Imam-Kolumne

Religiöse Bildung von Kindern und Jugendlichen

In unserer Imam-Kolumne bitten wir Imame zu Papier. In der aktuellen Kolumne schreibt Imam Eyüp Kalyon über die Kinder- und Jugendarbeit in der Moschee.

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2020
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Imam Eyüp Kalyon
Imam-Kolumne © bearbeitet by iQ

Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist eine erfreuliche Alternative zu den wichtigen, doch oft anstrengenden Aufgaben, die mit Erwachsenen verbunden sind. Mit Kindern und Jugendlichen kann man als Imam stundenlang über den Glauben und die Praxis der Muslime, aber auch alltägliche Probleme sprechen. Da ich eine ähnliche Sozialisation habe und die Altersspanne zwischen mir und den Jugendlichen relativ gering ist, ist die Kommunikation auch beiderseits leicht und angenehm.

Insbesondere die Vorstellung, Kindern und Jugendlichen eine positive Lebenshaltung mit auf den Weg zu geben, ihre Identitätsbildung zur stärken, Zivilcourage und gesellschaftliches Engagement zu fördern und auch gleichzeitig von Kindern und Jugendlichen zu lernen, empfinde ich als sehr spannend. Die Ideen und Impulse, die von ihnen kommen, können sehr produktiv sein und zum Weiterdenken anregen. Einmal fragte mich ein Jugendlicher nach meinem Vortrag: „Was wäre passiert, wenn der erste Mensch Adam und seine Frau nicht in den Apfel gebissen hätten? Wären wir heute dann alle im Paradies?“

Gesprächsrunden mit Jugendlichen

Einmal die Woche versammeln sich Jugendliche ab 15 Jahren in der Moschee oder in den Jugendräumlichkeiten zu einer Gesprächsrunde. Mit einem Kurzvortrag versuche ich einen Impuls zu liefern. Darin präsentiere ich auch die Quellenlage und überliefere die Koranverse und die Aussagen des Propheten Muhammad (s) über eine bestimmte Thematik. Das Themenspektrum ist groß und reicht von den Eigenschaften Allahs, über ethische Werte bis hin konkreten Ge- und Verboten. Auch über die islamische Geschichte, das Leben der Propheten und über verschiedene Strömungen und Rechtschulen im Islam wird gesprochen. Die Grundbotschaft der meisten Gesprächskreise ist: Glaube und tue Gutes.

Häufig endet das Gespräch mit einer Frage-Antwort-Runde, einer Feedback-Runde oder einem Ausklang mit Tee und Gebäck. Oft werden diese auch kombiniert. Tatsächlich höre ich gelegentlich von Jugendlichen, dass sie zu den Gesprächskreisen kommen, weil sie die Ausklangphase am liebsten haben. Gemeinschaft verbindet.

Gemeinschaftsgefühl schaffen

Die interaktiven Gespräche in der Moschee und anderen Veranstaltungen wie gemeinsame Ausflüge, Kinobesuche, Fußball oder LaserTag-Abende entwickeln und vertiefen neben religiösen Kenntnissen auch das Gemeinschaftsgefühl der Jugendlichen. Sie lernen füreinander zu sorgen und miteinander klar zu kommen.

Hinzu kommt, dass Kinder- und Jugendliche gezielt gefordert und gefördert werden, um Religions- und Verantwortungsbewusstsein zu erlangen. Mit einer Jugendgruppe haben wir mal ein Seniorenheim in Duisburg besucht, den Senioren Geschenke mitgebracht und uns mit ihnen unterhalten. Am Ende des Tages waren sowohl diese, als auch wir sehr glücklich darüber, diesen Tag organisiert zu haben. Die Jugendlichen haben verstanden, wie wichtig es ist, ältere Menschen nicht alleine zu lassen. Vor allem fanden wir die Gespräche sehr interessant; eine ältere Dame nannte ihren Geburtsort beispielsweise immer noch Preußen.

Koranunterricht und Spiele mit den Jugendlichen

Für Kinder bieten die Moscheen an Wochenenden Koran- bzw. Islamunterricht an. Auch wenn ein Unterrichtskonzept und ein fester Lehrplan vorhanden sind, kann der Unterricht relativ flexibel gestaltet werden. Spiele und andere Aktivitäten sorgen für Abwechslung und tragen dazu bei, dass die Kinder gerne zur Moschee kommen.Aber die Gespräche oder der Unterricht mit Kindern und Jugendlichen sind nicht immer reibungslos. In einigen Situationen kann es auch sehr ernst und hartnäckig zugehen. Denn muslimische Kinder und Jugendliche erfahren unterschiedliche Einflüsse und bekommen auch konträre Haltungen in diversen Gruppierungen mit, die sie in die Gespräche mit einbringen. In solchen Situationen muss der Imam ein Repertoire besitzen, mit Handlungsmöglichkeiten und Argumenten, die diese Situationen abkühlen lässt und für den Moment pädagogisch sinnvoll sind. Man darf nie vergessen, dass man als Imam eine Vorbildfunktion und eine Erziehungsaufgabe hat.

Eine schwierige Rolle

Einmal habe ich mit einem Jugendlichen im Alter von ca. 18 Jahren darüber diskutiert, ob sündige Muslime ins Paradies oder in die Hölle kommen werden. Als Theologe erklärte ich ihm die klassische Lehrmeinung der Mehrheit der Muslime, nämlich, dass Muslime durch die Barmherzigkeit Allahs letztendlich ins Paradies kommen werden, auch wenn sie gesündigt haben. Für jede Sünde ist auch eine Strafe vorgesehen, solange Allah dieses Fehlverhalten nicht mit seiner überaus großen Barmherzigkeit tilgt. Jedoch konnte ich den Jugendlichen nicht davon überzeugen. Ganz im Gegenteil: Die Diskussion mündete zuletzt darin, dass ich in seinen Augen abtrünnig sei.

Dieser Jugendliche kam nicht mehr zu den Veranstaltungen und ist eine Ausnahme. Doch zog ich eine Lehre aus dieser Situation: Ich nahm mir vor, mich noch mehr in der Kinder- und Jugendarbeit zu engagieren, um auch dieser Gruppe den Weg zu weisen. Die Kinder und Jugendlichen sind unsere Zukunft, und deshalb habe ich und all meine Kolleginnen und Kollegen eine sehr wichtige Aufgabe. Möge uns Allah Mut, Kraft und Geduld geben, damit wir in der Arbeit mit Jugendlichen Positives bewirken können.