Österreich

Das ewige Kreuz mit dem Kopftuch

Österreich diskutiert über das Gutachten der IGGÖ, indem das Tragen eines Kopftuchs als „islamisches Gebot“ beschrieben wird. Während die Politik einen „Kopftuchzwang“ wittert, sehen viele Muslime einen Zwang zur Problematisierung der bestehenden Normengesamtheit im Islam. Ein Kommentar.

12
03
2017
Aktion #MeinHijabMeinRecht des Netzwerkes Musliminmen und solidarische Nichtmusliminnen by Naima Bazina © facebook, bearbeitet iQ

Deutsch, die Sprache Goethes, romantisch, poetisch, aber auch die Sprache Freuds, analytisch, konkret, und die Sprache Gadamers, methodisch, scharf analysierend. Die Art und Weise, in der die deutsche Sprache gerade in letzter Zeit in der Politik, insbesondere in den Diskussionen über das Kopftuch, eingesetzt wird, zeigt, dass Sprache auch ausgrenzend und herabwürdigend sein kann.

Die Gretchenfrage an den religiös pluralen Staat lautet: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ oder besser: mit religiösen Symbolen? Für den Staat stellt das Kopftuch ein islamisch-religiöses Symbol dar, ähnlich wie das Kreuz als Symbol für das Christentum steht. Weil sich der österreichische Staat jedoch als weltanschaulich neutral definiert, untersagt er im neuen Integrationsgesetz das Tragen sichtbarer politischer oder religiöser Symbole für Richter, Staatsanwälte und Polizisten. Nur Kreuze verbietet er nicht, denn dieses ist zwar ein religiöses Symbol, aber ein Symbol, dass der Staat anscheinend lieb gewonnen hat. Laut Verfassungsgerichtshof handelt es sich beim Kreuz nicht nur um ein religiöses, sondern auch um ein „Symbol der abendländischen Geschichte“, und dazu bekennt sich Österreich. Auch die Bildungsministerin Hammerschmid stellt klar: „Das Neutralitätsgebot, wie es im Arbeitsprogramm der Bundesregierung formuliert ist, betrifft das Kreuz im Klassenzimmer nicht. Die Kreuze werden weiterhin im Klassenzimmern hängen.“ Natürlich auch in Gerichtssälen.

Das Gutachten der IGGÖ

Aufgrund der recht harschen Diskussion sah sich die IGGÖ gezwungen, eine theologische Stellungnahme zum Thema Kopftuch zu veröffentlichen. Aus ihrer Sicht stellt ein um den Kopf getragenes Tuch kein religiöses Symbol dar, sondern die Ausübung einer religiösen Glaubenspraxis, die durch die Menschenrechte geschützt ist. Eine Welle der Empörung schwappte über die IGGÖ hinweg. Stein des Anstoßes war vor allem die Definition der Bedeckung bestimmter Körperteile als „religiöses Gebot“. Die nichtmuslimische Öffentlichkeit, Integrationsminister und Staatssekretärin zeigten sich gleichermaßen besorgt über einen angeblich latenten „Kopftuchzwang“, vor dem es Frauen zu schützen gelte. Eigentlich ein archetypisches Phänomen. Es folgte die drohende Aufforderung an die Glaubensgemeinschaft, ihre Stellungnahme zu überdenken. Integrationsminister Sebastian Kurz zeigte sich alarmiert: „Ich mische mich zwar nicht in die inneren Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft ein, aber als Integrationsminister muss ich klar sagen, was wir für richtig halten und was für falsch: Eine Verpflichtung zum Kopftuch lehnen wir jedenfalls klar ab! Ich fordere die IGGÖ auf, offen zu sagen, wie sie zu der Empfehlung auf ihrer Website steht und ob sie dabei bleibt.“
Hier stellt sich die Frage: Warum darf ein rund 1500 Jahre altes Gebot nicht mehr als solches bezeichnet werden?

Selbstbestimmungsrecht?

Die Selbstverpflichtung zur religiös-weltanschaulichen Neutralität verwehrt es dem Staat, Glaube und Lehre einer Religionsgemeinschaft zu bewerten oder zu hinterfragen, wie auch das Islamgesetz festhält:

„§ 2. (1) Islamische Religionsgesellschaften ordnen und verwalten ihre inneren Angelegenheiten selbständig. Sie sind in Bekenntnis und Lehre frei und haben das Recht der öffentlichen Religionsausübung.“

Doch Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften hin oder her, der zweite Absatz stellt die Rute ins Fenster:

„(2) Islamische Religionsgesellschaften genießen denselben gesetzlichen Schutz wie andere gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaften. Auch ihre Lehren, Einrichtungen und Gebräuche genießen diesen Schutz, sofern sie nicht mit gesetzlichen Regelungen in Widerspruch stehen. Religionsgesellschaften, Kultusgemeinden oder andere Untergliederungen sowie ihre Mitglieder können sich gegenüber der Pflicht zur Einhaltung allgemeiner staatlicher Normen nicht auf innerreligionsgesellschaftliche Regelungen oder die Lehre berufen, sofern das im jeweiligen Fall anzuwendende staatliche Recht nicht eine solche Möglichkeit vorsieht.“

Wenn wir nun, ähnlich wie das Christentum, unter dem Symbolbegriff auch Glaubensbekenntnisse fassen, also den öffentlichen Ausdruck des Glaubens, die Bekundung der persönlichen Überzeugung (und nichts anderes ist das Kopftuch!), wären wir wieder beim Schutz der Religionsfreiheit jedes Einzelnen wie auch beim Recht, Religion im Kollektiv ausüben, verwalten und lehren zu dürfen.

Religion, vom Lateinischen religio, „gewissenhafte Berücksichtigung“, „Sorgfalt“ oder relegere, „bedenken“, „achtgeben“, meint ursprünglich „die gewissenhafte Sorgfalt in der Beachtung von Vorzeichen und Vorschriften.“

Die Normengesamtheit der Religion

So ist es Gläubigen wichtig, die Vorschriften Gottes sorgfältig und gewissenhaft zu leben. Die diesbezüglichen Vorschriften (Gebote und Verbote) setzt im Islam Gott alleine, der zudem jedem seiner Geschöpfe einen Verstand gab, um seine Vorschriften zu verstehen, aber auch die Freiheit, diesen zu folgen oder nicht. Die Befolgung religiöser Vorschriften hängt einzig von der persönlichen Prioritätensetzung ab. Aus religiöser Sicht trägt jeder die Verantwortung für diese Entscheidung selbst. Diese persönlichen Entscheidungen verändern die religiöse Praxis des Einzelnen, nicht aber die Normengesamtheit der Religion selbst.

Eine Religionsgesellschaft ist im Rahmen der Religionsfreiheit mit der Religionspflege betraut, und vertritt die Interessen der Gläubigen. Die öffentliche Empörung darüber, dass die IGGÖ es „wagt“, Gebote und Verbote des Islam, über die seit Jahrtausenden weitgehend Konsens unter Gelehrten besteht, erklärend zu beschreiben, ist befremdlich. Oder will man MuslimInnen entgegen ihrer Überzeugung etwas anderes diktieren?

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
Selbstverständlich können Religionsvertreter Aussagen zu vermeintlichen religiösen Geboten machen. Allerdings müssen sie es in einer pluralistischen Gesellschaft auch hinnehmen, dass daran Kritik von innen und auch außen geübt wird. Der katholischen Kirche geht es nicht anders als der IGGiÖ derzeit mit der Kopftuchfrage. Zölibat (priesterliche Ehelosigkeit, die es im Islam wiederum nicht gibt) und der Ausschluss der wieder verheirateten Geschiedenen vom Sakrament des Abendmahls im Gottesdienst sorgen schon seit Jahrzehnten für öffentlichen Diskussionstoff. Der Umstand, dass etwas schon seit Jahrtausenden so gilt, ist allerdings ein schwaches Argument. "Wer seiner Rute schonet, der hasset seinen Sohn; wer ihn aber liebhat, der züchtiget ihn bald". steht in der Bibel in den Sprüchen 13:24. Jahrhundertlang leitete man daraus im Christentum ein religiöse Züchtigungsgebot der Eltern gegenüber der Kinder ab. Nach staatlichen Recht dürfen Eltern seit 2000 ihre Kinder nicht mehr schlagen. Ich habe seitdem keine christlichen Religionsvertreter vernommen, die daran Kritik üben.
13.03.17
7:45
Johannes Disch sagt:
Entscheidend in einem modernen säkularen Staat sind nicht die religiösen Gebote und Normen, sondern die weltlichen Gesetze und Regeln. Die IGGiÖ hat Unrecht, wenn sie das Kopftuch als zwingendes islamisches Gebot betrachtet. Es besteht im Islam keine Pflicht zum Kopftuch. Eine Pflicht zum Kopftuch lässt sich aus dem Koran nicht ableiten. Und nicht jeder religiöse Firlefanz fällt unter Selbstbestimmung. Das Thema "Kopftuch" hängt einem langsam wirklich zum Hals raus! Als hätte die Welt keine anderen und dringlichere Probleme.
13.03.17
9:42
Manuel sagt:
Die IGGiÖ vertritt nicht alle Moslems, sondern nur eine Minderheit, auch wenn sie sich das immer einbildet. Es gibt da noch die Aleviten und auch die Initiative Liberaler Muslime Österreich, die vollkommen anderer Meinung sind, wieso wird das hier nicht geschrieben? Ednan Aslan, ein bekannter Islam-Wissenschaftler ist vollkommen anderer Meinung, auch das sollte hier auch einmal geschrieben werden, weiters ist die IGGiÖ durchsetzt von AKP-Islamisten, die das Kopftuch als Politikum einsetzen.
13.03.17
10:52
Charley sagt:
Also die Gesetze sind absolut fest und sicher, aber freundlicherweise überlässt man den Gläubigen, wie ernst sie diese Gesetze nehmen. Unterschwellig wird natürlich gedroht, dass sie es schon vor Gott verantworten müssen, wenn sie seine strengen und klaren Gebote nicht einhalten. Die Freiheit des Einzelnen diesen sogenannten Gott-gegebenen Gesetzen nicht zu folgen, lässt sich natürlich auch gerne wieder zurücknehmen, sodass der Islam zu einer normativen Fessel für jeden einzelnen Gläubigen wird. Ein solches wäre dem Islam durchaus nicht fremd und es sind besonders die besonders islamischen Länder wie Saudi-Arabien, wo das grausam durchgeführt wird. Ich empfinde es als doppeltzüngig und heuchlerisch von islamiq hier immer wieder das "zweifelsfrei vorgeschriebene" Kopftuch zu proklamieren aber die Kehrseite der Medaille wie sie in der vollkommenen Bevormundung der Frau in Saudi-Arabien gelebt wird nicht zu erwähnen. Was bedeutet es denn islamisch, das in Saudi Arabien die Frauen jetzt Aufbegehren gegen diese Form von Sklaverei im 21 Jahrhundert, denn nichts anderes ist die Rechtlosigkeit der Frauen in Saudi-Arabien. Die eigene Islam Auffassung gegenüber diesem radikal Islamisten abzugrenzen gehört sich zu Positionsdarstellung genauso wie die Abgrenzung gegenüber einer unislamisch westlichen Kultur.
13.03.17
19:50
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Naja, es sind ja immer einige Moslems, die das Kopftuch zum Thema machen, weil es ihnen nicht passt, dass wir so ein Symbol nicht so toll finden, und nicht wir!
14.03.17
10:47
Frag W. Ürdig sagt:
Also regen sich jetzt ernsthaft diejenigen, die andere von der Nichtexistenz eines Gottes überzeugen wollen darüber auf, dass andere an einen Gott glauben?? Es galt mal im aufgeklärten Europa, dass sich der Staat nicht in religiöse Angelegenheiten einzumischen habe. DAS ist übrigens Neutralität. Und nicht dass er sich erdreistet, den Gläubigen ihren Glauben zu (v)erklären! Machen sich unsere Neutralitätsfanatiker eigentlich mit dem selben Eifer daran, den Juden ihre Frisur vorzuschreiben und ihnen zu raten, den Sabbath auf den Sonntag zu verlegen? Ach ne klar, DAS ist ganz klar Antisemitismus. Übrigens, es ist Fastenzeit, christliche Fastenzeit. Aber daran hält sich keiner der Abendlandverteidiger. Lachhaft...
15.03.17
21:31
Manuel sagt:
@Frag W. Ürdig: Das wir in keinem islamischen Land leben, scheinen Sie noch nicht ganz erfasst zu haben? Wieso sollten wir Teile der mittelalterlich-islamischen Gesellschaftsordnung übernehmen, damit es den Moslems ja passt?
16.03.17
15:22
Frag W. Ürdig sagt:
Wer versucht Manuel zu zwingen, Muslim zu werden? Wohl eher Symptome von Wahnvorstellungen...
17.03.17
19:27
Manuel sagt:
@Frag W. Ürdig: Wer fordert denn hier, das unser Staat die mittelaterlich-islamischen Dogmen übernehmen soll, damit sich einige Moslems ja wohl fühlen und ja nicht diskriminiert fühlen. Bei Ihnen ist wohl auch der Forderung nach Integration eine Diskriminierung oder?
19.03.17
16:19
Manuel sagt:
@Frag W. Ürdig: Ihre Beleidigungen können Sie sich sparen! (hoffe dies wird nicht wieder gelöscht, wenn jemand mich schon beleidigt). Es geht darum, warum wir hier islamische Dogmen übernehmen sollten?
21.03.17
10:33
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