Terror in den Medien

„Wir sind in die IS-Medienfalle getappt“

Nizza, Würzburg und jetzt München. In einem Interview mit der Katholischen Nachrichten Agentur (KNA) erklärt ein ägyptisch-deutscher Forscher den Umgang mit Terrorgefahr in Deutschland.

23
07
2016
Symbolbild: Zeitungen © (flickr, CC 2.0, opposition24.de)

Sommerloch-Stimmung kommt in diesem Jahr bislang nicht auf. Zu sehr halten Nachrichten über Terror und Gewalttaten die Menschen in Atem. Der ägyptisch-deutsche Politologe Asiem El Difraoui befasst sich seit langem mit Terrorismus, unter anderem am Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik. Zudem ist er Gründer der Candid Foundation, die eine wissenschaftlich fundierte Beschäftigung und den Dialog mit dem Islam zum Ziel hat. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht er über Medien, Radikalisierung und Trittbrettfahrer.

KNA: Nizza oder Würzburg, die Reaktionen auf mutmaßliche Terroranschläge erfolgen immer schneller. Wie schätzen Sie das ein?

El Difraoui: Ich bin entsetzt. Vor allem darüber, dass auch viele Medien sich nicht die Zeit nehmen, Hintergründe zu analysieren, nachzudenken, die Ursachen des Dschihadismus zu beleuchten. Wir sind in die IS-Medienfalle getappt. Die Debatte führt immer weiter weg von den eigentlichen Problemen. In Frankreich wird sie für den Wahlkampf ausgeschlachtet – mit völlig unverantwortlichen Argumenten. Die meisten Menschen wissen nicht einmal, was Dschihadismus ist.

KNA: Wie kann man das kurz zusammenfassen?

El Difraoui: Dschihadismus ist ein Begriff aus den westlichen Sozialwissenschaften, vermutlich in Frankreich geprägt. Er bezeichnet ein Phänomen, das mittlerweile kaum noch etwas mit dem Islam zu tun hat und das als asymmetrischer Krieg das Konzept des Dschihad verfälscht. Dschihad meint eigentlich die „Anstrengung auf dem Wege Gottes“. Beim Dschihadismus handelt es sich um eine falsche Heilslehre: Spreng dich in die Luft und du kommst als VIP ins Paradies. All das wird zu wenig erklärt; nach jedem Anschlag beginnen die Debatten aufs Neue.

KNA: Wo sehen Sie die Ursachen für die zunehmende Radikalisierung?

El Difraoui: Die katastrophale sozioökonomische Lage bei unseren südlichen Mittelmeer-Nachbarn, an der wir eine Mitschuld tragen. Auch wurden Diktaturen zu lange unterstützt, etwa das Assad-Regime, und gegen die IS wird ebenfalls nicht militärisch vorgegangen – das ist für die Terroristen ein gutes Propaganda-Instrument. Zudem bekommen wir aus dem südlichen Mittelmeerraum nur noch Bilder zu sehen, die uns Angst machen, von Zerstörung, IS, Flüchtlingen. Wir nehmen unsere Nachbarn nicht mehr als Nachbarn wahr. Dabei verbindet uns mehr mit diesen Menschen, als uns trennt. Wo bleiben Berichte über syrische Künstler, ägyptische Filmemacher, die Zivilgesellschaft in diesen Ländern? Stattdessen machen wir Propaganda für die Miliz „Islamischen Staat“ (IS).

KNA: Und innerhalb der deutschen Gesellschaft?

El Difraoui: Hier fühlen sich manche jungen Menschen ausgeschlossen. Warum erreichen wir sie nicht mit all unseren Idealen, die eigentlich da sind? Die Ideale Europas beispielsweise werden schlecht kommuniziert. Warum können wir nicht vermitteln, dass man hier besser lebt als anderswo auf der Welt, ob Muslim oder nicht? Natürlich spielen auch psychologische Ursachen eine Rolle. Die Medien haben den Nährboden geschaffen, damit Psychopathen die verlogene Heilslehre der IS glauben. Diese Lügen wären nicht so groß, wenn die Terroristen nicht so viel Platz bekämen. Anstelle der Hysterie bräuchte es eine sachliche Debatte darüber, was schief läuft.

KNA: Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, hat ein Frühwarnsystem für Radikalisierung gefordert. Ist das vorstellbar?

El Difraoui: Die Frage ist, was die Kriterien für Radikalisierung sind. Sie ist schwierig festzustellen. Oberflächliche Kriterien festzuschreiben, wirkt schnell stigmatisierend. Vielmehr muss der Radikalisierung der Nährboden entzogen werden; es gibt ja auch Versuche etwa mit entsprechenden Hotlines. Aber ein Frühwarnsystem, wie soll das gehen? Die Terroristen lassen sich keine Bärte mehr wachsen. Was wusste denn der Wahnsinnige von Nizza vom Islam? Und die gläubigen Muslime, die Bärte tragen, haben mit Radikalität in der Regel nichts zu tun. Darüber sollte man mal nachdenken. Zugleich muss die muslimische Welt sich der Debatte stellen.

Zum Teil begründet sich der Terror auf der Fehlinterpretation einzelner Suren

KNA: Also wieder die alte Frage, inwiefern Islam und Terrorismus zusammen hängen?

El Difraoui: Es gibt zwei Pole: Die einen sagen, der Islam ist Terrorismus – die anderen sagen, der Islam ist Frieden. Die entscheidende Frage lautet, was im Islam steckt, das für Terror genutzt werden kann. Zum Teil begründet sich der Terror auf der Fehlinterpretation einzelner Suren, auf einer Zerstückelung des Islam. Wir brauchen eine Debatte über die Auslegung und über den Salafismus – in diesem Punkt sind die Waffendeals mit Saudi-Arabien wiederum inkonsequent, denn dort sind salafistische Strömungen sehr stark. Wir machen nur eine Pflasterbehandlung und gehen den Ursachen nicht auf den Grund.

KNA: Aktuell geht es auch um Trittbrettfahrer: Jeder kann sich eine Axt nehmen, sobald er eine IS Fahne besitzt, bekennt sich die Miliz. Wie schätzen Sie diese Debatte ein?

El Difraoui: Auch das machen wir erst durch die enorme mediale Aufmerksamkeit möglich. Wir dürfen uns nicht hochschaukeln lassen, sondern müssen uns auf unsere Werte besinnen – unsere Gesellschaft ist faul in dieser Hinsicht geworden. Ich bin sehr kritisch gegenüber den Kirchen eingestellt, aber die Arbeit der Kirchen richtet sich oftmals gegen Hedonismus und die Konsumgesellschaft. Die Terroristen aus Europa wollen in dieser Gesellschaft irgendetwas werden, egal was, und lassen sich vom IS verführen. Diese Jungs werden nicht zu Muslimen, sondern zu Dschihadisten – weil sie gar nicht wissen, was muslimische Spiritualität ist. Insofern ist es wichtig, sich auch spirituell dagegen aufzulehnen. (KNA, iQ)

Leserkommentare

Mareike sagt:
Welche sind denn unsere Werte, auf die wir uns besinnen müssen? Die Werte der ägyptischen Muslimbrüder oder des ägyptischen Militärs? El Difraoui ist doch wohl Ägypter. Seine Werte sind also kaum unsere Werte. Die von ihm geforderte Debatte über den Salafismus muss von Muslimen geführt werden, weil sie sonst nicht zielführend ist. Muslime jedoch verweigern diese Debatte, so dass eine Besserung nicht in Sicht ist. Das macht dann aber auch die Grenze zwischen Muslimen und Dschihadisten unsichtbar.
25.07.16
14:38
Manuel sagt:
Mit vielen Moslems kann man gar nicht rational diskutieren, denn dann wird sofort die Beleidigungskeule ausgepackt.
26.07.16
11:18
Chris sagt:
Da sieht man es mal wieder diese ganzen Journalisten sind weisse deutsche, die selber Vorurteile haben und wenn was passiert dann sind es die bösen Muslime uNd verlogen und blöd, dass man Integration fordert und man sagt man soll sich anpassen. Und dann wurde seit Freitag ständig gesagt der Täter sei DEUTSCH-IRANER so ein Schmarren Ich habe das schon vor Jahren gesagt DER BEGRIFF MIGRATIONSHINTERGRUND ist gefährlich man kategorisiert menschen und wir werden leider wegen solchen bEGRIFFEN und Medien nie deutsche sein sondern immer nur Plastikdeutsche mit MIMI
26.07.16
11:57
Maria sagt:
@Chris: Als gäbe es keine islamischen Anschläge durch Islamisten. Es war nun einmal ein Deutsch-Iraner, der den Amoklauf begangen hat. Solange Muslime sich von der Gesellschaft in Deutschland abgrenzen (insbesondere durch äußere Merkmale), werden sie natürlich nicht als Deutsche wahrgenommen. Jeder wird so wahrgenommen, wie er sich selbst präsentiert. In Ansbach kam es dann ja auch tatsächlich zu einem Selbstmordattentat. Zum Glück war der Täter so blöd, dass er nicht kapiert hat, dass man zu einem Konzert nur mit Eintrittskarte kommt. Den Mann hätte man in seine Heimat abschieben sollen. Heute haben zwei Islamisten in Rouen einem katholischen Priester während der Messe die Kehle durchgeschnitten und eine weitere Person schwer verletzt. Das lässt sich nicht wegpolemisieren. Vorurteile kann ich nicht erkennen, wenn man benennt, wer der Täter ist. Abgesehen davon kategorisieren Muslime auch, da gibt es die Gläubigen und die Ungläubigen. Und das nimmt nicht selten ein tödliches Ende für Unschuldige.
26.07.16
15:32
Manuel sagt:
@Chris: Ein Migrant hat sich uns anzupassen und nicht wir den Migranten. Es kann doch wohl nicht sein, dass wir hier jetzt eine islamische Gesellschaftsordnung einführen müssen, damit es denn Moslems ja passt.
27.07.16
18:45
Johannes Disch sagt:
@Maria Der deutsch-iranische Attentäter von München-- übrigens kein Migrant, sondern in Deutschland geboren--- handelte nicht aus religiösen Motiven, nicht aus islamistischen Motiven. Er handelte aus fremdenfeindlichen Motiven. So, Muslime grenzen sich von uns ab?? Liegt vielleicht auch daran, dass wir sie immer in erster Linie als Muslime wahrnehmen und ihre Identität so verorten. Zudem ist nichts dagegen einzuwenden, sich in gewissem Maße abzugrenzen. Jeder Mensch tut das. Muslime grenzen sich durch äussere Merkmale ab?? Und weiter?? Was stört sie denn daran??? Was stört sie denn beispielsweise an einem Kopftuch? Was tut ihnen denn eine Muslimin an, wenn sie durch ein Kopftuch ihre kulturelle Herkunft und ihren Glauben deutlich macht??? Es ist völlig normal, dass Zuwanderer aus anderen Kulturen ihre kulturelle Identität auch im neuen Heimatland bewahren und pflegen. Und das ist auch nicht verboten. lg Johannes Disch lg Johannes Disch
04.08.16
23:18
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Und was ist, wenn diese Toleranz dazu führt, dass immer mehr in Richtung islamische Gesellschaftsordnung gefordert wird? Wer hier leben will, der hat sich auch in einem gewissen Maße unserer Kultur anzupassen, wenn er ständig auf Biegen und Brechen sein Herkunftskultur (das Kopftuch gehört dazu und ebenso die Verweigerung des Händeschütteln) durchsetzen will, dann wird es schiweirg werden mit der Akzeptanz und dem Ankommen in Deutschland.
05.08.16
18:02