Außerhalb der DITIB-Moschee in Oer-Erkenschwick wird auch künftig kein Muezzin-Ruf zu hören sein. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat die Genehmigung der Stadt aufgehoben. Die Kommune prüft jetzt, ob sie Berufung einlegen will.
Der juristische Streit um Muezzin-Rufe über Lautsprecher in Oer-Erkenschwick im Ruhrgebiet geht möglicherweise in die nächste Runde. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte eine Genehmigung der 30 000-Einwohner-Stadt für einen wöchentlichen, nach außen per Lautsprecher übertragenen Gebetsruf einer Moscheegemeinde kassiert. Nach einer Prüfung der Urteilsbegründung soll über eine mögliche Berufung entschieden werden, sagte ein Sprecher der Stadt Oer-Erkenschwick am Freitag. Gegen die Genehmigung hatte ein 69-Jähriger aus Oer-Erkenschwick geklagt, der in dem Gebetsruf seinen christlichen Glauben herabgesetzt sah.
Die Stadt habe bei einer 2014 erteilten Genehmigung die Interessen der Anwohner nicht genügend berücksichtigt, entschied das Verwaltungsgericht. Die Kommune hätte vor der Genehmigung auch alle Auswirkungen auf die sogenannte negative Religionsfreiheit der Anwohner überprüfen müssen. Durch eine Befragung oder eine Bürgerversammlung hätte die Stadt etwa herausfinden können, wie sehr solch ein Gebetsruf allgemein akzeptiert ist.
Die Moschee der DITIB-Gemeinde liegt rund 900 Meter Luftlinie von dem Wohnhaus des Klägers entfernt. Seit dessen Klage im Juli 2015 wird der Gebetsruf dort nicht mehr nach außen übertragen. Die muslimische Gemeinde wollte das Urteil am Freitag nicht kommentieren. Man wolle zunächst die Reaktion der Stadt abwarten, sagte der zweite Vorsitzende, Hüseyin Turgut.
Der 69 Jahre alte Kläger begründete seinen Gang vor Gericht mit seinem christlichen Glauben. Er sei „kein großer Anhänger irgendeiner Kirche“, aber „christlich erzogen“. Der Muezzin-Ruf stelle „von seinem Inhalt her den Gott der Muslime, Allah, über meinen Gott und Jesus Christus“. „Da fühlte ich mich veranlasst, gegen den Bescheid vorzugehen“, sagte er am Freitag. Es sei nicht um die Lautstärke gegangen. Allerdings: „Die Intonation dieses Rufes ist nichts für mitteleuropäische Ohren.“
Der Islambeauftragte der Evangelischen Kirche von Westfalen, Ralf Lange-Sonntag, äußerte sich verwundert über die Gerichtsentscheidung. „Man muss die negative Religionsfreiheit miteinbeziehen, aber sie darf nicht absolut gesetzt werden“, sagte er auf Anfrage. Solange die Lautstärke-Grenzwerte eingehalten worden seien, müsse man es ertragen, dass Menschen eine andere religiöse Position vertreten.
Wenn die Muezzine in den Moscheen die Gläubigen zum Gebet aufrufen, zitieren sie unter anderem das muslimische Glaubensbekenntnis. Eingeleitet wird der Gebetsruf mit der Formel „Allahu akbar“. Sie lässt sich mit „Gott ist (sehr) groß“ oder „Gott ist am größten“ übersetzen. Damit wollen Muslime ausdrücken, dass niemand mächtiger ist als Gott, schon gar nicht der Mensch. Wie viele Moscheegemeinden in Deutschland über Lautsprecher zum Gebet rufen, ist nicht bekannt. In einem Bericht des Portals „evangelisch.de“ aus dem Jahr 2016 ist die Rede von geschätzten 30 Gemeinden in ganz Deutschland. (dpa, iQ)