iQ-Wahlprüfstein #BTW17

„Muslime und der Islam sind Teil unseres Landes“

Am 24. September finden die Bundestagwahlen statt. Was steht in den Parteiprogrammen zu Islam und Muslimen? IslamiQ liefert die Antworten. Heute die Sozialdemokratische Partei Deutschland (SPD). Wähl mit iQ!

21
09
2017
Banner iQ-Wahlprüfstein - SPD © IQ
Banner iQ-Wahlprüfstein - SPD © IQ

IslamiQ: Die Deutsche Islam Konferenz feierte letztes Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum. Sie wurde initiiert, um den Islam in Deutschland zu institutionalisieren. Welche Ziele und Pläne verfolgt Ihre Partei, um diesen Weg weiterzugehen?

SPD: Muslime und der Islam sind Teil unseres Landes. Wir unterstützen die organisatorische Entwicklung von muslimischen Gemeinden und Organisationen, wenn sie sich in Deutschland nach deutschem Recht gründen und wenn sie die freiheitliche demokratische Grundordnung achten. Erfüllen sie die Voraussetzungen, dann stehen ihnen auch die Möglichkeiten unseres bewährten Religionsverfassungsrechts offen. Die Autonomie, die wir darin den Religionsgemeinschaften in ihrer Selbstverwaltung bieten, ist ein hohes Gut. Die Religionsgemeinschaften müssen dafür aber rechtsstaatliche Voraussetzungen erfüllen. Auf dieser Grundlage müssen wir mit allen Gesprächspartnern reden. Wir begrüßen eine weitere organisatorische Entwicklung von muslimischen Gemeinden und Organisationen, denn es braucht Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für wichtige Themenfelder, zum Beispiel den interreligiösen Dialog oder den islamischen Religionsunterricht.

IslamiQ: Die Nachfrage nach „islamischer Wohlfahrtspflege“ und „Seelsorge“ auf Seiten der muslimischen Bevölkerung steigt stetig an. Wird Ihre Parte die Etablierung einer islamischen Wohlfahrtspflege unterstützen? (Bitte begründen.)

SPD: Die SPD will die muslimische Seelsorge und auch muslimische Bestattungen ermöglichen und ausbauen. Die Deutsche Islamkonferenz beschäftigte sich jüngst intensiv mit der Frage der islamischen Seelsorge. Hier gilt es, bestehende Formate zu unterstützen. Die SPD fordert schon seit langem den Ausbau muslimsicher Seelsorgeangebote, etwa im Bereich der Jugendseelsorge oder der Gefängnisseelsorge. Unser Religionsverfassungsrecht ermöglicht islamische Bestattungen und islamische Seelsorge schon jetzt. Dabei hängt das Friedhofs- und Bestattungsrecht in der Regel am Status der Körperschaften des öffentlichen Rechts. Einzelne Kommunen gewähren schon jetzt Bestattungen nach islamischen Vorschriften auf ihren Friedhöfen.

IslamiQ: Mehrere Studien attestieren eine zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland. Wie möchte Ihre Partei dieser Entwicklung entgegenwirken?

SPD: Muslime und der Islam sind Teil unseres Landes. Wir als SPD setzen uns für eine weltoffene und vorurteilsfreie Gesellschaft ein, die über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg zusammenhält und in der wir friedlich und frei zusammenleben. Offenheit bedeutet Toleranz und Vielfalt. Die nationalen und religiösen Minderheiten in Deutschland sind Teil dieser Vielfalt. Ihre Traditionen, ihre Sprachen und deren Anwendungen gilt es zu schützen.

Es hat viel Kraft gekostet, Deutschland zu dem demokratischen Land zu machen, das es heute ist. Und es wird auch weiter Kraft kosten, das zu erhalten, auszubauen und zu verbessern. In der Gesellschaft, in der Politik, in der Kultur und in der Wirtschaft. Fortschritt heißt für uns: Die offene Gesellschaft festigen. Wir wollen echte Gleichstellung – unabhängig von Geschlecht, Religion, Hautfarbe, Herkunft und geschlechtlicher Identität oder sexueller Orientierung.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist vor elf Jahren in Kraft getreten. Wir werden es weiterentwickeln. Hierfür stärken wir die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und weiten den Anwendungsbereich des AGG auf staatliches Handeln aus. Zudem wollen wir ein Verbandsklagerecht im AGG verankern.

In unserem Land haben rund 20 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund. Wir wollen, dass sich der Anteil von Menschen mit familiären Einwanderungsgeschichten auch in der Zusammensetzung des öffentlichen Dienstes niederschlägt. Zielvorgaben, Ausbildungskampagnen und faire Bewerbungsverfahren unterstützen diesen Prozess. Dazu gehört auch die Offenheit gegenüber unterschiedlichen Kulturen, die wir in allen gesellschaftlichen Bereichen umsetzen wollen, insbesondere in der Aus- und Weiterbildung der Gesundheits- und Pflegeberufe.

Wir sollen mehr über die Auswirkungen von Ein- und Auswanderungen auf den gesell-schaftlichen Wandel erfahren. Dafür sind wissenschaftsbasierte Analysen notwendig. Wir haben uns erfolgreich für eine nachhaltige, institutionelle Stärkung der Migrations- und Integrationsforschung und eine bessere Vernetzung der Forschenden eingesetzt und wollen dies noch weiter vorantreiben.

IslamiQ: In den letzten Jahren kommt es immer häufiger zu Angriffen auf Moscheen und muslimische Einrichtungen. Was kann und sollte unternommen werden, um diese zukünftig besser zu schützen?

SPD: Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten kämpfen seit über 150 Jahren für Toleranz und gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit. Rechtsextremistische Übergriffe und Anschläge haben in den letzten Jahren bedrohlich zugenommen. Damit wird Angst und Schrecken verbreitet bei den bedrohten Menschengruppen. Auch von rechtsextremistischen Gruppen und Einzelpersonen geht eine terroristische Gefahr aus, der wir entschlossen begegnen werden.

Wir setzen uns dafür ein, dass Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund in Zukunft besser erfasst und statistisch ausgewertet werden. Die im Aufenthaltsgesetz vorgesehen Regelungen für Opfer von Straftaten müssen eingehalten werden, damit sie zu ihrem Recht kommen und Straftäterinnen und Straftäter für ihre Taten verurteilt werden können.

Neben der konsequenten Strafverfolgung wollen wir auch die Präventionsarbeit ausweiten. Bereits in den vergangenen Jahren haben wir die Mittel im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ mehr als verdreifacht. Diesen Weg der Vorbeugung führen wir fort. Zu einer umfassenden Strategie gegen gewaltbereite Rechtsextremisten gehört Deradikalisierung. Darum werden wir mit einem Gesetz zur Demokratieförderung und Extremismusprävention die Strukturen der Präventionsarbeit langfristig sichern.

IslamiQ: Von Zeit zu Zeit wird über die Einführung eines sogenannten Islamgesetzes in Deutschland diskutiert. Wie steht Ihre Partei zu einem solchen Vorhaben?

SPD: Ein Gesetz, das die Rechte von einer Religionsgemeinschaft gesondert regelt dient nicht dem inneren Frieden, sondern verbreitet Misstrauen. Religionsgemeinschaften ordnen in Deutschland ihre Angelegenheiten selbstständig. Es verstößt gegen unsere Verfassung, für eine Religion Sonderforderungen aufzustellen.

Grundsätzlich sind wir als SPD überzeugt, dass Deutschland ein gutes und bewährtes Religionsverfassungsrecht hat. Es geht darum, muslimische Gemeinschaften in dieses Recht zu integrieren, nicht darum, extra-Gesetze für sie zu schaffen. Wichtig ist uns als SPD zum Beispiel die Ausbildung muslimischer Theologinnen und Theologen und Religionslehrerinnen und Religionslehrer an deutschen Universitäten. Partizipation und Teilhabe ist als Präventionsmaßnahme gegen religiösen Fanatismus wirkungsvoller als Ausgrenzung und Sonderrechte.

IslamiQ: In den letzten Jahren wurde an verschiedenen Standorten islamische Theologie an deutschen Universitäten eingeführt. Gleichzeitig wurde in mehreren Bundesländern bekenntnisorientierter islamischer Religionsunterricht eingeführt, andernorts nur eine Art islamischer Religionskunde. Wie bewerten Sie diese Entwicklung? Würden Sie eine Ausweitung dieses Angebots unterstützen?

SPD: Der interreligiöse Dialog und das Wissen über Religionen und Kulturen sind wichtig für ein friedliches Miteinander und gegenseitigen Respekt. Wer ein aufgeklärtes Wissen über die eigene und andere Religionen hat, ist oft weniger anfällig für Extremismus. Wir wollen daher allen Kindern Religions- und Ethikunterricht ermöglichen.

Wir unterstützen den islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen und in deutscher Sprache. Dabei verfolgen wir das Ziel, dass islamische Religionslehrerinnen und -lehrer sowie Imame an deutschen Lehrstühlen ausgebildet werden.

IslamiQ: Eine aktuelle Studie des Berliner Instituts für empirische Migrationsforschung zeigt, dass viele Lehrer Vorbehalte gegenüber der Bildungsorientierung von Muslimen hegen. Gleichzeitig gibt die Bundesagentur für Arbeit bekannt, dass Menschen mit Migrationshintergrund häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Was möchte Ihre Partei gegen diese Benachteiligung von Muslimen in Schule und Beruf tun?

SPD: Herkunft entscheidet in unserem Bildungssystem noch immer zu stark auch über die Zukunft. Dies gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Neben strukturellen Veränderungen sind es vor allem auch die Lehrenden, die diese Benachteiligungen durch gezielte Förderung und Unterstützung ausgleichen können. Lehrerinnen und Lehrer müssen sich immer wieder auf neue Herausforderungen einstellen – auf die kulturelle Vielfalt und die Vielfalt von Lebensmodellen an ihrer Schule, auf das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung, auf ganztägigen Unterricht oder auf neue Entwicklungen in der digitalen Bildung. Deshalb müssen wir die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte entsprechend weiterentwickeln.

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
Scientology, die Zeugen Jehovas und der Islam sind ein Teil Deutschlands. Allerdings keiner, der Deutschland offener und die Menschen selbstbestimmter macht. Daher entbehrlich. Der Kemalismus hat der Türkei mehr gebracht als der Islam. Die Aufklärung hat Deutschland mehr gebracht wie jede Religion.
21.09.17
19:45
Harousch sagt:
Die Aufklärung ist ein wesentlicher Teil der europäischen Geschichte und legte mit den Grundstein für eine vernunftprientierte Denkweise des einzelnen Bürgers fernab religiöser Indoktrinierung. Und trotzdem gab es in Deutschland den Holocaust, die Amis hatten den Vietnamkriegund den Atombombenabwurf auf Hiroshima... Die Unterrichtung der Schüler*innen im Rahmen des bekenntnisorientierten Islamischen Religionsunterrichts ist mehr als notwendig, um gerade kulturellkodierte Vorstellungen, welche zum Teil ein verzerrtes Bild vom Islam innerhalb islamischorientierter Gemeinschaften darbieten, kritisch zu hinterfragen sowie nach freiheitlich demokratischen Maßstäben und Wertevorstellungen zu justieren. Hier bietet sich die Chance, den Heranwachsnden diejenigen Instrumente an die Hand zu legen, welche im familiärem Umfeld, aus den unterschiedlichsten Gründen, meist unberücksichtigt bleiben. Interessant sind Schüler*innen Fragen, bei denen Imamantworten ausdrücklich unerwünscht sind, weil diese ja dann doch teilweise pathetischer Natur sind oder jede Art von gesunder Skepsis im Keime ersticken und somit für noch mehr Frustration und Unzufriedenheit seitens der Lernenden sorgen. In erster Linie sollte durch eine religiöse Disposition des Heranwachsenden ein wesentlicher Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung geleistet und der Unterschied zwischen kulturellen sowie religiösen Eigenheiten herausgestellt und somit der Weg des Individuums zur Einordnung in die plurale Gesellschaft erleichtert werden, in dem Vorurteile beiseite geschaffen und Gemeinsamkeiten entdeckt werden, wodurch gleichzeitig das friedliche Zusammenlben kontinuierlich eingeübt wird. Hierzu sollten die Kultusministerien den Weg endlich öffnen und den Geist der Demokratie nicht ausschließlich der Mehrheit zusprechen.
02.04.18
22:58