Baden-Württemberg

Landtagswahlen: Muslime rufen zur Wahl auf

Viel Corona, wenig Islam. Am Sonntag wird in Baden-Württemberg gewählt. Muslimische Vertreter rufen zur Wahl auf.

11
03
2021
Landtagswahlen in Baden-Württemberg © Shutterstock, bearbeitet by iQ.
Landtagswahlen in Baden-Württemberg © Shutterstock, bearbeitet by iQ.

Am 14. März finden in Baden-Württemberg Landtagswahlen statt. Rund 7,7 Millionen Menschen sind wahlberechtigt. Bislang sind fünf Parteien im Landtag vertreten. Auf die beiden Regierungsfraktionen entfallen 90 Mandate (Grüne 47, CDU 43). Die SPD hat 19 Sitze, die FDP 12 und die AfD nach mehreren Austritten 15. Weitere 7 Abgeordnete sind fraktionslos. Einen Monat vor der Landtagswahl im Südwesten liegen die Grünen in mehreren Umfragen vor der CDU – mal mehr, mal weniger deutlich.

Auch wenn Themen wie die Corona-Krise, ihre Bewältigung und die wirtschaftlichen Folgen den Wahlkampf dominieren werden, beschäftigten Themen rund um den Islam und die Muslime auch die aktuelle Legislaturperiode. Derzeit leben in Baden-Württemberg knapp 800.000 Muslime.

Der Islamunterricht wird seit dem Schuljahr 2019/20 auf der Grundlage eines umstrittenen Stiftungsmodells fortgeführt. Vor der Gründung wurde das Stiftungsmodell innermuslimisch stark diskutiert und kritisiert. Nur zwei von vier islamischen Religionsgemeinschaften haben sich für eine Beteiligung an der Stiftung ausgesprochen.

Muslime kritisieren Stiftungsmodell für Islamunterricht

Die DITIB und die IGBW hatten dem Land vorgehalten, eine staatliche Einrichtung zu schaffen, um Religionsunterricht zu erteilen. Das sei verfassungswidrig. „Dieses Modell hebelt die Neutralitätspflicht des Staates aus und greift massiv in die Religionsfreiheit und in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ein“, hieß es. Das Stiftungsmodell wurde neben Religionsgemeinschaften auch von Staatsrechtlern kritisiert, da drei von fünf Mitgliedern im Stiftungsvorstand unter Zustimmungsvorbehalt des Landes stehen und das Land somit die Inhalte eines konfessionsgebundenen Religionsunterrichts mitgestalte.

Das neue Modell in Baden-Württemberg sei eine belastbare Interimslösung, um muslimischen Kindern und Jugendlichen „einen hochwertigen bekenntnisgebundenen Religionsunterricht“ zu ermöglichen, der „insbesondere frei ist von Einflüssen ausländischer Stellen“, erklärte das Kultusministerium auf Anfrage.

Dialog zwischen Land und Muslime

Muhittin Soylu, Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Baden-Württemberg (IGBW), betont, dass sich an dem Stiftungsmodell auch in der nächsten Legislaturperiode nichts ändern wird. „Das Stiftungsmodell hat eine Dauer. Umfragen zufolge wird sich die aktuelle Regierungskonstellation nicht ändern. Daher können wir sagen, dass die Politik im Bereich des islamischen Religionsunterrichts fortgesetzt wird“, erklärt Soylu. Im Schuljahr 2019/2020 besuchten 5.905 Schüler an 86 staatlichen Schulen den Islamunterricht.

Dass sich die aktuelle Islampolitik des Landes nach den Wahlen ändert, bezweifelt Soylu. Die Kommunikation zwischen dem Ministerpräsidenten und den Religionsgemeinschaften waren in Zeiten Corona-Pandemie „positiv und eng“. Solange sich dies nicht ändere, werde sich auch in der Islampolitik nichts Wesentliches ändern. Umfragen sehen die Grünen auch in diesen Landtagswahlen vorne.

„Muslime sollten ihr Wahlrecht nutzen“

Soylu erklärt, dass die IGBW Muslime ermutigt, an den Wahlen teilzunehmen und ihr Wahlrecht in Anspruch zu nehmen. „Muslime haben in beiden Wahlen ein großes Potenzial, und dieses Potenzial sollten die Parteien spüren.“

Einige Parteien haben auch muslimische Kandidaten auf ihre Listen gesetzt. „Es ist für uns wünschenswert, dass Kandidaten unterschiedlicher Herkunft und Religion es in den Landtag schaffen, um eine größere Vielfalt abzubilden“, betont Soylu. Er fordert, eine aktivere Teilnahme von Muslimen in politischen Parteien. Trotz steigender Tendenz gibt es eine Mehrheit, die sich weiterhin nur für die Politik in ihren Herkunftsländern interessiert. „Hier sollten weitere Anstrengungen unternommen werden.“

Moscheeangriffe und antimuslimischer Rassismus

Die bundesweite Meldestelle für Moscheeangriffe #brandeilig hat zwischen April 2019 und Februar 2021 mehr als 100 Moscheeangriffe in Baden-Württemberg erfasst. Die Dunkelziffer liegt höher. Zum Neujahreswechsel wurde die Fatih Moschee der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Sontheim erneut Opfer eines Angriffs. Unbekannte schlugen mit einer Sitzbank ein Fenster ein. Die Polizei stehe im engen Kontakt zu den Moscheen und treffe erforderliche Schutzmaßnahmen „lageorientiert“. „Hierzu zählen u. a. der enge Kontakt mit den Objektverantwortlichen, die Festlegung von Meldewegen sowie auf Wunsch die Durchführung einer sicherheitstechnischen Beratung. Weiterhin werden auch offene und verdeckte Schutz- und Überwachungsmaßnahmen durchgeführt“, erklärt das Landesinnenministerium gegen IslamiQ.

Zu den Wahlprogrammen:
Die Grünen:
CDU
SPD
FDP
Die Linke

In den Wahlprogrammen findet der Schutz der Moscheen nach Moscheeangriffen sowie die Themen „Islamfeindlichkeit“ und „antimuslimischer Rassismus“ wenig bis kaum Beachtung.

Leserkommentare

Marleena sagt:
Es gibt keinen "antimislimischen Rassismus". Muslim ist keine Rasse.
11.03.21
14:03
Johannes Disch sagt:
@Marleena Rassismus hat nichts mit Rassen zu tun, sondern mit Diskriminierung. Der Begriff "Rasse" trifft auf die menschliche Spezies nicht zu. Es gibt aber Vorbehalte gegen alle möglichen ethnischen und/oder religiösen Kollektive. Gegen Juden beispielsweise. Und eben auch gegen Muslime. Der Begriff "antimuslimischer Rassismus" hat sich leider eingebürgert, obwohl er falsch ist. Richtig ist aber, dass es Vorbehalte gegen Muslime gibt. Und gegen Diskriminierung-- egal, um welches Kollektiv und welches Individuum es sich handelt-- muss die demokratische Zivilgesellschaft Stellung beziehen. Nicht hilfreich in dieser Sache ist allerdings die Tatsache, dass viele Muslime die Verweigerung von Privilegien-- beispielsweise das Kopftuch am Arbeitsplatz-- als "antimuslimischen Rassismus" brandmarken. Sie erweisen sich damit einen Bärendienst und erschweren den Kampf gegen Diskriminierung.
12.03.21
19:33
Abdussamed sagt:
Dieser versteht das Phänomen nicht als irrationale Erscheinung in der Gegenwart, geschweige denn als (rechte) Ausnahmesituation in demokratischen, egalitären Gesellschaften Europas, sondern als inhärenten Aspekt der europäischen Moderne. Er setzt aktuelle Islamdebatten in den Zusammenhang der historischen Entstehung Europas und erinnert an das Erbe des europäischen Kolonialismus[7]. Unter dem Begriff des antimuslimischen Rassismus versammelt sich die Kritik an verschiedenen Strategien und Rhetoriken, die allesamt dadurch gekennzeichnet sind, dass sie auf Prozesse der Rassifizierung, also der Konstruktion als 'Andere', aufbauen. Musliminnen und Muslime werden von 'uns Deutschen' getrennt ("Sie sind anders als wir"), homogenisiert ("Sie sind alle gleich") und ihnen werden wesenhafte (negative) Eigenschaften zugeschrieben ("Sie sind ihrer Kultur und Religion nach einfach so"). Menschen werden also auf Basis phänotypischer Unterscheidung, von Namen oder zugeschriebener Herkunft als muslimisch klassifiziert. Sie werden zur Metapher gesellschaftlichen Übels gemacht – indem man ihnen etwa die Attribute sexistisch, homophob, gewalttätig, integrationsunwillig zuschreibt – und sie so aus dem nationalen 'Wir' herausdekliniert. Die 'Anderen' werden herabgestuft und 'wir' werden überhöht. Insgesamt ist der antimuslimische Rassismus gerade deshalb als Rassismus einzustufen, weil Menschen entlang bestimmter Vorstellungen von Kultur, Religion und Herkunft essentialisiert werden, ihnen also nach (angeblicher) Abstammung genuin 'islamische' Eigenschaften zugewiesen werden, die sie von der 'eigenen' Gruppe quasi natürlich unterschieden. Dadurch wird die rassistische Benachteiligung der 'Anderen' ("nicht deutsch") gerechtfertigt und 'unsere' ("deutschen") Privilegien werden gesichert.
12.03.21
20:46