Saudi-Arabien und Hadsch

Verpflichtung zur Pilgerfahrt oder zum Boykott?

Die Hadsch, also die Pilgerfahrt nach Mekka und Medina ist eine Säule des Islam und Pflicht für alle, die es sich leisten können. Dennoch boykottieren manche Muslime die Pilgerfahrt, da sie das saudi-arabische Regime nicht unterstützen wollen. Der Versuch einer Klärung.

24
07
2019
Hadsch
Hadsch - Kaaba © Al Jazeera English auf flickr (CC BY 2.0), bearbeitet by IslamiQ.

Die Hadsch-Saison hat wieder begonnen. Millionen Menschen pilgern nach Mekka. Muslime, die eine Reise auf sich nehmen, um diese religiöse Pflicht zu erfüllen und dabei Gott näher zu kommen. Sie reisen dabei in eine Stadt, die dem saudi-arabischen Königreich untersteht. Ein Land, das in der Kritik steht, Menschenrechte zu verletzen und Kriege zu führen bzw. zu unterstützen. So etwa im Jemen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch die Aufrufe zum Boykott wieder lauter werden. Zudem ist es in den letzten Jahren beim Hadsch wiederholt zu tragischen Unfällen gekommen. Diese werden auch auf unzureichende Sicherheitsvorkehrungen und große Menschenmassen zurückzuführen. Der Hadsch wird zudem jedes Jahr teurer. Muslime stellen sich zunehmend die Frage, wofür das Geld der Pilger verwendet wird.

Ist es überhaupt noch vertretbar, ein Land, das Menschenrechtsverletzungen begeht und oft auch Muslime selber zu Opfern macht, finanziell durch den Hadsch zu unterstützen? Gleichzeitig ist der Hadsch ein religiöses Gebot. Die Pilgerstätte der Muslime ist nunmal Mekka. Daraus ergibt sich für viele Muslime ein Dilemma. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Pilger aber jedes Jahr weiter zu. Wie also sollen Muslime damit umgehen, dass sie durch eine religiöse Pflicht ein Land unterstützen, das den eigenen religiösen Werten widerspricht?

Aufrufe zum Boykott

In den letzten Jahren gab es immer wieder Aufrufe zum Boykott vonseiten muslimischer Persönlichkeiten. Der deutsch-afghanische Religionsphilosoph Ahmad Milad Karimi, der am Zentrum für Islamische Theologie in Münster lehrt, positionierte sich hierzu im letzten Jahr deutlich. “Die Kaaba zu boykottieren ist heute die religiöse Pflicht aller Muslime, die gegenüber all den Perversionen nicht gleichgültig bleiben wollen, die die sektiererischen Wahhabiten treiben“, zitiert ihn der evangelische Pressedienst (epd).[1]

Für Karimi sei die Pilgerstätte eigentlich eine autonome Region, die keiner Regierung unterstehen dürfe. Nur so könne sie frei von der Instrumentalisierung für die eigene Ideologie bleiben. Gleiches gelte auch für die Stadt Medina, in welche der Prophet Muhammad (s) auswanderte. Und wo er auch begraben wurde. Karimi ruft zur friedlichen Revolte auf.[2]

Mit seiner Einstellung steht der Professor für islamische Philosophie nicht alleine da. In Tunesien etwa forderte der Rat der Imame 2018 den Großmufti von Tunis auf, den Hadsch auszusetzen. Sollte dies nicht geschehen, appellierte der Rat an die tunesische Bevölkerung, die Pilgerfahrt zu boykottieren.

Aufrufe zum Boykott auch aus arabischen Ländern

Nach Angaben der tunesischen Imame würden die Einnahmen des Hadsch, die sich nach Schätzungen auf rund 11 Milliarden beliefen, für den Krieg im Jemen und den Terrorismus missbraucht. Sie forderten mit ihrem Boykott eine Umverteilung dieser Gelder für den Bau von Krankenhäusern, Schulen und Universitäten. Diese Gelder sollten auch in Tunesien eingesetzt werden. Ganz uneigennützig ist die Forderung der tunesischen Imame also nicht. Der Imamrat begründet diese Forderung indes mit der Behauptung, dass die Einnahmen hauptsächlich von armen Menschen eingenommen würden. Diese sparen ihr Leben lang für den Hadsch und hätten kaum etwas zu essen hätten.[3] Es wird jedoch schwierig sein, zu beweisen, wohin die Einnahmen aus der Hadsch tatsächlich fließen.

Auch der Großmufti Libyens, Sadiq Al-Ghariani, erließ kürzlich eine Fatwa, nach der Muslime eine große Sünde und keinen Gottesdienst begingen, würden sie mehr als den einmal verpflichtenden Hadsch durchführen. Denn durch die Hadsch-Gebühren würde nach Meinung des Großmufti Verbrechen gegen Muslime finanziert. Seiner Ansicht nach würden durch diese Gelder Massaker an Menschen im Jemen, dem Sudan, in Libyen, Tunesien und Algerien finanziert. Der umstrittene Großmufti ist jedoch für seine Verbindung zur libyschen Regierung in Tripolis bekannt. Während die saudische Regierung die Opposition von General Khalifa Haftar unterstützt. So scheint es kaum ein Zufall zu sein, dass der Großmufti diese Fatwa nicht mal einen Monat nach einer Offensive gegen die libysche Regierung durch die von den Saudis gestützte Opposition ausgesprochen hat.[4] Worum es dem Großmufti wirklich geht, ist also durchaus zweifelhaft.

Was soll ich als Muslim tun?

Unter dem Hashtag #boycotthajj protestieren auch Teile der muslimischen Online-Community weltweit gegen Saudi-Arabien. Viele Muslime, auch in Deutschland, halten dem aber entgegen, dass es eine religiöse Verpflichtung bleibe, die Pilgerfahrt zu verrichten. Ohne Ausnahme. Dass es nicht in der Verantwortung der Pilger läge, sondern die Saudis selber dafür Rechenschaft ablegen müssten, was mit dem Geld für den Hadsch passiert.

Zudem ist unklar, ob es die Hadsch-Gebühren sind oder doch eher die Einnahmen aus den Ölvorkommen des Landes, mit denen die Saudis ihre Kriege und Rüstungsimporte fianzieren. Allein die Instandhaltung und Erweiterung der Pilgerstätten kosten das Land jedes Jahr Milliarden, gerade aufgrund des angestrebten Anstiegs der Pilgerzahlen von 2,5 Millionen auf 10 Millionen Pilger im Jahr 2020. Man könnte vermuten, dass die umfangreichen Umbaumaßnahmen mit den Hadsch-Gebühren finanziert werden. Informationen, die dies bestätigen würden, gibt es allerdings nicht.

Hadsch als lukratives Geschäft?

Fest steht jedoch, dass mehr Pilger mehr Geld bedeuten und es nicht nur für die Saudis selber, sondern auch für Investoren ein lukratives Geschäft ist, wenn immer mehr Menschen nach Mekka und Medina kommen und dort nicht nur die Kaaba besuchen, sondern auch die Infrastruktur nutzen, dort übernachten und einkaufen. Zwar beharrt das saudische Königreich darauf, dass die Pilgerreisen kein Geschäft, sondern ein reiner Service für die Gläubigen seien, besonders glaubwürdig wirkt dies jedoch nicht. Immerhin dürften sich die Investoren viel von den Umbaumaßnahmen versprechen, durch die nebenbei der Großteil des kulturellen Erbes der Städte Mekka und Medina zerstört wird. Zudem wäre es für sie ein großer Verlust, würden die Projekte alleine durch staatliche Gelder finanziert und keine Gewinne erzielt.[5] Jedoch gibt es auch hierzu keine Zahlen, die dies bestätigen oder revidieren würden.

Es bleibt also unklar, was mit dem Geld passiert, welches muslimische Pilger Jahr für Jahr an die Saudis zahlen. Für einen Muslim ist der Hadsch eine der fünf Säulen des Islams und ein wichtiges Gebot, wenn er finanziell dazu in der Lage ist. Menschenrechtsverletzungen und Kriege hin oder her. Wenn man sich dazu entschließt, sein Geld den Saudis aus diesem Grunde nicht zur Verfügung zu stellen, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass dies eine Vermischung von Politik und Religion bedeutet. Eine rein religiöse Begründung lässt sich für einen Boykott jedenfalls nicht finden, wie zweifelhaft der Umgang mit dem Geld auch immer sein mag.

 

[1] https://www.domradio.de/themen/islam-und-kirche/2018-02-05/islamprofessor-ruft-zum-boykott-der-kaaba-mekka-auf 
[2] https://www.domradio.de/themen/islam-und-kirche/2018-02-05/islamprofessor-ruft-zum-boykott-der-kaaba-mekka-auf
[3] https://katholisches.info/2018/06/28/mit-haddsch-geldern-wird-islamischer-terrorismus-finanziert/
[4] https://www.alaraby.co.uk/english/News/2019/4/28/Libyas-grand-mufti-calls-for-Saudi-Hajj-boycott
[5] https://www.spiegel.tv/videos/126072-das-mekka-business

Leserkommentare

21.11.1440 sagt:
Zumindest in Teilen werden die Einnahmen für die Kriegskosten der USA verwendet - anders kann man sich die Wucherkosten nicht erklären. Die USA sind die Schutzmacht und lassen sich dafür großzügig bezahlen.
24.07.19
20:02
mo sagt:
Naiv zu denken, es gäbe in diesem Kontext eine unpolitische Tat: Wenn durch den Hadsch das Regime gestärkt wird, das Geld möglicherweise für Kriege, Morde, den Export von mittelalterlichen Wertvorstellungen genutzt wird, dann ist das jedenfalls politisch. Diese sogenannte Klärung ist im religiösen Bezug schon recht oberflächlich. Ziemlich sicher, dass es auch eine Sünde ist, wenn einem Menschen indirekt durch Handeln Schaden zugefügt wird; insofern hier eine begründete Annahme besteht. Ich wette, dass sich auch für den Boykott Grundlagen in den religiösen Texten finden lassen.
25.07.19
16:12
IslamFrei sagt:
Liebe Leser, Allah würde das grausame Saudi-Regime sicher gerne ablehnen. Er wäre bestimmt für ein Stornieren der Pilgerfahrten dorthin bis die Saudies auf dem rechten Wege zurückgekehrt sind. Und ER würde sicher gerne Seinen irdischen Muslims Seine Anweisung unzweideutig mitteilen. Nun hat Allah leider ein Problem: sein Botschafter ist Ihm abhanden gekommen. Von Mohammed ist nach 500 tote Jahren nichts mehr übrig, nichts, das für eine beschränkte Zeit auferstehen könnte so, wie Mitbewerber Jesus das vorgemacht hat. Wie sollen die irdische Muslims ihr Paradoxon nun lösen? IslamFrei
26.07.19
15:26
´Johannes Disch sagt:
@Tarik (28.07.19, 14:10) Prima auf den Punkt gebracht. Der Export der reaktionären wahhabitischen Ideologie in alle Welt ist das wahre Problem, das von den Saudis ausgeht. Und von daher kann man durchaus einen Boykott der Hadsch rechtfertigen. Hätte ich als Katholik noch die Pflicht zur Beichte, wenn die katholische Kirche zu einem neuen Kreuzzug aufrufen würde??
29.07.19
14:37
mo sagt:
@Tarik Danke für den sehr guten Kommentar; ich stimme Ihnen grundsätzlich zu. Allerdings gehen Sie von der gleichen falschen Annahme aus, wie schon Guide Knopp in der Dokumentation „Hitlers Helfer“: Auch die Nazis konnten ihre Agenda nur durchziehen, weil sie eben (anders als der Titel es suggeriert) eine breite gesellschaftliche Zustimmung bekamen. Im reichen Teil der arabischen Welt sind es auch nicht nur die herrschenden, korrupten Cliquen, die für den Zustand der Gesellschaft verantwortlich sind – die von Ihnen so richtig angesprochenen Problematiken, wie Sklaverei, Unterdrückung von gesellschaftlichen Gruppen, Kriegstreiberei und der Export eines steinzeitlichen Religionsverständnisses geht auch nur auf der Basis von Zustimmung, Akzeptanz oder zumindest Gleichgültigkeit in der Bevölkerung, die es sich in diesem Konsenz auch ganz bequem eingerichtet hat. Mir zumindest platzt der Hut, wenn ich an diesen Teil der Welt denke und ich würde mir wünschen, dass auch die muslimische Gemeinschaft in Deutschland und Europa das aktiv kritisiert.
06.08.19
15:27
Tarik sagt:
@Mo Der Vergleich hinkt ein wenig - König Abdul Aziz ibn Saud gelang vor knapp 100 Jahren nicht durch irgendwelche freien Wahlen an die Macht, sondern indem er (mit britischer Unterstützung) den haschemitischen Herrscher gewaltsam vertrieb. Es ist richtig, dass er sich daraufhin die Zustimmung der anderen Beduinenstämme mit einer Klientelpolitik erkaufte - aber auch er hatte während seiner Regierungszeit mehrmals mit inneren Aufständen zu tun (wie bsp. der sog. "Ihwan-Aufstand" - ebenfalls von Großbritannien von Kuwait aus unterstützt). Und die saudische Clique unterdrückt jede Form von Kritik gewaltsam. Mittlerweile werden nicht nur Todesstrafen gegen schiitische oppositionelle Geistliche ausgesprochen, sondern auch gegen gemäßigte sunnitische Theologen (wie vor 3 Monaten erst), die es wagen, die Politik des Regimes zu kritisieren - von Reportern oder Bloggern ganz zu schweigen. Insofern ist es leicht, eine aktive Kritik einzufordern - allerdings ist 1. der Preis dafür oft hoch (siehe Kashoggi) und 2. ist Saudi Arabien Verbündeter des Westens. Und ich sehe nirgendwo auch nur ansatzweise, dass irgendein EU-Staat (von den USA ganz zu schweigen) an einer tatsächlichen Veränderung der Verhältnisse in Saudi Arabien ein Interesse hat. Zu sehr herrschen hier politische, ökonomische und geostrategische Interessen vor. Daneben betreibt der aktuelle saudische Prinz mit seiner "Liberalisierungspolitik" (Eröffnung von Kinos, Frauen dürfen Auto fahren etc.) lediglich Augenwäscherei, damit er international sich auch weiterhin als Verbündeter verkaufen kann. Würde mich nicht wundern, wenn ihm amerikanische "Unternehmensberater" diese Reformen zwecks Imagepolierung geraten hätten - gottlos genug ist die dortige Junta jedenfalls für so etwas...
07.08.19
15:02