ISLAMISCHE BESTATTUNG

Islamische Bestattungen in der deutschen Heimat

Die Möglichkeit der islamkonformen Beisetzung ist ein Schritt hin zur stärkeren Beheimatung der Muslime in Deutschland. Wovon hängt die Entscheidung ab, sich als Muslim in Deutschland begraben zu lassen? Erdoğan Karakaya nennt drei Aspekte.

31
07
2016
0
Grabfeld Sehitlik
Muslimisches Grabfeld an der Şehitlik Moschee in Berlin © Akif Sahin

In einem türkischsprachigen Lied heißt es: „…man solle mich im Regen meines (Heimat-)Dorfes waschen“. Der Künstler besingt die Enge der Fremde und sehnt sich zurück nach seinem Geburtsort, das er als Heimat benennt. Der Wunsch nach dieser Heimat ist so stark, dass er, selbst wenn er in der gefühlten Fremde stirbt, darum bittet, an seinen Geburtsort zurückgebracht zu werden, damit dort sein Leichnam mit dem Wasser jenes Dorfes gewaschen wird.

Dieser Wunsch nach Heimat ist wohl zutiefst menschlich. Dessen Ursache liegt für die Einen in der Hineingeworfenheit des Menschen in der Welt und für die Anderen in der Sehnsucht nach einer Rückkehr zu einem vermeintlichen Ursprung des Menschen – der bei Gott selbst sei.

Innere Verbundenheit zur Heimat

Der Heimat-Begriff dient als Ausdruck für die innere Verbundenheit zu einem Land, einer Region, dem Geruch von frischgebackenem Brot oder die Nähe bestimmter geliebter Menschen. Ganz gleich welche Assoziationen mit diesem Terminus erfolgen mögen, ihrer Natur nach sind sie stets subjektiv und romantisierend.

Heimat – was es in seiner Sache auch sein mag – besitzt eher in Sondersituationen des Menschen eine ungewohnte Omnipräsenz, die wie im eingangs zitierten Lied, mit einem frommen Wunsch verknüpft sein kann, in der persönlichen Heimat seine letzten Atemzüge zu erleben oder zumindest bestattet zu werden.

Insbesondere in Zeiten von freiwilligen und unfreiwilligen Migrationsbewegungen, aufgrund von wirtschaftlicher Not oder aus Angst um das eigene Leben oder das der Liebsten transformieren sich fortwährend die Gesellschaften und entwurzeln Millionen von Individuen. Diese geographische Heimatlosigkeit führt zu einem Suchen nach einer gefühlten Heimat. Dieser spannungsgeladene Prozess der Beheimatung von Minderheiten kann in der neuen lokalen Verortung zu Herausforderungen führen. Gerade wenn dieser Beheimatungsprozess etwas ganz Elementares wie das Recht auf eine pietätvolle Bestattung thematisiert, gehen Vorstellungen damit einher, die langwieriger Aushandlungsprozesse bedürfen.

Islamkonforme Beisetzung in Deutschland

Vor allem in den letzten fünf Jahren wird das Thema der islamkonformen Beisetzung in Deutschland als Möglichkeit wahrgenommen, die Beheimatung von Muslimen stärker voranzutreiben und das Grundrecht auf eine pietätvolle Bestattung gewährleisten zu können. Die Ergebnisse dieses noch längst nicht abgeschlossenen Aushandlungsprozesses variieren jedoch von Region zu Region. Konkret haben Bundesländer wie Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen Bürgerinnen und Bürgern das Recht eingeräumt, sarglos in einem Leichentuch bestattet zu werden. Zwar wurde medial damit ein Entgegenkommen gegenüber lediglich den muslimischen Bürgerinnen und Bürgern kommuniziert, doch betrifft diese Bestimmung alle Religionsgruppen, die genau jene sarglose Bestattung als religiöse Verbindlichkeit ansehen.

Die Bestattung von Muslimen in Deutschland wurde allzu oft als Notlösung für jene wahrgenommen, die nicht in Krisengebiete rückgeführt werden können. Doch die Realität von Muslimen, ob mit oder ohne Migrationserfahrung, vergegenwärtigt, dass immer öfter die Entscheidung bewusst für die Beisetzung in Deutschland fällt.

Doch gerade die Aushandlungsprozesse in den verschiedenen Bundesländern und Kommunen produzieren unterschiedliche Ergebnisse, bspw. bei der Frage, wie ein muslimisches Grabfeld beschaffen sein sollte, welche Bestattungspraktiken als islamkonform angesehen werden und wie jene Gräber zu gestalten und pflegen seien.

Keine einheitliche Regelung

Sicherlich wäre in Erwägung zu ziehen, dass die Vielzahl der Ergebnisse der Heterogenität der Muslime geschuldet ist. Zudem zeigt sich – wenn die Aushandlungsprozesse und ihre Akteure näher untersucht werden –, dass es an einheitlichen Entscheidungen von Expertinnen und Experten fehlt. Lokale Akteure neigen dazu, die von ihnen bekannten Herkunftsvorstellungen ungefragt zu übernehmen und auf die eigene Situation vor Ort zu übertragen. Das führt jedoch dazu, dass innerhalb der Verhandlungen bspw. für die Initiation eines muslimischen Grabfelds, die Realität in Deutschland unberücksichtigt bleibt.

Sofern der Bedarf besteht und die Kommunen sich mit den jeweiligen lokalen muslimischen Ansprechpartnern einigen können, werden auf städtischen Friedhöfen einzelne Abschnitte für Muslime reserviert. Die Bestimmungen für diese Grabfelder, ob und wie jene gepflegt werden, welche Grabanbauten, Blumen, Dekor usw. erlaubt sind, werden immer wieder kommunal neu ausgehandelt. Aus diesem Grund finden sich mancherorts Ausnahmeregelungen, die ihrer Natur nach für die jeweiligen Partner, wie der Kommune und den muslimischen Ansprechpartnern, eher einem unzufrieden stellenden Kompromiss entsprechen.

Aus diesem Grund soll in kurzer Form versucht werden, einzig drei Aspekte von vielen zu benennen, die unweigerlich miteinander in Verbindung stehen und die Entscheidung für oder gegen eine Bestattung in Deutschland mitbeeinflussen.

Die religiös-theologische Sphäre

Die religiös-theologische Sphäre ist koranisch begründet und geht aus der Tradition des Propheten Muhammad hervor. Sie wird zudem durch die jeweilige Tradition der eigenen Rechtschule geprägt. Der idealtypische Ablauf einer Bestattung ist den Informationsbroschüren der muslimischen Gemeinschaften zu entnehmen. Jedoch beschreiben genau jene einen vertraditionalisierten Idealtypus und sollten daher als Prototypen verstanden werden, die aufgrund von Notwendigkeiten der Verortung und kontextuellen Einschränkungen, wie bspw. eines säkular-juristischen Rahmens, unfreiwillig Anpassungen erfahren.

In Bezug auf diese Ebene werden bspw. Fragen nach, geeigneten Räumlichkeiten für die Totenwaschung, der Einbindung der Gemeinschaft in die Rituale einer zügigen Bestattung, wie z. B. das Waschen des Leichnams, Tragen des Sargs, Hineinlegen des Leichnams in das ausgehobene Grab, das Befüllen des Grabs, die Ausrichtung der Gräber, eine „ewige Totenruhe“, die problematisch wahrgenommene Bestattung in der Nähe „Andersgläubiger“ und der Wunsch nach „unberührter“ Erde – damit ist ein Erdboden gemeint, das noch nicht als Grabfeld benutzt wurde –, geäußert.

Die Beantwortung solcher Fragen hängt nicht zuletzt von der theologischen Expertise der lokalen Protagonisten zu diesem Fachthema, ihrem Verhältnis zur Residenzgesellschaft und ihrer Motivation für solcherlei Verhandlungen ab. Insbesondere muslimische Partner sollten sich in diesen Prozess ihrer persönlichen Vorannahmen und Grenzen bewusst sein, um die Entscheidungen verallgemeinerungsfähig und nicht subjektiv herkunftsorientiert zu artikulieren.

Der ökonomische Standpunkt

Genauso wie die theologische Ebene nicht unabhängig von anderen Faktoren betrachtet werden kann, verhält es sich ähnlich mit dem ökonomischen Standpunkt. Muslime mit kulturellen Zusatzqualifikationen und einer Migrationserfahrung haben durch die Institutionalisierung der Sterbe- bzw. Bestattungsfonds die Möglichkeit, in das vermeintliche Herkunftsland rückgeführt zu werden. Diese Dienstleistung umfasst die Waschung, die Einhüllung und den Transport des Leichnams mit einer Begleitperson, um den Leichnam bis zu einer zuvor bestimmten Adresse zu transportieren, sodass die örtliche Verwandtschaft sich um die verbleibenden Rituale und die Bestattung kümmert. Dabei kommt es vor, dass ein doppeltes Totengebet stattfindet – sowohl in der lokalen Gemeinde in Deutschland als auch dem Herkunftsland.

Die Rückführung produziert vergleichsweise viel niedrigere Kosten als die Möglichkeit in Deutschland auf einem muslimischen Grabfeld bestattet zu werden. Das liegt unter anderem an der Pachtgebühr für ein Wunschgrab, die aufgrund der längeren Liegefristen höher ausfällt als für ein Reihengrab. Darüber hinaus ist das Aufstellen eines individualisierten Grabsteins, weitaus teurer als ein standardisierter Grabstein aus weißem Marmor, der bspw. in der Türkei zahlreich vorzufinden ist und bei dem einzig die persönlichen Daten des Verstorbenen eingearbeitet werden müssen.

Die gesellschaftliche Ebene

Ferner existiert eine gesellschaftliche Ebene, die aufgrund ihrer Verwicklung in die verschiedenen Lebensbereiche Konflikte produzieren kann.

Gesamtgesellschaftliche Diskurse und Transformationen beeinflussen bzw. verändern in gleicher Weise muslimische Communities. Ob sie nun Produkte von Individualisierungsbestrebungen sind oder konkurrierende Meinungen repräsentieren – sie alle beanspruchen Authentizität. Die Gefahr besteht darin, dass über die Rituale von Sterben, Bestattung und Trauer scharfe Trennlinien gegenüber anderen Muslimen und Andersgläubiger gezogen werden. Konkret bedeutet dies, dass Menschen muslimischen Glaubens, die individuelle Vorstellungen davon haben, wie ihre Bestattung aussehen soll, der Zugang zu einem muslimischen Grabfeld verwehrt wird.

Fazit

Die Entscheidung, ein muslimisches Grabfeld bzw. einen Friedhof in muslimischer Trägerschaft zu initiieren, ist ein wichtiger Schritt in der emotionalen Beheimatung von Menschen. Doch ob und welche Herausforderungen im Aushandlungsprozess entstehen, obliegt einerseits der intensiven Vorarbeit, dem Einbezug traditionell anerkannter und mainstreamfähiger Formen, die Bewusstwerdung über die prophetischen Motive, die korrekte Übertragung muslimischer Rituale in die deutsche Sozialisation und die Bereitschaft der Verhandlungspartner.

Soll die jeweilige Kommune den muslimischen Gemeinden entgegenkommen und ist bereit im Rahmen des Möglichen Sonderregelungen zu treffen, sollten die muslimischen Protagonisten in der Lage sein, konkrete Wünsche und Bedingungen zu äußern, die realisierbar sind und sich nicht an illusionistischen Ritualnarrativen orientieren.

Aus diesem Grund benötigt die aktuelle Situation ein von organisierten und nicht organisierten Muslimen gleichermaßen anerkanntes Handbuch bzw. Regelwerk, dass die Notwendigkeiten der religiösen Konformität einer Bestattung thematisiert und praxistauglich für Deutschland bzw. die einzelnen Bundesländer darstellt.

Erst dann kann in den lokalen Aushandlungsprozessen eine nachvollziehbare einheitliche Professionalität gewährleistet werden, die um der Muslime Willen hohe Standards formuliert. Solchermaßen kann sichergestellt werden, dass die durchgeführten Gespräche auf einer anerkannten Norm fußen und mögliche gesellschaftliche Spannungen, ob innermuslimisch oder darüber hinaus, vorbeugend entgegengewirkt werden kann.