Interview

NRW-Schulministerin Löhrmann zum islamischen Religionsunterricht

Vor fünf Jahren hat Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland islamischen Religionsunterricht eingeführt – mit den Stimmen der rot-grünen Regierungsfraktionen und der CDU. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) zieht am Donnerstag im Interview mit der KNA Bilanz.

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04
2017
Schulministerin Sylvia Löhrmann © Facebook, bearbeitet by iQ.

KNA: Frau Löhrmann, sind Sie zufrieden mit der Etablierung des islamischen Religionsunterrichts?

Löhrmann: Der islamische Religionsunterricht leistet einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung des Grundrechts auf Religionsfreiheit und zu einer gelingenden Integration. Eine erste wissenschaftliche Evaluation zeigt, dass diese Ziele erreicht werden und das Fach positiv angenommen wird. Wir bieten den muslimischen Schülerinnen und Schülern einen modernen und aufgeklärten Religionsunterricht an, genauso wie wir es für katholische, evangelische, jüdische oder alevitische Kinder und Jugendliche tun.

KNA: Von den landesweit rund 364.000 muslimischen Schülern erhalten nicht einmal fünf Prozent den islamischen Religionsunterricht. Das ist nicht gerade viel.

Löhrmann: Das ist richtig. Deshalb werden wir das Angebot weiter ausbauen. Das kann aber nur schrittweise gehen. Das Fach musste ja zunächst erst einmal eingeführt sein, bevor mit der Ausbildung von Fachlehrerinnen und Fachlehrern begonnen werden konnte. Sie können Lehrkräfte ja nicht auf Verdacht ausbilden. Mittlerweile wird das Fach an 200 Schulen unterrichtet. Dort wo es angeboten wird, ist die Resonanz bei Schülerinnen, Schülern, Eltern und Lehrkräften eindeutig positiv.

KNA: Ist die Nachfrage danach gar nicht so groß? 224 Lehrer haben die Lehrerlaubnis für das Fach, aber nur 167 Pädagogen unterrichten es.

Löhrmann: Das kann am jeweiligen Einsatzort der Pädagoginnen und Pädagogen liegen. Denn es muss immer eine Mindestzahl von Schülerinnen und Schülern für den Unterricht zusammenkommen. Erst wenn sich mindestens zwölf Schülerinnen und Schüler finden, kann das Fach – auch schulübergreifend – eingerichtet werden. Andererseits ist es aber auch gut, dass wir Lehrkräfte in Zertifikatskursen qualifizieren konnten und eine gewisse Reserve haben. Ab dem kommenden Schuljahr erwarten wir die ersten Absolventinnen und Absolventen des Studiengangs Islamische Theologie in Münster.

KNA: Muslim ist nicht gleich Muslim – auch hier gibt es konfessionelle Unterschiede. Welches Vertrauen haben die Eltern in das Schulfach?

Löhrmann: Der Islam ist völlig anders organisiert, als wir das von unseren christlichen Kirchen kennen. Deshalb haben wir einen Beirat gebildet, der die religiöse Lehrerlaubnis für die Religionslehrkräfte erteilt und am Lehrplan mitwirkt. Diesem Beirat gehören Vertreterinnen und Vertreter der vier größten Islamverbände an. Und um auch die nichtorganisierten Muslime zu berücksichtigten, entsendet das Schulministerium weitere vier Mitglieder in dieses Gremium. Das Beiratsmodell trägt also der Vielfalt des Islam Rechnung. Kritik seitens der Eltern ist uns nicht bekannt.

KNA: Und die Eltern akzeptieren diese Art überkonfessionellen islamischen Religionsunterrichts?

Löhrmann: Ja, sie sind froh, dass ihre Kinder wie die Schülerinnen und Schüler der anderen Konfessionen Religionsunterricht bekommen. Diese Wertschätzung schlägt sich letztlich in Heimatverbundenheit nieder, was die Integration sehr fördert. Und weil der Unterricht auf Deutsch stattfindet, können sich die Kinder auch in ihrem Umfeld und ihrer Nachbarschaft über ihren Glauben austauschen. Das trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei – gerade in der heutigen Zeit ein sehr hohes Gut.

KNA: Was kann Ihr Haus zu mehr Dynamik in der Entwicklung des islamischen Religionsunterrichts beitragen?

Löhrmann: Wir richten die für den Ausbau erforderlichen Stellen ein, in den vergangenen Jahren waren das jährlich rund 50. Im Laufe dieses Jahres werden die ersten Referendarinnen und Referendare in die Schulen kommen. Das wird zu einer größeren Sichtbarkeit des Faches führen. Aber klar: Was die Ausbaudynamik betrifft, kann es gerne mehr werden. Der gesamte Weg ist erfreulicherweise zwischen SPD, CDU, und Bündnis 90/Die Grünen unumstritten, die das Gesetz 2011 gemeinsam verabschiedet haben.

KNA: Die islamischen Religionsgemeinschaften ziehen nicht immer an einem Strang. Wie funktioniert die Zusammenarbeit im Beirat?

Löhrmann: Bislang ist keine Idschaza, also die Lehrerlaubnis, verweigert worden. Auch bei den Lehrplänen hat es keine Konflikte gegeben. Erst in Folge der Debatte über die Türkei und die Rolle der Ditib habe ich personelle Konsequenzen gezogen und darauf gedrungen, dass die Ditib ihre Mitarbeit ruhen lässt. Ich möchte nicht, dass der Beirat politisiert wird und damit seine Arbeit diskreditiert wird.

KNA: Weil die Islamverbände nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt sind, wurde der Beirat als Übergangslösung eingerichtet – aber nur bis 2019. Nach den Turbulenzen um die Ditib sieht es nicht danach aus, dass die Verbände bis dahin als Religionsgemeinschaft anerkannt sind. Bleibt der Beirat eine Dauerlösung?

Löhrmann: Bis 2019 gibt es eine abschließende Evaluation – und dann muss sich ein neuer Landtag dazu verhalten. Was den Anerkennungsprozess angeht, hat die Staatskanzlei Gutachter beauftragt, die feststellen müssen, ob die islamischen Verbände als Religionsgemeinschaft gemäß Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz angesehen werden können. Das sind hohe Hürden. Alle Fraktionen des Landtags sind in den Untersuchungsprozess eingebunden. Das ist auch richtig so, weil der Landesregierung an einem Konsens gelegen ist. Die abschließende Feststellung, ob es sich bei den Verbänden um Religionsgemeinschaften handelt, mit denen das Land auch ohne Vermittlung über einen Beirat Religionsunterricht anbieten kann, nimmt die Landesregierung in eigener Verantwortung vor.

KNA: Der Landesregierung liegen bereits zwei Gutachten zur Ditib vor. Warum zieren Sie sich so, die Ergebnisse zu veröffentlichen?

Löhrmann: Der Prüfprozess ist noch nicht abgeschlossen. Bisher liegt das rechtswissenschaftliche Gutachten vor. Derzeit wird zudem ein religionswissenschaftliches Gutachten zu dieser Frage erstellt. Dieses Gutachten ist aufgrund der Ereignisse in der Türkei erweitert worden und soll bis zur zweiten Jahreshälfte 2017 vorliegen. Erst die endgültige Fassung beider Gutachten stellt das Gesamtgutachten dar, das auch veröffentlicht werden soll.

KNA: Wie kann der Staat dafür garantieren, dass der türkische Staat über die Ditib nicht Lehrplan und Lehrerlaubnis mitbestimmt.

Löhrmann: Indem das Schulministerium die Lehrpläne abschließend verantwortet. Und die Ditib lässt ja im Moment ihren Sitz ruhen. Wir hatten aber auch vorher im Beirat diesbezüglich keine Interventionen. Das hohe Gut dieses Unterrichts ist doch, dass er unter staatlicher Schulaufsicht stattfindet, mit in Deutschland ausgebildeten Lehrkräften und eben nicht mit aus der Türkei finanzierten Imamen.

KNA: Eine strukturelle Loslösung der Ditib von der Türkei gelingt doch nur, wenn der Verband finanziell unabhängig wird. Doch die Beiträge der Mitglieder in den 900 Moscheegemeinden reichen hinten und vorne nicht, um die Imame zu finanzieren. Können Sie sich eine staatliche Förderung der islamischen Verbände vorstellen, damit sie auf eigene Füße kommen?

Löhrmann: Das müsste in einem Vertrag geregelt werden, den das Land mit den muslimischen Gemeinden schließt. Da die Muslime die drittgrößte Bevölkerungsgruppe stellen, wäre es naheliegend, dass man hier Vereinbarungen trifft. Ich weiß, dass darüber auch in Kommunen Diskussionen laufen – und zwar von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern jeder Couleur. Hier geht es zum Beispiel um die soziale Infrastruktur wie Altenheime und andere karitative Einrichtungen. Die Frage der finanziellen Förderung steht an – aber das wird ein Thema für die nächste Legislaturperiode sein. (KNA/iQ)

Leserkommentare

Kritika sagt:
L.S Kritika findet es unverantwortlich, unkritische, unmündige Kinder Informationen Geschichten als Wahrheit beizubringen, die 80% der Weltbevölkerung für nicht wahr halten. Besonders verwerflich ist es, das im Rahmen der Schule zu tun. Hier wird Wissenschaftlich gelehrt und bei jeder These wird der Beweis gezeigt zB a²+b²=c² für das rechtwinklige Dreieck. Oder der Lehrer zeigt auf der Karte wo Amsterdam, Berlin, Curaçau liegen. Oder wie das Leben auf Erden durch Evolution von biologische Kleinststrukturen sich in einem sehr sehr langen Zeitraum zum Menschen entwickelt hat. Und dann kommt das KontrastProgramm: das Fach "Christliche-" oder "Islamische-", oder "Jüdische-" Religion mit dem Mytos "Adam und Eva", das verwirrt natürlich die Kinder, da sie die Evolution als beweisbare, gesicherte Tatsache kennen. Gewöhnt, dass in der Schule Tatsachen gelehrt werden, ist die Bereitschaft der Schüler offen, auch "Islamkunde" für bare Münze zu halten. Und nicht für Geschichten von vór oder aus dem finsteren Mittelalter. Das System Schule verleit diesen Geschichten eine Autentizität, die sie nicht verdienen. Junge Kinder können das natürlich nicht durchschauen und das sollen sie wohl auch nicht. Kindgerechter und fairer wäre es, viele Religionen, wie Budismus, Christentum, Islam, Mormonen, Jehova Zeugen, Herrnhüter - - - zu behandlen. Dann würden die Kinder sehen, dass jeder Religion eine von vielen ist. (Kritika hat früher auf dieser Weise in der SekundarStufe viele Religionen kennen gelernt.) Mit diesem Wissen können die Kinder sich dann ein auch ein objectives Bild machen, über die Religion ihrer Eltern. Gruss Kritika
24.04.17
0:45
Ute Fabel sagt:
Nicht vergessen werden darf, dass das Grundrecht der Religionsfreiheit von den Gegnern der abrahamitischen Religionen erkämpft wurde. Christentum, Islam und Judentum stehen in einer Tradition des Religionszwangs. Durch Beschneidung und Kindertaufe soll die Religion der Eltern einfach auf die religionsunmündigen Kinder übergestülpt werden. Durch den konfessionellen Religionsunterricht soll diese frühkindliche Schubladisierung verfestigt werden. Frau Löhrmann spricht ziemlich achtlos über "katholische, evangelische, jüdische oder alevitische Kinder und Jugendliche". Mich würde interessieren, ob es für sie auch sozialdemokratische, rechtskonservative, grüne und liberale Kinder gibt. Ich finde es bedauerlich, dass sich die Grünen soll willfährig an religiöse Lobbyinginteressen anbiedern. Ein übergreifendes Unterrichtsfach Religion, Weltanschauungskunde und Ethik wäre weit integrativer und wäre ein positives Zeichen gegen frühkindliche religiöse Schubladisierung.
25.04.17
10:14
Johannes Disch sagt:
Das Fach "Ethik" gibt es bereits schon lange. Und für sozialdemokratische, grüne und liberale Kids gibt es die Fächer Geschichte und Gemeinschaftskunde.
26.04.17
0:49
Andreas sagt:
Es ist ein Ammenmärchen, dass das Grundrecht auf Religionsfreiheit von den Gegnern der abrahamitischen Religionen erkämpft wurde. Die waren sicher auch beteiligt, aber es waren auch Kritiker aus den eigenen Reihen der Religionen, die sich für Religionsfreiheit eingesetzt haben. Es ist auch nicht zutreffend, dass Christentum, Islam und Judentum in einer Tradition des Religionszwangs stehen. Erst einmal ist es so, dass Eltern, egal welcher Weltanschauung oder Religion, ihren Kindern die eigenen Werte weitergeben und die Kinder in die jeweilige Gemeinschaft hineinerziehen. Das Judentum ist im übrigen nicht auf Missionierung ausgerichtet, so dass Juden auch niemanden zum Judentum zwingen. Christen und Muslime haben dies in der Vergangenheit zwar häufig genug getan und tun dies sicherlich auch zum Teil noch heute. Aber Jesus ging es nie darum, Menschen unter Zwang zu seinen Anhängern zu machen. Und im Koran findet sich die Formel "Kein Zwang in der Religion". Man kann natürlich einen Traditionsstrang herausgreifen und diesen zum prägenden Merkmal einer Religion erklären. Die Wirklichkeit trifft man damit jedoch nicht.
03.05.17
14:46
Johannes Disch sagt:
@Andreas (Ihr P vom 03.05.) Ich unterschreibe jedes Wort.
04.05.17
19:58
Enail sagt:
Nun ja, Frau Löhrmann, die in ihrer Funktion als Schulministerin für eine desaströse Bildungspolitik in diesem BL verantwortlich zeichnet. Gestern sah ich einen Bericht über die Bockmühle, eine Gesamtschule in Essen. Unverantwortlich der Zustand dieser Schule, marode, viele Räume können wegen Baufälligkeit nicht benutzt werden, die Kabel hängen von den Wänden. Von 1400 Schülern haben 70% einen Migrationshintergrund, 60% stammen aus Hartz IV Familien. Und das ist nur eine von vielen Schulen in NRW die mit diesen Zuständen zurecht kommen müssen. Da werden einfach falsche Prioritäten gesetzt. Zunächst müsste das mittelbare Umfeld in der Schule in Ordnung gebracht werden. Diese Räume motivieren sicher nicht zum Lernen. Nicht umsonst bildet NRW das Schlusslicht bei der Bildung, aber Hauptsache, die Kinder werden religiös unterrichtet. In Bayern haben die Schüler die Wahl zwischen Religionsunterricht und Ethik. Geschichte und Gemeinschaftskunde ist für alle Schüler verpflichtend, denn diese Fächer haben nichts mit Religion zu tun. Kein Wunder, dass Rot-Grün regierte Länder in der Bildungspolitik hinter herhinken. Selbst mit richtiger Priorität setzen tut man sich schon schwer. Religion gehört sicher nicht dazu, außer man will sich für einen geistlichen Beruf entscheiden. Nach meiner Erfahrung tun das die wenigsten.
05.05.17
1:16
Johannes Disch sagt:
@Enail Die von Ihnen geschilderten Zustände findet man nicht nur in Schulen in NRW, sondern auch in anderen Bundesländern, die nicht von Rot-Grün regiert werden, sondern von den Konservativen. Ihr Posting erschöpft sich in üblichem Rot/Grün-Bashing.
05.05.17
14:24
Ute Fabel sagt:
@Andreas: Baruch Spinoza, der sich kritisch mit den religiösen Dogmen seiner Religionsgemeinschaft auseinandergesetzt hat, wurde nicht nur exkommuniziert sondern auch umfassend und öffentlich verflucht. Jan Hus und Giordano Bruno landeten auf dem Scheiterhaufen. Im islamischen Einflussbereich mussten Andersgläubige jahrhundertelang eine Strafsteuer entrichten, wenn sie nicht bereit waren zu konvertieren. Ich weiß nicht, an welche internen Kritiker aus den Reihen der abrahamitischen Religionen sei denken, die das Prinzip der Religionsfreiheit statt Religionszwang vorangetrieben haben sollen. Mir fallen keine ein. Auch heute sind die christlichen, islamischen und jüdischen Religionsvertreter die großen Lobbyisten des konfessionellen Religionsunterrichta, bei dem religionsunmündige Minderjährige nach dem Religionsbekenntnis ihrer Eltern aussortiert werden.
12.05.17
12:19
grege sagt:
@ Enail als jemand aus dem Ruhrgebiet muss ich ihre Darstellung leider bestätigten. Die fehlenden Wahlmöglichkeiten sehe ich allderdings weniger als Ursache an, als vielmehr die kraftlose Politik unserer Ministerpräsidenten, die an unverdrossen an Ihrem gejagten Innenminister festhält. Rot und später Rotgrün haben das einstmals prosperierende Bundeslang zugrunde gerichtet.
12.05.17
21:53
Enail sagt:
@ Disch: Wenn man die BL im Bildungsranking betrachtet ist es nun mal so, dass Rot-Grün regierte Länder einfach hinter herhinken. Kann man auch ganz gut in BW erkennen, das seit Rot-Grün regiert, sich auf dem absteigenden Ast befindet. Nun, in Bayern ist es so, dass alle Kinder, egal aus welcher politischen Richtung, in Gemeinschaftskunde und Geschichte unterrichtet werden und nicht nur die von ihnen genannte Richtung. Ethik kann man wählen, wenn man keinen Religionsunterricht möchte oder eben keiner Religion angehört. Und dass Rot-Grün, Sie werden es nicht glauben, bis zur Agenda 2010 war ich SPD Mitglied, unserem Land nicht gut tut, kann man im ganzen Land erkennen. Das ist kein Rot/Grün Bashing, das ist leider heute die Realität in DE. Und ich meine schon, dass Bildung der Schlüssel für eine gute Entwicklung und ein friedliches zusammen leben ist. Egal welche Hautfarbe, Religion oder sonstwas. Wenn man sich die Krisenherde ansieht, kann man, wenn man möchte, das auch erkennen. Und ich finde, dass eben Religion oft ein Hinderungsgrund für gute Bildung ist.
14.05.17
2:29
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