Österreich

Analyse des Regierungsprogramms

Österreich hat gewählt, die Regierung steht und das Programm für die kommenden Jahre auch. In einer Analyse des Regierungsprogramms kommt Erdal Kalaycı jedoch zum Schluss, dass es zwar eine Vielzahl von Absichtserklärungen gibt, aber oft keine konkreten Ideen und Inhalte geboten werden.

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Am 16. Dezember 2013 waren alle Universitäten und Hochschulen Österreichs schwarz beflaggt. Der Grund: das Wissenschaftsministerium wurde abgeschafft! Das Wissenschaftsressort wird in das Wirtschaftsministerium integriert. Die Universitätenkonferenz rief den Antritt der Koalitionsregierung zum „schwarzen Tag“ aus.

Am 16. Dezember 2013 wurde die neue 16-köpfige Bundesregierung der Republik Österreich von Bundespräsident Heinz Fischer angelobt. Die beiden Koalitionspartner, die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) und die Österreichische Volkspartei (ÖVP), haben sich wenige Tage zuvor über das Regierungsprogramm für die Jahre 2013 bis 2018 geeinigt. Die ehemals großen Parteien unter Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) haben bei der Nationalratswahl am 29. September 2013 an Zuspruch verloren und gemeinsam nur mehr knapp über 50 Prozent der Stimmen bekommen. Davon profitierte vor allem die fremden- und islamfeindliche Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ). Der wesentliche Grund für das schlechte Abschneiden der Regierungspartner, die bereits die letzten fünf Jahre die Regierung gebildet hatten, ist in der gegenseitigen Blockadepolitik zu sehen. Das hat in einen Reformstau in wesentlichen Politikfeldern wie Bildung, Steuergerechtigkeit, Verwaltung oder Gesellschaftsentwicklung geführt und das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik geschwächt.

Mit dem Regierungsprogramm scheint die Chance auf längst fällige Reformen verschenkt worden zu sein. Anstatt die gegenseitige Blockade aufzugeben, hat man sich erneut darauf geeinigt große Brocken unangetastet zu lassen. In vielen Bereichen begnügt man sich mit Absichtserklärungen. Bei inhaltlichen Meinungsunterschieden sollen Arbeitsgruppen eingesetzt werden, die zu einem Ergebnis kommen sollen. Doch wer die österreichische Innenpolitik verfolgt, weiß nur allzu gut, dass so schnell keine nützlichen Ergebnisse zu erwarten sind.

Vor diesem Hintergrund möchte ich mir das 124-seitige Regierungsprogramm aus der Perspektive der in Österreich lebenden MigrantInnen unter die Lupe nehmen. Dabei werde ich jene Stellen genauer ansehen, die die Politikfelder Integration, Migration, Bildung und Gleichbehandlung betreffen.

  • Bei der Migration wird zwar festgehalten, dass die Willkommenskultur, die Anerkennung von mitgebrachten Bildungsabschlüssen oder die Arbeitsmarktintegration nicht ausgeprägt sind, jedoch fehlt es an konkreten Maßnahmen wie diese Probleme überwunden werden können.
  • Auch im Integrationsbereich begnügt man sich mit vagen Aussagen. Ein wesentliches Vorhaben aus Sicht der MuslimInnen ist die Ankündigung der Novellierung des Islamgesetzes von 1912. Der Islam ist staatlich anerkannt und institutionalisiert. Es ist noch offen, wie sich die Änderung dieses für die Gleichberechtigung der muslimischen Bevölkerung in Österreich grundlegenden Gesetzes auswirken wird. Positiv ist auf jeden Fall die Willensbekundung zur Fortführung des interreligiösen Dialogs. Auch auf Vereinsebene wird festgehalten, dass das ehrenamtliche Engagement von MigrantInnen geschätzt wird.
  • Imame und islamische Theologen sollen laut Regierungsvorhaben in Österreich ausgebildet werden. Mit einer universitären Ausbildung ausgestattete und mit den gesellschaftlichen Realitäten und Eigenheiten vertraute Personen können die muslimische Bevölkerung besser unterstützen.
  • Ein fraglicher Punkt ist die Wahrnehmung der Sprachkenntnisse der Kinder mit Migrationshintergrund. Dabei wird Deutsch als Fundament der sprachlichen Integration gepriesen, obwohl aus sprachwissenschaftlicher Sicht klargestellt wird, dass das Beherrschen der Muttersprache den Grundstein für das Erlernen von weiteren Sprachen darstellt. Mit großer Vorsicht ist die Maßnahme zu betrachten, die für Kinder mit Defiziten in deutscher Sprache vorgesehen ist: der getrennte Unterricht in einer sogenannten „vorbereitenden Klasse“. Diese Methode wurde bereits an mehreren Schulstandorten erprobt und, nicht zuletzt aufgrund der Kritik seitens der Eltern, wieder verworfen. Diese Klassen werden als „Ghettoklassen“ betitelt und führen erst recht zu einer Desintegration von Kindern mit Migrationshintergrund.
  • Positiv ist anzumerken, dass ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr angeboten werden soll. Dadurch werden Kinder mit Sprachdefiziten länger Zeit haben, mit Gleichaltrigen ihre sozialen und sprachlichen Fähigkeiten zu erweitern und somit besser auf den Schuleintritt vorbereitet sein.

Grundsätzlich stellt das Regierungsprogramm ein Bündel von Absichtserklärungen dar, die nicht im Detail offengelegt werden. An dieser Stelle sei erwähnt, dass das vor zwei Jahren geschaffene Integrationsstaatssekretariat, das beim Innenministerium angesiedelt war, abgeschafft wird und das Integrationsressort in das Außenministerium wandert. Grundlage für diese Änderung sind weniger inhaltliche Überlegungen als vielmehr personelle Entscheidungen. Der populäre Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) ist der neue Außenminister der Republik Österreich. Und mit 27 Jahren ist er auch der jüngste Minister in der österreichischen Geschichte.