„Heute wir, morgen du!“, warnt die Petition, die der Frankfurter Islamwissenschaftler Bekim Agai gestartet hat. Sie mahnt zum gemeinsamen Einsatz für das Grundgesetz und wendet sich „gegen die politische Instrumentalisierung des Islams durch die AfD“. Was er sich davon erhofft und warum die Debatte nicht nur Muslime betrifft, erklärt Agai im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
KNA: Herr Professor Agai, was war der entscheidende Anstoß für die Petition?
Agai: Die Idee ist rund um den AfD-Parteitag entstanden. Es ging nicht nur um das Programm, das dort verabschiedet wurde, sondern auch darum, dass Muslime in Deutschland sich von der AfD eine Debatte aufdrängen lassen.
KNA: Worüber?
Agai: Darüber, was der Islam „wirklich“ ist. Diese Debatte ist mit der AfD indes schwerlich zu führen, weil sie die Lebenswirklichkeiten und Haltungen der in Deutschland lebenden, arbeitenden, steuerzahlenden und sich gesetzkonform verhaltenden Muslime außen vor lässt und ignoriert. Die Partei bezieht sich auf einzelne Stellen aus dem Koran, Geschehnisse in Saudi-Arabien oder Extremisten hierzulande, um Muslime hier unter Generalverdacht zu stellen, die hiermit nichts am Hut haben.
KNA: Was möchten Sie mit der Petition bewirken?
Agai: Für uns als Erstunterzeichnende – und für viele andere – ist Deutschland das Land, in dem wir leben und das wir gestalten möchten. Die Basis dessen ist nicht ein rückwärtsgerichtetes Islamverständnis, wie es uns die AfD unterstellt, sondern das Grundgesetz. Wir möchten zugleich verdeutlichen, dass die AfD nicht nur gegen den Islam agiert, sondern gegen den Geist des Grundgesetzes insgesamt. Der Islam ist ein vorgeschobenes Argument dafür, dass sich eine Gruppe dazu aufschwingt, Grundfreiheiten nach eigenem Empfinden zu vergeben. Damit geht es im Kern nicht um den Islam, es geht um die Idee eines anderen Deutschlands. Darauf wollten wir hinweisen.
KNA: Woran machen Sie das fest?
Agai: Die Äußerungen von AfD-Vize Alexander Gauland über Nationalspieler Jerome Boateng zeigen, in welche Richtung sich die Partei bewegt. Menschen mit Kollektivmerkmalen zu versehen und Ressentiments zu bedienen – dagegen müssen wir uns wenden. Heute betrifft es die Muslime, morgen die Farbigen, und übermorgen können es die Juden oder alleinerziehende Frauen sein.
KNA: Nach dieser Äußerung wurde auch Kritik an den Medien laut, sie würden der AfD zu viel Raum bieten. Wie sehen Sie das?
Agai: Die Medien – in erschreckender Form das Fernsehen – lassen sich Themen aufdrängen. Falsche Thesen werden durch Wiederholungen nicht besser. Wer auf eine Frage nicht antwortet, sondern nur Parolen unterbringt, sollte entlarvt werden.
KNA: Andererseits sitzt die AfD in mehreren Landesparlamenten. Wie kann eine sachliche Debatte gelingen?
Agai: Es ist die Aufgabe von Politik, Zivilgesellschaft und auch Religionsgemeinschaften, diese Debatte zu führen. Wenn wir sie nicht führen, geben wir diesen Haltungen Recht. Viele Muslime sitzen derzeit vor dem Fernseher wie das Kaninchen vor der Schlange: Es wird über sie gesprochen, ohne dass sie sich als Bürger dieses Landes in den Diskussionen wiederfinden; es werden immer wieder unwidersprochen Thesen vertreten, die ihre Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft in Frage stellen.
KNA: Wie meinen Sie das?
Agai: Wenn sich ein Jugendlicher eine TV-Debatte anschaut, in der er seine Lebenswelt, seinen Bezug zu Deutschland nicht wiederfindet, dann ist die Frage, warum er nicht den arabischen oder türkischen Fernsehsender wählen soll. Die AfD ist auf dem besten Weg dahin, diejenigen von Deutschland zu entfremden, für die der Islam, Demokratie und die deutsche Verfassung zusammen gehören – indem sie letztlich die Parolen der Salafisten von der Unvereinbarkeit von demokratischen Werten und dem Islam wiederholt. Und das ist ja offenbar auch das Ziel der ganzen Sache.
KNA: Experten kritisieren, dass generell über den Islam nur ein Halbwissen herrsche. Stimmt das?
Agai: Extreme bauen immer auf Positionen auf, die auch in der Mitte anzutreffen sind. Eine generelle Skepsis und Furcht vor dem Islam sind auch über die AfD hinaus verbreitet. Deshalb ist es uns wichtig, ein Signal in die Mitte zu senden: Leute, wir müssen uns engagieren, sonst nehmen andere das Heft in die Hand. Wir können uns nicht Werte auf die Fahne schreiben – und sie auch im Ausland einfordern -, die wir im Inneren gerade selbst preisgeben.
KNA: Im Gegensatz zu den Kirchen haben die Muslime keine zentrale Organisationsstruktur. Erschwert das die Kommunikation?
Agai: Ob Muslime in Verbänden organisiert sind, ist unabhängig von der Frage, wie es um die Religionsfreiheit in Deutschland bestellt ist. Deshalb haben wir die Petition unabhängig von Organisationsformen gestartet. In Deutschland leben Millionen von Muslimen, die unterschiedliche Lebensentwürfe haben, in unterschiedlichen Berufen arbeiten und sich politisch oder in Vereinen unterschiedlich einbringen. Sie gehen schnell unter in einer Diskussion, die allein auf Organisationsstrukturen blickt.
KNA: Was könnten die Kirchen zu dem Dialog beitragen, den Sie anstoßen wollen?
Agai: Die Kirchen tun bereits sehr viel. Sie wissen, dass man nicht nur teilweise religions- und menschenfeindlich sein kann. Der Schutz der abendländischen Kultur ist ein Vorwand für die AfD und Pegida. Es ist daher wichtig, dass die Kirchen im Dialog mit der Gesellschaft bleiben. Sie sollten weiterhin darauf hinweisen, dass im Abendland die Religionsfreiheit nicht aus einem christlichen Konsens heraus entstanden ist. Sie ist vielmehr in einer Zeit entstanden, in der die interkonfessionellen Unterschiede so groß waren, dass man versuchen musste, einander trotz Unterschieden zu achten. Ein homogenes christliches Abendland mit einer konfliktfreien Geschichte, bis die Muslime kamen, ist eine Fiktion. Zentrale Errungenschaften des Abendlandes sind entstanden, weil man unterschiedlich ist und gleichzeitig diese Gesellschaft gemeinsam gestaltet. (KNA, iQ)