Ramadan 2017

Massentierhaltung und Islam vereinbar?

Vor allem zum Iftar an Ramadan werden üppige Mahlzeiten mit Fleischgerichten serviert. Doch können Muslime angesichts der Massentierhaltung unbekümmert Fleisch verzehren, und was würde der Prophet Muhammad (s) tun? Ein Beitrag von Katharina Beneladel.

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Massentierhaltung, auch Muslime beschäftigt dieses Thema. © flickr, CC 2.0, Nadja Varga

Die Atmosphäre ist düster. Wände und Betonboden starren vor Schmutz. Der Blick schweift hinein in eine Schleuse, von deren Ende her Quieken zu hören ist. Ein Schwein in Todesangst. Die Kamera zoomt heran. Ein Mann in weißen Gummistiefeln und Plastikschürze presst mit geübtem Griff zwei Elektroden gegen den Kopf des sich windenden Tieres. Dann wird dessen betäubter Körper an einem Haken aufgehängt, dämmert dort neben einigen Artgenossen dem vermeintlich schmerzfreien Tod entgegen. Ehe die Kamera abblendet, ist zu sehen, wie allmählich wieder Leben in die Tiere kommt.

Es sind drastische Bilder, die die Tierschutzorganisation PETA in einem 360°-Video per Social Media verbreitet, um den Zuschauer mit der Realität hinter dem politisch geförderten Narrativ vom angeblichen Sterben ohne Leid zu konfrontieren.

Ist das rituelle Schächten also doch die ethische Alternative zum industriellen Töten in „westlichen“ Massentierhaltungsbetrieben? Nicht grundsätzlich, findet der kanadische Neurowissenschaftler und Theologe Dr. Mohamed Ghilan. Das Gefühl moralischer Überlegenheit, das viele Muslime beim Kauf „halal“-zertifizierter Produkte empfänden, sei unangebracht. Angesichts der enormen Mengen an Fleisch- und Wurstwaren, die täglich in muslimischen Lebensmittelläden verkauft werden, müsse das romantisierte Bild vom Tier, das nach einem erfüllten Leben auf sattgrünen Weiden erst sanft beruhigt und dann vom Metzger quasi überrascht werde, revidiert werden. Muslime, meint Ghilan, müssten sich der unangenehmen Wahrheit stellen, ebenfalls Teil einer monströsen Produktionskette zu sein, in der Tiere zu dem alleinigen Zweck gezüchtet würden, unsere Gier nach Fleisch zu stillen. Gleiches gelte natürlich auch für Fisch und die Erzeugung von Eiern und Milchprodukten.

Muslime müssen ihre Essgewohnheiten überdenken

Aus islamischer Perspektive sei Essen jenseits der bloßen körperlichen Notwendigkeit auch ein Weg zur spirituellen Entwicklung. Unkontrollierte Bedürfnisbefriedigung wirke sich auf das individuelle Verhalten ebenso wie auf die empfindliche Balance zwischen Mensch und Natur negativ aus. Der große persische Mystiker Abû Hamîd Al-Gazâlî schrieb im dritten Teil seines Hauptwerks Ihyâ Ulûm ad-Dîn: „Nach gründlicher Untersuchung stellte ich fest, dass der Magen die Quelle aller Gelüste und Ursprung aller Zerstörung und Krankheiten ist.“

Mäßigung, ohnehin eines der zentralen islamischen Prinzipien, wäre also geboten. Doch die Ernährungsgewohnheiten vieler Muslime, insbesondere in westlichen Industrienationen und den reichen Golfstaaten, haben sich in Menge und Beschaffenheit globalen Trends angepasst.

Die städtische Bevölkerung des 21. Jahrhunderts, so Dr. Ghilan, lebe zunehmend in einer Blase, weitgehend abgekoppelt von jeglichem Bewusstsein für die Herkunft ihrer hoch verarbeiteten, abgepackten und vor allem jederzeit verfügbaren Lebensmittel, und der daraus entstehenden Verantwortung. Das Halal-Siegel ist nach seiner Auffassung nichts anderes als das muslimische Äquivalent dieser Blase. Tatsächlich profitiert ein rasant wachsender Wirtschaftszweig von dem naiven Glauben vieler muslimischer Verbraucher, dass ein“Halal“-Stempel gleich „artgerecht“ und „nachhaltig“ bedeutet.

Dr. Mohamed Ghilan wurde in Saudi-Arabien geboren und wuchs in Kanada auf. Neben seiner Promotion in Neurowissenschaften an der University of Victoria, Vancouver begann er 2007 ein Studium der klassischen islamischen Wissenschaften.
Ghilan ist als Referent tätig und betreibt u. a. die Webseite andalusonline.org und das Blog mohamedghilan.com. Er lebt in Brisbane, Australien.

Ghilan stellt darüber hinaus auch eine weit verbreitete Bequemlichkeit in Bezug auf die eigenen Essgewohnheiten fest. Symptomatisch dafür sei etwa das allgemeine Verständnis des bekannten Hadith über die „Dreiteilung“ der Magens: ein Drittel für Essen, eines für Wasser und eines für Luft. Im Gesamtwortlaut lasse die Überlieferung aber erkennen, dass diese Empfehlung kein erstrebenswertes Ideal, sondern eine Notlösung für gewohnheitsmäßige „Vielesser“ darstelle. Die islamische Ethik und religiöse Praxis, repräsentiert durch das Vorbild des Propheten, würden dagegen einen vergleichsweise asketischen Ernährungsstil fördern, und der Nahrungsaufnahme den Stellenwert der reinen Notwendigkeit zuweisen. Nur so sei der Erhalt eines von Gott hergestellten Gleichgewichts im Universum gewährleistet. Im Kontext anderer Überlieferungen, etwa zum Umgang mit Tieren, zu Umweltbelangen oder zum bereits erwähnten Zusammenhang zwischen spiritueller Entwicklung und Essen, werde dies sichtbar.

Wäre der Prophet Muhammad heute Veganer?

Sein Artikel hat Ghilan viel Kritik eingebracht, nicht zuletzt aufgrund seines Plädoyers für den Veganismus, zumindest aber für die radikale Einschränkung des Verzehrs tierischer Produkte. Fleischesser will der Wissenschaftler aber nicht verurteilen. Der Verzehr von Fleisch- und Milchprodukten sei unzweideutig von Koran und Sunna gedeckt. Was er mit seinen Ausführungen vor allem beabsichtigt, ist eine Einladung zur (selbst-)kritischen Betrachtung unserer Herangehensweise an die prophetische Tradition, gerade dort, wo es um persönliche Vorlieben und Gewohnheiten geht. Die Sunna werde ihrer inneren Dimension zunehmend beraubt, beklagt Ghilan. Für viele legalistisch geprägte Muslime sei sie kein ganzheitlicher Lebensstil mehr, sondern eine „Checkliste“ äußerlicher Handlungen, die nur abgehakt werden müsse, ohne die eigene Komfortzone zu verlassen. Eine ernsthafte Beantwortung der Frage „Was würde der Prophet tun?“ könne aber nicht bei der kontexttlosen Betrachtung einzelner Überlieferungen stehenbleiben, sondern müsse das Gesamtbild aus verwandten Hadithen, Koranversen und deren Interpretationen in den Blick nehmen. Und da, so schließt Ghilan, sei es angesichts der Zustände in der industriellen Massentierhaltung nicht ausgemacht, dass der Prophet heute derartig erzeugte Produkte, sofern sie nur einen Stempel trügen, verzehren würde.

Leserkommentare

Ulrich Dittmann sagt:
Ein hervorragender Beitrag von Katharina Beneladel - hier insbesondere die zitierten Auslassungen von Dr. Mohamed Ghilan! So ist es! Ergänzend ist anzumerken: “Fleisch ist kein notwendiger Bestandteil der menschlichen Ernährung” so schon hochrichterlich 1992 das Hamburger Oberverwaltungsgericht (Az. OVG Bf III 42/90) - und auch nicht zwingend gesund, denkt man nur an Skandale mit Salmonellen, Trichinen, Knochen, Sehnen, Würmern, Blut, Gedärmen und sonstigen ekelerregenden halbverwesten Tierabfällen in den Gammelfleischprodukten. Fleisch wächst eben nicht auf Bäumen - sondern wird als Massenware unter oft erbärmlichsten Bedingungen “erzeugt” und dann zu Billigstpreisen verramscht. Weiterhin gilt: Fleisch das auf deinem Teller liegt - als Speckgürtel sich bald um deine Hüften schmiegt! Ob gläubiger Moslem, Jude, Hindu oder Christ: Eine vegetarische Lebensweise beeinflusst zweifellos positiv die körperliche wie mentale menschliche Gesundheit - und ist zudem sehr förderlich für die Unversehrtheit von Leib und Leben der Tiere. Also eine absolut geniale Konstellation!
04.06.17
20:10
Mads sagt:
Soweit ich weiß, hat Mohammed nicht die Völlerei betrieben, die Muslime unserer Tage eine Sekunde nach Sonnenuntergang an den Tag legen. Also gehe ich davon aus, dass er das nicht gutheißen würde. Und Massentierhaltung wahrscheinlich ebenfalls nicht. Aber wie sollte sonst das viele Fleisch hergestellt werden, das für die zahllosen Döner benötigt wird? Als Außenstehender kann man da oft nur mit dem Kopf schütteln.
06.06.17
15:15
SpartanIsch sagt:
@Mads: Ihre Aussage, "die Muslime unserer Tage" würden eine Sekunde nach Sonnenuntergang "die Völlerei betreiten" kämmt alle Fastenden über einen Kamm. Das ist in etwas so, als würde jemand behaupten die Deutschen würden sich alle auf dem Oktoberfest besaufen. Es gibt einzelne Muslime, die beim Essen (ob nun im Ramadan oder nicht) über die Stränge schlagen. Ja. Genauso wie es Deutsche gibt, die häufiger mal zu tief ins Glas schauen. Aber daraus solche Pauschalaussagen abzuleiten, ist nicht sehr sachlich. Ich selber kann von mir und den meisten mir bekannten Muslimen sagen, dass man abends nach ein paar Datteln und einer Suppe schon fast satt ist. Wenn wir als Familie alleine Fasten brechen, essen wir wenig. Wenn Besuch eingeladen ist, wird aufgetischt! Das ist aber eher der Gastfreundschaft als einer vermeintlichen Völlerei geschuldet. Danach ist bei uns 2-3 Resteessen angesagt, weil auch der Besuch eher von jeder Sache etwas probiert als sich damit voll zu essen. Und bei den Muslimen, die tatsächlich kein Maß beim Essen kennen, hilft vielleicht, sich mehr mit der Lehre des Islam zu beschäftigen und den bekannten Hadith befolgen: ein Drittel des Magens mit Essen, ein Drittel mit Wasser füllen und das letzte Drittel fürs Atmen frei lassen!
08.06.17
12:05
SpartanIsch sagt:
Hab mich beim Schreiben eben vergaloppiert: Sollte heißen: "Danach ist bei uns 2-3 ***Tage*** Resteessen angesagt"!
08.06.17
12:09
Mads sagt:
@SpartanIsch: Ich habe lediglich auf den Text gleich im Anschluss an die Überschrift Bezug genommen. Dort heißt es: "Vor allem zum Iftar an Ramadan werden üppige Mahlzeiten mit Fleischgerichten serviert." Und ich sage ja auch nicht "die Muslime unserer Tage", sondern "Muslime unserer Tage". Folglich kehre ich keineswegs alle Muslime über einen Kamm. Meine Formulierung spricht nämlich nur von einem (zugegebenermaßen unbestimmten) Teil der Gesamtheit der Muslime, nicht von allen.
08.06.17
13:50
Hmmmm sagt:
@Spartanisch: So gerne würde ich Ihrer Aussage Glauben schenken, jedoch lässt mich der Blick auf die Bäuche der heutigen Muslime (auch der muslimischen Gelehrten) überall auf der Welt eines Besseren belehren. Leider...
09.06.17
4:21
grege sagt:
so wie sich mir der Ramadan präsentiert, stellt dieser mehr eine zeitliche Verlagergung der Essgewohnheiten dar. Ob das daher wirklich etwas mit Fasten zu tun, ist Ansichtssache
11.06.17
9:15
SpartanIsch sagt:
@Mads: Wenn Sie "Muslime unserer Tage" nicht allgemein meinten, dann habe ich Sie tatsächlich falsch verstanden. Entschuldigung! Ich hatte die Formulierung nämlich als "die Muslime" aufgefasst. Die Formulierung ist etwas missverständlich, und wenn Sie nur auf einen Misstand einer Gruppe unter den Muslimen abzielen, wäre so etwas wie "einige Muslime" oder "bestimmte Muslime" unmissverständlicher. Aber nach Ihrer Klarstellung, nehme ich meine Kritik zurück @Hmmmm Vielleicht achten Sie auf die falschen Gelehrten ;) Auch in Ihrer Formulierung würde ich mir mehr Differenzierung wünschen. Sie schreiben "die Bäuche der heutigen Muslime". Vielleicht kann mir jemand auf die Sprünge helfen: bin ich schon paranoid oder nehmen das andere auch als eine ziemlich verallgemeinernde Formulierung wahr?
11.06.17
17:44
Andreas sagt:
@grege: Es gibt unterschiedliche Methoden des Fastens. Keine davon kann für sich beanspruchen, die einzig Richtige zu sein. Im übrigen ist es in jedem Fall eine ziemliche Herausforderung, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang nichts zu essen und zu trinken (um mal banal zu bleiben, ich weiß, dass Ramadan mehr bedeutet).
13.06.17
15:27
Angelika sagt:
Hier sind sich alle gleich, alle ob Muslime ,Christen oder andere Gläubige der heutigen Tage essen viel zu viel Fleisch. Der Mensch braucht es nicht, wir brauchen keine Massentierhaltung nur etwas Vernunft.
22.06.17
17:00