Israel-Palästina-Konflikt

Der schwierige Weg zum Frieden

Die Opfer des Israel-Palästina-Konflikts sind fast ausschließlich Zivilisten. Darauf macht auch Elhakam Sukhni aufmerksam, der den jüngsten Konflikt nachzeichnet. Ein Frieden in der Region scheint in weite Ferne gerückt. Doch die Lösung sieht der Autor im Frieden selbst.

23
07
2014
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Das Gefühl von Machtlosigkeit und Wut kommt bei vielen Menschen auf, die vor ihrem Fernseher stehen und erneut dabei zusehen müssen, wie hauptsächlich Zivilisten im Gazastreifen durch israelische Raketenangriffe getötet werden. Bilder von zerfetzten Kinderleichen und zerstörten Familienhäusern erzeugen Hass. Youtube bietet den nötigen Stoff. Die Entschlossenheit das eigene Volk zu schützen und die Bedrohung durch die Hamas zu stoppen treibt die Gegenseite an. Israel hat das Recht sich zu verteidigen… so sieht es Bundeskanzlerin Merkel und auch Präsident Obama.

Grundsätzlich sieht es so auch die UN-Charta vor, die laut Art. 51 „das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ bestätigt. Doch Stimmen werden laut, die zum einen die Verhältnismäßigkeit der israelischen Offensive anzweifeln und zum anderen die Frage aufwerfen: Wer verteidigt sich eigentlich vor wem? Mit nun mehr als 600 getöteten Palästinensern im Gazastreifen zweifeln Völkerrechtler weltweit die Verhältnismäßigkeit der israelischen Offensive an, zumal Art. 51 der UN-Charta auch vorsieht, dass „Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrecht trifft, (…) dem Sicherheitsrat anzuzeigen“ sind, damit dieser über weitere Maßnahmen entscheiden kann.

Die jüngsten Ereignisse im palästinensisch-israelischen Konflikt finden ihren Anfang nicht, wie viele meinen, mit dem Mord an drei jungen Israelis in der Westbank. Am 2. Juni beschließen die Palästinenser die Errichtung einer Einheitsregierung ((http://www.sueddeutsche.de/news/politik/konflikte-palaestinensische-einheitsregierung-vereidigt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-140601-99-04672)) von Fatah und Hamas. Dabei sollte eine Übergangsregierung von neutralen Experten das palästinensische Volk bis zu den Wahlen am Ende des Jahres anführen. Sowohl die USA als auch Europa vermittelten Palästinenserpräsident Mahmud Abbas die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit einer solchen Regierung. Auch die neue ägyptische Regierung unter Sisi, welche die Hamas grundsätzlich ablehnt, würde die Palästinenser bei ihrem Vorhaben unterstützen. ((http://www.dw.de/pal%C3%A4stinensische-einheitsregierung-wird-am-montag-vereidigt/a-17674854))

Boykott und Sanktionen

Der Versöhnungsbeschluss und die Einheit zwischen den seit sieben Jahren verfeindeten Anhängern Hamas und Fatah sind unumgänglich für die Zukunft eines funktionierenden souveränen Palästinenserstaates aber auch für einen kontrollierten Frieden mit Israel. Die israelische Regierung unter Benjamin Netanyahu weigert sich jedoch eine Kooperation der Fatah mit der Hamas zu akzeptieren und kündigte den Boykott der neuen Regierung sowie weitere Sanktionen gegen die Palästinenser an. Mit aller Macht sollte so eine Einheit verhindert werden.

Am 12. Juni 2014 verschwinden im besetzten Westjordanland drei jüdische Religionsschüler. Ohne dass sich irgendeine Gruppe oder Einzelpersonen zu der Entführung bekennen und ohne deutliche Beweise steht für Israel fest, dass die Hamas hinter dieser Tat steckt. Sprecher der Hamas Khaled Meschal dementiert öffentlich eine Beteiligung der Hamas an der Entführung der drei Jugendlichen und betont, dass die Hamas an keinem weiteren Konflikt mit den Israelis interessiert sei. ((http://www.haaretz.com/news/middle-east/.premium-1.602871)) Es folgt dennoch eine großangelegte Suchaktion im Westjordanland, bei der ca. 500 Palästinenser, hauptsächlich Hamas-Anhänger und andere politische Funktionäre, festgenommen und hohe Sachschäden verursacht werden.

Mehrere Palästinenser sterben während der Offensive, meist junge Personen zu denen der 13 jährige Mohammed Dodeen und der 23 jährige Mustafa Aslan zählen. Netanyahu fordert Abbas nun auf die Einheitspläne mit der Hamas aufzugeben und beabsichtigt angesichts der Entführung weitere Millionengelder für die jüdischen Siedlungen im Westjordanland zu genehmigen. Kritik erfährt die israelische Regierung nicht nur von palästinensischer Seite, sondern auch von Kriegsgegnern innerhalb der israelischen Gesellschaft.

Friedensverhandlungen: Netanyahu schuldig am Scheitern?

Bereits im Mai beschuldigt Präsident Shimon Perez Ministerpräsident Netanyahu schuldig am Scheitern der Friedensverhandlungen mit den Palästinensern zu sein. ((http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/1.589366)) Auch in Deutschland meinen jüdische Intellektuelle ein politisches Kalkül hinter Netanyahus Politik zu erkennen, wie es ebenfalls das ehemalige Mitglied beim Zentralrat der Juden in Deutschland Rolf Verleger im Deutschlandfunk äußerte. ((http://www.deutschlandfunk.de/anti-israelische-proteste-wer-hat-uns-das-denn-eingebrockt.694.de.mhtml?dram%3Aarticle_id=292408)) Netanyahu habe „eine Kampagne gegen die Hamas gestartet, und dann wurden diese drei israelischen Schüler entführt und diese Kampagne hat er dann benutzt, um die Hamas in der Westbank zu zerschlagen, im Gazastreifen auch noch ein paar Leute umzubringen.“

Nachdem am 30. Juni die drei Leichen der vermissten Jugendlichen gefunden wurden, am 2. Juni der 16jährige Palästinenser Mohammed Abu Khdeir aus Rache von jüdischen Extremisten lebend verbrannt wurde und palästinensische Kämpfer aus Gaza mit selbst gebauten Raketen auf die Offensiven der Israelis reagierten, war abzusehen, dass mit rationalen Argumenten ein Krieg nicht mehr abzuwenden war. Israel nutzt die Gelegenheit für eine Bodenoffensive um die Hamas endgültig auszuschalten. Doch wie Michael Lüders im Interview mit dem ZDF heute journal ((http://www.youtube.com/watch?v=YFXX-Rxpa_w&app=desktop)) bereits verdeutlicht: „Es ist ein Krieg gegen Zivilisten, der hier geführt wird.“

Die Rolle der Hamas

Mit dem Krieg gegen die Hamas im Westjordanland und der damit einhergehenden Massenverhaftungen und Tötung von Palästinensern hat sich der Waffenstilstand zwischen Israel und Gaza aus Sicht der Hamas aufgelöst. Es ist wohl wahr, dass die Hamas es nicht geschafft hätte auf diplomatische Weise etwas daran zu ändern, jedoch stellt sich berechtigterweise überall die Frage, was der Raketenbeschuss gegen Israel für einen Sinn hat, zumal die Hamas keine militärischen Ziele anvisiert, sondern mit dem Beschuss von Zivilisten versucht, die israelische Regierung unter Druck zu setzen.

Alleine aufgrund der Tatsache, dass bewusst der Tod von Zivilsten in Kauf genommen wird, ist der Raketenbeschuss zu verurteilen. Darüber hinaus erfüllen diese Angriffe nicht ihre Zweckmäßigkeit. Im Gegenteil: Dass es sich hierbei um eine absurde Taktik handelt und der Druck nach hinten losgeht, zeigt sich spätestens durch den Einmarsch der israelischen Armee in den Gazastreifen, der nun insbesondere durch den Raketenbeschuss der Hamas gerechtfertigt wird. Dabei könnte alles ganz anders laufen.

Seit dem Ende des letzten Krieges im Jahr 2012 hätten beide Seiten sich um diplomatische Lösungen bemühen müssen. Dabei spielt Israel als voll souveräner und sowohl militärisch als auch wirtschaftlich überlegener Staat, insbesondere in seiner Rolle als Besatzer die entscheidende Rolle. Im Fall Gazas äußert sich die Besatzung hauptsächlich durch die Blockade Gazas. Bereits vor dem aktuellen Angriff konnte kaum jemand bzw. etwas aus Gaza raus oder hinein. Der Bevölkerung fehlt es an essenziellen Gütern und die medizinische Versorgung wird durch die Weltgesundheitsorganisation, ((http://www.emro.who.int/images/stories/palestine/documents/WHO_Access_Report-March_5_2013.pdf?ua)) mit Verweis auf einen Verstoß gegen die Menschrechte, stark bemängelt.

Forderung: Verbesserung der Lebensumstände in Gaza

Nicht ganz unbegründet liest man in den Medien oft die Bezeichnung Gazas als weltgrößtes Open-Air-Gefängnis. Nach der vereinbarten Waffenruhe 2012 einigte man sich ebenfalls auf eine Lockerung dieser vollständigen Blockade. An die Einhaltung der Waffenruhe hat man sich weitestgehend gehalten, an die Lockerung der Einschränkungen und Isolierung Gazas jedoch nicht. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls die Ablehnung eines erneuten Waffenstillstands seitens der Hamas zu verstehen.

Neben der Tatsache, dass nicht mit der Hamas direkt verhandelt wird, sondern nur über Vermittler, fordert die Hamas eine Verbesserung der Lebensumstände im Gazastreifen und weiß, dass eine bloße Waffenruhe diese miserable Lage nicht ändern wird. Dabei geht es hauptsächlich um die Aufhebung der wirtschaftlichen Blockade und Isolierung Gazas als Ausdruck des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“.

Die Grenzen müssen geöffnet werden und die Freizügigkeit gewährleistet sein. Fischern und Bauern muss der Zugang zu den Gewässern sowie zu den Ländereien im gesamten Gazastreifen gewährleistet werden. Und zuletzt die Freilassung aller Palästinenser aus der israelischen Haft, die sich ohne rechtmäßige Verurteilung oder aufgrund anderer dubiöser Umstände in israelischer Haft befinden. Zu diesen Gefangenen zählen ebenso jene Palästinenser, die im Austausch für den israelischen Soldaten Gilat Shalit freigelassen und später wieder inhaftiert wurden.

Lösung zum Frieden nur im Frieden zu finden

Die Hamas ist politisch geschwächt. Nach dem Sturz Mursis in Ägypten und der damit verbundenen Schwächung der Muslimbruderschaft verlor die Hamas einen wichtigen Verbündeten. Auf der anderen Seite verlor die Hamas mit Syrien und dem Iran ebenfalls einen wichtigen Unterstützer, nachdem sich die Hamas im laufenden Syrienkonflikt gegen Präsident Assad positionierte. Die Blockade Gazas durch Israel und durch die ägyptische Sisi-Regierung dürfte die Isolierung der Hamas endgültig garantiert haben.

In dieser Phase der Schwäche hätte Israel den Zusammenschluss der Hamas mit der Fatah zu einer Einheit unterstützen müssen. Eine Anerkennung der Hamas als politischen Gesprächspartner, auch durch die USA und Europa, hätte die Hamas in die politische Pflicht genommen. Ranghohe Hamas-Funktionäre haben mehrmals zu verstehen gegeben, dass eine Anerkennung Israels denkbar sei, wenn im Gegenzug ein palästinensischer Staat anerkannt würde. Nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern mit den dazu nötigen Maßnahmen. Diese Position ist den Israelis nicht fremd, jedoch weigert sich der Staat eine „Terrororganisation“ als politischen Akteur anzuerkennen.

Bedenkt man, dass Israel heute enge diplomatische Beziehungen zur Fatah pflegt, die einst ebenfalls als Terrorgruppe eingestuft wurde, erscheint die strikte Verweigerung mit der Hamas Kompromisse einzugehen unverständlich. Nicht zu vergessen, dass Israel von 1978 bis 1983 mit Menachem Begin einen Ministerpräsidenten hatte, der ebenfalls eine terroristische Vergangenheit hatte und 1946 für einen Bombenanschlag auf das King David Hotel in Jerusalem verantwortlich war, bei dem 91 Menschen starben, darunter Briten, Araber und Juden. Menachem Begin erhielt sogar zusammen mit Anwar as-Sadat den Friedensnobelpreis für den Friedensschluss mit Ägypten 1978.

Eine militärische Vernichtung der Hamas wird nicht den Frieden bringen. Denn bereits jetzt ist mit der Tötung von über 600 Palästinensern und der wiederholten Zerstörung des Gazastreifens während der aktuellen offensive der Samen für weiteren Hass gesät worden. Eine weitere Generation von traumatisierten Kriegskindern ohne Perspektive.

Der militärische Weg zur Lösung eines Problems darf niemals die erste Wahl sein. Weder moralisch noch im Sinne des Völkerrechts. Das Prinzip der friedlichen Streitbeteiligung wird den Mitgliedstaaten zur Pflicht gemacht und findet seine Grundlage in Art. 2 Nr. 3 UN-Charta.

Art. 33 UN-Charta verpflichtet schließlich „sich zunächst um eine Beilegung durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl“ zu bemühen.

Für diese Prinzipien, zum Wohle aller Israelis und Palästinenser, müssen sich Beteiligte und Verbündete einsetzen.