Interview mit Rabbi Marc Schneier

Jüdisch-Muslimischer Dialog

Rabbi Marc Schneier ist Gründer und Vorsitzender der Foundation For Ethnic Understanding (FFEU). Wir sprachen mit ihm über jüdisch-muslimische Beziehungen, gemeinsame Anliegen und den möglichen Weg für eine Lösung im Palästina-Israel-Konflikt.

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08
2014
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Marc Schneier, geb. 1959, ist ein amerikanischer Rabbi, früherer Vize-Präsident des World Jewish Congress und Gründer der Foundation For Ethnic Understanding (FFEU). Er engagiert sich intensiv im interreligiösen Dialog und setzt sich für eine neue Ära des Dialogs zwischen Juden und Muslimen ein. Wir sprachen mit Rabbi Schneier über seine Arbeit, seine Ansichten und seine Anliegen.

IslamiQ: Was hat Sie zu Ihrem Engagement für muslimisch-jüdische Beziehungen veranlasst und was war Ihre Motivation zur Gründung der Stiftung für Ethnische Verständigung?

Rabbi Marc Schneier: Wir befinden uns mittlerweile im 25. Jahr der Gründung der Stiftung für Ethnische Verständigung. Ich gründete diese 1989 und die ersten 18 Jahre lag der Fokus unserer Arbeit in der Stärkung der Beziehungen zwischen Farbigen und Juden in den Vereinigten Staaten. Wenn man auf die Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 60er Jahre zurückblickt, bildeten wir eine historische Allianz. Kein Abschnitt der amerikanischen Gesellschaft bot Dr. Martin Luther King Junior und der afrikanisch-amerikanischen Gemeinde eine ähnlich anhaltende Unterstützung wie die jüdische Gemeinde. Dies war die anstoßgebende Allianz und Partnerschaft zwischen den Farbigen und den Juden, die wahrscheinlich zu den größten sozialen und politischen Veränderungen in der Geschichte der Vereinigten Staaten führte.

Vor sieben Jahren verlagerten wir unseren Fokus auf die muslimisch-jüdischen Beziehungen und ebenso wie wir auf nationaler Ebene als die erste Adresse der Beziehungen zwischen Farbigen und Juden in den Vereinigten Staaten angesehen werden, sind wir nun international zur ersten Adresse für muslimisch-jüdische Beziehungen geworden. Mittlerweile sind wir in 35 Ländern tätig. Als erstes sehe ich eine Aussöhnung zwischen Muslimen und Juden als eine große Herausforderung, als eine der größten interreligiösen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Sowohl 14 Millionen Juden, als auch 1,4 Milliarden Muslime sehen sich beide als Kinder Abrahams an und es ist unser gemeinsames Schicksal, dass wir unsere Verbundenheit bezüglich Sorgen, Mitleid und Achtung füreinander stärken müssen.

 

IslamiQ: Warum glauben Sie, dass muslimisch-jüdische Beziehungen so wichtig sind?

Rabbi Marc Schneier: Nun sie sind insbesondere gerade jetzt in Europa wichtig, wo wir beide, sowohl Muslime als auch Juden, den Angriffen von Rechtsradikalen ausgesetzt sind. Dies sind notwendige Elemente für die Fähigkeit die jeweilige Religion zu praktizieren. Wir müssen dieses Vertrauen unterstreichen, damit ein echter und ehrlicher Frieden zwischen Israel und den Palästinensern im Mittleren Osten zustande kommen kann. In den Vereinigten Staaten sehen wir eine ansteigende Islamfeindlichkeit und einen anti-muslimischen Fanatismus. Es besteht ein Mangel an Verständnis auf Seiten vieler Amerikaner, wenn es um die amerikanisch muslimischen Gemeinden geht, und wir stehen an vorderster Reihe, um diese Bemühungen zu stärken.

 

IslamiQ: Was sind Ihre bisherigen Erfolge? Haben die Aktivitäten der Stiftung für Ethnische Verständigung dabei geholfen, die Beziehungen zwischen Muslimen und Juden zu verbessern oder die rechtlichen Probleme, die beide religiösen Gemeinden betreffen, auf globaler Ebene zu lösen?

Rabbi Marc Schneier: Wir haben zahlreiche Erfolge erzielt. Wir standen an vorderster Reihe im Kampf gegen den Beschluss, der von der parlamentarischen Versammlung im Rat des Europäischen Treuhandfonds gefasst wurde. Damals haben sie sich den Ritus in der Praxis der rituellen Beschneidung angesehen, der Muslime und Juden beeinflusst hätte und es war unsere Koalition in Europa, GEMJL genannt, die Versammlung der europäisch muslimischen und jüdischen Führer der 29 EU Mitgliedsstaaten, welche eine Schwestergesellschaft der Stiftung für Ethnische Verständigung ist, die sich bemühte dies in Treuhandfonds zu bekämpfen.

Außerdem waren wir die einzige gemeinschaftlich tätige muslimisch-jüdische Stimme gegen das Verbot des Schächtens (Halal/Koscher) in Dänemark. Erst kürzlich erfolgte mein Treffen mit Präsident Abbas, dem palästinensischen Präsidenten. Er erkannte den Holocaust an und bekundete seine Solidarität mit den jüdischen Menschen. Jedes Jahr haben wir inzwischen hunderte und aberhunderte von Moscheen und Synagogen, die jährlich im November auf der ganzen Welt Partnerschaften und Partnerschaftsprojekte knüpfen und pflegen. Also haben wir zahlreiche Erfolge erzielt.

Andererseits haben wir in den letzten sieben Jahren diese Reise erst begonnen und in der Bibel werden wir daran erinnert, dass es 40 Jahre gedauert hat, bis die Juden das Gelobte Land erreichte haben. Deshalb würde ich nicht behaupten, dass wir das Gelobte Land der muslimisch-jüdischen Aussöhnung erreicht haben – es sind erst sieben Jahre vergangen – aber wir haben schon beachtliche Fortschritte gemacht, und die gute Nachricht ist, dass unsere Reise eben erst begonnen hat.

 

IslamiQ: Trotz der zahlreichen kulturellen und religiösen Werte, die beide religiöse Gemeinden miteinander teilen, und dem exemplarisch friedfertigen und fruchtbaren Zusammenleben in der Vergangenheit, werden Juden und Muslime als die beiden Gegenpole der heutigen Zeit angesehen. Daher wird ein ausgewogener Ansatz benötigt, um Juden und Muslime zusammenzubringen. Welche Haltung sollte zur Kommunikation mit beiden Parteien angenommen werden?

Rabbi Marc Schneier: Nun die Vorstellung, dass Muslime und Juden zu verschieden sind, ist weit verbreitet. Sie sprechen von zwei verschiedenen Polen, aber in der Realität haben wir eine zunehmende Anerkennung vonseiten der Muslime und Juden gesehen, dass wir nicht nur einen gemeinsamen Glauben teilen. Man sollte auch über unsere Arbeit wissen, dass die Arbeit, die wir tun, Dialoge überschreitet. Wir sind dabei zueinander zu finden. Es geht um Juden, die sich gegen Islamfeindlichkeit und anti-muslimischen Fanatismus aussprechen und um Muslime, die sich gegen Antisemitismus und die Verleumdung des Holocausts aussprechen und wir haben eine zunehmende internationale Bewegung der Aussöhnung zwischen Muslimen und Juden weltweit erlebt.

 

IslamiQ: Gibt es bestimmte Konfliktthemen, die häufig während der Konversationen zwischen Muslimen und Juden bei Treffen auftauchen?

Rabbi Marc Schneier: Der wahrscheinlich überdrüssigste Konflikt ist der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern im Mittleren Osten. Aber meiner Meinung nach ist es keine Frage, ob, sondern wann Israelis und Palästinenser zu einer Aussöhnungs- und Friedensvereinbarung gelangen. Also ist meine Frage: Wie wird dies realisiert, wie wird dies durchgeführt, wenn dabei die Mehrheit der Muslime den Juden nicht traut und die Mehrheit der Juden den Muslimen nicht traut? Wenn dabei die Gründe für die zugrundeliegende Krise, unser Mangel an Verständigung, unsere falsche Wahrnehmung ist, wenn es um unsere jeweiligen Offenbarungstexte, den Koran und die Thora geht.

Dies ist der Grund, weshalb ich kürzlich mein Buch „Die Kinder Abrahams“ veröffentlicht habe. Das erste Buch, das gemeinsam von einem Rabbi und einem Imam herausgegeben wurde. Es wurde von Random House veröffentlicht und Bill Clinton hat das Vorwort des Buches geschrieben. Wir versuchen eine tiefgründige Vertrauensbasis zwischen Muslimen und Juden schaffen, damit wir sehen können, was das größte Problem ist, nämlich der israelisch palästinensische Konflikt, und damit wir zum Fortschreiten des Friedensprozesses einen Beitrag leisten können.

 

IslamiQ: Mit Ihrem Freund Imam Shamsi Ali haben Sie das Buch „Die Kinder Abrahams“ verfasst. Wie kann dieses Buch Juden und Muslimen dabei helfen, in Freundschaft und im Dialog näher zusammenzurücken? Was ist die Botschaft, die Sie mit diesem Buch geben wollen?

Rabbi Marc Schneier: Ich glaube, dass unsere Freundschaft schon an sich eine Botschaft ist. Wir haben mehr von dieser Art der Freundschaft und Partnerschaft in der ganzen Welt gesehen. Es ist sehr einzigartig, solch eine einmalige Freundschaft zwischen führenden muslimischen Geistlichen in den Vereinigten Staaten und meiner Person zu haben. Ich glaube, wir sind ein schönes Vorbild für andere, damit diese unserem Beispiel nacheifern.

 

IslamiQ: Der interreligiöse Dialog wurde von einigen Personen als Konspiration zur Verschmelzung aller Religionen zu einer kritisiert. Oder dass Religionen nötig sind, um den Glauben daran abzuschwächen, besser zu sein oder kompatibler mit anderen Religionen zu werden. Was halten Sie von diesen Anschuldigungen?

Rabbi Marc Schneier: Nun meiner Meinung nach ist dies eine sehr ignorante Wahrnehmung. Ich bin nicht daran interessiert, Muslime zum Judentum zu konvertierten und Muslime sind nicht daran interessiert, Juden zum Islam zu konvertieren, aber dies bedeutet nicht, dass wir nicht in einem Geiste der gegenseitigen Verständigung und des gegenseitigen Respekts tätig werden können. Und dies muss die zugrundeliegende Basis sein, auf unserem Weg ins 21. Jahrhundert und in ein neues Gelobtes Land der religiösen Verständigung und Zusammenarbeit.

 

IslamiQ: Es ist eine bekannte Tatsache, dass das Hauptproblem, das die Beziehungen zwischen Muslimen und Juden vergiftet, der Konflikt im Mittleren Osten ist. Die trotz der strengen Kritik des UN-Sicherheitsrates anhaltenden Siedlungsbauprojekte der israelischen Regierung tragen offensichtlich nicht zum friedfertigen Zusammenleben von Israelis und Palästinensern bei. Also scheint es sehr unwahrscheinlich, dass die Beziehungen zwischen diesen beiden Gemeinden sich verbessern werden, es sei denn dieser Konflikt wird gelöst. Stimmen Sie dem zu? Was ist Ihre persönliche Haltung zum israelisch-palästinensischen Konflikt? Gehen Sie auf diese Themen ein, wenn Sie sich mit muslimischen und jüdischen Politikern treffen und äußern Sie Kritik?

Rabbi Marc Schneier: Wir haben aufgezeigt, dass es viel mehr Themen für Muslime und Juden gibt, die über den israelisch-palästinensischen Konflikt hinausgehen. Schauen Sie sich Europa an. Ich gab gerade diese beiden wunderbaren Beispiele des Angriffs auf unsere religiösen Grundrechte: die rituelle Beschneidung und das rituelle Schächten, der steigende Extremismus und die Tatsache, dass rechtsradikale Parteien bei den letzten Wahlen zum Europäischen Parlament an Rückhalt und Wählerstimmen gewonnen haben. Wir sollten nicht kurzsichtig sein und uns einfach auf den israelisch-palästinensischen Konflikt konzentrieren. Es gibt viele andere Themen, die unsere Differenzen im Mittleren Osten übersteigen.

 

IslamiQ: Also sprechen Sie diese Themen nicht an, wenn Sie sich mit muslimischen und jüdischen Politikern treffen?

Rabbi Marc Schneier: Wir sind stets den israelisch-palästinensischen Konflikt angegangen, aber wie ich auch schon zuvor sagte, überlassen wir die Politik den Politikern. Wir brechen zu einem spirituellen Friedensprozess auf. Ein größeres Verständnis über unsere jeweiligen Traditionen, unsere Glauben und unsere heiligen Texte wird benötigt. Wir brauchen diese Grundlage, um den politischen Friedensprozess durch- und auszuführen. Wir können das eine nicht ohne das andere tun.

 

IslamiQ: Gibt es bestimmte Gruppen von Juden und Muslimen, bei denen Sie es vermeiden, diese zu treffen? Würden Sie zum Beispiel den Führer der Hamas, Khaled Meshal, treffen, so wie Sie den Präsidenten Israels Schimon Peres und den palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas getroffen haben?

Rabbi Marc Schneier: Ich denke es wäre wunderbar für Khaled Meshal die Existenz des Staates Israel anzuerkennen, nicht nur für die Juden auf der ganzen Welt, sondern auch für Muslime, einschließlich der Arabischen Liga, die heute die Existenz des Staates Israel anerkennt. In unseren internationalen Bemühungen versuchen wir, alle Juden und Muslime zusammenzubringen. Natürlich ist es unser Ziel eine Stimme der Moderation und des Zentrismus für beide Gemeinden anzubieten. Eine Stimme, welche die Rhetorik und Hetzrede der Extremisten und Fanatiker übertönen wird. Es ist diese Stimme, die eine wahre Aussöhnung zwischen Juden und Muslimen weltweit ermöglichen wird.