Koalitionsvertrag

Enttäuschend für Migranten und Muslime

Scharfe Kritik, herbe Enttäuschungen und Ablehnung. So lassen sich die Reaktionen von Muslimen, Migranten und Türken auf den von CDU, CSU und SPD beschlossenen Koalitionsvertrag zusammenfassen. Ein Überblick.

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Am Mittwoch (27.11.2013) wurde in Berlin die endgültige Fassung des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD durch die Parteichefs Merkel, Seehofer und Gabriel unterzeichnet und vorgestellt. Die SPD-Basis muss dem Koalitionsvertrag noch zustimmen. Muslime reagierten auf die Ergebnisse verstimmt.

Vor allem für Migranten und Muslime sei der Koalitionsvertrag eher enttäuschend, erklärt Mustafa Yeneroğlu, stellvertretender Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) in einer ersten Einschätzung des Koalitionsvertrags. Prominente Muslime, wie der Vorsitzende der TGB-Berlin, Bekir Yılmaz, fordern sogar bereits auf sozialen Netzwerken SPD-Mitglieder dazu auf, den Koalitionsvertrag abzulehnen. Größter Kritikpunkt aus der türkischen und migrantischen Community ist das Fehlen der doppelten Staatsbürgerschaft für alle.

Betrachtung durch die Sicherheitsbrille

Tatsächlich erschließt sich bei der Lektüre des Koalitionsvertrages nur bei genauem Hinsehen, welche Handschrift sich hinter vielen Punkten verbirgt. So wird beispielsweise dem Dialog mit der islamischen Welt eine „besondere Bedeutung“ zugemessen, ohne jedoch den Einschub zu vergessen, dass es im Interesse sei, „die moderaten Kräfte in ihrem Streben nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen.“ Interessant ist auch, dass die Große Koalition die Extremismusprävention bündeln und optimieren möchte. Was dies genau heißt, wird im Koalitionsvertrag nur schwammig formuliert. Anscheinend soll die neu geschaffene Extremismusdatenbank des Bundesinnenministeriums weiter ausgebaut werden.

Vereine und Verbände – statt Religionsgemeinschaften

Man werde den Dialog zu den „christlichen Kirchen, Religionsgemeinschaften und religiösen Vereinigungen sowie den freien Weltanschauungsgemeinschaften intensiv pflegen“, verspricht Schwarz-Rot. Und man bekennt sich zum Respekt vor jeder Glaubensüberzeugung.

Doch bereits in der Formulierung: „Den vielfältigen Beiträgen muslimischer Vereine und Verbände zu unserem Gemeinwesen – etwa zur Integration muslimischer Zuwanderer und ihrer Nachkommen in unsere Gesellschaft, wie auch zum Dialog zwischen den Kulturen und Religionen – gilt unsere Wertschätzung und Unterstützung.“ werde deutlich, dass man das Selbstverständnis der muslimischen Religionsgemeinschaften nicht ernst nimmt.

Zu diesem Schluss kommt Yeneroğlu, der sagt: „Der vorgelegte Koalitionsvertrag ist aber auch für die über 4 Millionen Muslime in Deutschland eine herbe Enttäuschung. Allen voran ist nach wie vor irritierend, wenn von ‚muslimischen Vereinen und Verbänden‘ die Rede ist und immer noch nicht von islamischen Religionsgemeinschaften, wie es dem Selbstverständnis der Muslime entspricht und inzwischen in einigen Bundesländern auch akzeptiert ist.“ Hier habe sich offensichtlich die ablehnende Haltung des Bundesinnenministers durchgesetzt, meint Yeneroğlu.

Deutsche Islam Konferenz – Fortsetzung folgt

Die Koalition verspricht weiter, dass man die Deutsche Islam Konferenz (DIK) fortsetzen möchte. Hier fehlt aber die konkrete Ausführung, wie es weitergehen soll. Zuletzt hatten sich die verbliebenen muslimischen Teilnehmer verbittert über den Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) geäußert. Vielfach wurde von Experten und Sachverständigen angemahnt, das Thema einem anderen Ressort in der Bundesregierung zu übertragen. Doch dazu verliert die Koalition kein Wort.

Immerhin, einen Schritt in die richtige Richtung scheint es beim Thema Anerkennung von muslimischen Religionsgemeinschaften zu geben. „Das bewährte Staatskirchenrecht in unserem Land ist eine geeignete Grundlage für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Sachverständigenrat: Es fehlt an eine Gesamtstrategie

„Vieles im Koalitionsvertrag ist richtig und wichtig, aber integrationspolitisch ist das kein Quantensprung. Was abermals und dringend fehlt, ist eine kohärente integrations- und migrationspolitische Gesamtstrategie“, bemängelte die Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), Prof. Dr. Christine Langenfeld, in einer ersten Einschätzung.

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD bleibe zudem in einer entscheidenden integrationspolitischen Frage halbherzig: „Es ist sehr zu begrüßen, dass die integrationspolitisch hoch problematische Optionspflicht abgeschafft wird. Es ist aber enttäuschend, dass sich die Große Koalition nicht auf ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht verständigen konnte, das den Anforderungen eines Einwanderungslandes entspricht und zugleich den rechtlichen Problemen der Mehrstaatigkeit Rechnung trägt“, sagte die SVR-Vorsitzende. Dies sei eine vergebene Chance.

„Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert“, heißt es im Koalitionsvertrag. Im übrigen bleibe es beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht.

UETD: Wir haben damit gerechnet

Enttäuscht zeigte sich auch der Vorsitzende der Union der Europäisch Türkischen Demokraten (UETD), Süleyman Çelik. Gegenüber der Nachrichtenagentur Anadolu erklärte Çelik: „Die Regelungen zur doppelten Staatsbürgerschaft haben uns enttäuscht. Die SPD hat die doppelte Staatsbürgerschaft auf Platz fünf ihrer Auflistung gesetzt. Wir als UETD haben mit einem solchen Ergebnis gerechnet.“ Trotzdem sei es ein Schritt in die richtige Richtung. Man müsse es positiv sehen.

Scharfe Kritik äußerte hingegen der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschland (TGD), Kenan Kolat an den Regelungen. Er verurteile die SPD in einer Erklärung scharf. Die Regelungen zur doppelten Staatsbürgerschaft seien die größte Ungerechtigkeit und Unverschämtheit, die der ersten und zweiten Generation von türkischen Migranten in Deutschland angetan werden konnte, so Kolat. Er erklärte: „Die SPD hat ihr Versprechen nicht gehalten. Sie hat groß enttäuscht.“ Und fügte hinzu: „Die SPD hätte eine solche Vereinbarung nicht unterschreiben dürfen.“ Kolat ist selbst Mitglied der SPD. Seine Frau, Dilek Kolat (auch SPD) ist Integrationssenatorin von Berlin.