









Die Forderung, Straffälligen die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen, widerspricht dem Grundgesetz. Mehrstaatigkeit wird dennoch politisch instrumentalisiert. Von Nahla Osman.
Eigentlich sollte klar sein, wer Deutsch ist: Nach rechtlichem Verständnis ist es jede Person, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Punkt. Die Definition des Grundgesetzes ist unmissverständlich. Seit der Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts (StAG) ist die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft nicht mehr verpflichtend.
Das Thema der doppelten Staatsangehörigkeit, insbesondere in Bezug auf Rechtstreue und nationale Loyalität, ist in vielen Ländern kontrovers und komplex. Es gibt verschiedene Perspektiven auf die Frage, ob und in welchem Umfang Menschen mit mehreren Staatsangehörigkeiten zu einer bestimmten Loyalität oder Bindung gegenüber einem Staat verpflichtet sind.
Insgesamt dreht sich die Debatte oft um die Balance zwischen individueller Freiheit und den Erwartungen des Staates an seine Bürger. Die politische Debatte zeichnet jedoch ein anderes Bild: Nach der Vorstellung von Friedrich Merz ist ein Doppelstaatler stets ein Deutscher auf Probe oder auf Abruf. Die Botschaft lautet: „Benimm dich artig, sonst bist du ganz schnell wieder weg!“ Doch wie lange? Bei welcher Generation hört das auf?
Wenn wir uns die gegenwärtige Debatte, den aktuellen extremen Wahlkampf auf dem Rücken von Asylsuchenden und Minderheiten anschauen und Zeuge eines Überbietungswettkampfs in Rassismus und Ausländerfeindlichkeit werden, erkennen wir Parallelen zur Vergangenheit. Die Idee, die doppelte Staatsbürgerschaft bei Straffälligkeit entziehen zu können, erinnert leider an das Reichsbürgergesetz von 1935.
Was Friedrich Merz gesagt hat, ist nichts anderes als widerlicher Rassismus und keine konstruktive Lösung für das Problem krimineller Mitmenschen. Leider kommt die Forderung von Merz nicht überraschend. Er führt nur fort, was bereits seit Langem entgegen Artikel 116 GG gesellschaftlicher Konsens zu sein scheint: dass manche Deutsche eben doch nicht als vollwertig angesehen werden.
Die Integrationsbeauftragte Alabali-Radovan hat viel dafür getan, die doppelte Staatsangehörigkeit zu normalisieren und damit die Integration zu fördern. Merz jedoch behauptet, dass die Beibehaltung der Staatsangehörigkeit „zusätzliche Probleme“ in Deutschland verursache. Er schlägt vor: „Es müsste zumindest auf der gleichen Ebene eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft möglich sein, wenn wir erkennen, dass wir bei straffällig gewordenen Personen einen Fehler gemacht haben.“ Er will also Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen, um sie ausweisen und abschieben zu können. Dieser Vorschlag ist nach gegenwärtiger Rechtslage verfassungswidrig.
Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht ist im Grundgesetz (GG) und im Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) geregelt. Gemäß Artikel 16 Absatz 1 GG darf „die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur aufgrund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.“
Ein Widerruf käme nur infrage, wenn eine Einbürgerungsvoraussetzung nachträglich wegfällt, etwa wenn sich die Person nicht mehr zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt oder gegen sie gerichtete Bestrebungen verfolgt, § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 11 S. 1 Nr. 1 StAG. War die Einbürgerung von Anfang an rechtswidrig, kann sie zurückgenommen werden, insbesondere wenn sie durch Täuschung, Falschangaben oder Bestechung erlangt wurde (§ 35 Abs. 1 StAG).
Die Mehrstaatigkeit ist längst gängige Praxis des Völkerrechts. Dennoch behaupten manche, dass sich zu Deutschland zugehörig Fühlende keinen zweiten Pass bräuchten. Dabei ist klar, dass die doppelte Staatsbürgerschaft kein Ausdruck mangelnder Loyalität ist, sondern vielmehr eine Bereicherung.
Zudem gibt es Länder, die ihre Bürger nicht aus der Staatsbürgerschaft entlassen, darunter Syrien, Afghanistan, Algerien, Eritrea, Iran, Kuba, Libanon, Marokko und Tunesien. Drei Millionen Menschen in Deutschland haben die doppelte Staatsbürgerschaft und bekennen sich zu den Werten und Normen dieses Landes.
Die CDU erweist der AfD mit dieser Debatte einen großen Gefallen. Tatsächlich sehen viele Juristen das Grundgesetz und die Menschenrechte zunehmend bedroht. Ich hoffe und erwarte einen Aufstand anständiger Menschen, denn die Mehrheit teilt diesen Rassismus nicht, ist aber oft stiller als Leute wie die AfD und Merz.
Merz spaltet das Land noch weiter mit Forderungen, die rechtlich nicht haltbar sind. Begründet wird sein Kurs absurd mit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg: Der Täter, ein Arzt aus Saudi-Arabien, war weder deutscher Staatsbürger noch zuvor als Straftäter aufgefallen. Trotzdem werden die Forderungen von Merz immer salonfähiger und extremer. Verantwortlich dafür ist eine Politik, die in der Mitte immer mehr nach rechts rückt, auf Rechtspopulismus und Symbolpolitik setzt, statt auf Vernunft und Problemlösung.
Ja, Kommunen und das System stehen unter Druck. Doch die Lösung liegt nicht in Abschottung, sondern in effizienteren Verfahren und einer besseren Steuerung. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels brauchen wir Menschen, die sich integrieren und die Wirtschaft stärken. Deutschland hat von Migration langfristig profitiert.
Niemand riskiert sein Leben in einem Schlauchboot, wenn er Alternativen hat. Menschen fliehen nicht wegen angeblicher Anreize in Deutschland, sondern vor Krieg, Verfolgung und Hunger. Die Staatsbürgerschaft ist kein Privileg, das der Staat nach Belieben gewähren oder entziehen kann. Sie ist ein Grundrecht, das uns vor staatlicher Willkür schützt. Wer diese Grenze verschiebt, spielt mit dem Feuer und gefährdet unsere Demokratie.
Straftaten werden durch das Strafrecht geahndet. Wer eingebürgert wird, hat bereits unter Beweis gestellt, dass er die Kriterien erfüllt. Es darf keine rechtliche Abwertung von Mehrstaatlern geben. Sie sind ebenso Teil dieser Gesellschaft wie alle anderen Bürger.