Eine Studie zeigt: Muslimische Tatverdächtige sind in deutschen Medien viermal so oft Thema wie in der Realität. Experten warnen vor der Verstärkung antimuslimischer Vorurteile.

In deutschen Leitmedien wird über Kriminalität deutlich häufiger berichtet, wenn Tatverdächtige ausländisch oder muslimisch gelesen sind. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung des Mediendienst Integration, die den Zusammenhang zwischen medialer Darstellung und tatsächlicher Kriminalitätsstatistik untersucht hat. Das Ergebnis ist alarmierend: Menschen aus überwiegend muslimisch geprägten Herkunftsländern sind in Fernseh- und Zeitungsberichten mehr als viermal so stark vertreten, wie es die realen Zahlen rechtfertigen würden.
Laut der Analyse nennen Fernsehsendungen in 25,4 Prozent aller Beiträge über Gewaltdelikte die Herkunft der Tatverdächtigen. In diesen Fällen sind 94,6 Prozent der Genannten nicht-deutsch. Noch auffälliger wird die Schieflage, wenn man auf die Herkunftsregionen blickt: 70 Prozent der Tatverdächtigen, über die mit Herkunftsangabe berichtet wird, stammen aus Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung – während ihr Anteil in der Polizeilichen Kriminalstatistik nur 15,8 Prozent beträgt.
Diese Diskrepanz bedeutet: Muslimisch gelesene Personen werden in Medienberichten über Gewaltkriminalität mehr als viermal so häufig thematisiert, wie es die Realität widerspiegelt.
Experten warnen, dass diese systematische Überrepräsentation schwerwiegende gesellschaftliche Folgen hat. Durch die wiederholte Nennung der Herkunft oder Religion in Zusammenhang mit Kriminalität verfestige sich der Eindruck, muslimische Menschen seien häufiger gewalttätig oder gefährlich.
„Die mediale Gleichsetzung von ‚muslimisch‘ und ‚kriminell‘ ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer jahrelangen Erzählung, die Muslime als Problemgruppe darstellt“, sagt Medienpädagogin und Rassismusforscherin Aylin E. „Sie erzeugt ein verzerrtes Bild, in dem muslimische Menschen vor allem als Täter vorkommen – und selten als Nachbarinnen, Lehrkräfte oder Ärztinnen.“
Diese Verzerrung sei nicht nur eine Frage der Statistik, sondern auch eine Frage der Sprache: Wenn über muslimische oder migrantische Täter berichtet wird, werde Herkunft oder Religion fast immer genannt – bei deutschen Tätern hingegen bleibe sie meist unerwähnt. Dadurch entsteht ein unausgesprochenes Muster: „Deutsch“ steht für Normalität, „muslimisch“ für Abweichung.
Für viele Muslime in Deutschland bedeutet diese mediale Verzerrung eine alltägliche Belastung. Sie werden durch wiederkehrende negative Darstellungen unter Generalverdacht gestellt – und sehen sich mit gesellschaftlichem Misstrauen konfrontiert.
„Nach jedem medial aufgeheizten Kriminalfall müssen wir als muslimische Community erklären, dass wir mit der Tat nichts zu tun haben“, sagt der Aktivist Ahmed K., der in Berlin antimuslimische Diskriminierung dokumentiert. „Das ist zermürbend. Medien sollten verstehen, dass ihre Worte reale Folgen haben – für das Sicherheitsgefühl, für das Vertrauen in Medien, und für das gesellschaftliche Miteinander.“
Zudem wirkt sich die einseitige Darstellung auf die politische Debatte aus. Wenn Medien Kriminalität überproportional mit muslimischer Herkunft verknüpfen, prägt das auch die Wahrnehmung von Migration, Integration und Sicherheitspolitik. Studien zeigen, dass Menschen, die häufig solche Berichte konsumieren, Kriminalität in Deutschland deutlich überschätzen – und muslimische Männer besonders oft als Bedrohung wahrnehmen.
Die Studie nennt mehrere Ursachen:
Der Mediendienst Integration fordert deshalb mehr journalistische Verantwortung im Umgang mit Herkunfts- und Religionsangaben. Solche Angaben sollten nur dann erfolgen, wenn sie für das Verständnis des Tatgeschehens relevant sind. Zudem brauche es verbindliche Redaktionsrichtlinien und mehr Vielfalt in Medienhäusern.
Auch muslimische Organisationen und Medienkritiker mahnen, dass die Berichterstattung über muslimisch gelesene Menschen dringend differenzierter werden müsse. Es gehe nicht darum, Probleme zu verschweigen, sondern darum, sie ohne Pauschalisierungen darzustellen.
„Die mediale Realität formt unsere gesellschaftliche Realität“, sagt Kommunikationsforscherin Aylin E. „Wenn muslimische Menschen in Nachrichten fast ausschließlich als Täter vorkommen, dann beeinflusst das, wie die Mehrheitsgesellschaft sie wahrnimmt – und wie sie sich selbst in dieser Gesellschaft sehen dürfen.“
Die Untersuchung des Mediendienst Integration zeigt deutlich: Muslimisch gelesene Tatverdächtige sind in der deutschen Berichterstattung massiv überrepräsentiert. Diese Schieflage hat konkrete Folgen – sie verstärkt Vorurteile, stigmatisiert Millionen von Menschen und untergräbt das Vertrauen in die Medien. Eine verantwortungsbewusste, kontextualisierte und faire Berichterstattung ist entscheidend, um antimuslimische Stereotype zu durchbrechen und das gesellschaftliche Zusammenleben zu stärken.