Türkisches Religionsamt

Diyanet warnt Muslime vor Spaltung und ruft zur Besonnenheit auf

Das türkische Religionsamt Diyanet hat sich mit einem in acht Sprachen verfassten Aufruf an die Vertreter von Sunniten und Schiiten in aller Welt gewandt. Sie warnt darin vor den Folgen der Spaltung aufgrund anhaltender gesellschaftlicher Krisen für die islamische Welt.

18
06
2014

Das staatliche Präsidium für Religionsangelegenheiten der Türkei (Diyanet) hat sich in einem Aufruf gegen die Spaltung von Muslimen aufgrund der jüngsten Vorkommnisse im Irak und in Syrien ausgesprochen. Der in insgesamt acht Sprachen verfasste „Aufruf zur Besonnenheit an die islamische Welt“ warnt vor der Bedrohung für die gesamte „islamische Welt“, durch länger anhaltende gesellschaftliche Krisen.

Angesichts der Bedrohung durch die Terrororganisation ISIS (Islamischer Staat im Irak und Syrien) macht die Diyanet darauf aufmerksam, dass keine muslimische Gruppe, Partei oder Gemeinschaft, ihre religiöse Auffassung als die absolute Wahrheit betrachten dürfe. Das Verurteilen von Personen zum Tode, sei inakzeptabel. „Der größte Dschihad der Muslime in der Gegenwart ist der Kampf gegen Unwissen, Fanatismus, Zwietracht und Spaltung. Niemand kann einen Dschihad unter dem Deckmantel der Gräuel anfechten und zu anderem Leid führen“, erklärte die Religionsbehörde weiter.

Als Lösung für die prekäre Lage in Syrien und im Irak schlägt die Religionsbehörde ein Treffen der verschiedenen Vertreter religiöser Gruppierungen vor. „Eine Delegation aus Meinungsführern der islamischen Welt muss eine Initiative erarbeiten, um die konfessionell bedingten Gruppierungen zu überwinden“, heißt es in der Erklärung.

IslamiQ dokumentiert im Folgenden die deutsche Übersetzung des Aufrufs.

Aufruf zur Besonnenheit an die islamische Welt

Die seit langer Zeit anhaltenden gesellschaftlichen Krisen in der islamischen Welt, politischen und militärischen Spannungen, Konflikte angeblich konfessionellen Ursprungs haben ein solches Ausmaß angenommen, dass sie nicht nur die Sicherheit der Region, sondern auch der islamischen Welt bedrohen. Das Chaos auf der Irak-Syrien-Achse, vor allem aber in Mosul, hat zu zusätzlichen Spannungen geführt. Die Weltöffentlichkeit verfolgt die ganzen Entwicklungen mit großen Bedenken. Gewalt beinhaltende Äußerungen, Dschihad-Erklärungen, Drohungen für die Zerstörung von heiligen Stätten, Entführung von Personen und das Töten von Menschen sind die Vorboten für bevorstehende Katastrophen. Sollten die Entwicklungen nicht verhindert werden und ein noch größeres Ausmaß annehmen, dann ist in der islamischen Welt eine menschliche, gesellschaftliche, religiöse und konfessionelle Spaltung unvermeidbar.

Aus diesem Grund rufen wir zur Überwindung gemäß den unten aufgeführten Punkten des Problems zum gemeinsamen Handeln auf:

1. Die muslimische Identität steht stets über der Zugehörigkeit jeder Konfession, Lebensweise und politischer Auffassung. Keine religiöse Struktur darf politische Ambitionen, die sich gegen die islamische Brüderlichkeit und Einheit richtet, dulden. Der Koran und die Sunna erklärten das Leben, Blut, Eigentum und Ehre eines jeden Menschen als unantastbar. Außerdem wird das Blutvergießen eines Menschen zu Unrecht aus religiöser Hinsicht als das größte Delikt überhaupt betrachtet.

2. Es ist nicht möglich, eine Gesellschaft, die seit 1.400 Jahren mit all ihren Unterschieden miteinander lebt und die Gegenwart erreicht hat, mit einer auf religiösen, konfessionellen und ethnischen Grundlagen beruhenden einzigen Struktur zu verwalten. Niemand oder keine einzige Gruppe kann der Religion, den Werten und der Denkweise eines anderen den Krieg erklären. Jeder hat das Recht auf den Territorien, auf denen er zu Hause ist, gemäß dem historischen Gut frei zu leben. Jede Haltung und Handlung, die sich dagegen richtet, wird als Störenfried, als Saat der Zwietracht in der Heimat des Friedens und Ruhe betrachtet.

3. Der im Lauf der Zeit zum Vorschein getretene Unterschied zwischen der ahl al-bait und der ahlu sunnah wurde als etwas Gegensätzliches betrachtet und auf dieser Grundlage eine politische Kampfstrategie für den Tag entwickelt. Das muss als eine große Machenschaft betrachtet werden. Die ahl al-bait und ahlu sunnah gehören zum Heiligen Propheten an. Die Überzeugung und die Idee, wonach diese beiden im Gegensatz zueinanderstehen, sind nicht annehmbar.

4. Das eine muslimische Gruppe, Partei oder Gemeinschaft, ihre religiöse Auffassung als die absolute Wahrheit betrachtet und andere Auffassung entfremdet, als Ungläubige betrachtet und ihre Anhänger zum Tode verurteilt, ist inakzeptabel. Ein solches Verständnis kann in keiner Form gerechtfertigt werden und im Islam Anerkennung finden.

5. Jeder der sich Moslem nennt befindet sich im islamischen Kreis. Keiner hat die Autorität, jemand anderes aus dem Islam auszuweisen. So wie ungläubige Strukturen in der Geschichte durch die muslimischen Gewissen bestraft wurden, so werden heute diese neuen Erscheinungen beim gesellschaftlichen Gewissen keine Anerkennung finden. Muslime mit gesundem Menschenverstand und Gewissen werden es nicht zulassen, dass diese Strukturen festen Boden fassen können.

6. Eine Struktur, die bei Interessensgefechten auf zum Opfer gefallenen unschuldigen Menschen, Kindern, Frauen und vertriebenen Menschen errichtet wurde, kann nicht mit dem Islam vereint werden. So etwas ist inakzeptabel.

7. Die Erklärungen von einer der Seiten über die Gräber in Nadschaf und Kerbela der ahl al-bait wie des Heiligen Ali, des Heiligen Hussain und von Abu’l Fadl Abbas können nicht gedudelt werden. So sind außergewöhnliche Orte wie Nadschaf und Kerbela, die Größen wie der Heilige Ali, der Heilige Hussain und Abu’l Fadl Abbas nicht nur die Werte der Schiiten und Sunniten, sondern der ganzen islamischen Gemeinde.

8. Dass eine Partei der anderen den Dschihad erklärt, kann nicht akzeptiert werden. So haben der Koran und Sunna niemals einen Dschihad unter Moslems angeordnet. Der größte Dschihad der Muslimen in der Gegenwart ist der Kampf gegen Unwissen, Fanatismus, Zwietracht und Spaltung. Niemand kann einen Dschihad unter dem Deckmantel der Gräuel anfechten und zu anderem Leid führen. Das ist nicht legitim.

9. Die individuell von Weisen und religiösen Anstalten veröffentlichen Fatwas in solchen Zeiten liefern Grund zur Sorge. Die größte Aufgabe der Weisen gegenwärtig ist es, dem  Wiederaufbau der Moral und dem Recht des Zusammenlebens in Frieden mit Betracht auf die religiösen, konfessionellen und ideologischen Unterschiede in der islamischen Welt und nicht die Verkündung von Fatwas, die eine Spaltung begünstigen. So wie heute Wörter, die das Feuer der Zwietracht nicht löschen können, keinen Wert haben, so haben Fatwas, die zum Blutvergießen führen, ebenfalls keinen Wert. Andernfalls wandelt sich die gesamte islamische Welt in eine Atmosphäre des Verbrechens und alle islamischen Gelehrten wandeln sich zu Mittätern. Das Feuer der Zwietracht muss gelöscht werden, bevor es sich auf die ganze Geographie verbreitet.

10.  Mit einem Treffen von Vertretern religiöser Einrichtungen und Anstalten aus Krisengebieten, vor allem aus dem Irak und aus Syrien, müssen religiöse und moralische Lösungsvorschläge für die Konfliktgebiete in Angriff genommen werden. Eine Delegation aus Meinungsführern der islamischen Welt muss eine Initiative erarbeiten, um die konfessionell bedingten Gruppierungen zu überwinden. In dieser Hinsicht kommt den muslimischen Einrichtungen und Anstalten mit internationalem Charakter eine Verantwortung zu. Das Präsidium für Religionsangelegenheiten (Diyanet) würde es begrüßen, bei einer Initiative, um schiitische und sunnitische Weisen aus aller Welt zusammenzubringen, eine Vorreiterrolle übernehmen zu dürfen.

Leserkommentare

Mohamed sagt:
Osmanische Khalifat kommt wieder ?
19.06.14
12:39
Wolf D. Ahmed Aries, Hannover sagt:
As-salamu alaikum ! Mit Dankbarkeit habe ich eben die Erklärung DIYANETSs gelesen und ihr nur zustimmen. Ich werde den Text unter meinen Studenten und Kollegen verteilen. Wassalam ! Wolf Ahmed Aries
20.06.14
8:49
Ute Diri-Dost sagt:
Ich würde eine genauere,wortgetreue Übersetzung begrüssen. Darüberhinaus Anmerkung-|Saiid bedeutet im Arabischen "Herr" als höfliche Anrede,nicht "Heiliger",arabisch Qaddies,was ich unter anderen beanstanden muss,denn im Islam gibt es keine Heiligen,und deshalb wurde auch das Wort Saiid und nicht Qaddies in den Mund genommen.
07.07.14
21:22
Ute Diri-Dost sagt:
Das ist ein wohllöbliches Ansinnen! Hoffen wir,das es nach der Ausführung nicht nur ,wie so oft,bei leeren. Versprechungen bleibt.
07.07.14
21:45