„Wilde Fremde“ und „Terroreinheit“ – für den Staatsanwalt hat der Vater des Hanauer Attentäters mit diesen Äußerungen die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten. Der Verteidiger des Mannes verweist auf den großen Verlust, den sein Mandant erlitten habe.
Im Berufungsprozess gegen den Vater des Hanauer Attentäters wegen Beleidigungsvorwürfen hat der Staatsanwalt eine Gesamtgeldstrafe für den Angeklagten von 11 700 Euro gefordert. „Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung steht der Tatvorwurf sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht so fest“, sagte Staatsanwalt Martin Links am Freitag vor dem Landgericht Hanau. Die Äußerungen des 75-Jährigen seien so einzuordnen, dass sie die Grenzen der Meinungsfreiheit jeweils verletzen.
Der Mann ist der Vater des 43-jährigen Deutschen, der am 19. Februar 2020 neun Menschen in Hanau aus rassistischen Motiven erschossen hatte, bevor er seine Mutter und schließlich sich selbst tötete. Sein Vater soll in einer Strafanzeige Menschen, die an einer Demonstration in der Nähe seines Wohnhauses teilgenommen hatten – darunter auch Angehörige der Anschlagsopfer – als „wilde Fremde“ bezeichnet haben.
Dies sei der gravierendste Vorwurf, sagte Links. Die Äußerung fuße eindeutig auf rassistischem und rechtsextremem Gedankengut, zumal der Angeklagte „nicht die geringsten Hemmungen“ gezeigt habe, sie im Gerichtssaal zu wiederholen. „Er hat deutlich gezeigt, wes Geistes Kind er ist“, sagte Links.
Der Verteidiger des Mannes erklärte, während des Prozesses sei es immer wieder um dessen Sohn gegangen. Mit dessen Taten habe sein Mandant nichts zu tun, solle aber „dafür geradestehen“. Der Angeklagte habe schon Schlimmes erlebt, nun solle er eine Geldstrafe zahlen, obwohl er zuvor seine gesamte Familie verloren habe. „Er leidet immer noch an diesen Folgen.“ Er sei der Auffassung, dass sein Mandant „genug gelitten“ habe. Der Einsatz im Haus des 75-Jährigen in der Tatnacht habe zudem beträchtlichen Schaden verursacht. „Ich stelle einen Antrag, im Sinne meines Mandanten zu entscheiden“, sagte der Verteidiger.
Dem Angeklagten wird auch vorgeworfen, ein Spezialeinsatzkommando, das in der Tatnacht in seinem Haus eingesetzt war, als „Terrorkommando“ beziehungsweise „Terroreinheit“ bezeichnet und den Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) unter anderem der „Wählertäuschung“ bezichtigt haben. Angeklagt ist er wegen des Vorwurfs der Beleidigung in drei Fällen.
Während der Verhandlung hatte der Mann auch auf die Schäden verwiesen, die durch den Einsatz in seinem Haus entstanden seien. So seien Computer kaputt gegangen, sein Pass und seine Brille seien nicht mehr auffindbar gewesen. „Daraus habe ich eine Wut und daraus habe ich einen Hass auf dieses System“, sagte der 75-Jährige. Der Staatsanwalt entgegnete in seinem Plädoyer: „Es wäre vielleicht angezeigt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, was die Familien von neun anderen Menschen an diesem Abend für ein Leid erlitten haben. Da geht es nicht um einen Pass oder eine Brille.“
Begonnen hatte der zweite Prozesstag am Vormittag erneut mit teils heftigen Vorwürfen des Angeklagten und einem Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende Richterin, der als unzulässig abgelehnt wurde. Vor knapp einem Jahr war der Mann vom Amtsgericht Hanau wegen Beleidigung in drei Fällen zu einer Geldstrafe von 5400 Euro verurteilt worden. Dagegen legten sowohl er als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein, so dass das Verfahren in die nächste Instanz ging. Am kommenden Montag (12. September) soll der Angeklagte das letzte Wort haben, danach steht die Urteilsverkündung an. (dpa, iQ)