Die jüdische Gemeinde in Halle entgeht nur knapp einer Katastrophe. Nach dem Attentat auf die Synagoge bekunden Muslime in Deutschland ihre Solidarität.
Erst nach langen Stunden nach dem versuchten Attentat wurde klar, dass es sich um einen Einzeltäter handelte. Innenminister Horst Seehofer (CSU) sprach am Abend von einem antisemitischen Motiv. Der Generalbundesanwalt, der die Ermittlungen rasch an sich gezogen hatte, habe zudem „ausreichend Anhaltspunkte für einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund“. Seehofer sagte weiter: „Der höchste jüdische Feiertag Jom Kippur ist heute ein schwarzer Tag. Ein schwer bewaffneter Täter hat versucht, in eine Synagoge einzudringen, in der sich rund 80 Menschen aufhielten.“
Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) verurteilt das Attentat aufs schärfste und bekundet der jüdischen Gemeinde in Halle sowie allen jüdischen Mitbürgern in Deutschland seine Anteilnahme. „Die Umstände der Tat erinnern stark an Christchurch: der Angriff auf ein Gebetshaus während die Gläubigen beten und Livestream der Tat im Internet“, teilte der KRM in einer Pressemeldung vom 10.10.2019 mit. Dies sei eine abscheuliche Tat und zeige, dass Terror weder einen Glauben noch eine Nationalität habe. „Dieser Terrorakt ist gegen uns alle gerichtet, er ist gegen unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt gerichtet“, sagte KRM-Sprecher Dr. Zekeriya Altuğ. Weiter fuhr er fort: „Wir werden eine breite Allianz gegen Hass und Terror bilden – eine Allianz der Toleranz und Vernunft. Den Opfern, ihren Angehörigen und der Stadt Halle sprechen wir unser Beileid aus, den Verwundeten wünschen wir alsbaldige Genesung. In unseren Gedanken und Gebeten sind wir bei ihnen.“
Die Türkisch-Islamische-Union der Anstalt für Religion (DITIB) wies „Einzeltäter-Theorien“ zurück. Sie dürften nicht davon ablenken, „dass das gesellschaftliche Klima zunehmend durch rechtes Gedankengut vergiftet wird“, so der DITIB-Vorstandsvorsitzende Kazım Türkmen. Es müsse spätestens nach dem Terrorangriff in Halle bewusst sein, „dass die Drohungen gegenüber fast 20 Moscheen allein in diesem Jahr sowie mehreren weiteren muslimischen Einrichtungen keine leeren Drohgebärden sind“.
Auch der Vorsitzende der SCHURA Niedersachsen, Recep Bilgen, ist entsetzt über den terroristischen Anschlag. „Meine Gedanken sind bei den Opfern und den Angehörigen. Meine Solidarität gilt allen jüdischen Freunden“, wurde der Vorsitzende ein einer Pressemitteilung zitiert. „Der Angriff auf eine Synagoge an einem der höchsten jüdischen Feiertage, Jom Kippur, trifft nicht nur unsere jüdischen Nachbarn und Freunde, sondern die gesamte Gesellschaft. Es ist höchste Zeit, dass sich die Gesellschaft noch stärker gegen Antisemitismus und jegliche Art von Rassismus einsetzt“, so Bilgen weiter.
„Die Nachrichten aus Halle haben uns erschüttert. Wir möchten unser aufrichtiges Mitgefühl, Anteilnahme und Solidarität an die Angehörigen der ermordeten Opfer und der jüdischen Gemeinde übermitteln“, teilte der Islamrat gegenüber IslamiQ mit. Burhan Kesici, Vorsitzender des Islamrats, warnt vor einem Anstieg von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit.
Kesici beschreit das Attentat als einen kaltblütigen Angriff auf die Synagoge. „Gerade in solchen Zeiten ist es notwendig, dass wir als Menschen unterschiedlichen Glaubens zusammenkommen und zeigen, dass wir uns nicht spalten lassen“, sagte Kesici, der gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Islamischen Föderation Berlin (IFB), Murat Gül, und dem IGMG-Regionalverbansvorsitzenden Said Jurnal die Synagoge in Halle besuchte.
Die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) ruft ihre Gemeinden dazu auf, die nächste Synagoge in ihrer Nähe zu besuchen und ihre Solidarität auszusprechen. „Die gegenseitige Anteilnahme stärkt unseren Zusammenhalt, setzt ein deutliches Zeichen gegen Hass und sensibilisiert die Öffentlichkeit in Bezug auf Angriffe auf Minderheiten und deren Gebetsstätten.“
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte am Abend: „Die Brutalität des Angriffs übersteigt alles bisher Dagewesene der vergangenen Jahre und ist für alle Juden in Deutschland ein tiefer Schock.“ Zugleich erhob er schwere Vorwürfe gegen die Polizei. „Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös.“
Bei dem Attentat legte der Täter auch selbstgebastelte Sprengsätze vor dem Gotteshaus ab. Eine Frau wurde vor der Synagoge von tödlichen Schüssen getroffen. Etwa 30 Meter vor der Synagoge lag sie auf einer Straße mit einer blauen Decke bedeckt. Das Opfer aus dem Döner-Imbiss war ein Mann.
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle, Max Privorozki, bestätigte, dass sich der Angriff der Täter direkt gegen die Synagoge richtete. „Wir haben über die Kamera unserer Synagoge gesehen, dass ein schwer bewaffneter Täter mit Stahlhelm und Gewehr versucht hat, unsere Türen aufzuschießen“, sagte Privorozki. „Aber unsere Türen haben gehalten.“
Die Tat erinnert an den Anschlag im neuseeländischen Christchurch, bei dem Mitte März mehr als 50 Menschen getötet worden waren. Wie dieser Täter soll auch der Schütze von Halle eine Kamera auf dem Helm getragen haben. In den sozialen Netzwerken soll er ein Bekennervideo hochgeladen haben.
Darin ist ein junger Mann in Kampfanzug mit weißem Halstuch in einem Auto zu sehen. Der Mann gibt in vermutlich nicht muttersprachlichem Englisch extrem antisemitische Äußerungen von sich. In dem Video sind auch mehrere Schießszenen zu sehen. Unter anderem zeigt das Video, wie in einem Döner-Imbiss mehrfach auf einen Mann geschossen wird, der hinter einem Kühlschrank liegt. (dpa, KNA, iQ)