Rassismus und Islamfeindlichkeit

Rassisierung von Muslimen: Neue Perspektiven zu Rassismus und Vorurteilen

Alfredo Alietti und Dario Padovan haben im Jahr 2010 mit ihrer Arbeit „Antisemitismus und Islamfeindlichkeit in Italien nach dem 11. September“ auf sich aufmerksam gemacht. Ihrer Ansicht nach zeigt sich Islamfeindlichkeit häufig auch als eine Form der Rassisierung. Ein Gastbeitrag.

18
10
2014

Der Rassismus und rassistische Vorurteile erwachen in den Tiefen der ultramodernen westlichen Gesellschaften aus der Vergangenheit mit unterschiedlichen Eigenschaften, gleichsam mit einer überraschenden und beunruhigenden Stärke (Virulenz), wieder.

Sie erscheinen in unerwarteter Form und zeigen dabei neue und unvorhersehbare Eigenschaften. Insbesondere zeigt sich die Islamfeindlichkeit durch eine gesellschaftlich querverlaufende, essentielle Ausbreitung, in Formen der historisch schlimmsten antisemitischen Zurschaustellung des frühen zwanzigsten Jahrhundert.

Die Rückbesinnung auf koloniale geopolitische Strukturen, ob nun stillschweigend oder eindeutig mit intakten rassenbezogenen Dynamiken verankert, wirft Europa und die Vereinigten Staaten in eine missverständliche rassenbezogene Rolle zurück.

Hass und Feindschaft

Diese Wellen der rassistischen Vorurteile, die alle westlichen Länder durchziehen, scheinen mehr kulturelle und religiöse Anzeichen der Andersartigkeit anzugreifen, als beispielsweise die körperlichen Unterschiede und Merkmale. Dies ist der Grund, weshalb einige Wissenschaftler vom „religiös getriebenen Hass und Feindschaft“ sprechen.

An dieser Stelle wollen wir einige der Reflektionen zu Vorurteilen gegen muslimische Gemeinschaften, die in Europa und Italien leben, und den „Verlauf des Diskurses“ nachbilden, der sich präsentiert.

In der jüngsten Literatur werden Vorurteile gegen Muslime als Islamophobie bzw. Islamfeindlichkeit bezeichnet, dessen Bedeutung 1997 von der Kommission über Britische Muslime und Islamfeindlichkeit, unterstützt durch den Runnymede Trust, beschrieben wurde. Der Gebrauch dieser Kategorie mit seinen Variationen erfolgte nicht ohne mehr oder weniger legitime und plausible Kritiken und Meinungsverschiedenheiten. Zafar Iqbal spricht beispielsweise von Islamfeindlichkeit als „ein neues Wort für eine alte Furcht“ einer Form der religiösen Intoleranz, dessen Manifestation in historischen Kriegen, Kreuzzügen und Völkermorden verbreitet über viele Jahrhunderte gefunden werden könne.

Islamfeindlichkeit: Der bessere Begriff

Trotz der Kontroversen, die sie entfachte, scheint die Islamfeindlichkeit die beste Bezeichnung dafür zu sein, die wir haben, um ein spezielles Vorurteil gegen Muslime zu benennen.

Im ersten Fall beobachten wir eine Islamfeindlichkeit, die dem sogenannten kulturellen Rassismus oder dem Rassismus bezogen auf Unterschiede nahe zu sein scheint. Das Fehlen von phänotypisch rassebezogenen Merkmalen der Menschen, die auf diese Art des Rassismus abzielt, sorgt dafür, dass es sich in Richtung eines religiös getriebenen Rassismus bewegt, der dem Antisemitismus sehr nahe ist.

Wie im Buch Race Nation Classe (1988) von Balibar vorgeschlagen, kann jede Form des gegenwärtigen Rassismus, der sich auf Unterschiede bezieht, von einem formalen Standpunkt betrachtet, als ein allgemeiner Antisemitismus verstanden werden.

Gesamte Kultur wird beschuldigt

Aus dieser Ratio ist es möglich, eine theoretische Nähe zwischen den Konstrukten eines terroristischen, gewalttätigen, fanatischen und intoleranten Muslim zum schrecklichen, verschwörerischen und ungeheuerlichen Juden zu verstehen.

Das zweite Modell des anti-muslimischen (anti-Islam racism) Rassismus ist ein neueres Phänomen. Diese Art des Rassismus beschuldigt nicht allein einen einzelnen Muslim oder die einzelne inländische Gemeinde, den einzelnen Fundamentalisten, der nebenan wohnt, den einzelnen Menschen, der nicht tolerierbare kulturelle und religiöse Symbole (Flaggen, Gräber, Hidschabs) trägt, sondern die gesamte Kultur bzw. Zivilisation, die ihn erzeugt und geformt hat.

Führt solche eine Verallgemeinerung dazu, dass die Islamfeindlichkeit als eine einzigartige und unterschiedliche Form des Rassismus, im Gegensatz zu den bekannten Formen der Rassisierung von Roma, Farbigen, Juden und Asiaten, dargestellt wird? Sind die Ängste, die zur Islamfeindlichkeit führen, wirklich so verschieden von jenen, die zur Juden- oder Romafeindlichkeit führen?

Islam als Ansammlung von Mängeln

Wie von Theo Goldberg vorgebracht, „wird der Islam in der dominanten europäischen Vorstellung so verstanden, dass er eine Ansammlung von Mängeln darstellt: dem Mangel an Freiheit, an der Bereitschaft zu wissenschaftlichen Untersuchung; an Höflichkeit und Manieren; an Liebe zum Leben; an Menschenwürde; an gleichem Respekt gegenüber Frauen und Homosexuellen“ [10: 345].

Die schuldige Seite ist hierbei die muslimische Kultur, die global weit vernetzte anomische ((Zustand fehlender oder schwacher sozialer Normen, Regeln und Ordnung.)) und anonyme gewaltbereite Menschen produziert und reproduziert, um das soziale Gefüge der westlich demokratischen Gesellschaften zu zerreißen. Nicht der individuelle Muslim, auch nicht muslimische Gemeinden, sondern der kollektive Muslim, seine Herkunftskultur und sein Erbe, wurden dazu stilisiert, die Todesdrohung darzustellen.

Der Islam wurde zum Monster unserer Zeit, unser kollektiver Alptraum, zur Paranoia bezüglich des Untergangs der Kultur Europas und der europäischen Integrität. In diesem Zusammenhang erscheint der Islam als Inbegriff des Traditionalismus, des Vormodernismus, des Feindes der Modernisierung und globalisierten Demokratie, der Träger der Tyrannei, des Despotismus und Absolutismus.

Beispiel Lega Nord

In dieser Art präsentiert der Verlauf des Diskurses im italienischen Fall beide dieser Wahrnehmungen. Die rassistische Partei der Liga Nord (ital. Lega Nord) war die wichtigste Trägerin der explizit gegen Immigranten gerichteten und antiislamischen Haltungen, wobei sie beides, sowohl den öffentlichen Diskurs, als auch die nationalen und lokalen Praktiken förderte.

Mit der Zeit nahm die Islamfeindlichkeit der Liga Nord radikale Züge der Mobilisierung an, zum Beispiel gegen den Bau von Moscheen in einigen Großstädten der nördlichen Regionen, in denen die Mehrheit der Immigranten sich konzentrieren.

Laut einigen Beobachtern, trat der Wendepunkt in einem kleinen Dorf nahe Milan auf, in der die Gewährung von Land zum Bau von Gebäuden, die als Gebetsstätte für die islamische Gemeinde genutzt werden sollten, eine islamfeindliche Kampagne entfesselte, die heftige Extreme erreichte, einschließlich der Aufforderung den Boden mit dem Urin von „padanischen“ (( Padanien ein seit den 1990er-Jahren von der Partei Lega Nord verwendeter Propagandabegriff, der sich nicht auf die Poebene beschränkt, sondern den gesamten Bereich Oberitaliens einschließlich des Alpenanteils und Liguriens umfasst. Damit benennt die Lega Nord die Regionen Nord- und später auch Mittelitaliens, die sich vom Südteil abspalten sollen. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Padanien.)) Schweinen zu besprühen.

Ergebnis der Betonung von Fremdheit

Die Mobilisierung gegen Moscheen durch die Liga Nord ist zweifelsohne ein Paradigma in der Schaffung des „Feindes in den eigenen Reihen“ und bestätigt die Logik des sozialen Antagonismus. Die partielle, aber signifikante Unterstützung der lokalen Bürger ist das Ergebnis dieser Betonung auf Fremdheit.

Ein besonderer Fall beschäftigt sich mit dem Politikwissenschaftler Giovanni Sartori, emeritierter Professor der Columbia Universität in New York und der Universität von Florenz, Kolumnist des Corriere della Sera und Intellektueller der Mitte-Links. Sein Aufsatz „Pluralismus, Multikulturalismus und das Fremde“ veröffentlicht im Jahr 2000 [32] zeigt, eine unmissverständliche Argumentation, die als ein explizites Modell der „akademischen Islamfeindlichkeit“ gestaltet ist [27]. Auf der einen Seite regt er eine essentialistische Repräsentation der islamischen Religion als dogmatisch, intolerant und durch Fanatismus gekennzeichnet an; auf der anderen Seite hingegen setzt er einen Schwerpunkt auf die Kompatibilität von islamischen Immigranten zu unserer „kulturellen Tradition.“

Die Beschimpfungen von Fallaci und die erudierten Reflektionen von Sartori tischen den italienischen konservativen Intellektuellen und der Politik einen signifikant islamfeindlichen Trend auf, wobei sie die politische Logik des Feindes in den eigenen Reihen verstärken.

Kampf der Kulturen

Angetrieben von der Rhetorik festigt sich eine größere islamfeindliche Vorstellung in der italienischen rassistischen Landkarte, die die gesamte (islamische bzw.) muslimische Zivilisation betrifft. Zum Beispiel der Fall des bekannten Intellektuellen Marcello Pera, der durch die Wahlen des italienischen Parlaments mit der Berlusconi Partei, Forza Italia, vom philosophischen Relativismus zum Konservatismus übersiedelte. Er veröffentlichte im Februar 2006 ein Manifest, dass den Titel trägt, „Für den Westen, die Kraft der Zivilisation“ und in völliger Übereinstimmung mit dem Paradigma des Kampfes der Kulturen, die spirituelle und moralische Krise des Westens betont, der unfähig sei, der Herausforderung des Terrorismus und des islamischen Fundamentalismus entgegen zu treten [34].

An dieser Stelle herrscht das Bild, das von neo-konservativen Positionen stammt, jenes, der globalen Bedrohung, der Invasion, das von der furchterregenden Welt des Islams verübt werde.

Was diese verschiedenen Interventionen vereint, ist, vor und nach dem 11. September, eine akritische Sicht auf den Islam, der als monolithischer Block verstanden und mit den Prinzipien der Demokratie und Freiheit unvereinbar dargestellt wird. Diese Thesen ähneln sehr den differentialistischen Thesen von Samuel Huntington und seinem Kampf der Kulturen.

Die Frage, die sich stellt, ist, ob diese Meinungsrepräsentation in der italienischen Öffentlichkeit Zustimmung erhält; oder handelt es sich um weniger feindliche Ansichten zu einer islamischen bzw. muslimischen Zivilisation, die mit Formen von Vorurteilen konfrontiert sind und eher mit der Nähe und Sichtbarkeit der muslimischen Migranten in Verbindung stehen?

Alfredo Alietti (Universität Ferrara) und Dario Padovan (Universität Turin)

Leserkommentare

Martin sagt:
Hallo mal ne Frage: Bin seit fünf Wochen in Marokko. Mir ist hier u.a. aufgefallen, dass ich z.B. für Brot und auch Wasser im Schnitt etwa das 10-fache bezahlen soll. Auch viele Taxis berechnen das mehrfache etc. etc. etc. etc. Ich darf keine Kirchen betreten, weil meine Haut anders ist. Es gibt hier, in einem angebl. gemäßigten islamischen Land viele Verbote und Ablehnung von "Ungläubigen". Darf ich das auch Rassismus nennen oder bin ich dann ein Nazi?
25.06.15
0:22