Extremismusprävention 2.0

Unionspolitiker im Kampf gegen die Religionsfreiheit

Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag will mit einem Positionspapier dem „Politischen Islamismus“ den Kampf ansagen. Doch die Forderungen zielen vor allem gegen die Gleichberechtigung von Muslimen. Sie zeigen, dass es die Unionspolitiker selbst mit freiheitlichen Werten nicht so genau nehmen. Eine Analyse.

16
05
2021
Politischer Islam - Religionsfreiheit
Symbolbild: Islam © Shutterstock, bearbeitet by iQ.

„Unionspolitiker wollen stärker gegen Islamismus vorgehen.“ So und so ähnlich titelten in den vergangenen Wochen viele Medien. Anlass war ein am 20. April verabschiedetes Papier der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag mit dem Titel „Die freiheitliche Gesellschaft bewahren, den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern, den Politischen Islamismus bekämpfen“. Auf dessen sieben Seiten richten sich allerdings nur wenige Forderungen gegen echte islamistische Bedrohungen. Stattdessen finden sich jede Menge Vorschläge zur Sonderbehandlung von Muslimen und Musliminnen, die sich nur schwer mit freiheitlichen Grundrechten vereinbaren lassen. So fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter anderem eine geheimdienstliche Überwachung von Moscheevereinen und Finanzierungs- und Kooperationsverbote gegenüber islamischen Religionsgemeinschaften und Interessenvertretungen.

Terroranschlag oder Freitagsgebet? Alles dasselbe.

Um ihre Forderungen zu legitimieren, erklären die Autoren kurzerhand große Teile des muslimisch-religiösen Lebens in Deutschland zum Sicherheitsproblem. Dabei bedienen sich die Unionspolitiker einer Taktik, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten vor allem am rechtsextremen Rand des politischen Spektrums etabliert wurde und zunehmend ihren Weg in bürgerliche Kreise findet: der Gleichsetzung von muslimischer Religionsausübung und Interessenvertretung mit „islamistischem Terror“.

So entwerfen die Autoren in den ersten Passagen des Papiers eine Bedrohungsszenario aus islamistischen Terroranschlägen in Europa, nur um nach wenigen Absätzen über das Konstrukt des „Politischen Islamismus“ die Brücke zum eigentlichen Feind zu spannen: islamischen Gemeinschaften und Vereinen in Deutschland. Welche konkreten Verbindungen es zwischen den genannten Organisationen wie DITIB, dem Islamische Zentrum in Hamburg (IZH) oder dem Zentralrat der Muslime (ZMD) einerseits und den Anschlägen von Nizza, Wien oder Dresden andererseits gibt, erfährt der Leser nicht. Mit gutem Grund: Denn es gibt keine.

Verschwörungsmythen statt Fakten

Statt konkreter Belege und einer sachlichen Auseinandersetzung mit Akteuren und Ideologien, liefert das CDU/CSU-Positionspapier vor allem Schilderungen, die eher an die Polemiken islamfeindlicher Buchautoren als an eine seriöse Auseinandersetzung erinnern, die schließlich Gesetze und Behördenhandeln legitimieren soll. Große islamische Interessenvertretungen in Deutschland strebten „die Unterwerfung von Gesellschaft, Politik, Kultur und Recht unter Normen an“, Ziel sei unter anderem „eine islamistische Genderordnung mit einer umfänglichen Geschlechtertrennung.“ Verschwörungstheoretisch ist die Rede davon, dass die beschuldigten islamischen Organisationen zwar „vordergründig gewaltfrei“ agieren, aber „eine islamische Ordnung anstreben, in der es keine Gleichberechtigung, keine Meinungs- und Religionsfreiheit und auch keine Trennung von Religion und Staat gibt.“

Erst verbieten, dann fragen

Konkrete Belege liefert das Papier auch hier nicht. Im Gegenteil: An mehreren Passagen räumen die Autoren die eigene Ahnungslosigkeit freimütig ein: „Derzeit fehlt es an einem umfassenden systematischen Überblick sowie der Verknüpfung des in Deutschland und Europa vorhandenen Wissens über die Aktivitäten, die personelle und finanzielle Ausstattung der in Deutschland und Europa aktiven islamistischen Gruppierungen sowie über ihre internationale Vernetzung, ihre strategischen Ziele und über die Reichweite ihrer Ideologien“, heißt es an einer Stelle. Auch über „Finanzierungsströme“ herrsche „ungenügende Transparenz.“

Von radikalen Forderungen hält ihr Unwissen die Unionspolitiker allerdings nicht ab. So fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass „sämtliche finanzielle Zuwendungen, Förderungen, Vertragsbeziehungen und Kooperationen mit islamischen Vereinen und Verbänden, die Beobachtungsgegenstand der Verfassungsschutzämter sind, in Bund und Ländern überprüft und eingestellt werden“. Auch die Gemeinnützigkeit soll solchen islamischen Organisationen aberkannt werden. Weitere Forderungen sind unter anderem:

  • eine „breit angelegten Schulstudie“, in denen Lehrer über islamistische Schüler Auskunft geben
  • die Einrichtung von Lehrstühlen zur Erforschung des „Politischen Islamismus“
  • die Einrichtung eines Expertenkreises ,,Politischer Islamismus in Deutschland“ im Bundesinnenministerium
  • die stärke Überwachung von Moscheevereinen durch den Verfassungsschutz
  • die „Einrichtung einer Dokumentationsstelle ‚Politischer Islamismus in Deutschland und Europa‘“

Forderungen und Rhetorik des Positionspapiers zeigen, dass sich die Autoren offenbar Österreich zum Vorbild genommen haben. Dort ist die flächendeckende Überwachung von Moscheen, ein Verbot von Spenden aus dem Ausland und eine „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ längst Realität. Wissenschaftler, Anti-Rassismus-Initiativen und die die staatlich anerkannte Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) beklagen, dass solche Maßnahmen weniger eine Bedrohung als die muslimische Zivilgesellschaft zum Ziel haben und zu einer Kultur des Generalverdachts gegenüber Muslimen in Österreich geführt haben.

Union macht Millionen Muslime zu potenziellen Islamismus-Sympathisanten

Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion nimmt in ihrem Papier hingegen in Anspruch, auch im Namen des „größten Teil der Musliminnen und Muslime in Deutschland“ zu sprechen. Dass dieser Einschätzung viele Muslime und Musliminnen zustimmen würden, darf allerdings bezweifelt werden.

So zeigt die vergangenen Woche veröffentlichte Studie „Muslimisches Leben in Deutschland 2020“, dass ein Großteil der  deutschen Muslime hinter den beschuldigten Organisationen stehen. So gaben 52% der sunnitischen türkeistämmigen Muslime an, sich durch DITIB repräsentiert zu sehen, weitere 27% bejahten die Aussage mit Blick auf IGMG. Insgesamt fühlen sich der repräsentativen Studie zufolge mindestens 38% der Muslime in Deutschland durch mindestens einen der großen Verbände repräsentiert. Eine explizite Ablehnung, wie von der CDU/CSU-Fraktion suggeriert, bejahten lediglich 19,5% der Befragten.

Mit ihrem pauschalen Islamismus-Vorwurf gegenüber der großen islamischen Interessenvertretung macht die CDU/CSU-Fraktionen passend somit auch Millionen deutscher Muslime zu potenziellen Islamismus-Anhängern. Hinzu kommt, dass das Papier ausgerechnet viele jener Organisationen kriminalisiert, die sich in den vergangenen Jahrzehnten am vehementesten dafür einsetzen, dass die grundgesetzliche garantierte Religionsfreiheit auch in der Praxis umgesetzt wird. Themen wie die rechtliche Anerkennung islamischer Religionsgemeinschaften oder bekenntnissorientierter islamischer Religionsunterricht (IRU) im Sinne des Grundgesetzes scheiterten bisher allerdings allzu oft ausgerechnet jenen CDU- und CSU-Politikern, die nun vorgeben, sich für Muslime stark zu machen.

Kriminalisierung muslimischer Religionsausübung

Auch andere Passagen des Positionspapiers zeigen: Die Verhinderung und Kriminalisierung muslimischer Religionsausübung ist kein Kollateralschaden im Kampf gegen den „Politischen Islamismus“, sondern offenbar das Ziel der Autoren. Als Beispiel für islamistische Bedrohungen findet sich auch diese Passage: „Diese Politisierung der Religion äußert sich in einer umfassenden Reglementierung der Lebensführung von Musliminnen und Muslimen anhand der Kategorien des Erlaubten (halal) und des Verbotenen (haram).“

Damit deuten die Autoren alltägliches Religionsverständnis von Millionen Menschen zur extremistischen Gefahr um.

An einer anderen Stelle lassen die Autoren den Islamismus-Bezug gleich ganz weg und bekennen ganz offen, dass sie offenbar vorhaben, tief in die religiöse Autonomie von Muslimen einzugreifen: „Es geht darum, eine islamische Glaubenspraxis zu befördern, die sich unserem Land und unseren Werten zugehörig fühlt“, heißt es in einem Abschnitt zur Imamausbildung. Auch die Passagen zur Finanzierung von Moscheen lassen sich so verstehen, dass nicht nur „islamistische“, sondern pauschal alle muslimischen Gemeinden in Deutschland Ziel geheimdienstlicher Überwachung werden sollen.

Statt islamistische Gefahren zu bekämpfen gießt die CDU/CSU-Fraktion islamfeindliche Vorurteile gegenüber rund fünfeinhalb Millionen Muslimen in Deutschland in Gesetzesform und zementiert den gesellschaftlichen Generalverdacht in behördliches Handeln. Mögliche Folgen solcher Stigmatisierungen von Minderheiten sind gut erforscht: Sie reichen von zunehmender Diskriminierung im öffentlichen Leben und rassistisch motivierter Gewalt bis hin zu Desintegration und Radikalisierung einzelner Betroffener. Bemühungen um Integration und Extremismusprävention, wie sie unter anderem die gescholtenen islamischen Organisationen betreiben, erweist die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit ihrem Positionspapier zum „Politischen Islamismus“ somit einen Bärendienst. An einer Stelle heißt es in dem Papier, Islamisten würden „Gleichberechtigung und Religionsfreiheit ablehnen und muslimische Jugendliche von den westlichen Gesellschaften entfremden“. Gleiches lässt sich auch über Unionspolitiker sagen.

Leserkommentare

charley sagt:
Islamische (selbsternannte!) Repräsentanten, die nicht aktiv gegen eigene Radikale, Radikalisierte arbeiten mit dem Ziel, dass man der Polizei ggf. sogar zuarbeitet, befördern die Skepsis gegenüber dem Islam und seinen Repräsentanten. (in der katholischen Kirche kapieren Entsprechendes immer mehr Leute! Aber egal,.. ansonsten kapieren es die anderen (nicht-katholischen/nicht-moslemischen) Menschen.) Ein gottverlassener Moslem? aus dem TAZ-Artikel (Schlüter-Staats ist der Richter): Einem forensischen Psychiater hatte sich Abdullah al-H. nach seiner Festnahme für gut sechs Stunden anvertraut. Er habe schon in der Haft beschlossen, „Ungläubige“ zu töten, sagte der 21-Jährige. Deshalb habe er kurz nach der Entlassung zwei Messersets gekauft und sei in der Tatnacht durch die Innenstadt gelaufen. Und dort habe er schließlich die beiden Männer entdeckt, die vertraut und gelöst gewirkt hätten – und hat zugestochen. Homosexuelle dürfe man töten, sie seien „Feinde Gottes“, da dieser nur Beziehungen zwischen Mann und Frau vorsehe, sagte Abdullah al-H. dem Psychiater. Und er würde auch wieder „Ungläubige“ töten. Dann aber entschlossener und nach Beratung mit dem IS...... Abdullah al-H. habe die Opfer als „Repräsentanten einer als ungläubig verhassten, offenen Gesellschaft“ gesehen, er habe sie angegriffen, weil er sie für homosexuell hielt, weil sie anders waren als er...... Zudem attestiert er Abdullah al-H. eine „tief verwurzelte Homophobie“. Letztlich aber hätte es auch alle anderen treffen können, die der Angeklagte als „Ungläubige“ ansah. „Im Prinzip war es ihm egal, wen er tötet“, so Schlüter-Staats..... Der Angeklagte reagiert auf diese Worte nicht, schaut nur starr in den Saal. Den gesamten Prozess hatte er geschwiegen, ihn teilnahmslos verfolgt. In seinem letzten Wort sagte er nur, es spiele keine Rolle, was er hier sage, er verlasse sich auf Gott.....
04.06.21
16:23
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