Muezzinruf

Was bedeutet der Gebetsruf aus religiöser Sicht?

Das Kölner Modellprojekt zum Gebetsruf hat erneut eine Diskussion ausgelöst. Ilhan Bilgü schreibt, was es mit dem „Muezzinruf“ aus religiöser Sicht auf sich hat.

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2021
Symbolbild: öffentlicher Gebetsruf von einer Minarette, Moschee © shutterstock, bearbeitet by iQ.
Symbolbild: Moschee, öffentlicher Gebetsruf von einer Minarette © shutterstock, bearbeitet by iQ.

Der Gebetsruf oder Muezzinruf (arab. „Azân“, türk. „Ezan“) bedeutet soviel wie „ankündigen“, „rufen“ und „einladen“. Er zeigt an, dass die Gebetszeit eingetroffen ist. Während es in Mekka noch keine spezielle Methode gab, Muslime zum Gebet zu rufen, wurden Muslime vor der Prophetenmoschee in Medina mit den Rufen „as-Salâh, as-Salâh“ (dt. „zum Gebet, zum Gebet“) zum Gemeinschaftsgebet eingeladen. Als die muslimische Bevölkerung zunahm, entstand die Notwendigkeit, diesen Aufruf auf andere Weise zu übermitteln.

Einige Muslime schlugen vor, genauso wie Christen und Juden zum Gebet zu rufen, doch fand diese Variante keine Mehrheit.

Der erste Gebetsruf

Die heute bekannte Form des Gebetsrufs geht auf einen Traum des Prophetengefährten Abdullâh b. Zayd b. Salabe zurück, den dieser in einem Traum gehört hat. Als er dem Propheten Muhammad (s) davon erzählte, bat der Prophet Bilâl Habaschi darum, die Worte auswendig zu lernen und fortan vor jedem Gebet auszurufen. Nach einer Weile fügte Bilâl dem Morgengebet die Worte „Beten ist besser als Schlafen“ hinzu.

Der erste Gebetsruf wurde am Morgen über dem Haus eines der Gefährten gesprochen. Später wurde im hinteren Teil der Prophetenmoschee ein spezieller Ort für den Gebetsruf eingerichtet. Dieser Ort wird als „Mi‘zana“ bezeichnet, doch ist das Minarett für diesen Zweck bekannter. Auch wenn die heutigen Moscheen von Region zu Region unterschiedliche Architekturen aufweisen, ist das Minarett ein fester Bestandteil der Moscheearchitektur.

Allahu akbar – eine Definition

Der Ausdruck „Allahu akbar“ erinnert an das Verhältnis des Menschen zu seinem Schöpfer. Alles kommt von Allah, alles ist ihm zugewandt. Er begleitet die Muslime durch ihre tägliche religiöse Praxis, wie z. B. das Gebet.

Extremisten verwenden den Ausdruck oft als Teil ihrer Rhetorik, weshalb er zu einer Chiffre für Gewalt geworden ist. Die religiöse Verwendung wird dadurch ausgeblendet. Die Folge ist, dass Muslime diskreditiert und mit Gewalt in Verbindung gebracht werden. Mehr.

Der Gebetsruf in nichtmuslimischen Ländern

Der Gebetsruf ist eines der besonderen Merkmale des Islams und wird nur in arabischer Sprache ausgerufen. Auch Muslime in Deutschland und in anderen europäischen Ländern wünschen sich, öffentlich zum Gebet zu rufen, um ihre Religion auch im Alltag erfahrbar zu machen. Jedoch stellt sich hier die Frage, ob es eine religiöse Pflicht ist, den Gebetsruf vor dem Gebet auszurufen und ob dieser öffentlich sein muss.

Bezüglich dem Gebetsruf haben die Rechtsschulen ähnliche Ansichten. So wird der Ruf entweder als Pflicht (Wâdschib), als kollektive Pflicht („Farz al-kifâya“) oder als stetige, feste Sunna („Sunna-i muakkada“) gesehen. Alle drei Einstufungen erlegen Einzelpersonen oder der Gemeinschaft in bestimmten Situationen eine Verpflichtung auf.

Beim öffentlichen Gebetsruf vom Minarett in nichtmuslimischen Ländern gibt es zwei Aspekte. Wenn die kommunale Verwaltung Muslimen erlaubt, öffentlich zum Gebet zu rufen, wird es, wenn vorhanden, vom Minarett ausgerufen. Wenn dies nicht erlaubt ist, gilt die religiöse Pflicht als erfüllt, wenn der Gebetsruf innerhalb der Moschee gesprochen wird.  

Trotz dieser aus religiöser Sicht begründeten Möglichkeit besteht weiterhin das Recht auf öffentliche Religionsausübung. Sie erlischt nicht, wenn man auf eine Ausübung aus Rücksichtnahme verzichtet. Mögliche Reibungspunkte können verhindert werden, wenn Nichtmuslime die Sensibilität der Muslime bezüglich des Gebetsrufs kennen und wenn Muslime im Gegenzug Maßnahmen ergreifen, indem sie die Sensibilitäten ihrer Nachbarn berücksichtigen. Andernfalls kann der öffentliche Gebetsruf in Europa zu einer Herausforderung werden, die am Ende niemandem etwas bringt.

 

Leserkommentare

Vera sagt:
Der ägyptisch-deutsche Politologe & Islamkenner Hamed Abdel-Samad kritisierte vorgestern in der 'Welt' die Zulassung von Muezzinrufen in der "Islamisten-Hochburg" Köln. Er sieht darin die verfassungswidrige Bevorzugung einer Minderheit - und einen weiteren Schritt auf dem Weg zu mehr Einfluss des Islam und meint: "Jeder Muslim darf beten, fasten und nach Mekka pilgern, wie er das möchte. Aber warum sollen einige Menschen das Recht bekommen, per Lautsprecher ihre Stadtviertel zu beschallen? Das hat weder mit Vielfalt noch mit Glaubensfreiheit zu tun." Und weiter sagte der Politologe: "Atheisten, Hindus und Veganer dürfen das nicht. Nur die Minderheit der Muslime darf jetzt an 35 Orten in Köln jeden Freitag fünf Minuten ihre Ideologie herausposaunen. Mich stört diese Bevorzugung , die aus meiner Sicht verfassungswidrig ist, denn keiner darf aufgrund seiner Religion privilegiert werden." Für bedenklich hält er auch: "Muezzinruf trägt die Botschaft in die Städte, dass der Islam siegen wird." Ich meine, Gebetsrufe digital gesendet - mehrfach täglich - wären doch auch eine Möglichkeit für alle, die solche Aufrufe lieben oder brauchen. Das wäre dann flächendeckend - ganz ohne Beschallung und Störung der anderen Menschen - kein Problem mehr und keine Belästigung im lauten Arabisch-Sprechgesang. Wenn nun der Islam siegen wird - wie verkündet wird - dann stellt sich doch nicht die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört. Dann muß stattdessen gefragt werden, ob Deutschland dem Islam gehört.
16.10.21
3:55
Abdussamed sagt:
Liebe Vera, Hamed Abdel-Samad ist keine ernstzunehmende Quelle, wenn man sich der Thematik "Islam und muslimisches Leben" frei von Ideologie annähern möchte. Ein Kenner ist er auch nicht, da er keine nachweisbare wissenschaftliche Qualifikation in den klassischen,islamischen Wissenschaften besitzt. Er ist eine traumatisierte Person, die sehr durch das Verhältnis zu seinem Vater geprägt wurde. Es so als ob jemand der nicht mehr in der Lage ist, einfache Additionsaufgaben zu lösen sich über eine Aufgabenstellung in der Stochastik äußert. Ich mein jeder soll das Recht haben sich zu äußern, jedoch kann dies keine Grundlage für eine ernstzunehmende Debatte sein. Ich fordere Sie daher auf, wenn Sie den Islam oder islamische Ritten kritisieren möchten, dann nehmen Sie sich die Zeit und setzten sich mit dem Islam wissenschaftlich ausseinander. Seien Sie keine unkritische Widerkäuerin, die einfach nur widergibt, was Ideologen, wie Hamed von sich geben. Als Denkanstoß schlage ich Ihnen vor die Übersetzung des Azan (Gebetsruf) vorzunehmen. An keiner Stelle wird der "Islam wird siegen" gesagt. Also warum wird eine persönliche Interpretation Hamads als absolute Wahrheit dargestellt? Welche Intention verfolgt man dabei, indem man den "Islam" personifiziert und es als Sieger darstellt? Wer sind die Verlierer? Welches fiktive Bild will man zeichnen um eine gewisse Wirkung zu erreichen? Ich bitte Sie Vera, seien sie vernünftig und lassen Sie sich nicht ideologisch verblenden. Liebe sonnige Grüße, Abdussamed
18.10.21
11:03
Johannes Disch sagt:
Es gibt auch die Möglichkeit, dass der Gebetsruf innerhalb der Moschee erfolgt. Auch dadurch wird das Gebot zum Gebetsruf erfüllt, wie der Artikel deutlich macht. Also braucht es diese Kontroverse gar nicht. Der öffentliche Gebtsruf gehört nicht zu den 5 Säulen des Islam und fällt deshalb auch nicht zwingend unter die Religionsfreiheit.
19.10.21
12:38
Johannes Disch sagt:
Was bedeutet der Gebetsruf aus religiöser Sicht, frägt der Titekl. Er gibt aber keine ehrliche Antwort. In Wahrheit ist er ein Macht-und Absolutheitsanspruch des Islam. Der Gebetsruf lautet: "Allah ist groß. Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Allah. Ich bezeuge, dass Mohammed Allahs Gesandter ist. Eilt zum Gebet." Auch der Vergleich zum Kirchglockengeläut hinkt. Dieses ist nur ein akustisches Signal. Der Gebetsruf hingegen drückt einen Machtanspruch aus. Das Kölner Projekt ist mal wieder ein Paradebeispiel deutscher Selbstverleugnung im Namen einer faslsch verstandenen Toleranz.
19.10.21
13:05
Johannes Disch sagt:
Erdogan baut die Hagia Sophia in eine Moschee um. Und was tun wir?? Erlauben einer DITIB-Moschee den Gebetsruf. Besoffen vor lauter Toleranz.
22.10.21
22:50
Leserin sagt:
Ich kann Herrn Abdussamed nur zustimmen. Immer wenn es um "den" Islam geht, vergessen auch Akademiker:innen was zu einer ernsthaften Diskussion gehört: Wenn man nicht selbst über ein profundes Wissen in Bezug auf das Thema verfügt, sollte man sich bei denjenigen informieren, die über ein solches verfügen. Dazu zählen die meisten sogen. Islamkritiker:innen nicht. So verfügen sie beispielsweise nicht über die notwendigen Sprachkenntnisse und nicht über das theologische Wissen. So wird eben der Ruf stets falsch übersetzt, was dann wiederum zu den bekannten Vorurteilen führt. "Alluh akbar" heißt nicht "Allah ist groß oder der größte", was zum einen intendiert, dass es hier um einen islamischen Gott ginge, der sich von den anderen abgrenze. Allah ist einfach nur das arab. Wort für Gott, so dass auch arabischsprechende Christen zu "Allah" beten. Es handelt sich dabei um den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (hebr. Bibel, christl. Bibel), aber auch Ismails (Islam). Insofern können Muslime gar nicht behaupten, nur ihr Gott sei der Größte, weil es der Gott aller drei monotheistischen Religionen ist. Zum anderen bedeutet "Alluh akbar": "Gott ist der stets Größere" (adäquat des lat.-christl. "Deus semper maior"), was heißt, dass unsere menschliches Wissen niemals Gott ganz begreifen wird und wir Menschen begrenzt sind. Damit ist kein Macht- und Absolutheitsanspruch verbunden! Und die immer wieder ins Feld geführten Beispiele aus den isl. geprägten Ländern. Erstens wollen wir uns ja nicht mit Diktaturen vergleichen und zweitens gibt es daneben auch durchaus positive Beispiele, wie Abu Dhabi, das aktuell enge Beziehungen zum Vatikan aufbaut. Das wird nat. religionskritische Menschen nicht überzeugen, dennoch sollten Diskussionen nicht in schwarz-weiß-Manier geführt werden.
26.10.21
17:07
Vera sagt:
Die islamkritischen Werke des Bestseller-Autors und Imam-Sohns Hamed Abdel-Samad - früheres Mitglied der radikal-islamischen Muslim-Bruderschaft - sind natürlich vielen ergebenen Islam-Anhängern ein Dorn im Auge und noch mehr als das. Er wurde unter andauernden Polizeischutz gestellt. Seine früheren islamischen "Freunde" trachten ihm nach dem Leben. Nicht umsonst spricht er auch von einem "islamischen Faschismus", der "in der Entstehungsgeschichte des Islams zu begründen" sei. Er hat islamische Indoktrination wie ein Schwamm von Kindheit an aufgesogen und internalisiert; er kennt islamische Tradition und Infiltration sowie diverse Machtstrukturen in- und auswendig. Er hält mittlerweile - summa sumarum - den Islam als Gesamtkonzept für nicht reformierbar. Es verwundert nicht, wenn Hamed Abdel-Samad nunmehr Diffamierungs-, Verleumdungs- und Verfolgungskampagnen ausgesetzt ist. Allerdings leuchtet sein Bestseller "Mohamed - Eine Abrechnung" wie ein Leuchtturm in der Brandung. Darin vertritt er offensiv die Auffassung, daß der Islam-Gründer ein gekränkter Aussenseiter, krankhafter Tyrann, Narzisst, Paranoiker und Massenmörder gewesen sei. Muslime sollten sich von den multiplen Krankheiten des Propheten lösen. Alle großen Medien befassten sich mit dieser bemerkenswerten Buchveröffentlichung und das auch zurecht. Hamed Abdel-Samads Aussagen können gar nicht oft genug wiedergekäut werden, so wichtig sind sie in einem aufgeklärten Land. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit angeblichen Erzengelserscheinungen, Traumgebilden und göttlicher Direkt-Ansprache, welche als fiktive Basis für die Islamgründung herhalten sollen, erscheint mir höchst suspekt und mehr als fragwürdig. Soll ich mich wirklich von "vernünftigen und nicht ideologischen DITIB-Wahrheiten" absolut blenden und irreführen lassen?
26.10.21
19:50
Emanze sagt:
Absurd: In Deutschland werden wir jetzt mit dem sehr lauten Muezzinruf belästigt, aber in islamischen Ländern dürfen die Kirchenglocken nicht läuten. Dort werden Christen verfolgt, diskriminiert, oft sogar getötet, oder ihre Kirchen angezündet. Warum sollen wir einer Religion gegenüber tolerant sein, die selbst keine Toleranz uns gegenüber zeigen würde, wenn sie Staatsreligion in Deutschland wäre?
31.10.21
18:05
Jadel sagt:
Ich wünsche mir, dass Christen, Muslime und andere Religionen friedlich zusammenleben. Am Ende sind wir alle Menschen, die leben, lieben, fühlen. Jeder von uns kann einen Anfang machen. Toleranz sollte stets im Vordergrund stehen, egal woran man glaubt!
11.12.23
4:04