Chaos der Begriffe

Extremismus als Containerbegriff

Muslime kritisieren Begriffe wie „Islamismus“ und „Dschihadismus“. Doch gibt es Alternativen? Wie diese geschaffen werden können und warum „der Islam“ oftmals als Projektionsfläche dient, erklärt Micheal Kiefer im IslamiQ-Interview.

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03
2017
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Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer. @ Universität Osnabrück

IslamiQ: Es wird öfter über „Islamismus“, „Dschihadismus“ und „Salafismus“ gesprochen als über den Islam, Dschihad und über die Salaf. Teilen Sie diese Einschätzung? Welche Gründe hat das Ihrer Meinung nach?

Michael Kiefer: Ja, leider ist das so. Die derzeitigen Islamdiskurse in vielen Medien fokussieren eher negative Aspekte. Insbesondere die blutigen Anschläge des Jahres 2016 haben zu einer erheblichen Verstärkung dieser Tendenz geführt. Hinzu kommt eine rechtspopulistische Mobilisierung die den „Islam“ zur Ursache allen Übels erklärt. Eine differenzierte Debatte ist im Moment sehr schwierig, aber dennoch möglich. Dies zeigen unter anderem viele Veranstaltungen, die unter anderem von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und den politischen Stiftungen durchgeführt werden.

Michael Kiefer ist Islamwissenschaftler und lehrt am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. Er beschäftigt sich mit den Themenfeldern Migration und Rassismus. Er ist auch Geschäftsführer der Agentur für partizipative Integration in Düsseldorf.

IslamiQ: In öffentlichen Debatten werden Ismen gerne zur Abgrenzung verwendet: Nicht der Islam sei gefährlich, sondern der „Islamismus“. Nicht der Bezug zur Salaf sei gefährlich, sondern der „Salafismus“. Solche Unterscheidungsbestrebungen sind zwar verständlich, führen aber nur selten zu einer ausreichenden Differenzierung in der Wahrnehmung. Wie sehen Sie das?

Kiefer: Ursache für das von Ihnen monierte Phänomen ist in erster Linie ein unscharfer Extremismusbegriff. Im Kontext der Präventionsarbeit entwickelt sich der Begriff Extremismus immer mehr zu einem Containerbegriff, in den jeder seine mitunter kruden Vorstellungen hineinpacken kann. Als Beispiel können hier die Anwürfe gegen Akteure der Präventionsarbeit in Frankfurt angeführt werden. Der Besuch eines Kongresses auf dem gemutmaßte Muslimbrüder oder angebliche Extremisten teilgenommen haben und ein paar Fotos reichen aus um Verdächtigungen auf sich zu ziehen. Die Entwicklung, die wir hier beobachten können, halte ich für höchst bedenklich. Gerade in der Präventionsarbeit müssen wir mit einem klar konturierten Extremismusbegriff arbeiten, der ohne grenzwertige Bezichtigungen und generelle negative Markierungen auskommt. Hier ist noch einiges zu tun.

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IslamiQ: Muslime werden aufgefordert, die Deutungshoheit über ihre Begriffe, die sie an extremistische Gruppen verloren zu haben scheinen, wiederzuerlangen. Wann und warum haben sie diese Ihrer Einschätzung nach verloren?

Kiefer: Nun ja, diese Äußerungen beziehen sich vor allem auf das Internet. Bekanntlich gibt es hier eine kaum mehr überblickbare Informationsflut über den „Islam“. Viele dieser Inhalte werden von extremistischen Gruppen generiert. Leider erreichen diese Formate viele junge Menschen und können zu deren Radikalisierung beitragen.

Mittlerweile entwickeln die Extremisten schon Apps für Kinder, die ihre kruden und einfältigen Botschaften transportieren. Ein Problem in diesem Kontext ist, dass der organisierte Islam in Deutschland diese Entwicklung verschlafen hat. Faktisch sind sie im Netz nicht mit jugendgerechten Angeboten im Netz.

IslamiQ: Muslime müssen mit der Spannung zwischen ihrem Glauben und den Folgen der Taten Einzelner leben. Wie wird sich Ihrer Meinung nach die belastende Atmosphäre in Deutschland auf die muslimische Jugend auswirken?

Kiefer: Ich möchte hier keine Kaffeesatzleserei betreiben. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird. Es wird bestimmt so sein, dass einige junge Muslime die Berichterstattung als Belastung empfinden. Andere hingegen sind sehr selbstbewusst und werden nicht müde zu betonen, dass sie mit terroristischen Aktionen nicht das Geringste zu tun haben.

IslamiQ: Die entscheidende Frage: Gibt es alternative Begriffe und Ansätze?

Kiefer: Ja, es gibt andere Ansätze. Wir bemühen uns Präventionsansätze zu realisieren, die keine markierende oder stigmatisierende Wirkung entfalten. Darüber hinaus weisen wir in Anlehnung an Olivier Roy beständig darauf hin, dass wir es mit einer Islamisierung der Radikalität zu tun haben und nicht mit einer Radikalisierung des Islams. Diese Unterscheidung ist von größter Bedeutung. Denn darin wird deutlich, dass der „Dschihadismus“ ein Problem der gesamten Gesellschaft ist. Dies zeigt z. B. gerade die Verhaftung eines ehemaligen Rechtsextremisten, der nun unter der Flagge des „Dschihadismus“ seine Militanz auszuleben versucht.

Das Interview führte Ali Mete.