Bangladesch

Spaltung zwischen Religiösen und Säkularisten

Aus der Sicht des Analysten und Forschers Shah Syed steht Bangladesch in einem Spannungsfeld zwischen Säkularismus und Islam. Dabei fungiert der wiederbelebte Säkularismus auch als dominierender „Gegenpol“ zum Islam.

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07
2014
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Der Säkularismus in Bangladesch erlebt eine Wiederbelebung als dominierender „Gegenpol“ zum Islam. Diese Gott begrenzende Ideologie mit ihrer sozio-politischen antireligiösen Programmatik erschließt Potenziale in der Mittelklasse, wie das kürzlich zurückliegende dominant säkulare Beben der „Shahbag-Bewegung“ demonstrierte. Durch Erzählungen vom Unabhängigkeitskrieg versuchen Säkulare die Psychologie der Menschen für die Säkularisierung der Gesellschaft zu vereinnahmen. Während säkulare Intellektuelle behaupten, dass es für ihre De-Islamisierungsprogramme eine gesellschaftliche Unterstützung gibt, weist eine entgegengesetzte Anti-Shahbag Meinung diese Ansicht entschieden zurück. Diese Strömung verneint die Ansicht, dass die Religion aus dem Bereich der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt wird.

Die Lage der Religion in Bangladesch

Wie die Geschichtenahelegt, bleibt die Stellung der Religion in Bangladesch heilig. Die Bevölkerung hat die muslimische Identität während der Spaltung von Indien 1947 angenommen. Sie mussten zwischen dem hinduistischen Indien und dem muslimischen Pakistan entscheiden, als die Briten den südasiatischen Subkontinent verließen. In allen bisherigen national autokratischen und demokratischen Wahlen mussten die politischen Parteien öffentlich die Gefolgschaft zur Religion der Mehrheit, dem Islam, bekunden. Der Zensus von 2011 legt nahe, dass sunnitische Muslime 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Hindus, Christen (mehrheitlich römisch katholisch) und die Theravada-Hinyana machen den Rest aus. Religiöse Empfindungen sind so ausgeprägt, dass öffentliche Gotteslästerung kaum toleriert wird. Dies gilt wohl für alle Religionen in diesem Land.

Seit Jahrhunderten hat der Islam Toleranz gegenüber anderen Religionen praktiziert. Der Sufi-Islam oder der Deobandische Weg des Islams, der sich für einen unpolitischen Ansatz zur Religion entschieden hat, dominieren die religiöse Psyche der Menschen stark. Deobandis glauben, dass das islamische Bildungsdefizit angegangen werden sollte und dass dies unter jeglichen sozialen Bedingungen erreicht werden kann, ohne die Notwendigkeit eines politischen Weges. Sufis, die von der arabischen Halbinsel kamen, lehrten den Menschen den Islam und unter ihrer Führung nahm die Gesellschaft einen muslimischen Charakter an.

Die Religion hat in der Gesellschaft eine strenge Praktizierung des Islams erlebt, als islamische Intellektuelle eine wiederbelebende Form des Islams und für die islamische Bildung neue Grenzen eröffneten. Darüber hinaus brachten die Wanderarbeiter des Landes im Mittleren Osten neue islamische Werte und Praktiken mit nach Hause. Die Säkularisationsprozesse in der muslimischen Welt haben ebenso einen Einfluss auf die Konturen des Säkularismus in Bangladesch. Säkulare Intellektuelle behaupten, dass die Wiederbelebungsform des Islam mit der früheren passiven Version des Islams inkonsistent ist. Für Anhänger der Wiederbelebungsbewegung sind die neuen religiösen Werte eine Reflektion der zunehmenden Bedeutung des wahren islamischen Wissens, das von der derzeitigen islamischen Bildung herrührt.

Spaltung über die Frage nach Säkularismus

Die Frage ist, wie wir den Säkularismus in einer Gesellschaft einzigartiger religiöser Empfindungen einordnen. Es ist schwierig zu begründen, dass eine bewusste Unterstützung unter den Massen für das „Gegenpol“ zur Religion, den Säkularismus, besteht. Einige argumentieren, dass das Fehlen des Bewusstseins über den Säkularismus auf dem Fehlen der Bildung über die Moderne beruht, welche eine durchführbare Alternative zum religiösen Traditionalismus bieten könnte. Viele sehen die Unabhängigkeit von Pakistan 1971 als eine klare Abwendung vom Islam und als einen Prozess hin zum Säkularismus. Dem entgegen bezeichnen andere die Volksrevolution 1971 als eine Auflehnung gegen wirtschaftliche und soziale Entbehrung, aber nicht per se gegen den Islam. Allerdings können wir diese Spannung zwischen der säkularen und religiösen Vertretern verstehen, wenn wir verschiedene Kategorien des Glaubens bezüglich des Säkularismus und die zwei kürzlich erfolgten sozialen Bewegungen betrachten. Wir werden diese Kategorien der Reihenfolge nach von sehr säkular bis weniger und nicht säkular diskutieren.

Die erste Kategorie stammt entweder von linksgerichteten Gruppen oder von Gruppen, die mit ethnischen Bengalen und der nationalistischen Identität sympathisieren. Marxistische Intellektuelle und verbündete politische Parteien möchten eine komplette Trennung der Religion vom Staatsapparat durchsetzen. Ihrer Ansicht nach verhindert die Religion die Gesellschaft von fortschrittlichen Bemühungen und macht sie rückschrittlich. Gotteslästerung wird als Zeichen für die freie Meinungsäußerung und als Weg zur Mündigkeit betrachtet. So dass ein fortschrittliches Bangladesch eine Gesellschaft benötigt, die frei von jeglicher Form der Religiosität ist und mehr allumfassende säkulare Institutionen hat.

Bengalische Nationalisten bevorzugen ethnische und linguistische Identitäten und heimische Kulturen vor religiöser Voreingenommenheit. Sie möchten kulturelle Formen und Praktiken basierend auf Mythen, Legenden, bekannten Erzählungen, Folklore und mündlichen Überlieferungen schaffen, frei von neuen Einmischungen. Die intellektuellen Beweggründe dieser Gruppe resultieren aus dem „Geist von 1971“, dem geführten Befreiungskrieg gegen Pakistan. Sie rechtfertigen ihren Glauben auf der Annahme, dass der Sieg Bangladeschs gegen die pakistanische Unterwerfung der Sieg des Säkularismus sei. Im national politischen Umfeld bilden bengalische Nationalisten (herrschende Partei Awami League) nunmehr eine Allianz mit linksgerichteten Parteien.

Nationalisten aus Bangladesch machen die zweite Kategorie aus. Diejenigen, die behaupten die Menschen im Gebiet von Bangladesch zu repräsentieren und somit alle nicht bengalischen ethnischen Gruppen in eine nationale Identität einordnen, erkennen die muslimische Identität an und verurteilen alle gottlosen Kulturen. Sie weigern sich zu akzeptieren, dass der Unabhängigkeitskrieg von 1971 eine Ablehnung der Menschen gegen den Islam war. Für sie war es tatsächlich ein Befreiungskrieg gegen alle wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ausbeutungen der pakistanischen Staatseliten. Die Parteien, die alle Nationalisten aus Bangladesch beherbergen sind die Bangladesch Nationalistische Partei BNP und die Jatiyo Partei. Die BNP bildet mit konservativen und moderaten Parteien eine Allianz in der Machtpolitik.

Moderate und sittenstrenge Reformisten können als dritte Kategorie gruppiert werden. Diese islamische Gemeinde glaubt, dass zum Schutz der traditionellen Identität und des wahren Islam, die Einmischung von säkularer Bildung und Kultur überprüft werden müssen. Moderate Reformisten (Bangladesch Jamaat-e-Islami BJI) akzeptieren die demokratischen Werte der sozialen, wirtschaftlichen und politisch verfassungsmäßigen Ordnung, aber sie repräsentieren sehr stark die Vorstellung, dass der Islam die beste Lösung für komplexe Probleme bietet, mit denen die Gesellschaft konfrontiert wird.

Die sittenstrengen Reformisten sind zumeist deobandisch orientierte islamische Gemeinden. Sie betonen die islamische Bildung und fördern islamische Praktiken auf Basisebene. Sie weisen alle profanen Aktivitäten zurück. Im Bereich der Politik bilden diese anti-säkularen Gruppen der moderaten und sittenstrengen Reformisten eine Allianz mit Nationalisten aus Bangladesch der BNP, obwohl sie erhebliche Differenzen bezüglich der Frage nach der Säkularisation, aufweisen.

Die Shahbag Bewegung: der säkulare Moment

Die Bangladesch Awami League führt eine Allianz von 14 Parteien an, um die Verfassung zu ändern, den Säkularismus als Staatsprinzip wieder einzusetzen und den Islam als Staatsreligion abzuschaffen. Sie werfen der größten islamischen Partei BJI, (mit welcher die herrschende Partei der Awami league 1996 eine Allianz hatte) vor, während des Unabhängigkeitskrieges von 1971 Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt zu haben. Die BJI lehnte die Abspaltung von Pakistan auf religiöser Ebene ab. Die Anschuldigung ihre Parteiführung sei in irgendwelche Verbrechen involviert, wiesen sie jedoch entschieden zurück. Die Partei behauptet, dass dieses Verfahren ein Teil eines großen Projektes sei, um die Grundlage der religiös basierten Politik, insbesondere den Islam zu schwächen. Nach der Verurteilung eines BJI Führers vor dem Verbrechenstribunal zu lebenslanger Haft am 5. Februar 2013, organisierten einige Online-Aktivisten einen Protest auf dem Shahbag Platz und forderten die Todesstrafe für ihn. Der Widerstand avancierte zum Massenprotest mit breiter Unterstützung und elitärer Sicherheit vom Establishment. Alle linksgerichteten Parteien und führende Parteigruppen nahmen an den Demonstrationen teil.

Allerdings veränderte ein unerwartetes Ereignis das gesamte politische Spektrum des Landes. Ein protestierender Blogger, der angeblich einen Anti-Islam Blog führte, wurde ermordet. Sein Blog beinhaltete vulgäre Inhalte gegen Allah, seinen Propheten und die grundlegenden islamischen Lehren. Sie erklärten den Ermordeten zum „Märtyrer des zweiten Unabhängigkeitskrieges“. Dieser Mord am Blogger deckte die Informationen aller blasphemischen, obszönen Blogs auf, die den Islam und seinen Propheten als Ziel ihrer Agitation hatten.

Darüber hinaus erboste die Forderung einiger Demonstranten nach einem Verbot religionsbasierter Politik und nach der Ehrung eines Atheisten durch den Staat, die sittenstrengen reformistischen und religiösen Gruppen. Ein neuer Massenprotest wurde durch eine unpolitische religiöse Gruppe organisiert, die Hefazot-e-Islam, welche weitreichenden sozialen Respekt und Akzeptanz in der Gesellschaft genießt.

Hefazot-e-Islam: ein Aufbegehren gegen den Säkularismus

Nach dem Massenprotest der Hefazot-e-Islam fiel das Land im März 2013 in landesweite anti-atheistische und anti-säkulare Proteste. Die Gruppe forderte die Einführung der Todesstrafe und strengerer Gesetze, um die Beleidigung des Islams und seines Propheten zu beenden. Die Reaktion des Volkes auf den anti-atheistischen Protest war beispiellos. Dieselben Menschen, die mit dem Shahbag Prostest sympathisierten nahmen nun einige Tage später am anti-Shahbag Prostest teil. Die Logik muss wohl die gewesen sein, dass Menschen mit dem Shahbag Protest sympathisierten, weil diese Gerichtsverfahren gegen Kriegsverbrechen unterstützten. Als der Shahbag Prostest durch linksgerichtete und atheistische Abschnitte der Gesellschaft in eine anti-religiöse Plattform mit einer exzessiv offenen Machtprobe von jungen Frauen manipuliert wurde, kehrten die Menschen um und lehnten die Bewegung ab. Jedoch wurde der Protest der Hefazot-e-Islam am 5. April 2013 durch eine vermeintliche mitternächtliche Razzia brutal beendet, als sich ihre Anhänger nach einem Blockadeprogramm in Dhaka aufhielten.

Fazit

Die Shahbag Bewegung erwies sich als tyrannisch, als sie eine „entweder mit uns oder gegen uns“ Ideologie in der Gesellschaft schuf. Diejenigen, welche die Forderung der Todesstrafe gegen das Gerichtsurteil infrage stellten, wurden als anti-Freiheitskämpfer oder Kollaborateure mit Pakistan bezeichnet. Es scheint, als hätte sich der Protest schnell zu einer romantischen Bewegung mit einem Streben nach einer säkularen Revolution gewandelt. Menschen wurden zum ersten Mal mit der Frage danach, wer sie sind, konfrontiert. Bengalen, aus Bangladesch, Atheisten oder Religiöse. Spaltungen und Unterschiede spielten sogar innerhalb der Familien eine große Rolle. Die Führer der herrschenden Partei führten sich auf, als ob sie die historische Verantwortung haben, die Identität der Nation festzustellen. Als ob das Erinnern daran „wer sie sind“ ihre Pflicht wäre. Dieser Moment unterstreicht die Logik, dass nur jene, die für die Unabhängigkeit des Landes kämpfen, das Mitspracherecht darüber haben, wie das Land auszusehen hat.

Diese selbsterfüllende und selbsternannte Vormundschaft brachte keinem Nutzen für die Shahbag Bewegung. Zwei Forscher führten über die Bewegung eine Studie durch und zeigten die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Forderungen der Bewegung. Eine nationale Meinungsumfrage, die innerhalb des 4. Und 10. Tages der Protestbewegung (8.-15- Februar 2013) durchgeführt wurde, zeigt, dass 55 % der Menschen die Forderung nach der Todesstrafe für illegitim halten. In einer anderen Umfrage, die von der größten säkularen bengalischen Zeitung „Prothom Alo“ (9. und 20. April 2013) organisiert wurde, zeigte, dass 57,5 % der Menschen die Shahbag Bewegung nicht unterstützen, während 23,4 % den Protest befürworteten.

Die Behauptung, dass sich Bangladesch zum Säkularismus erhebt, scheint ein Fehlschluss zu sein und reflektiert womöglich nicht das kollektive Gewissen. Gleichermaßen ist auch die Behauptung, dass alle Menschen dieselbe Liebe und Begeisterung für die Religion des Islam, hegen, eine Unterschätzung der säkularen Basis in der Gesellschaft. In einem Augenblick des „nicht-islamischen oder nicht-säkularen“ Bewusstseins haben jene, die auf eine intelligente Weise die Realität verstehen und entsprechend des sozialen, kulturellen und politischen Temperaments der Menschen in Bangladesch agieren, das Potential den zukünftigen politischen Kurs der Gesellschaft in Bangladesch zu definieren.