Die Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi, Mouhanad Khorchide und Bülent Uçar fordern eine kritische Lesart des Koran. Nur so lasse sich das Problem des Terrors im Namen der Religion an der Wurzel angehen.
Eine historisch-kritische Lektüre des Koran fordert der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi. Nur so lasse sich das Problem des Terrors im Namen der Religion an der Wurzel angehen, schreibt der Leiter des Fachbereichs Islamische Theologie und Religionspädagogik der Pädagogischen Hochschule Freiburg in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung (Montag).
„Den Islamisten dienen als Handlungsanweisungen doch einige medinensische Koranpassagen und das Handeln des Propheten selbst, somit kanonische Quellen der islamischen Rechts- und Religionslehre“, so Ourghi. Einen Schnitt setzt der aus Algerien stammende Wissenschaftler im Jahre 624 an. Bis dahin habe Mohammed, der zwei Jahre zuvor von Mekka nach Medina auswanderte, eine „dialogische Verständigung“ mit den arabischen Heiden sowie den Juden und Christen gesucht. Nach und nach hätten dann jedoch politische Ziele die Verkündigung der göttlichen Botschaft verdrängt.
„In einem modernen Islam wird nicht die Gewalt eines Gottes gesucht, sondern ein Gott, der die Unantastbarkeit der Menschenwürde zu garantieren vermag“, fasst der Experte zusammen. „Diese unabdingbare Voraussetzung kann der Islam nur erfüllen, wenn er jeder Art von Gewalt entsagt und seine humanistische Kraft durch eine zeitgenössische Reformlektüre jenseits politischer Interessen erneuert.“
Nach Einschätzung des Religionspädagogen Bülent Uçar kann die Weitergabe des Wissens von Theologen und Religionslehrern eine Radikalisierung von Muslimen verhindern. Es sei wichtig, dass sich Theologen mit den schwierigen Textstellen auseinandersetzen, damit sie sich glaubwürdig von den Terrorakten distanzieren und ihr Wissen an die Laien weitergeben könnten, sagte Uçar in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Wenn wir diese Themen nicht besprechen, würden wir das Feld den Extremisten, den Rattenfängern überlassen.“
Radikalisierte Muslime bezögen sich auf problematische Textstellen in den Primärquellen des Islam und der Tradition, „um im Namen des Islams Gewaltakte zu verüben“, führt der Islamwissenschaftler der Universität Osnabrück aus. Die Koranverse dürften jedoch nur vor dem damaligen historischen Hintergrund verstanden werden. Im siebten Jahrhundert sei Krieg auf der Arabischen Halbinsel der „Normalzustand“ gewesen. Muslime mussten aus Medina auswandern, hatten ihren eigenen Stadtstaat gegründet und wurden angegriffen. „Unter diesen Rahmenbedingungen haben sie zu den Waffen gegriffen, sich verteidigt und auch Präventivkriege geführt“, so Ucar. Dies schlage sich in den Koranversen nieder.
Der Prophet habe seinen Staat Medina nicht durch Zwang, Gewalt oder Terror begründet. Religion sei nicht dazu da, den Staat zu islamisieren. „Religionen sollen Menschen zu Gott führen“, sagte der Theologe. Gläubige Menschen sollen laut Uçar durch Teilnahme an Wahlen einen demokratischen Staat mitprägen.
Der muslimische Theologe Mouhanad Khorchide kritisierte unterdessen eine „rückständige“ Lesart des Korans. „Wir muslimischen Theologen bekämpfen sie, und sie bekämpft uns. Aber man darf nicht sagen: Das ist der ganze Islam“, sagte der Münsteraner Professor dem Bonner General Anzeiger.
Es gebe viele andere Lesarten und Schulen des Islams, die mit pluraler Gesellschaft und Rechtsstaat vereinbar seien, fügte der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie hinzu. Der Koran lasse viel Raum für Interpretationen. Er könne nur lebendig erhalten werden, wenn er immer wieder neu in der jeweiligen aktuellen Situation befragt werde. Um den gewaltbereiten Positionen von Salafisten entgegenzutreten, sei ein „aufgeklärter Diskurs von unten“ nötig, so Khorchide. (KNA)