Interview

Drohnen sind Richter, Jury und Henker zugleich!

Wir sprachen mit dem Menschenrechtler und Anwalt Mirza Shahzad Akbar über die tödlichen Einsätze der USA durch unbemannte Kampfdrohnen in Pakistan.

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2013
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Mirza Shahzad Akbar ist der Mitbegründer, Leiter und Verwalter der Stiftung für Grundrechte (Foundation for Fundamental Rights), einer Menschenrechtsorganisationen die Personen hilft, ihre durch die pakistanische Verfassung geschützten Grundrechte vor dem Staat und vor Gerichten zu schützen. Er ist zudem Anwalt und machte nach seinem Bachelorstudiengang an der britischen Universität in Pakistan seinen Master an der britischen University of Newcastle. Mirza Shahzad Akbar war beratend und als Staatsanwalt für das „National Accountability Bureau“ in Islamabad (Pakistan) tätig. Wir haben mit dem Menschenrechtler über die tödlichen Einsätze durch unbemannte Drohnen in Pakistan gesprochen.

Seit zehn Jahren gibt es Drohnenangriffe in Pakistan. Wie hoch ist die Zahl der zivilen Opfer, die bei diesen Angriffen ums Leben gekommen sind? Wie viele von ihnen sind Frauen und Kinder?

Unabhängigen Quellen zufolge sind bei den US-Drohnenangriffen in Pakistan 890 Zivilisten gestorben, davon 197 Kinder. The Foundation for Fundamental Rights bearbeitet die Klagen von 108 Opfern. Darunter sind sechs Frauen und 30 Kinder. Den Berichten zufolge, die im Anschluss an unsere Klage vor dem obersten Gericht in Peshawar veröffentlicht wurden, sind bei den Angriffen 1.400 Zivilisten ums Leben gekommen. Mehr als 500 wurden verletzt.

 

Wie muss man sich das Leben in den Gebieten, in denen Drohnenangriffe durchgeführt werden, vorstellen?

Die Menschen sind in diesen Gebieten dem ständigen Lärm der in der Luft kreisenden Drohnen ausgesetzt. Abgesehen von der ständig empfundenen Bedrohung verursacht schon die ständige Präsenz Furcht und psychische Schäden. Denn die Kampfdrohnen kreisen stundenlang vor einem Angriff mit Furchteinflößendem Lärm über den Dörfern, ungewiss, wo sie angreifen werden, während die Menschen in ihren Häusern sitzen, auf dem Feld arbeiten, einkaufen oder auf einer Beerdigung sind. Somit ist das Leben vieler Frauen und Kinder in Gefahr. Ihre Häuser werden zerstört, und selbst wenn sie mit dem Leben davon kommen, verlieren sie all ihr Hab und Gut bei den Angriffen. Berichten meiner Mandanten zufolge kreisen die Drohnen rund um die Uhr mit Furcht einflößendem Lärm über ihren Köpfen. Nur bei bedecktem Himmel verschwinden sie. Dabei wissen sie nicht einmal, was diese fliegenden Maschinen über ihren Köpfen sind.

 

Können Sie uns mehr über den Alltag dieser Menschen erzählen?

Die Bevölkerung hat die Vorgehensweise der CIA durchschaut und kennt beispielsweise die sogenannten „zweifachen Angriffe“. Nach dem ersten Angriff entfernen sie nicht einmal die Leichen, denn die Wahrscheinlichkeit eines zweiten Angriffs auf dieselbe Stelle ist sehr hoch. Auf Veranstaltungen mit vielen Gästen wird ebenfalls verzichtet.

Aus Angst vor den Drohnen gehen die Kinder nicht einmal mehr zur Schule. Da die Kinder mitbekommen, wie Menschen sterben und die Häuser in ihrer Umgebung zerstört werden, möchten sie zumeist eh nicht nach Draußen zum Spielen gehen. Sie leben in der ständigen Angst vor einem Angriff. Es gibt viele Menschen in der Region, die ihre Familienangehörigen sowie ihr Hab und Gut verloren haben und deswegen nicht mehr schlafen können. Viele von ihnen müssen Beruhigungsmittel einnehmen. Kurz: Die Menschen leben in Angst und Schrecken.

 

Die Bewohner stecken fest zwischen den Kampfdrohnen und der Taliban. Denn die Taliban bezichtigt manche aus der Bevölkerung der Spionage und hält sie für die Angriffe verantwortlich. Kann dies zu einem Bürgerkrieg führen?

Diese Gefahr besteht gewiss und dieser Zustand wird die Situation im kriegszerstörten Waziristan verschlimmern. 2011 hatte die Zeitung The International Herald Tribune berichtet, dass die einzige Aufgabe der Taliban sei, die Clanmitglieder ausfindig zu machen, die die von der CIA durchgeführten Drohnenangriffe unterstützen, sie festzunehmen und zu erschießen. Dafür sei eine speziell Einheit von 300 Militanten ausgebildet worden. Diese der Lashkar-e Khorasan angehörende Tötungseinheit habe die Aufgabe die Menschen zu jagen, die Überwachungschips in die Talibanzentralen bringen und an Fahrzeuge montieren. Diese Überwachungschips senden Annahmen zufolge die notwendigen Koordinaten an die CIA. Die CIA greift dann mit den unbemannten Drohnen an. Deshalb gehen die von der Taliban aufgestellten Gerichte rigoros vor und verweigern den Angeklagten jegliche Verteidigung. Auf der anderen Seite übernehmen die Drohnenangriffe auf vermutete al-Qaida Ziele ebenfalls die Rolle des Richters, der Jury und des Henkers. Insofern sind die Taktiken der Amerikaner und der Taliban dieselben.

Ferner verursachen die unbemannten Kampfdrohnen ein weiteres Problem: Sie führen zur Radikalisierung der Menschen. Abgesehen von der Gefahr eines Bürgerkriegs erschweren und behindern sie die Arbeiten von Zivilgesellschaften und Organisationen.

Besorgniserregend ist auch die Tatsache, dass die erforderlichen Informationen von örtlichen Informanten übermittelt werden. Zu der technischen Ungenauigkeit der Drohnen kommen also ggf. falsche Informationen von voreingenommenen Informanten, die bestimmten Gruppierungen gehören und eigene Interessen verfolgen. Das ist in vielerlei Hinsicht problematisch, aber insbesondere wegen der vielen zivilen Opfer.

 

Das oberste Gericht in Peshawar hat entschieden, dass die Drohnenangriffe gegen internationale Verträge verstoßen und diplomatische Schritte für die Gewährleistung der Bürgerrechte der dort lebenden Bevölkerung gefordert. Darüber hinaus hat das Gericht die UN dazu aufgefordert, aktiv gegen die Drohneneinsätze vorzugehen. Wird die amerikanische Regierung dieses Urteil anerkennen?

Natürlich wird die US-Regierung dieses Urteil erst dann beachten, wenn sich die pakistanische Regierung daran hält und entsprechend handelt. Die Regierung muss der ihm im Grundgesetz verankerten Aufgabe nachkommen und seine Bürger beschützen – unter allen Bedingungen und muss dafür jedes Risiko eingehen. Die Beziehungen zwischen den USA und Pakistan müssen auf gegenseitigem Respekt und Beachtung der Gesetze beruhen. Wenn die pakistanische Regierung sich an das Urteil des obersten Gerichts in Peshawar hält und den Fall international an die Tagesordnung bringt, wird es für die US-Regierung schwer, das Urteil zu ignorieren.

 

Wie ist die Haltung des neuen Präsidenten Nawaz Sharif? Wird er das Gerichtsurteil ernst nehmen?

Während des Wahlkampfes hatte Präsident Nawaz Sharif gesagt: „Die unbemannten Drohnenangriffe sind ein Angriff auf unsere Souveränität und bedrohen die Unabhängigkeit unseres Landes. Wir werden diese Angriffe nicht mehr dulden.“ Wenn er sein Wort nicht hält und das Urteil nicht umsetzt, werden wir ihn verklagen.

 

Dem Gerichtsbeschluss zufolge sind die unbemannten Kampfdrohnenangriffe ein Kriegsverbrechen. Werden sie dieses Thema vor Gericht bringen, auch wenn die USA dem Internationalen Strafgerichtshof nicht beigetreten sind und dessen Beschlüsse nicht anerkennen?

Der Internationale Strafgerichtshof bietet Staatsführern und Bürgern die Möglichkeit, bestimmte Führer, Soldaten und Regierungsmitglieder wegen inakzeptabler Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Da die USA dieses Strafgericht nicht anerkennen, wird eine Anklage nicht möglich sein. Die pakistanische Regierung kann jedoch die USA vor dem Internationalen Gerichtshof verklagen, wie die Republik Kongo Uganda angeklagt hat oder Nicaragua es zuvor gemacht hat. So sind die USA für ihre militärischen Aktivitäten in Nicaragua verurteilt worden.

 

Obama hat neue Richtlinien für die Drohneneinsätze eingeführt und erklärt, dass die „Anschläge nicht als Bestrafung von Personen, sondern nur zur Abwehr einer anhaltenden und eventuellen Bedrohung für das amerikanische Volk“ dienten. Was halten sie von den Aussagen des US-Präsidenten?

Obama, der im „afghanischen Kriegsschauplatz“ gegen „al-Qaida und seine Sympathisanten“ weitreichende Befugnisse erhielt, hat mit der Resolution unbegrenzte Befugnisse für Angriffe in Afghanistan und Pakistan erteilt. Weitere Details aus der Resolution sind zum Beispiel, dass er kein Aufschluss darüber gibt, wie die zukünftige Politik hinsichtlich der „signature strikes“ oder „double tap strikes“ aussehen wird. Obwohl die neuen Richtlinien ein wichtiger Schritt sind, bedeuten sie zugleich die Bildung von rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von unbemannten Kampfdrohnen. Was wiederum bedeutet, dass diese auch weiterhin eingesetzt werden.

Beunruhigend ist zudem, dass das neue Drohnenprogramm vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wird. Die Geheimhaltung des Papiers schwächt dessen Wirkkraft. Die Kritik an den bisherigen Drohneneinsätzen beruhte hauptsächlich auf der mangelnden Transparenz. Über Zielpersonen und ob diese tatsächlich eine Gefahr darstellen, nach welchen Informationen zufolge ein Anschlag verübt wird, wurde relativ wenig bekannt gegeben. Zudem werden die Kampfdrohnenprogramme nicht von US-Streitkräften, sondern weiterhin von der CIA durchgeführt. Die neuen Richtlinien beinhalten diesbezüglich also kaum Neuerungen und konnten die Bedenken nicht ausräumen.

 

Die neuen Regeln haben sich bei den letzten Anschlägen in Pakistan also noch nicht bemerkbar gemacht?

Die letzten Angriffe weisen darauf hin, dass Obamas Rede keine großen Veränderungen zur Folge haben wird. Nur fünf Tage nach Obamas Rede über das Drohnenprogramm wurde bekannt, dass Veli-ur Rahman, zweitwichtigster Taliban in Pakistan, bei einem Einsatz getötet wurde. Die Leichen waren dermaßen entstellt, dass sie nicht identifiziert werden konnten. Am 3. Juli 2013 verübte die CIA einen Anschlag auf ein Haus und Fahrzeug im Marktplatz von Miranschah, bei dem 16 Menschen starben. Gegen Mittag berichteten Reuters und die französische Nachrichtenagentur AFP, dass die Zahl der Toten auf 17 gestiegen sei. Bei dem Anschlag am 13. Juli auf ein Motorrad im Dorf Mosaki in der Nähe von Mir Ali haben die Bomben auch die umstehenden Häuser zerstört. Über die Identität des Terrorverdächtigen, seine Verbindung zu den Taliban oder von wem die CIA Informationen enthalten hat, wurde nichts bekannt gegeben. Es gibt keinerlei Erklärungen, warum diese Menschen hingerichtet wurden. Weder ihre Identität ist bekannt, noch ob sie „für die amerikanische Bevölkerung eine Gefahr“ darstellten.

 

Die UN-Menschenrechtskommission bereitet einen Bericht über den Einsatz von unbemannten Drohnen vor. Wird der Bericht ihrer Meinung nach ein Verbot von Drohneneinsätzen bewirken? Wie werden USA, Großbritannien und Israel auf diesen Bericht reagieren?

Bislang haben die Vereinten Nationen stets die Drohneneinsätze kritisiert. Am Anfang dieses Jahres hatte der UN-Sonderberichterstatter zu Menschenrechtsschutz und Terrorismusbekämpfung, Ben Emmerson, zudem erklärt, dass die Drohnenanschläge die Souveränität Pakistans verletzten. All das hat nicht viel bewirkt. Es wird sich also zeigen, ob dieser Bericht etwas ändern wird.

Das Interview führte Ilhan Bilgü