Islamfeindlichkeit

Wulff besorgt über den Zustand der Demokratie

Ex-Bundespräsident Christian Wulff zeigt sich besorgt über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland und erinnert an die Erfahrungen der NS-Zeit. Muslime dürften nicht ausgegrenzt werden, wie man einst Juden in Deutschland ausgrenzte.

02
03
2017
Christian Wulff - Der Islam gehört zu Deutschland
Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff © Photo: Martina Nolte, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de, bearbeitet IslamiQ

Der frühere Bundespräsident Christian Wulff ist besorgt über den Zustand der Demokratie in Deutschland. Zwar verböten sich Vergleiche mit dem Nationalsozialismus, sagte er am Mittwoch im Essener Dom. Doch die Gegenwart zeige Parallelen zum Untergang der Weimarer Republik in den 1930er Jahren.

Dieser „erste hoffnungsvolle Beginn des Parlamentarismus“ sei an fehlender demokratischer Identität in Deutschland und einer gewissen Sorglosigkeit gegenüber antidemokratischen Fehlentwicklungen gescheitert, so Wulff. „Wenn viele in der Demokratie schlafen, kann es passieren, dass sie in der Diktatur aufwachen.“ Er äußerte sich beim Sozialpolitischen Aschermittwoch des Bistums Essen und der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Die Menschen heute dürfen laut Wulff nicht einem „Klima der Angst“ erliegen, das gerade in der digitalen Welt geschürt werde. „Es ist spürbar, dass die Gesellschaft seit einiger Zeit durch Egoismus, Nationalismus, Populismus, Protektionismus, Isolationismus, Autokratie, Angst, Hass und Missbrauch getragen wird“, so der frühere niedersächsische Ministerpräsident (CDU). Umso wichtiger sei es, dass die Bürger nicht abstumpften und Freiheit und andere demokratische Werte als selbstverständlich hinnähmen.

In der NS-Zeit habe es geheißen, die Juden gehörten nicht zu Deutschland, gab Wulff zu bedenken. „Heute heißt es, die Muslime gehören nicht zu Deutschland“, nahm er Bezug zu seinem vielzitierten Wort vom 3. Oktober 2010, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Christen sollten sich dafür einsetzen, dass die Muslime in Deutschland ihre Religion pflegen, Moscheen betreiben und ihre Kinder islamischen Religionsunterricht erhalten können. Voraussetzung sei, dass die Muslime demokratische Grundrechte wie Gleichberechtigung, Meinungs- und Religionsfreiheit anerkennten.

Angesichts der politischen Lage sieht Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck die Christen herausgefordert, Verantwortung wahrzunehmen. Wegen „der verschiedenen Vereinfacher und Populisten dieser Tage“ scheine es nötig, „dass wir uns neu bekennen und für die Freiheit Haltung zeigen“, sagte er in seinem Grußwort. EKiR-Präses Manfred Rekowski plädierte für mehr Engagement für den Frieden. „Spätestens seit dem letzten Jahrhundert wissen wir: Wenn mehr als ein Volk sagt ‚Wir zuerst‘, wird man sich über kurz oder lang auf Soldatenfriedhöfen treffen“, sagte er. Bei dem ökumenischen Gottesdienst entzündeten Overbeck und Rekowski vor dem Altar eine Kerze als Zeichen der ökumenischen Verbundenheit. (KNA/iQ)

Leserkommentare

Manuel sagt:
@Dilaver: Und wir brauchen hier keine antidemokratischen Hetzer aus den Reihen der AKP-Islamisten!
04.03.17
10:03
Kritika sagt:
An Mareike und andere. Sie haben die Lage in der Türkei korrekt beschrieben. Die Aussage von Dilaver "Es ist daher vollkommen in Ordnung, dass der Hetzer Deniz Yücel in der Türkei hinter Gittern sitzt" bestätigt die von Ihnen angesprochene Türkische Diktatur. Herr Yücel sitzt in Untersuchungshaft, kein Prozess hat stattgefunden, kein Gericht ein Urteil gesprochen, geschweige, dass es rechtskräftig geworden wäre. Aber Dilaver und andere Türkische Wortführer wissen bereits, dass er ein Hetzer und Spion ist und verurteilen ihm öffentlich; sie geben damit ein Beispiel des heutigen Türkischen Unrechtssystems. Groetjes, Kitika
04.03.17
22:39
gegek sagt:
@ dilaver warum leben eigentlich soviele Türken in einem Land, in dem angeblich Nazipraktiken angewendet werden? Ist der Anteil von Anhängern mit Sadomasopraktiken so hoch?
05.03.17
18:23
Johannes Disch sagt:
@gegek Es ist Wahlkampf-- es geht um Erdogans Referendum-- und da sollte man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Obwohl Erdogan und einige seiner Minister es mit gewissen Vergleichen übertrieben haben. Man sollte aber auch erwähnen, dass die Türkische Gemeinde in Deutschland sich von Erdogans unverschämten Nazi-Vergleich deutlich distanziert hat ("Erdogan ist zu weit gegangen").
08.03.17
10:35
gregek sagt:
@ Herr Disch, meiner Meinung nach hat auch ein Wahlkampf seine Grenzen. Herr Erdogan und seine Paladine auf Ministerebene schlagen hier in AFD Marnier eine Rhetorik an, die inakzeptabel ist. Zudem belässt es Erdogan auch nicht bei Wortern, was die laufenden Verhaftungswellen zu deutlich aufzeigen. Um so schockierender finde ich, dass der größte Teil der hier lebenden wahlberechtigten Türken und somit der Muslime diesen Autokraten wählen. Auch Herr Mazyek sowie die anderen Islamverbände haben es bisher vermieden, gegen diesen Mann Stellung zu beziehen (siehe Interview auf Facebook). Herr Erdogan und führende Vertreter der Islamverbände leisten der AFD tatkräftige Hilfe, ihr derzeitiges Stimmungstief zu verlassen.
09.03.17
19:16
Johannes Disch sagt:
@gregek Ich bin ganz ihrer Meinung. Erdogan & Co haben ja in den vergangenen Tagen seit meinem letzten Posting ordentlich nachgelegt. Das macht Auftritte türkischer Minister hier bei uns völlig inakzeptabel. Lustig dabei ist: Das türkische Wahlgesetz verbietet Wahlkampfauftritte von türkischen Ministern im Ausland. Die Herren verstossen also gegen ihr eigenes Gesetz,
15.03.17
16:09
gregek sagt:
@ Herr Disch zudem hat die Türkei den Wahlkampfauftritt ausländischer Politiker in ihrem Land auch schon des öfteren untersagt.
15.03.17
19:41
Frag W. Ürdig sagt:
Es ist bezeichnend, wie sich diejenigen kritisch hier zu Wort melden, die bei tatsächlichen Menschenrechtsverletzungen gegenüber Muslimen schweigen. Schweigen heißt dann ganz klar Zustimmung. Nichts aus der Geschichte gelernt, Manuel! Herr Wulff ist wegen dieser klaren Worte aus dem Amt gegängelt worden. Denn wer im Schloss Bellevue residiert, entscheidet in Deutschland die BILD und der Springer-Hetzer-Verlag. Ist ja auch logisch. Deren Geschäft ist bedroht, wenn das oberste Staatsoberhaupt zur Besonnenheit mahnt und zum friedlichen Miteinander aufruft. Das Geschäftsmodell lebt von Spaltern, nicht von moralischen Vorbildern. Jedes Volk bekommt das Staatsoberhaupt, das es verdient. Und so lange die Mehrheit BILD (bzw. online-pendants PI)-verblödet ist, hat sie einen Wulff nicht verdient. Herr Wulff, Sie sind einer der wenigen aufrechten Politiker in diesem Land, der weiß, worauf es ankommt: Auf das reine Gewissen im Jenseits, die Hetzer werden von ihrer unruhigen Seele geplagt sein.
15.03.17
21:43
Johannes Disch sagt:
Das Absurde an der ganzen Sache ist, dass türkische Politiker mit diesen Auftritten gegen ihr eigenes Gesetz verstoßen. Das türkische Wahlgesetz verbietet Auftritte türkischer Politiker im Ausland zu Wahlkampfzwecken. Wir sollten aber vorsichtig sein und nicht Erdogan und die AKP mit der Türkei gleichsetzen. Es ist zu wünschen, dass Erdogan nach dem Referendum wieder zur Vernunft kommt.
17.03.17
12:43
Johannes Disch sagt:
Ex-BP Wulff hat völlig Recht mit seinen Ausführungen. Dieselben Scheinargumente, die man früher gegen Juden vorbrachte, werden heute gegen Muslime und ihre Religion, den Islam, ins Feld geführt. Man denke nur an den Eiertanz, den sein Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" ausgelöst hat. Ein Satz, der längst selbstverständlich sein sollte. Er ist es aber leider nicht. Auch die UN hat Deutschland erst kürzlich erneut ein gravierendes Rassismus-Problem bescheinigt. Und dieser Rassismus richtet sich vor allem gegen Muslime und ihren Glauben, genannt Islam.
17.03.17
15:45
1 2 3