nichtmuslime.

Vergleichen Sie Deutschland einmal mit den USA: Dort sind die Muslime großteils Teil der Oberschichten. Im Schnitt verdienen die Muslime mehr als die Nichtmuslime. So genannte Integrationsprobleme gibt es dort nur mit jenen Muslimen, die da nicht dazugehören, African-Americans von der „Nation of Islam“, die seit Jahrhunderten in den USA leben oder Somalis, die in Minneapolis zu den Unterschichten gehören. Gute Integrationspolitik ist zu zwei Dritteln gute Sozial- und Wirtschaftspolitik und die fehlt im neoliberalen Austeritätsregime Deutschlands völlig.

 

IslamiQ: Ist es angesichts des erdrückenden Diskurses für Muslime überhaupt möglich, sich gegen die islamfeindliche Atmosphäre zu wehren?

Schmidinger: Ja, definitiv, aber nicht durch Rückzug, sondern durch ein offensiven Zugehen auf die Nichtmuslime.

 

IslamiQ: Was können muslimische Religionsgemeinschaften tun, was der einzelne Muslim?

Schmidinger: Das A und O ist es, dass sich die Muslime einerseits klar machen, dass sie von der Gewalt des „Islamischen Staates“ und anderen „dschihadistischen“ Gruppen genauso abgestoßen sind, wie alle anderen Menschen auch und vorbehaltlos hinter den Menschenrechten stehen. Muslime können sich auch aktiv in der Deradikalisierung- und Präventionsarbeit einbringen und sie können sich stärker als bisher um alltägliche und dauerhafte Kontakte und Freundschaften mit Nichtmuslimen bemühen. Dies gilt natürlich auch umgekehrt für die Nichtmuslime.

Innermuslimische Vielfalt und auch innermuslimische Konflikte nicht zu verstecken, sondern offen auszutragen, würde auch helfen, Ideen einer generalstabsmäßig geplanten angeblichen Islamisierung Europas entgegenzuwirken.

Ich finde es immer traurig, wenn ich auf einem Fest der einzige Nichtmuslim bin oder auf ein Fest komme, das durchaus von weltoffenen nichtmuslimsichen FreundInnen organisiert ist, aber trotzdem sind dann eigentlich nur nichtmuslimische MehrheitsösterreicherInnen anwesend, weil sie halt niemanden näher kennen, der einen anderen Hintergrund hat.

Solange ich bei meinem Geburtstagsfest von sehr weltoffenen linksliberalen FreundInnen angesprochen werde, dass sie es so super finden, dass ich in meinem Freundeskreis auch muslimische FreundInnen habe, die mit mir feiern, ist der persönliche Kontakt zwischen Muslimen und Nichtmuslimen einfach immer noch sehr mangelhaft und mit Kontakt meine ich nicht, dass man einmal beim Einkauf ein freundliches Wort miteinander redet, sondern damit meine ich eben auch wirklich tiefe persönliche Freundschaften, die das Bild vom prototypischen Muslim aufbrechen helfen und die unterschiedlichen Persönlichkeiten hinter „den Muslimen“ sichtbar machen.

Innermuslimische Vielfalt und auch innermuslimische Konflikte nicht zu verstecken, sondern offen auszutragen, würde auch helfen, Ideen einer generalstabsmäßig geplanten angeblichen Islamisierung Europas entgegenzuwirken. Mir ist aber klar, dass dies in einer solchen Situation, in der man sich ohnehin unter Druck fühlt und eher das Gefühl hat, zusammenrücken zu müssen, schwierig ist. Ich bin aber überzeugt davon, dass der Umgang mit Pluralismus innerhalb der Communities und auf muslimischer und nichtmuslimischer Seite eine Schlüsselfrage für ein friedliches Zusammenleben in einer solchen pluralistischen Gesellschaft ist!

Leserkommentare

Wolf D.Ahmed Aries sagt:
Sehr verehrte Damen und Herren ! Der Liberalismus hat stets mindesten zwei Wurzeln gehabt: (a) Die anti-klerikale und a-theistische Haltung, die jegliche Gläubigkeit für atavistischg hielt und bei konfrontation bekämpfte. (b) Die zweite Position förderte die politische Öffnung und die Wirtschaft, deren Basis die aktiv vorangetriebene Forschung war und ist. Dazwischen bestand jahrzehntelang ein religiöser LIberalismus wie der des rheinischen Katholizismus und der protestantische Friedrich Naumanns. Nach 1968 begann sich der Anti-Klerikalimsus durchzusetzen, mit dem Ergebnis, daß der A-Theismus dominierte. Religiös gebundene Persönlichkewiten wurden als historische Reminizens mitgetragen. Leider verlor die innere Debatte des verfaßten Liberalismus dadurch an intellektuellem Niveau. Da diese Entwicklung sich allein an der (west)europäischen Geistesgeschichte abarbeitete, "verschwand" die Option sich mit den global bestehenden Formen der Gläubigkeit auseianderzusetzen: dem Shinto, Hindu, den Baha´i etc.Und so verkümmerte der inter-religiöse Dialog auf die politische Dimension. Nun lebt der Mensch nicht von "der" Politik allein. Mit freundlichen Grüßen ! Wolf D. Ahmed Aries
01.02.15
9:00