Kopftuchverbot

Folgen: Verwehrung des Selbstbestimmungsrechts und Diskriminierung

Es sind insgesamt 12 Jahre her, seitdem das Bundesverfassungsgericht seine erste „Kopftuchentscheidung“ getroffen hat. Die zweite „Kopftuchentscheidung“ fiel vor einigen Wochen und sorge erneut für Diskussionsstoff. Funda Yol-Gedikli schreibt über die gesellschaftlichen Folgen des Urteils.

13
05
2015
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Der Verein katholischer Lehrerinnen (VKDL) befürchtet eine “Manipulation und Indoktrination” der Schülerschaft durch Lehrkräfte mit Kopftuch, wenn das Tuch wieder in Schulklassen erlaubt sein sollte. Das muslimische Kopftuch könne nicht als “unpolitisches, ausschließlich religiöses Symbol” betrachtet werden, da es zugleich ein “bestimmtes Frauenbild” bekunde. Doch was hat dieses Gesetz in den letzten Jahren vor allem bei den Betroffenen ausgelöst?

Vor dem Erlass der sogenannten „Kopftuchgesetze“ vor 12 Jahren waren unter anderem in Nordrhein-Westfalen 20 Lehrerinnen mit Kopftuch tätig. Viele von Ihnen unterrichteten seit mehr als 20 Jahren. Eine Störung des Schulfriedens oder Zweifel an der Integrität und Neutralität der Lehrkraft wurde diesen Lehrerinnen – bis zur „Kopftuch-Entscheidung“ und anschließender Gesetzgebung – nicht vorgeworfen. In vielen Fällen waren solche Lehrerinnen Brückenbauerinnen zwischen den unterschiedlichen kulturellen und traditionellen Konflikten.

Wenn man sich die Erfahrungen von Lehrerinnen, die Kopftuch getragen haben, nach Inkrafttreten des Verbotsgesetzes ansieht, ist ein Muster ersichtlich.

Der soziale und gesellschaftliche Druck

In der Zeit der Anfangsphase des „Kopftuchverbots“ im Schulbereich war dieses Verbot bei vielen auf Unverständnis gestoßen. Die Stimmung kippte jedoch nach kurzer Dauer. Lehrerinnen, die während der laufenden Verfahren unterrichten durften, standen vor dem Problem, dass neue Lehrerinnen mit muslimischen Wurzeln ohne Kopftuch als “Vorbilder” vorgehalten wurden. Ein weiteres Problem waren die familiären Verhältnisse der betroffenen Lehrerinnen, die zum Teil von ihren Familienmitgliedern aus finanzieller Not gedrängt wurden – unter anderem weil sie alleinerziehend waren oder die Familie auf das Gehalt angewiesen – ihre Kopftücher abzulegen.

Die „Kopftuchgesetzte“ kamen nicht nur im Schulbereich einem Berufsverbot gleich, sondern führten auch in der Privatwirtschaft und in der privaten Lebensgestaltung zu einem erheblichen Anstieg der Diskriminierung, die es in dieser Ausprägung vorher nicht gab.

Inzwischen umfasst die aktuelle Debatte um das Kopftuch den gesamten Bereich des öffentlichen Dienstes und dient auch zur Legitimation für Diskriminierungen im privaten Sektor, obwohl das Bundesarbeitsgericht und das Bundesverfassungsgericht für den privatwirtschaftlichen Bereich eine endgültige Entscheidung zugunsten der freien Religionsausübung bereits getroffen hatten.

Der Zugang zu “einfachsten” Berufen, trotz vorhandener Qualifikation, wird mit Verweis auf das Kopftuch verwehrt. Es werden wirtschaftliche Einbußen oder negative Kundenreaktionen befürchtet. Es folgten zahlreiche Kündigungen innerhalb unbefristeter Verträge aufgrund der Entscheidung ein Kopftuch zu tragen. Begründet wurde dies jeweils mit Verweis auf “Kundenberührungen”.

Vermeintliche Befreiung oder Bevormundung?

Das Kopftuchverbot hat aus selbstbewussten, integrierten und ökonomisch unabhängigen Frauen verunsicherte, ausgegrenzte und abhängige Frauen gemacht. Solche Frauen, die nicht ein traditionelles Rollenbild gelebt haben, in ein traditionelles gezwungen. Zahlreiche muslimische Schülerinnen stehen nun vor der Entscheidung: Kopftuch oder Karriere?

Die Frauen und Mädchen, die ihr Kopftuch freiwillig und als Folge des religiösen Gebots tragen, wird das Selbstbestimmungsrecht verwehrt, stattdessen will man diesen Frauen vorschreiben was “richtig” und was “falsch” ist. Die vermeintliche Befreiung von den “islamistischen Männern” hat die Folge, dass man sich der “liberalen”, “toleranten” und “weltoffenen” Mehrheitsgesellschaft und ihren Ansichten unterzuordnen hat.

Es wird auch heute noch argumentiert, dass das Kopftuch ein Symbol für die Unterdrückung der Frau sei oder Kopftuchträgerinnen schlechte Vorbilder für muslimische Schülerinnen, deren Eltern keine religiöse Beeinflussung wollen, seien. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religionsgemeinschaft und des einzelnen Grundrechtträgers nicht außer Betracht bleiben. Der jahrelange Streit um Verbot oder Zulassung von Kopftüchern bei muslimischen Lehrerinnen in Deutschland entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn es ist in erster Linie der Versuch der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft, zu definieren, welche Bedeutung das Kopftuch im Islam hat. In einem Staat aber, der Wert auf Trennung zwischen Staat und Religion legt, ist solch eine Unterscheidung mehr als problematisch. Durch die Kopftuchverbotsgesetze wurde dem Kopftuch eine Symbolwirkung zu teil, die ihm als solches nicht immanent ist. Insbesondere wird dem Kopftuch eine der Gleichberechtigung und sogar der Menschenwürde entgegenstehende Wirkung zugesprochen.

Diesem Vorwurf entgegnet das Bundesverfassungsgericht in seinen Gründen. Es heißt dort, dass „mit Rücksicht auf die grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Annahme verfehlt [sei], schon das Tragen eines islamischen Kopftuchs oder einer anderen, auf eine Glaubenszugehörigkeit hindeutenden Kopfbedeckung sei schon für sich genommen ein Verhalten, das gemäß § 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW bei den Schülern oder den Eltern ohne Weiteres den Eindruck hervorrufen könne, dass die Person, die es trägt, gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftrete. Diese pauschale Schlussfolgerung verbietet sich.“

Gedanke der Toleranz und Akzeptanz

Durch die Signalwirkung der Kopftuchverbotsgesetzte wurde unsere heutige Lebenswirklichkeit verändert. Der Gedanke der Toleranz und gegenseitigen Akzeptanz ist untergegangen.

Eine pluralistische Gesellschaft kann nur dann lebendig und lebensfähig sein, wenn sich die unterschiedlichen Überzeugungen begegnen können und dabei Toleranz und Akzeptanz erfahren. Menschen müssen und dürfen unterschiedliche Überzeugungen haben und auch für diese eintreten.

Der freiheitliche Verfassungsstaat geht das Risiko von Konfrontationen verschiedener religiöser und weltanschaulicher Bekenntnisse der Freiheit willen bewusst ein und erkennt diese auch an. Es werden Ansprüche an die Gesellschaft gestellt. Die Schule ist und sollte auch eine Stätte der gelebten Toleranz und Akzeptanz sein. Sie ist dazu gedacht solche Prinzipien, die unserem Grundgesetz zugrunde liegen zu verinnerlichen und auch zu fördern. Wenn man von einer Lehrkraft verlangt ein vollständiges Neutrum zu sein, kann dieser Lehrer bzw. diese Lehrerin aber auch nicht Toleranz ggü. anderen Meinungen und Anschauungen erziehen. Es reicht nämlich nicht aus, dass man das tolerante Verhalten ggü. anderen Schülern „predigt“, sondern man muss als Vorbild auch andere Meinungen, Anschauungen akzeptieren können und ggf. zu seinen eigenen Überzeugungen stehen.